Pressekonferenz „Fünf Jahre AMNOG-Verabschiedung Eine Bilanz“ 11. November 2015 Dr. Martin Zentgraf Vorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e.V. Berlin - Es gilt das gesprochene Wort – Seite 2 Teil I: Begrüßung/Einführung Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Tag der AMNOG-Verabschiedung ist ein besonderer Tag für die pharmazeutische Industrie. Mit diesem Tag hat sich nämlich vieles verändert und zwar nicht nur für die pharmazeutischen Unternehmer, sondern auch für die Patientinnen und Patienten in unserem Land. Wir sind der Meinung, dass das „lernende System“ noch mehr zu lernen hat und wollen Ihnen das auch anhand von neuen und aktualisierten Daten und Statistiken sowie den Ergebnissen einer Bürgerumfrage zum Patientennutzen demonstrieren. Bei den Daten wollen wir es aber nicht belassen, denn daraus leitet sich auch ab, an welchen Stellschrauben gearbeitet werden muss, damit wir die Situation verbessern können. Damit wir uns von Anfang an nicht falsch verstehen: Wir als pharmazeutische Industrie sind nicht grundsätzlich gegen einen AMNOG-Prozess. Wir haben schon zu Beginn der Reformdebatte 2010 klar zum Ausdruck gebracht, dass wir zum Nutzen unserer Produkte stehen. Allerdings haben wir uns nicht einmal in unseren kühnsten Träumen ausgemalt, dass sich das gesamte Verfahren so deutlich von seinem ursprünglichen Ziel der Verbesserung der Arzneimittelversorgung entfernen würde. Das macht uns zunehmend Sorgen. Aber fangen wir von vorne an: Mit der Verabschiedung des AMNOG heute vor fünf Jahren wurde beschlossen, dass Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen nach der Zulassung noch eine frühe Nutzenbewertung durchlaufen und ihre Überlegenheit über vergleichbare ältere Arzneimittel beweisen müssen. Viele von Ihnen werden das AMNOG-Prozedere kennen. Ich erläutere trotzdem einmal kurz, was die Verabschiedung des Gesetzes am 11.11.2010 für Folgen gehabt hat: Als Hersteller eines neuen Medikaments müssen Sie seitdem mit Daten aus den Zulassungsstudien beweisen, dass Ihr Mittel dem Therapiestandard, der sogenannten „Zweckmä- Seite 3 ßigen Vergleichstherapie“, der ZVT, überlegen ist. Ihr Dossier wird dann vom Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (IQWiG) bewertet und diese Bewertung dem sogenannten Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als gutachterliche Empfehlung vorgelegt. Das mächtige Gremium entscheidet dann endgültig darüber, ob das Medikament einen Zusatznutzen hat oder nicht und wenn ja ob dieser geringer, nicht quantifizierbar, gering, beträchtlich oder erheblich ist. Auf dieser Basis verhandeln Vertreter des GKVSpitzenverbandes für die gesetzliche Krankenversicherung dann mit den Arzneimittelherstellern über die Beträge, die die Krankenkassen für das Präparat erstatten. Dass der GKVSpitzenverband mit fünf von dreizehn Stimmen auch die stärkste Kraft im Gemeinsamen Bundesausschuss ist und bereits in dessen Unterausschuss Arzneimittel an der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie mitwirkt und im Stiftungsrat des IQWiG vertreten ist, sei hier nur am Rande erwähnt, das Thema Governance soll heute nicht im Mittelpunkt stehen. Soviel zum Verfahren in aller Kürze. Das klingt doch eigentlich alles logisch und sinnvoll, werden einige von Ihnen jetzt vielleicht sagen. Und tatsächlich waren die Absichten, die das AMNOG verfolgen sollte, auch aus Sicht der Industrie nicht grundsätzlich schlecht. Zwar hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Dr. Philip Rösler damals ganz unverblümt angekündigt: „Wir brechen das Preismonopol der Pharmaindustrie“. Trotzdem galt die Begrenzung der Arzneimittelkosten nicht als das einzige Ziel. Vielmehr sollte nichts Geringeres als die Qualität der ohnehin schon sehr guten Arzneimittelversorgung in unserem Land verbessert werden. So stand es sinngemäß im Gesetzestext und ich erinnere mich noch gut daran, dass viele unserer Partner im Gesundheitswesen vor lauter Optimismus ganz aus dem Häuschen waren. Das IQWiG hatte zum Beispiel bereits in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf gefordert: „Dieser wichtige Schritt zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung muss allen Patientinnen und Patienten zugutekommen.“ Und wie ist nun der Stand der Dinge nach fünf Jahren? Ich habe es ja schon angedeutet: Leider ist es aus unserer Sicht auch fünf Jahre nach der Gesetzesverabschiedung noch nicht zu einer Verbesserung der Versorgung gekommen. Im Seite 4 Gegenteil: Das AMNOG, das ja immer gerne als „lernendes System“ bezeichnet wird, führt dazu, dass nützliche und überlegene Innovationen in großer Zahl gar nicht oder nicht dauerhaft bei denen ankommen, die sie benötigen, bei den Patientinnen und Patienten in Deutschland. Um Ihnen das zu verdeutlichen, haben wir beim BPI brandneue Daten und Statistiken ausgewertet und wollen nun eine Art Zwischenbilanz nach fünf Jahren AMNOG ziehen. Immer wieder eine wichtige Basisquelle dabei ist ein AMNOG-Gutachten, mit dem der BPI die Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Dieter Cassel und Prof. Dr. Volker Ulrich beauftragt hatte. Hat sich die Patientenversorgung mit Arzneimittelinnovationen in Deutschland verbessert? Wird Zusatznutzen entsprechend anerkannt? Und was sind die Konsequenzen für standortgebundene Hersteller? Das sind die Kernfragen, denen wir nachgegangen sind. Herr Dr. Gerbsch wird Ihnen gleich eine aussagekräftige Auswahl unserer gesammelten Erkenntnisse vorstellen. Und da im Zusammenhang mit dem AMNOG der Patientennutzen immer so betont wird, haben wir im Rahmen einer kurzen, repräsentativen Bürgerumfrage Ergebnisse bekommen, die auch im Kontext AMNOG sehr aufschlussreich sind. Doch nun direkt zu Dr. Gerbsch und den Ergebnissen unserer AMNOG-Analyse. Teil II: Präsentation Daten und Statistiken zum AMNOG (Dr. Norbert Gerbsch) Seite 5 Teil III: Was ist jetzt zu tun? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben gesehen, dass es beim AMNOG im Wesentlichen drei Hauptproblemfelder gibt, die dringend bearbeitet werden müssen. Das erste Problem sind die vielen Marktrückzüge: Das Gesetz führt nach fünf Jahren Bestehen dazu, dass immer mehr behördlich nach einer Risiko-Nutzen-Abwägung zugelassene Innovationen den Markt verlassen müssen, weil sie, oft nur aus formalen Gründen, keinen Zusatznutzen zugesprochen bekommen haben. In vielen Fällen bedeutet dieser Stempel, dass auch kein auskömmlicher Erstattungsbetrag vereinbart werden kann, beziehungsweise dass man im Schiedsverfahren einen sehr niedrigen Preis festlegt. Dies droht immer dann, wenn die zweckmäßige Vergleichstherapie generisch ist und das ist – wir haben es gesehen – in knapp über 70% der bewerteten Teilpopulationen der Fall. Wie sollen da die Kosten für Forschung und Entwicklung amortisiert werden können, frage ich mich. Zudem werden die auf dieser Basis festgelegten Erstattungsbeträge veröffentlicht und damit in die Preisbildung in anderen Ländern einbezogen. Die Folge sind Marktrückzüge. Damit steht dieses neue Arzneimittel Patientinnen und Patienten nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung. Gerade im Bereich chronischer Erkrankungen ergeben sich hierdurch gravierende Probleme, da die Therapieoptionen eingeschränkt werden. Ich finde es alarmierend, dass es zum Beispiel im Bereich Diabetes bereits sieben solcher Fälle gab Leidtragende sind hier immer die chronisch kranken Patientinnen und Patienten, die dann nicht mehr von den neuen Therapieoptionen profitieren können. Die Schwächen des AMNOG insbesondere bei chronischen Erkrankungen treten immer deutlicher zutage und müssen dringend behoben werden. Denn bei diesen Erkrankungen kann ein Zusatznutzen zum Zeitpunkt der Zulassung häufig nicht gezeigt werden – dafür wären sehr langfristige Studien Seite 6 erforderlich. Die Folgen sind dramatisch, denn diese Präparate erhalten regelhaft keinen Zusatznutzen zuerkannt. Es führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei: Die AMNOGBewertungsmethodik muss an die Situation bei chronischen Erkrankungen angepasst werden, um den Zusatznutzen adäquat bewerten zu können, z.B. auch durch die Akzeptanz von Surrogatparametern. Kassenseitig wird bei der Bewertung „ohne Zusatznutzen“ gesagt: Macht ja nichts: Kein Zusatznutzen = entbehrlich. Dass das Urteil „kein Zusatznutzen belegt“ nicht gleichbedeutend mit der Aussage ist, dass es keinen Zusatznutzen gebe, ist aber offensichtlich. Nur in 10% der Bewertungen ohne Zusatznutzen ist dieser tatsächlich nicht belegt. In den anderen 90% fehlten aus Sicht des IQWiG Daten, mit anderen Worten: Man weiß nicht, wie es hier um den Zusatznutzen bestellt ist. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle liegen damit zwar Daten vor, die aus formalmethodischen Gründen aber nicht zum Nachweis eines Zusatznutzens akzeptiert worden sind. Dass diese Zahl so hoch ist, liegt, so sehen es auch die Verfasser des vom BPI beauftragten Gutachtens, die Ökonomen Prof. Dr. Dieter Cassel und Prof. Dr. Volker Ulrich, an der gelebten Praxis des AMNOG: Es werden starre Kriterien angewandt, um zu vermeiden, dass Produkte zu positiv bewertet werden. Das Risiko, dass Produkte fälschlich zu negativ bewertet werden und in der Folge in der Therapie nicht mehr zur Verfügung stehen, wird hingegen ausgeblendet. Darauf haben wir als BPI in der Vergangenheit schon mehrmals hingewiesen. Aber selbst Arzneimittel, die eine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erhalten haben, kommen offensichtlich nicht in dem Maße bei Patientinnen und Patienten an, wie es nach dem aktuellen Wissensstand vonnöten wäre. Dr. Gerbsch hat auch in diesem Zusammenhang auf das vom BPI beauftragte Gutachten hingewiesen. Aus meiner Sicht ist es hochproblematisch, dass zum Zeitpunkt des Gutachtens Ende 2014 nach 70 abgeschlossenen Verfahren 13 dieser bewerteten Arzneimittel, fast 20%, gar nicht mehr auf dem deutschen Markt zur Verfügung standen. Damit werden die Therapievielfalt und die Möglichkeiten des Arztes deutlich eingeschränkt. Zum heutigen Zeitpunkt sind es bereits 18 Präparate, die vollständig nicht mehr am Markt verfügbar sind. Solange sich an den genannten Rahmenbedingungen nichts ändert, wird Herstellern auch in Zukunft gar Seite 7 nichts anderes übrig bleiben, als Arzneimittel mit nicht angemessener Bewertung vom Markt zu nehmen. Grundsätzlich darf es aus meiner Sicht keine preisliche Orientierung an einer generischen Vergleichstherapie geben. Man kann die Vergütung einer Neuentwicklung einfach nicht am Preis eines Arzneimittels messen, das seine Entwicklungskosten lange amortisiert hat. Auch dieses Arzneimittel war einmal neu und hatte seinen Preis. Wer so vorgeht, nimmt Marktaustritte und Marktrücknahmen billigend in Kauf und beeinträchtigt den therapeutischen Fortschritt. Und dies ist bei chronischen Erkrankungen besonders gravierend. Das zweite Problem ist die abschreckende Wirkung des AMNOG nach außen: Das Verfahren führt nach fünf Jahren Bestehen nämlich immer häufiger dazu, dass Innovationen den deutschen Markt gar nicht erst erreichen. Deutlich wurde, dass sich die Anzahl der in Deutschland nicht eingeführten Arzneimittel nach AMNOG sehr deutlich erhöht hat und das AMNOG damit eine deutliche Barriere-Wirkung für Präparate entfaltet, die der frühen Nutzenbewertung unterliegen. Hersteller meiden mitunter den deutschen Markt von vornherein, weil sie aufgrund des AMNOG-Prozesses mit nicht auskömmlichen Erstattungsbeträgen und einer Preisspirale nach unten rechnen müssen. Wir reden hier wohlgemerkt nicht von Arzneimitteln, die auch in anderen Ländern nicht zur Verfügung stehen, sondern über Präparate mit zumindest europäischer Zulassung. Wenn das AMNOG tatsächlich zum Ziel haben will, den Patientinnen und Patienten in Deutschland den Zugang zu den besten und wirksamsten Arzneimitteln zu ermöglichen, dann gehören auch international selbstverständlich verfügbare Innovationen dazu. Das dritte Problem hat mit dem Versorgungsgrad und der Wirtschaftlichkeit zu tun: Das AMNOG-Verfahren führt nämlich nicht nur dazu, dass neue Arzneimittel den deutschen Markt verlassen müssen oder gar nicht erst dort angeboten werden. Es verhindert mitunter auch, dass bereits bewertete Arzneimittel mit Erstattungsbetrag im Versorgungsalltag ankommen, weil sie nicht vom Arzt verschrieben werden. Selbst bei Innovationen mit einem hohen Zusatznutzen beobachten wir häufig einen eher geringen Versorgungsgrad. Der Grund liegt meistens darin, dass Ärzte sich davor scheuen, neue und damit entsprechend Seite 8 auch teurere Präparate zu verschreiben, weil sie Regressforderungen vonseiten der Kassen befürchten. Das, meine Damen und Herren, ist skandalös! Wie kann eine Innovation, deren Wirtschaftlichkeit durch den am Ende des AMNOG-Prozesses verhandelten Erstattungsbetrag bestätigt sein müsste, Angst vor Regressen schüren? Hier brauchen wir dringend eine Klarstellung, damit therapeutische Verbesserungen auch tatsächlich bei den Patientinnen und Patienten ankommen. Natürlich ist die Verordnung kostenintensiverer Innovationen den Kassen ein Dorn im Auge, aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie die Therapiefreiheit des Arztes zu Lasten der Patientinnen und Patienten immer mehr beschneiden. Interessant ist, dass viele Patienten von dieser überflüssigen Unterversorgung offensichtlich gar nichts wissen. Unsere Bürgerumfrage hat ja gezeigt, dass fast die Hälfte der Befragten bisher davon ausgegangen ist, dass ihnen das beste Arzneimittel verordnet wurde. Die Mehrheit der Befragten war der Ansicht, dass Patienten neue Medikamente vorenthalten werden. Der Wunsch der Bürger in Deutschland geht also grundsätzlich wohl eher in die Richtung, die sich die Macher des AMNOG ursprünglich auch einmal auf die Fahnen geschrieben hatten: Nicht nur Begrenzung von Arzneimittelkosten, sondern vor allem eine Verbesserung der Versorgung. Leider ist aber die AMNOG-Realität fünf Jahre später am 11.11.2015 eine andere. Mich persönlich treibt das schon lange um und in so einer Situation greife ich dann immer gerne zum Bücherschrank und stoße auf Zitate, die mich inspirieren. Zum Beispiel von Mahatma Gandhi, der einmal gesagt hat: „Wenn du etwas 2 Jahre lang gemacht hast, betrachte es sorgfältig! Wenn du etwas 5 Jahre lang gemacht hast, betrachte es misstrauisch! Wenn du etwas 10 Jahre lang gemacht hast, mache es anders.“ Seite 9 Mit Blick auf das AMNOG muss ich ihm ausnahmsweise widersprechen: Wir sollten nicht mehr fünf Jahre misstrauisch abwarten, sondern schon jetzt aktiv werden und einiges anders machen. Herzlichen Dank!
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