Geldpolitischer Aktionismus zerstört Vertrauen

Helaba Volkswirtschaft/Research
VERTRAU(D)LICH
29. Februar 2016
Geldpolitischer Aktionismus zerstört Vertrauen
AUTOR
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
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REDAKTION
Markus Reinwand, CFA
HERAUSGEBER
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Die Börsenturbulenzen zu Anfang dieses Jahres haben viele Marktteilnehmer verunsichert. Vereinzelt wurde sogar von nie dagewesener Volatilität gesprochen. Auch wenn es sich so angefühlt
hat, die Ausschläge blieben von früheren Spitzenwerten weit entfernt.
Von der allgemeinen Verunsicherung ließ sich auch die Europäische Zentralbank anstecken und
kündigte schon im Januar an, dass sie mit weiteren expansiven Maßnahmen bereit stünde. Dabei
operiert die EZB bereits im geldpolitischen Grenzbereich. Seit Sommer 2014 gibt es einen Strafzins auf Einlagen der Banken bei der EZB. Seit März letzten Jahres kauft sie zudem kontinuierlich
Wertpapiere an. Die Kombination dieser Instrumente entbehrt aber jeglicher historischer Erfahrung. Entsprechend vage sind die Erfolgsaussichten. Die Nebenwirkungen sind dagegen jetzt
schon sichtbar. Zwar profitieren die Schuldner vom Rückgang der Zinsen. Jedoch führt der kontinuierliche Ankauf von Staatsanleihen zu Marktverzerrungen und der Rückgang der Liquidität erhöht die Schwankungsanfälligkeit an den Anleihemärkten.
Die Strafzinsen schwächen den angeschlagenen Bankensektor und behindern den gewünschten
Transmissionsmechanismus zur Ankurbelung der Kreditvergabe. Deshalb sollte die EZB ihre geldpolitischen Instrumente kritisch überprüfen und im Zweifel eher wieder Abstand davon nehmen.
Lediglich unter der aus unserer Sicht sehr unwahrscheinlichen Annahme, dass sich die Eurozone
auf dem Weg in eine deflationäre Abwärtsspirale befände, könnte die Fortsetzung dieser Politik ein
gangbarer Weg sein. Konsum und Investitionen brächen in diesem Szenario ein, weil die Verbraucher auf noch niedrigere Preise warten würden und die Unternehmen mangels Absatzperspektive
nicht mehr investierten. Die Notenbank müsste in diesem Fall die Zinsen so stark in den negativen
Bereich drücken, dass es überhaupt keinen Sinn mehr ergäbe, Ersparnisse zu bilden. Stattdessen
sollte kräftig konsumiert werden, um der Abwärtsspirale zu entkommen. Damit die Menschen das
Geld aber nicht unter dem Kopfkissen horten, müsste auch das Bargeld abgeschafft werden.
Einige vermuten hinter den aktuellen Gedankenspielen, den 500 Euro-Schein abzuschaffen und
eine Obergrenze für Bargeldzahlungen auch in Deutschland einzuführen, den ersten Schritt in
diese Richtung. Begründet werden diese Überlegungen jedoch mit dem Argument, dass der große
Schein in hohem Maße zu Geldwäschezwecken und anderen kriminellen Aktivitäten missbraucht
würde.
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
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dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Es ist eher ungewiss, ob mit der Abschaffung des Bargeldes tatsächlich die Kriminalität eingedämmt werden kann. Der Preis der Bargeldabschaffung wäre aber sehr hoch. So produziert die
Kombination mit negativen Zinsen enorme Verunsicherung. Der Verlust der Wahlmöglichkeit, seine
Transaktionen mit Bar- oder Giralgeld zu tätigen, wäre vielleicht noch verkraftbar, auch wenn die
Präferenz für Bargeld gerade hierzulande generationenübergreifend sehr ausgeprägt ist. Noch viel
schwerer wiegt aber, dass nach der vollständigen Abschaffung des Bargeldes nur noch die „Wahl“
bliebe, das Ersparte durch die negativen Zinsen entwerten zu lassen, in stärker risikobehaftete
Anlageformen umzuschichten oder es möglichst schnell auszugeben. Zweifelsohne würde dies zu
einem unmittelbaren Konsumschub führen. Investitionen würden aber wohl kaum anspringen.
Denn dafür reichen niedrige Zinsen nicht aus. Wichtiger ist es, Vertrauen in die Zukunft zu haben.
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Darüber hinaus wären mit dieser Politik zahlreiche Nebenwirkungen verbunden: Die Entwertung
der Einlagen führt zu einer Umverteilung von Sparern zu Schuldnern. Besonders kritisch ist dies,
wenn die betroffenen Sparer keine laufenden Einnahmen haben und von ihren Rücklagen leben
müssen.
Die Umschichtung in risikobehaftete Anlagen eröffnet zwar größere Renditechancen, ist aber mit
einer höheren Schwankungsanfälligkeit verbunden. Wird die Risikotragfähigkeit des Einzelnen
dabei überfordert, erhöht sich in Zeiten der Unsicherheit die Volatilität an den Finanzmärkten und
droht auf die Volkswirtschaft insgesamt überzuspringen.
Beitrag erschienen in „Die Welt“, 27. Februar 2016 
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