Statement Dr. Jens Baas - Techniker Krankenkasse

Statement Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse,
zur Vorstellung des Innovationsreports 2016 am 7. September 2016 in Berlin
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Mit dem jährlichen Innovationsreport begleitet die TK den mit dem
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) im Jahr 2011 gestarteten Prozess der
Arzneimittel-Nutzenbewertung von Anfang an. Auch der diesjährige Report wurde unter der
Leitung der Herausgeber Professor Dr. Gerd Glaeske vom SOCIUM - Forschungszentrum
Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen, Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig,
Vorsitzender des Vorstands der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie
Professor Dr. Petra Thürmann, Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische Pharmakologie
am HELIOS Klinikum Wuppertal, erstellt. Er bietet eine strukturierte Übersicht über die neuen
Arzneimittel des Jahres 2013. Mit diesem zeitlichen Abstand können die Autoren die
Medikamente fundierter bewerten. Außerdem beobachten sie bereits jetzt Rote-Hand-Briefe
oder auch Marktrücknahmen, die in die Bewertung einfließen können. Ein weiterer Vorteil des
zeitlichen Abstands ist, dass wir bereits sehen können, wie sich die neuen Produkte im Markt
entwickeln. Das Ergebnis des Reports überrascht uns nicht: Das AMNOG hat seine Wirkung
auch im dritten Jahr weitgehend verfehlt und weder die Qualität noch die Wirtschaftlichkeit der
Arzneimittelversorgung in Deutschland verbessert. Was uns leider auch nicht wirklich
überrascht, ist die Tatsache, dass die Pharmaindustrie nun ihren Einfluss geltend macht.
Sollten die Vorschläge aus dem Pharmadialog wie derzeit vorgesehen umgesetzt werden, wird
das System nicht nur weiter geschwächt sondern es rückt zudem von einem wichtigen
Grundsatz ab. Dieser lautet, dass die Krankenkassen nur dann mehr für ein neues Arzneimittel
bezahlen, wenn es auch wirklich besser ist.
Die Präparate wurden nach dem bewährten Ampelschema bewertet. Von den 23 neuen
Wirkstoffen erhielt nur das Krebsmedikament Perjeta (Pertuzumab), das in Kombination mit
anderen Wirkstoffen gegen Brustkrebs eingesetzt wird, eine grüne Ampel in der
Gesamtbewertung. 13-mal zeigte die Ampel rot und neunmal gelb. Qualitativ ist dies mit dem
vorherigen Jahrgang vergleichbar. Einen deutlichen Unterschied mussten wir hingegen bei den
Ausgaben feststellen. Obwohl sich die Qualität der neuen Arzneimittel des Jahres 2013
gegenüber denen des Jahres 2012 nicht verbessert hat, haben wir in einem vergleichbaren
Zeitraum das Doppelte bezahlt. Der durchschnittliche Preis pro Packung für ein neues
Arzneimittel hat sich von 670 auf 1.418 Euro mehr als verdoppelt. Auch die Ausgaben haben
sich entsprechend drastisch entwickelt.
Fünf der 23 bewerteten Präparate sind mittlerweile wieder vom Markt genommen worden. Das
zeigt uns, dass die Unsicherheit bei der Einführung neuer Arzneimittel zwei bis drei Jahre besteht.
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Pharmadialog will AMNOG aufweichen
Das AMNOG ist nun seit fünf Jahren in Kraft. Obwohl es ein an sich gutes Instrument ist, hat es
die in die Neuregelung gesetzten Hoffnungen bislang nicht erfüllt. Schon kurz nach dem
Inkrafttreten wurde von einem „lernenden System“ gesprochen. Erste Anpassungen erfolgten
bereits. Wie der Innovationsreport nun zeigt, hat das aber die meisten grundlegenden
Probleme nicht behoben. In den nächsten Monaten wird der Prozess der Preisfindung für
Medikamente in Deutschland vermutlich erneut verändert. Der Pharmadialog zwischen
Pharmaindustrie und Bundesregierung (die Krankenkassen als Kostenträger waren nicht
beteiligt) hat dazu geführt, dass die Wünsche der Industrie im ersten Gesetzentwurf
weitgehend berücksichtigt wurden. Die Versorgungsqualität für die Patienten droht hinter den
wirtschaftlichen Interessen der Industrie zurückzustehen.
Die geplante Umsatzschwelle, die vielfach als Preisbremse angepriesen wird, ist ein Wolf ohne
Zähne und setzt viel zu spät ein. Derzeit wird hier eine Grenze von 250 Millionen Euro für das
erste Jahr diskutiert. Erst danach soll rückwirkend der verhandelte Preis gelten, der sich auf
den Zusatznutzen des Arzneimittels stützt. Kurz gesagt: Für ein neues Medikament bezahlen
die Versicherten in der GKV erst dann einen fairen Preis, wenn sie bereits eine Viertelmilliarde
an die Industrie überwiesen haben. Aufgrund der besonders hohen Schwelle wären bisher
auch nur wenige Präparate von dieser Regelung betroffen gewesen. Auch fachlich lässt sich
dieses Vorgehen nicht begründen: Ein Medikament hat entweder einen Zusatznutzen oder
nicht. Eine Schwelle, bis zu der die Beitragszahler unnötigerweise zur Kasse gebeten werden,
ergibt keinen Sinn. Auch die heutige Karenzzeit von einem Jahr, in dem die Pharmahersteller
sich einen beliebigen Preis aussuchen können, ist mit keinem fachlichen Argument
begründbar. Stattdessen sehen wir, wie die Unternehmen diese Regelung ausnutzen, um mit
einem Mondpreis für ein neues Medikament in den Markt zu gehen. Dabei ist es auch schon
vorgekommen, dass sie es wieder zurückgezogen haben, wenn sie ihre finanziellen
Erwartungen in den Preisverhandlungen nicht durchsetzen konnten. Patienten und Ärzte haben
dann das Nachsehen.
Viel schwerwiegender sind jedoch die geplanten Eingriffe in die Preisverhandlungen zwischen
dem GKV-Spitzenverband und der Industrie. Die derzeitige Diskussion sieht vor, dass der Kern
des AMNOG aufgeweicht wird. Denn bisher wird ein neues Medikament mit einer bestehenden
Therapie verglichen. Hat es keinen Zusatznutzen für die Patienten, darf es auch nicht teurer
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sein. Sollte dieses Prinzip abgeschafft oder aufgeweicht werden, wird dies zu erheblichen
Mehrausgaben für die Krankenkassen führen – ohne dass die Qualität verbessert wird. Dabei
ist die heutige Regelung schon sehr industriefreundlich, denn die Kassen haben zu den
meisten Vergleichstherapien Rabattverträge mit den Herstellern abgeschlossen, vor allem
wenn diese bereits patentfrei sind. Diese Rabattverträge werden im AMNOG nicht
berücksichtigt. Der Preis für Präparate ohne Zusatznutzen mit generischer Vergleichstherapie
müsste also eigentlich noch viel niedriger sein, als er heute ist.
Ein wichtiges Instrument, um die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu verbessern,
ist Transparenz. Hier stellt der Innovationsreport ein wichtiges Gegengewicht zu den
Verkaufsveranstaltungen der Pharmavertreter in den Arztpraxen oder auf Fortbildungen dar.
Der Report basiert dabei auf einer gut verständlichen Ampelbewertung. Ganz ähnlich könnte
demnächst der Arzt über seine Praxissoftware über den Zusatznutzen informiert werden, wenn
er ein Medikament verordnet. Doch der Pharmaindustrie wird hier seitens der Regierung wohl
ein Mitspracherecht eingeräumt. Schon werden Stimmen laut, die ein einfaches Ampelsystem
ablehnen. Dabei wäre es ein großer Transparenzsprung, wenn der verordnende Arzt in seiner
Praxissoftware sofort sieht, ob das Medikament, das er verschreiben will, überhaupt einen
Zusatznutzen für seinen Patienten hat.
Es ist absolut unverständlich, dass die Pharmaindustrie an dieser sensiblen Stelle des
Informationsflusses an den Arzt eingreifen können soll. Wenn die Hersteller bei der
Ausgestaltung beteiligt werden, ist das in etwa so, als wenn sich Schüler selbst die Noten
geben – nur leider auf Kosten der Solidargemeinschaft. Dabei gibt es doch eine Alternative:
Neue Arzneimittel werden mit dem AMNOG ja bereits heute unabhängig bewertet und das
Ergebnis sollte eindeutig in der Software dargestellt werden.
Blick in die Zukunft: Qualität sollte stärker im Fokus stehen
Wir wünschen uns, dass die Qualität beim AMNOG stärker im Fokus steht. Schon lange
fordern wir, dass das AMNOG in der Arztpraxis ankommen muss – und damit letztendlich
natürlich beim Patienten. Hierfür brauchen wir vor allem mehr Transparenz und einen besseren
Informationsfluss. Ergänzend zur Ampel in der Praxissoftware, sollten dem Arzt aber auch
weitere, unabhängige praxisorientierte Informationsquellen zur Verfügung stehen. Dazu bedarf
es medizinischer Leitlinien, die unabhängig von der Industrie erstellt werden. Im nun
vorliegenden Report sehen wir, dass sich die Leitlinien und die Ergebnisse der frühen
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Nutzenbewertung oft widersprechen. Nicht nachzuweisen, aber oftmals naheliegend, ist der
Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die Leitlinien. Damit das AMNOG auch wirklich in
der Arztpraxis ankommt, brauchen wir unabhängige Leitlinien und Informationen für die
Ärzteschaft.
Beim Erstellen der Leitlinien könnte zum Beispiel das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen (IQWiG) unabhängig moderieren. Wenn medizinische
Fachgesellschaften von der Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
abweichen, sollten sie dies zukünftig umfangreich begründen müssen.
Pharmaunternehmen sollten ganzes Sortiment in Deutschland anbieten
Wir fordern von den Unternehmen, dass sie in Deutschland ihr volles Sortiment anbieten oder
andernfalls einen Sonderabschlag zahlen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass
Pharmaunternehmen mit großen Budgets neue Medikamente beworben und ihr Produkt dann
wieder vom Markt genommen haben - nachdem viele Patienten darauf eingestellt waren und
die Pharmaindustrie in den ersten zwölf Monaten der freien Preisbildung damit viel verdient hat.
Das führt zu unakzeptablen Mehrausgaben für die Solidargemeinschaft und großen
Verunsicherungen bei Patienten und Ärzten. Auch im diesjährigen Innovationsreport sehen wir,
dass fünf der 23 Präparate des Jahrgangs 2013 nicht mehr in Deutschland auf dem Markt sind
und ein weiteres nicht mehr in allen Wirkstärken. Nimmt ein Hersteller ein Präparat aufgrund
des AMNOG-Verfahrens vom Markt, sollte er einen höheren Rabatt auf sein übriges Sortiment
gewähren müssen. Der Pharmadialog hat auch gezeigt, wie wichtig Deutschland für den
weltweiten Arzneimittelmarkt ist. Diese starke Marktposition sollte die Politik dafür nutzen, die
Industrie davon abzuhalten, sich in Deutschland die Rosinen herauszupicken, und sie
stattdessen stärker in ihre ethische Verantwortung nehmen.
In einem Sonderkapitel schauen wir uns auch noch einmal die ersten fünf Jahre des AMNOG
an. Dabei wird deutlich, dass sich etwas ändern muss, wenn die steigenden
Arzneimittelausgaben nicht für einen weiteren Anstieg der Zusatzbeiträge der
Krankenversicherungen verantwortlich sein sollen. Wenn wir jetzt schon mal auf die nächsten
Innovationsreporte schauen, dann fallen schnell die neuen Kombinationspräparate in der
Krebsmedizin auf. Zweifellos sind die enormen Fortschritte auf diesem Feld zu begrüßen, aber
wenn ein einzelnes Präparat schon heute bis zu 100.000 Euro pro Jahr kostet und die
Präparate dann noch kombiniert werden, was zunehmend der Fall ist, dann müssen wir ganz
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ehrlich über weitere Rabatte oder andere Lösungen in diesem Bereich sprechen, wenn die
Solidargemeinschaft das in Zukunft noch schultern können soll.
Ein weiteres Sonderkapitel behandelt das Thema "medikamentöse Lipidsenker". Dies ist
relevant, da viele Versicherte - bei der TK jeder vierte über 60 Jahre - im Jahr 2015 mindestens
einmal ein Medikament aus diesem Bereich erhalten haben. Zudem kommen die
internationalen Fachgesellschaften zu unterschiedlichen Empfehlungen, was den Einsatz
dieser Lipidsenker betrifft. Dieses Kapitel soll der weiteren Orientierung und Information zu
dieser Indikation dienen.
Der Innovationsreport 2016 hat das Ziel, einen Überblick über die Bewertung der neuen
Präparate zu geben. Mit Hilfe von Routinedaten der TK kann der Report zudem interessante
Erkenntnisse zur Versorgungsrealität mit neuen Arzneistoffen liefern. Diese wollen wir für
Patienten, vor allem aber auch für Ärzte aller Fachgruppen, nutzbar machen. Mit dieser
Transparenz wollen wir die Versorgungsqualität verbessen und die Wirtschaftlichkeit der
Arzneimittelversorgung steigern.
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