Helaba Volkswirtschaft/Research VERTRAU(D)LICH 29. März 2016 Leistungsbilanzüberschuss: Nichts ist umsonst AUTOR Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirt/ Leitung Research Telefon: 0 69/91 32-20 24 [email protected] REDAKTION Heinrich Peters HERAUSGEBER Helaba Landesbank Hessen-Thüringen MAIN TOWER Neue Mainzer Str. 52-58 60311 Frankfurt am Main Telefon: 0 69/91 32-20 24 Telefax: 0 69/91 32-22 44 In regelmäßigen Abständen kritisiert die EU-Kommission den Überschuss der deutschen Leistungsbilanz. Deutschland wurde deshalb bereits im letzten Jahr unter verschärfte Beobachtung gestellt. Laut EU-Kommission seien Überschüsse von dauerhaft mehr als sechs Prozent stabilitätsgefährdend. Jüngst reihte sich der italienische Ministerpräsident in diese Kritik ein. Er forderte von Deutschland und anderen Ländern einen Abbau ihrer Exportüberschüsse. Wer ist aber verantwortlich für die Anpassung – Defizit- oder Überschussländer? Hat ein Land ein Leistungsbilanzdefizit, ist es fortlaufend auf Kapitalimporte angewiesen. Deshalb steht ein solches Land tendenziell unter dem Druck, eine Politik zu betreiben, die den Standort international attraktiv macht. Wird ein Leistungsbilanzdefizit auch noch mit einem hohen Haushaltsdefizit gekoppelt, entsteht ein sogenanntes Zwillingsdefizit. Solange ein hohes Vertrauen in das Land und ein attraktives Ertragspotenzial besteht, stellen internationale Investoren gerne Kapital zur Verfügung. Problematisch wird es erst, wenn eine Volkswirtschaft dauerhaft über ihren Verhältnissen lebt und das Vertrauen verloren geht. Dies führt üblicherweise zu Zahlungsbilanzkrisen. Bei einem Leistungsbilanzüberschuss produziert ein Land mehr als es selbst verbraucht. Der Nettoexporteur gewährt saldenmechanisch dem Importland einen Kredit. Dies entspricht einem Kapitalexport. Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone hat gelehrt, dass manche dieser Forderungen wertlos sein können. Die Deutschen lieferten erst ihre Produkte ins Ausland und mussten dann auch noch Teile ihre Erträge abschreiben. Das heißt gesamtwirtschaftlich nichts anderes, als dass ein Teil der Wertschöpfung ans Ausland verschenkt wurde. So wird deutlich, dass die Kritik an dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss letztendlich einen ganz anderen Grund hat. Gerade in einem gemeinsamen Währungsraum besteht eine hohe Wettbewerbsintensität. Solange ein Land noch eine eigene Währung besitzt, besteht bei einem Leistungsbilanzdefizit eine Tendenz zur Abwertung bzw. zur Aufwertung bei einem Leistungsbilanzüberschuss. Die relative Anpassung bei Ungleichgewichten kann dann zumindest teilweise über den Wechselkurs verlaufen. Bei festen Wechselkursen bzw. einer gemeinsamen Währung treten die Unterschiede in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit hingegen offen zu Tage. Die Forderung nach einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Defizitländer wird dann leichtfertig mit dem Argument weggewischt, dass das Überschussland doch einfach weniger leistungsfähig sein sollte. Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden. Tatsächlich erzielt Deutschland seit vielen Jahrzehnten Exportüberschüsse. Lediglich in Folge der Wiedervereinigung kam es bis 2001 zu einem Importüberschuss. Seit der Jahrtausendwende ist der Exportüberschuss stark angestiegen. Allerdings hat es in den letzten Jahren große Veränderungen gegeben. Während der Handelsbilanzüberschuss gegenüber den Euroländern zu Beginn der Währungsunion bei knapp 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, stieg er im Boom 2007 auf fast 5 Prozent an. Seit der Finanzkrise ist er wieder stark gefallen und erreichte 2014 fast das Niveau der Zeit vor der gemeinsamen Währung. Die Handelsbilanzungleichgewichte innerhalb der Währungsunion konnten somit stark reduziert werden – auch ohne eine Wechselkursanpassung. Die Anpassungsfähigkeit innerhalb der Währungsunion ist also deutlich größer als die Dauerkritik an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen suggeriert. Allerdings sind die Exportüberschüsse gegenüber den USA und Asien in den letzten Jahren weiter stark angestiegen. 2015 betrug der deutsche Leistungsbilanzüberschuss 257 Mrd. Euro oder 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der starke Rückgang der Rohölpreise reduzierte allerdings auch den Wert der Importe. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 9 . M Ä R Z 2 0 1 6 · © H E L A B A 1 VERTRAU(D)LICH Uns Deutsche wegen reger Exporttätigkeit zu rügen, ist der falsche Ansatz. Vielmehr sollten uns die anderen Länder bemitleiden. Denn parallel zum ansteigenden Leistungsbilanzüberschuss kam es zu einem deutlichen Rückgang der Investitionen. Die Nettoinvestitionsquote ist mittlerweile auf fast null gesunken. Dies ist tatsächlich ein wesentlicher Schwachpunkt. Offensichtlich werden die Ertragsaussichten hierzulande als sehr gering eingeschätzt. Höhere Löhne, wie sie die EUKommission fordert, helfen da wenig. Hier muss die Wirtschaftspolitik ansetzen: Die Rahmenbedingungen für Investitionen sollten verbessert werden. Eine leistungsfähige Infrastruktur – sowohl logistisch als auch digital – wären wichtige Bausteine. Dann reduziert sich der Leistungsbilanzüberschuss automatisch. Beitrag erschienen in „Die Welt“, 26. März 2016 H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 9 . M Ä R Z 2 0 1 6 · © H E L A B A 2 Diese Publikation wurde Ihnen am 06.04.2016 überreicht von der Ihr(e) Ansprechpartner(in): Dieses Institut unterliegt der Aufsicht durch die Europäische Zentralbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
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