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Überlastete Erstaufnahmelager in Sachsen | Manuskript
Überlastete Erstaufnahmelager in Sachsen
Bericht: Alexander Ihme, Daniel Schrödel
„Wir sind das Volk“
Klein-Pegida in Kamenz. Gerade sind 120 Asylbewerber in die Turnhalle am Siedlungsweg
eingezogen. Ein neues Erstaufnahmelager.
Demonstrant
„Warum kommen die hier her? Wollen die Deutschland aufbauen? Das glaube ich nicht.
Heimat ist Heimat, das ist nicht ihre Heimat“
Die Stimmung ist aufgeheizt. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Kinder- und Jugendsportverein
quasi über Nacht wegen der Flüchtlinge die Halle räumen musste.
Demonstrantin
„Wir haben hier alle Kinder. Ich selbe hab zwei Kinder. Und es kann nicht sein, dass Kinder
ihren Platz räumen müssen für Asylanten.“
Die Asylbewerber sind gerade hier in Kamenz angekommen. Morgens um 9 standen sie noch
in Schneeberg im Erzgebirge am Bus. Für zwei Wochen hatte der Freistaat sie hier notdürftig
einquartiert. Kinder, Frauen, Männer, ganze Familien. Sie kommen aus Serbien, dem Kosovo,
Syrien und Pakistan. Wo es diesmal hingeht? Das weiß von den Flüchtlingen noch niemand.
Asylbewerber
„Entschuldigen Sie bitte. Wissen Sie, wohin sie heute fahren werden? Ich weiß das nicht.
Ich weiß nicht wohin wir fahren.
Das ist kein gutes Gefühl, Angst, kein Schlaf. Ich weiß es nicht.“
Die Abreise – chaotisch. Keiner will den Anschluss verlieren. Einzelne Helfer versuchen noch
Ordnung zu schaffen.
Helferin
„Erst mal Mama, Papa, Kinder. Und dann Männer. Das ist Katastrophe. Erstmal Familie mit
Kindern.“
Die Flüchtlinge hoffen an der nächsten Station auf Besserung: Eine feste Bleibe, ein bisschen
Privatsphäre. Wo immer auch der Bus sie hinbringt.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Helfer, Security
„49. Die Wache hört. Bus Nummer 3 mit 49. Verstanden.“
„Reisegenuss pur“. Dieses Versprechen wird auf dieser Tour sicherlich nicht eingehalten.
Nach dem überhasteten Aufbruch bleiben in Schneeberg erst einmal 300 Feldbetten, Kissen
und Decken zurück. Sportvereinen wurde zugesagt, die Halle bald wieder nutzen zu können.
Jetzt muss das THW dafür sorgen, die Feldbetten so schnell wie möglich nach Kamenz zu
transportieren. Dort sollen die Flüchtlinge die nächsten Wochen verbringen. Eine
Ausnahmesituation auch für Einsatzleiter Sven Hoppe, der mit seinen Kollegen seit Stunden
aufräumt.
Sven Hoppe Einsatzleiter THW Chemnitz
„Wir haben generell die Kompetent Flüchtlingslager aufzubauen. Aber das wir das in
Deutschland machen, ist eher selten. Also hier in Sachsen hat uns das zum ersten Mal
ereilt“
Nur zwei Wochen lang standen die Betten hier – jetzt bleiben verbeulte Gestelle,
verschmutzte Wäsche und Dreck zurück.
Sven Hoppe Einsatzleiter THW Chemnitz
„Hier sind 300 Leute untergebracht worden. Das da teilweise chaotische Zustände
herrschen kann man sich vielleicht vorstellen, aber wünschenswert wäre es natürlich in
einem besseren Zustand gewesen.“
Es wird noch einmal zwei Wochen dauern, bis hier wieder Sportunterricht stattfinden kann.
Neben einer kompletten Reinigung liegt das vor allem an den Schäden im Boden der Halle.
Die müssen noch beseitigt werden. Doch dafür ist jetzt keine Zeit. Im blauen THW-LKW
müssen nun die Betten schnellst möglichst nach Kamenz gebracht werden.
Kamenz gegen 13 Uhr. Das DRK liefert in letzter Sekunde Lebensmittel. Immerhin müssen
hier heute noch bis zu 200 Flüchtlinge versorgt werden. Mitten im Chaos ruft die
Landesdirektion Sachsen zum Pressetermin und präsentiert die provisorische Unterkunft. Die
Ausstattung eher minimal.
Ingolf Ulrich, Pressesprecher Landesdirektion Sachsen
„Äh… Toiletten… 4 pro Geschlecht bis jetzt. Und zusätzlich 8… Entschuldigung zwei pro
Geschlecht und wir haben jetzt 8 mobile Toilettenhäuschen vor dem Objekt im Einsatz.
Bei 120?
Ja.
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Das erscheint mir wenig?“
Die Nachfrage bleibt unbeantwortet. Ganze 24 Stunden vorher hatte sich der Freistaat
entschieden, hier Flüchtlinge unterzubringen. Oberbürgermeister Roland Dantz muss als
Zielscheibe für rechte Hassausbrüche herhalten.
Roland Dantz, Oberbürgermeister, Kamenz (parteilos)
„An mich gerichtet. ‚Und wenn der Tag der Abrechnung kommt, werde ich dabei sein, wen
Du‘ also ich ‚menschlicher Abfall verbrannt wirst, lebendig ins Feuer versteht sich.‘ das ist
nicht die einzige Email. Und wir müssen aufpassen gemeinsam, dass wir den Kit unserer
Gesellschaft nicht aufbrechen. Durch dummes Verhalten.“
Zum Beispiel das Chaos des heutigen Tages. 15 Uhr – die Betten kommen in Kamenz an. Für
einen durchdachten Aufbau haben die Helfer vom THW und DRK kaum Zeit, denn gleich
werden die Busse mit den Asylbewerbern erwartet. 120 Flüchtlinge sollen heute einziehen.
In Kamenz leben schon 500 Asylbewerber. Das sei mehr als genug, meint der
Oberbürgermeister. Er fühlt sich von der neuen Situation überrannt.
Roland Dantz, Oberbürgermeister, Kamenz (parteilos)
„Es ist ja logisch an der Stelle, dass eine Stadt mit weniger als 16.000 Einwohnern, eine
solche Einrichtung in der Hinsicht auch nicht tragen kann. Und wir kennen ja die
Bestrebungen des Freistaates, dass faktisch die zentralen Orte, die großen kreisfreien
Städte Chemnitz, Dresden, Leipzig vom Grunde her diejenigen sind, die diese Aufgabe
letztendlich abbilden.“
Erste Station der neuen Asylbewerber: die Registrierung. Auf unbestimmte Zeit werden sie in
dieser Turnhalle leben. Dort, wo bis eben noch der PSV Kamenz trainiert hat, sollen nun bis
zu 200 Leute leben. Ist das aus Sicht des Vereins die richtige Entscheidung?
Thomas Santruschek, Vorsitzender PSV Kamenz e.V.
„Fällt schwer dazu ein Statement abzugeben. Aber ich muss mal sagen, ja. Letztendlich. Für
uns natürlich die größte Schwierigkeit war gewesen, die Kurzfristigkeit, wie wir haben
reagieren müssen. Wenn wir jetzt die Bilder sehen, im Hintergrund, mit den Kindern, die
ankommen. Wie soll man da sagen, wir sind wichtiger.“
Kurz vor 16 Uhr verlässt der letzte Bus das neue Erstaufnahmelager. Nur wenige Minuten
später formiert sich der Kamenzer Widerstand unter einer bedrohlich großen Fahne vor der
Tür der Turnhalle. Pegida in Kamenz.
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Demonstranten
„Warum wir hier sind? Damit das nicht so weiter geht. Na das sie einen Haufen Ausländer
reinholen von überall her.
Die können doch daheeme bleiben. Die haben doch in das Land keinen Pfennig reingetan.
Die halten die Hand auf und…“
Nationale Gefühle aus aufgebrachter Kehle. Für die Neuankömmlinge in Kamenz ist klar:
Deutschland, wie sie es hier erleben, heißt sie nicht willkommen.
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