Helaba Volkswirtschaft/Research VERTRAU(D)LICH 24. Mai 2016 Wie viel Wachstum ist genug? REDAKTION Markus Reinwand, CFA Egal wohin man hört, alle beschweren sich über das zu niedrige Wachstum. Besonders eindringlich warnt der Internationale Währungsfonds (IWF) und hat auch gleich noch einmal seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft reduziert. Die Risiken nähmen zu und daher müsse dem mit einer „sofortigen proaktiven Antwort“ entgegengewirkt werden. So wird lautstark gefordert, dass die Geldpolitik weiterhin extrem expansiv bleiben und die Zentralbanken zu weiteren unkonventionellen Maßnahmen bereit sein müssten. Darüber hinaus sollten konjunkturbelebende Ausgabenprogramme getätigt werden. HERAUSGEBER Helaba Landesbank Hessen-Thüringen MAIN TOWER Neue Mainzer Str. 52-58 60311 Frankfurt am Main Telefon: 0 69/91 32-20 24 Telefax: 0 69/91 32-22 44 Aber ist das wirklich nötig? Wie viel Wachstum braucht die Weltwirtschaft tatsächlich? In den 70er Jahren wurde viel über die Grenzen des Wachstums gesprochen. Damals herrschte die Meinung vor, dass es aufgrund endlicher Ressourcen – insbesondere der Rohölvorkommen – zu einer Abflachung des Wachstumspfades kommen müsse. Diese Überlegungen wurden in den 80er Jahren noch durch ökologische Fragestellungen ergänzt. Ein Wachstum um jeden Preis schien nicht mehr vernünftig. Gerade die Industrie, die „kracht und stinkt“ war nicht mehr angesagt. AUTOR Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirt/ Leitung Research Telefon: 0 69/91 32-20 24 [email protected] Neue Technologien, der Aufstieg Chinas, aber insbesondere auch hohe Dynamik im Finanzsektor ließen es in den Folgejahren möglich erscheinen, wieder deutlich höhere Wachstumsraten zu erzielen. Zudem wirkten die neuen Expansionstreiber unter ökologischen Aspekten in den entwickelten Ländern vorteilhaft. Während viele Industriearbeitsplätze nach China verlagert wurden, konnten diese Verluste durch die Ausweitung im Dienstleistungssektor mehr als ausgeglichen werden. Gerade das Wachstum im Finanzsektor schien keine Grenzen zu kennen. In den Jahren bis 2007 sprach man von der schönen neuen Welt: Hohe Wachstumsraten ohne Inflation. Die Finanzkrise lehrte jedoch, dass die Zuwächse von damals einen Preis hatten – und dieser war sehr hoch: Die Weltwirtschaft fiel in eine tiefe Krise und die Finanzmarktstabilität war ernsthaft bedroht. Sich an den Rahmenbedingungen von vor der Krise zu orientieren, ist also offensichtlich keine gute Idee. Zumal das damalige Wachstum auf einer Kreditblase aufgebaut war. Man sollte den gleichen Fehler nicht zweimal machen, mit noch mehr Ausgaben künstlich Wachstum zu schaffen. Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden. Außerdem befindet sich die Weltwirtschaft auch gar nicht in einem solch desolaten Zustand. Zweifelsohne leiden derzeit die rohstoffexportierenden Länder unter dem Verfall der Energiepreise. So wie die Ölpreisnotierungen zuletzt nach unten übertrieben haben, waren auch Notierungen von deutlich über 100 Dollar pro Fass überzogen. Sie fußten auf der Annahme, dass die Ölvorkommen bald erschöpft wären und gleichzeitig das rohstoffintensive Wachstum der Weltwirtschaft noch zunehmen würde. Die meisten rohstoffexportierenden Länder nutzten daher nicht die hohen Einnahmen, um ihre Wirtschaft zu diversifizieren, sondern gaben das Geld für konsumtive Zwecke aus. Nun sind diese Länder gefordert, bei einem voraussichtlich längere Zeit niedrigeren Ölpreis die Anpassungsleistungen zu erbringen. Für alle rohstoffimportierenden Länder ist der niedrige Ölpreis dagegen eine Konjunkturspritze. Dies gilt auch für China. Außerdem hat das Land erkannt, dass auch sein kreditgetriebenes Wachstum Risiken birgt. Damit die Blase nicht platzt, versucht die Regierung, auf einen niedrigeren, nachhaltigen Wachstumspfad einzuschwenken. Zudem haben die Chinesen keine Lust mehr darauf, ausschließlich als die verlängerte Werkbank der Welt zu gelten. Deshalb hat China eine Transformation zu mehr Dienstleistungen angestoßen. Die Abflachung des Wachstumspfads in China ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 4 . M A I 2 0 1 6 · © H E L A B A 1 VERTRAU(D)LICH Auch in den USA ist das Wachstum gegenwärtig stark genug. Die Arbeitslosenzahlen sinken seit Jahren und es herrscht Vollbeschäftigung. Selbst in der Eurozone sinken die Arbeitslosenzahlen seit mehreren Jahren und das Wachstum bewegt sich oberhalb des Potenzials. Von einer Wachstumsschwäche kann also nicht gesprochen werden. Kritik ist hingegen an der Zusammensetzung des Wachstums zu üben: So legen die Konsumausgaben des Staates kräftig zu, während die öffentlichen Investitionen in den vergangenen Jahren sogar gesunken sind. Es bedarf augenscheinlich einer anderen Prioritätensetzung: Mehr Ausgaben für Infrastruktur und Bildung und Strukturreformen auf den Arbeits- und Produktmärkten. Hier stimme ich mit dem IWF überein. Wir brauchen also kein quantitativ, sondern ein qualitativ höheres Wachstum. Beitrag erschienen in „Die Welt“, 24. Mai 2016 H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 4 . M A I 2 0 1 6 · © H E L A B A 2
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