Griechenlandkrise: Mögliche nächste Schritte

Helaba Volkswirtschaft/Research
LÄNDERFOKUS
29. Juni 2015
Griechenlandkrise: Mögliche nächste Schritte
AUTOR
Dr. Stefan Mitropoulos
Telefon: 0 69/91 32-46 19
[email protected]
REDAKTION
Dr. Gertrud R. Traud
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Die Verhandlungen um Reformen und Hilfen für Griechenland sind am Wochenende gescheitert. Damit ist eine Rückzahlung des IWF-Kredites am 30. Juni unwahrscheinlich. Das bereits
mehrmals verlängerte zweite Hilfspaket läuft am gleichen Tag aus. Nachdem die EZB die Notfallliquidität nicht weiter erhöht hat, bleiben die griechischen Banken geschlossen. Die europäischen Aktienmärkte reagieren unmittelbar mit kräftigen Kursverlusten. Mit Spannung wird nun
der Ausgang des Referendums am nächsten Wochenende erwartet.
Die griechische Regierung hat wohl zu hoch gepokert. Die Verhandlungen um eine Verlängerung
des Hilfspaketes sind mangels Reformbereitschaft von griechischer Seite am Wochenende gescheitert. Weitere Verhandlungen mit den Gläubigern, Finanzministern und Regierungschefs sind
zunächst nicht anberaumt. Damit ist das zweite Hilfsprogramm beendet und die in diesem Rahmen
noch ausstehenden Mittel (rund 7 Mrd. Euro aus der letzten Tranche sowie mehr als 10 Mrd. Euro,
die für die Bankenrekapitalisierung vorgesehen waren) verfallen. Als Folge der gescheiterten Verhandlungen hat die Europäische Zentralbank die Notfallliquidität (Emergency Liquidity Assistance)
für die griechischen Banken, die zuletzt im Tagesrhythmus auf fast 90 Mrd. Euro erhöht wurden,
am Wochenende nicht weiter angehoben. Da diese angesichts anhaltend massiver Geldabflüsse
bereits weitgehend ausgeschöpft war, wurden die Banken sowie die Börse zunächst bis zum 6.
Juli geschlossen und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt.
Zahlungsverpflichtungen kaum zu erfüllen
Fällige Zahlungen nach Kalenderwoche, Mrd. Euro
4,0
3,5
3,0
2,5
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
4,0
IWF-Kredite
Geldmarktpapiere
Staatsanleihen
3,5
3,0
2,5
2,0
2,0
1,5
1,5
1,0
1,0
0,5
0,5
0,0
0,0
Quellen: Bloomberg, IWF, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die griechische Notenbank hat mitgeteilt, dass der private Zahlungsverkehr bis zum 6. Juli ausgesetzt ist. Das bedeutet, dass zumindest in diesem Zeitraum auch Zahlungsverpflichtungen beispielsweise griechischer Unternehmen im Ausland nicht bedient werden können. Sollten die Kapitalverkehrskontrollen verlängert werden müssen, dürften hier – wie im Falle Zyperns – Regelungen
getroffen und durch die Bank von Griechenland veröffentlicht werden, in welchen Fällen und unter
welchen Bedingungen Zahlungen ermöglicht und genehmigt werden.
Die Nichtrückzahlung des am 30. Juni fälligen IWF-Kredits ist nun so gut wie sicher. Zwar haben
die Ratingagenturen im Vorfeld angekündigt, in diesem Fall zunächst von einer Herunterstufung
des Landes auf „Ausfall“ abzusehen. Aber auch ohne „offizielle“ Pleite dürfte es spätestens dann
zum Staatsbankrott Griechenlands kommen, wenn der griechische Staat die Gehälter für die öffentlichen Beschäftigten und Renten nicht mehr auszahlen kann.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 9 . J U N I 2 0 1 5 · © H E L A B A
1
LÄNDERF OKUS GRIECHENLAND
Für das kommende Wochenende hat das griechische Parlament ein Referendum beschlossen, in
dem die Bevölkerung über die Bedingungen für weitere Finanzhilfen abstimmen soll. Dabei hat
Ministerpräsident Tsipras die Griechen aufgerufen, gegen die Reform- und Konsolidierungsforderungen der Gläubigerinstitutionen, also mit „Nein“, zu stimmen. Sollten sich die griechischen Wähler in dieser Volksabstimmung tatsächlich mehrheitlich gegen weitere Reformen aussprechen,
wäre eine Rückkehr zu Verhandlungen sehr unwahrscheinlich und der weitere Weg in den „Grexit“
vorgezeichnet.
Referendum am
nächsten Wochenende
Finanzmarkt hoffte bis zuletzt auf Einigung
%
Rückfall in die Rezession
Indexpunkte
1.400
14
Rendite 10j. gr. Staatsanleihen (rechts)
1.300
1.200
13
12
11
Reales Bruttoinlandsprodukt, Q1 2008 = 100
105
105
100
100
95
95
90
90
1.100
10
1.000
9
900
8
85
85
7
80
80
75
75
800
Leitindex gr. Aktien
(linke Skala)
700
600
02. Jun
6
04. Aug
06. Okt
08. Dez
5
09. Feb
13. Apr
Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
4
70
70
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
Geordneter und
ungeordneter Grexit
Die von uns im Wochenausblick vom 19. Juni skizzierten Griechenland-Szenarien haben sich
damit nicht grundsätzlich verändert, auch wenn wir aufgrund der jüngsten Geschehnisse die
Wahrscheinlichkeiten nun anders einschätzen. Die beiden Grexit-Szenarien erhalten eine höhere
Wahrscheinlichkeit, das Szenario „Hängepartie“ ist allerdings noch im Rennen. Im Szenario „geordneter Grexit“ (Eintrittswahrscheinlichkeit 40 %) erklärt das Land seine Zahlungsunfähigkeit und
willigt ein, die Währungsunion zu verlassen. Als „Kompensation“ wird ein Verbleib in der EU angeboten. Nach den aktuellen Verträgen kann ein Land nur freiwillig aus der EU ausscheiden, worauf
die griechische Regierung am Wochenende nochmals ausdrücklich hingewiesen hat. Die griechischen Banken werden weiter gestützt. Für eine Übergangsphase würden vermutlich eine neue
Währung und der Euro parallel geführt. Im Land kommt es zu erheblichen Anpassungen (starke
Abwertung der neuen Währung, hohe Inflation), die aber durch die fortgesetzte Unterstützung der
europäischen Partner abgefedert werden können. Die Effekte auf den Rest der Währungsunion
bleiben begrenzt. Im Szenario „ungeordneter Grexit“ (15 %) stellt sich Griechenland dauerhaft
gegen die Eurozone. Das Bankensystem kollabiert, die Wirtschaft bricht zusammen. Zu den wirtschaftlichen Unsicherheiten gesellen sich politische. Der Ost-West-Konflikt flackert wieder auf. Die
Währungsunion und die Integration Europas werden in Frage gestellt.
Fortgesetzte Hängepartie
je nach Ausgang des
Referendums
Sollten sich die griechischen Wähler jedoch im anstehenden Referendum für den Reformkurs
aussprechen, wäre die Tür für Verhandlungen wieder offen. Unter dem Eindruck der aktuellen
Geschehnisse halten wir ein solches Ergebnis der Volksabstimmung durchaus für realistisch. Vermutlich würde Ministerpräsident Tsipras dies als Misstrauensvotum gegen seine Regierung sehen
und Neuwahlen anstreben. Nur für den Fall, dass diese zu einer zumindest etwas reformfreundlicheren Regierung führen, könnten die Verhandlungen mit den Gläubigern wieder aufgenommen
werden – die „Hängepartie“ ginge weiter. Griechenland zeigt ein gewisses Entgegenkommen und
auf Seiten der Gläubiger werden die ursprünglich vereinbarten Reformen aufgeweicht. Da das
zweite Hilfsprogramm endgültig ausgelaufen ist, muss ein neues Programm aufgelegt werden. Die
EZB versorgt die griechischen Banken wieder mit ausreichend Notfallliquidität. Diesem Szenarium
räumen wir derzeit eine Wahrscheinlichkeit von 40 % ein. Auch unser letztes Szenario bewegt sich
noch im Rahmen des Möglichen, behält aber eine geringe Wahrscheinlichkeit. Hier schlägt eine
neue griechische Regierung nach Neuwahlen einen echten „Reformkurs“ ein (5 %). Ein drittes
Hilfsprogramm wird erfolgreich umgesetzt. Dies könnte sich positiv auf die Reformbereitschaft in
anderen Ländern auswirken und den Zusammenhalt in der Währungsunion stärken. 
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 9 . J U N I 2 0 1 5 · © H E L A B A
2