Leistungsbilanzüberschuss - Nichts ist umsonst

Helaba Volkswirtschaft/Research
VERTRAU(D)LICH
29. März 2016
Leistungsbilanzüberschuss: Nichts ist umsonst
AUTOR
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
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Helaba
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In regelmäßigen Abständen kritisiert die EU-Kommission den Überschuss der deutschen Leistungsbilanz. Deutschland wurde deshalb bereits im letzten Jahr unter verschärfte Beobachtung
gestellt. Laut EU-Kommission seien Überschüsse von dauerhaft mehr als sechs Prozent stabilitätsgefährdend. Jüngst reihte sich der italienische Ministerpräsident in diese Kritik ein. Er forderte
von Deutschland und anderen Ländern einen Abbau ihrer Exportüberschüsse.
Wer ist aber verantwortlich für die Anpassung – Defizit- oder Überschussländer? Hat ein Land ein
Leistungsbilanzdefizit, ist es fortlaufend auf Kapitalimporte angewiesen. Deshalb steht ein solches
Land tendenziell unter dem Druck, eine Politik zu betreiben, die den Standort international attraktiv
macht. Wird ein Leistungsbilanzdefizit auch noch mit einem hohen Haushaltsdefizit gekoppelt,
entsteht ein sogenanntes Zwillingsdefizit. Solange ein hohes Vertrauen in das Land und ein attraktives Ertragspotenzial besteht, stellen internationale Investoren gerne Kapital zur Verfügung. Problematisch wird es erst, wenn eine Volkswirtschaft dauerhaft über ihren Verhältnissen lebt und das
Vertrauen verloren geht. Dies führt üblicherweise zu Zahlungsbilanzkrisen.
Bei einem Leistungsbilanzüberschuss produziert ein Land mehr als es selbst verbraucht. Der Nettoexporteur gewährt saldenmechanisch dem Importland einen Kredit. Dies entspricht einem Kapitalexport. Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone hat gelehrt, dass manche dieser Forderungen
wertlos sein können. Die Deutschen lieferten erst ihre Produkte ins Ausland und mussten dann
auch noch Teile ihre Erträge abschreiben. Das heißt gesamtwirtschaftlich nichts anderes, als dass
ein Teil der Wertschöpfung ans Ausland verschenkt wurde.
So wird deutlich, dass die Kritik an dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss letztendlich einen
ganz anderen Grund hat. Gerade in einem gemeinsamen Währungsraum besteht eine hohe Wettbewerbsintensität. Solange ein Land noch eine eigene Währung besitzt, besteht bei einem Leistungsbilanzdefizit eine Tendenz zur Abwertung bzw. zur Aufwertung bei einem Leistungsbilanzüberschuss. Die relative Anpassung bei Ungleichgewichten kann dann zumindest teilweise über
den Wechselkurs verlaufen. Bei festen Wechselkursen bzw. einer gemeinsamen Währung treten
die Unterschiede in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit hingegen offen zu Tage. Die Forderung
nach einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Defizitländer wird dann leichtfertig mit dem Argument weggewischt, dass das Überschussland doch einfach weniger leistungsfähig sein sollte.
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Tatsächlich erzielt Deutschland seit vielen Jahrzehnten Exportüberschüsse. Lediglich in Folge der
Wiedervereinigung kam es bis 2001 zu einem Importüberschuss. Seit der Jahrtausendwende ist
der Exportüberschuss stark angestiegen. Allerdings hat es in den letzten Jahren große Veränderungen gegeben. Während der Handelsbilanzüberschuss gegenüber den Euroländern zu Beginn
der Währungsunion bei knapp 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, stieg er im Boom 2007 auf
fast 5 Prozent an. Seit der Finanzkrise ist er wieder stark gefallen und erreichte 2014 fast das
Niveau der Zeit vor der gemeinsamen Währung. Die Handelsbilanzungleichgewichte innerhalb der
Währungsunion konnten somit stark reduziert werden – auch ohne eine Wechselkursanpassung.
Die Anpassungsfähigkeit innerhalb der Währungsunion ist also deutlich größer als die Dauerkritik
an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen suggeriert.
Allerdings sind die Exportüberschüsse gegenüber den USA und Asien in den letzten Jahren weiter
stark angestiegen. 2015 betrug der deutsche Leistungsbilanzüberschuss 257 Mrd. Euro oder 8,5
Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der starke Rückgang der Rohölpreise reduzierte allerdings
auch den Wert der Importe.
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Uns Deutsche wegen reger Exporttätigkeit zu rügen, ist der falsche Ansatz. Vielmehr sollten uns
die anderen Länder bemitleiden. Denn parallel zum ansteigenden Leistungsbilanzüberschuss kam
es zu einem deutlichen Rückgang der Investitionen. Die Nettoinvestitionsquote ist mittlerweile auf
fast null gesunken. Dies ist tatsächlich ein wesentlicher Schwachpunkt. Offensichtlich werden die
Ertragsaussichten hierzulande als sehr gering eingeschätzt. Höhere Löhne, wie sie die EUKommission fordert, helfen da wenig. Hier muss die Wirtschaftspolitik ansetzen: Die Rahmenbedingungen für Investitionen sollten verbessert werden. Eine leistungsfähige Infrastruktur – sowohl
logistisch als auch digital – wären wichtige Bausteine. Dann reduziert sich der Leistungsbilanzüberschuss automatisch.
Beitrag erschienen in „Die Welt“, 26. März 2016 
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