© R. Plato Kapitel 55 Totale Differenzierbarkeit Es gilt offenbar f 0 .x/ E > D rf .x/ E , der Gradient ist also 0 der zu f .x/ E transponierte Vektor. Der Gradient ist ein wichtiges Instrument zur Analyse skalarer Funktionen mehrer Veränderlicher. So lassen sich damit Extremwertaufgaben lösen beziehungsweise die Richtung des stärksten Anstiegs und Abstiegs bestimmen. 55 Totale Differenzierbarkeit 55.1 Einführung Für eine skalare Funktion f W D ! R mit einem skalaren Definitionsbereich D R, die in einem Punkt x 2 D differenzierbar ist, gibt f 0 .x/ eine lokale Änderungsrate an, und darüberhinaus lassen sich die Funktionswerte f ./ lokal durch die Tangente Tf;x ./ WD f .x/ C f 0 .x/. x/ approximieren, wobei per Definition für den Approximationsfehler f ./ Tf;x ./ DW r./ Folgendes gilt: r./x D f ./ fx .x/ f 0 .x/ ! 0 für ! x . Der bei der Tangentenapproximation enstehende Fehler r./ geht also für ! x schneller gegen 0 als es die Differenz x tut. Es sollen nun entsprechende Aussagen für vektorwertige Funktionen fE W D ! Rm mit offenem Definitionsbereich D Rn getroffen werden. Die Rolle der Ableitung in einem Punkt xE 2 D übernimmt dabei die Jacobi-Matrix fE0 .x/ E , und die angestrebte Tangen- E fE.x/ tialapproximation lautet fE./ E C fE0 .x/. E E x/ E für E xE . Dabei muss diese Tangentialapproximation auch noch hinreichend gut sein; das wird in Definition 55.2 unten präzisiert. Für die Existenz einer Tangentialapproximation reicht jedoch partielle Differenzierbarkeit, da diese lediglich Glattheit der betrachteten Funktion in Richtung der Koordinatenachsen bedeutet. Beispiel. Für die in Beispiel 52.7 auf Seite 120 betrachtete Funktion gilt f .x; 0/ D f .0; y/ D 0 für x; y 2 R @f @f und daher @x .0; 0/ D @y .0; 0/ D 0. Das bedeutet aber z. B. 1 2 D f .x; x/ 6 f .0; 0/ C f 0 .0; 0/..x; x/ für x ¤ 0. .0; 0// D 0 M Eine Glattheit in alle Richtungen ist nur unter stärkeren Voraussetzungen gegeben. Der dafür benötigte Begriff wird nun zunächst eingeführt. 123 55.2 Innere Punkte Definition 55.1. Es heißt x E 2 D innerer Punkt der Menge D Rn , falls es ein " > 0 gibt, so dass die Menge B.x; E "/ WD f yE 2 Rn j j yE xE j < "g ganz in D enthalten ist, d. h. B.x; E "/ D . Ein Punkt xE 2 D heißt Randpunkt der Menge D , falls er kein innerer Punkt ist. M Bei der Menge B.x; E "/ handelt es sich im Fall n D 2 um einen Kreis und im Fall n D 3 um eine Kugel, jeweils mit Mittelpunkt x E und Radius ". Der Rand f yE 2 Rn j j yE xE j D "g ist nicht Bestandteil der Menge B.x; E "/. Für den Fall n D 2 ist die Situation in Abbildung 86 dargestellt. y ...... ....... ................................. ..... ......... . . . . . . ........ ... ................................. .. ...... . . . . . . . . . . . ....... ........................................................ . ... . ... . . . . . . . . . . . . . . . ... ... .. . . . . . . . . . . . . . . . . .... ... ... ....................................... ... .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... .................................................................. ... . . ... ............................................... ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ... .... ...................................................................... ... ... . . . . . . . . . . . ......................... . . ....................... ... ................................................ ... ................................................ ... ............................................. .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... ... ........................................... ... ... ...................................... ... .... . . . . . . . . . . . . . . . .... ... ...................................... ...... . . . . . . . . . . . . . ...... ... ..................................... ... ........ . . . . . . . .......... ... ............................... ..................... ... ... ... ... ... ..................................................................................................................................................................................................................................... . " xE x Abb. 86: Darstellung der Menge B.x; E "/ R2 . Der 2 Kreisrand f yE 2 R j j yE xE j D "g ist nicht Bestandteil dieser Menge. Beispiel. Die Menge Q D f.x1 ; : : : ; xn / 2 Rn j 0 < xk < 1 für k D 1; : : : ; ng besteht nur aus inneren Punkten; auf einen Nachweis wird hier verzichtet. Bei der Menge Q D f.x1 ; : : : ; xn / 2 Rn j 0 xk 1 für k D 1; : : : ; ng sind all diejenigen Punkte xE 2 Q Randpunkte, für die xk D 0 oder xk D 1 für mindestens einen Index k gilt. Für all solche Punkte x E enthält nämlich die Menge B.x; E "/ für jedes " > 0 sicher Elemente, die nicht in Q enthalten sind. Das wird im Folgenden für einen der möglichen Fälle noch ausgeführt. Im Fall xk D 0 wähle man für ein beliebige Zahl " > 0 z. B. den Punkt yE D .y1 ; y2 ; : : : ; yn / mit yk D "=2 und y` D x` für ` ¤ k . Dann gilt j yE xE j D "= 2 < " und yE 62 Q. Daher kann xE 2 Q kein innerer Punkt von Q sein. 124 © R. Plato Teil II Mehrdimensionale Differenzialrechnung Die Situation ist für n D 2 in Abbildung 87 dargestellt. Dort sind ein innerer Punkt xE und ein Randpunkt yE angegeben. M z E TfE ./ y. .... ........ .... ............................................................................................................. ... ... .... .... ... .... .... ... .. .. . . ... . ............ . . ... . . . ... . . . . . ... ... .... ... .... ... . . . ... . ... .... .... ... .... .................. ... ... . . ... .... . ... ... .... ... ... ... ... .......... . ... .. . . . ... ............................................................................................................. ... ... ... . ........................................................................................................................................................................................................... .. ... ... .. xE yE Q ......... .... ........................... ;xE .............. .... .............. .... .............. .... . . . .............. . ... .............. .... ...... ........... .... . . . . ... ..... ... ..... ..... . . ...... . . . . . .... . .... . . .. . . . .. . . ...... . . .... . . . . . .... . . ... . . . . . . . . . . .. ....... . . ...... . . ..... . . . . ..... . . . ... ....... ................. ... . . ..... .. . . .. .............. ... .............. ....... . . . ...... . . . .... . . ...... . . ................. ................ .......... . . . . ... ..... ........... ........ ............................ .... . . . ...... . . . . . ........................... ..................... ................ .... .............................. . . . . . .. . .... .......... ... .. ........................... ....................................... .................. .............. ....................... ...... .. ......... .... .. .................. ..... . ........ ..... ................. ....................... . ........ ......... ... ... ... ........... .... . .... ......... .. ....... .... ............... ... .. . ....... ... ...... .... .......... .... .... ........ ... ...... . ... . ...... .. ..... .. ... ... .... .. . . . ........................................................................................................................................................................... . . . . . . . . . ......... ......... . . . . . . . . ......... ........ . ........... .............. E f ./ xE x 1 2 Abb. 88: Beispiel einer Tangentialebene Abb. 87: Innerer Punkt x E und Randpunkt yE b) Wir führen nun die Notation 55.3 Die zentralen Begriffe zur totalen Differenzierbarkeit Definition 55.2. Sei fE W D ! Rm eine Funktion mit einem Definitionsbereich D Rn , die in einem inneren Punkt xE 2 D partiell differenzierbar ist. Man nennt f in xE 2 D total differenzierbar oder auch fréchetdifferenzierbar, wenn in der Darstellung E0 E D fE.x/ fE./ E C f .x/. E E E xE / C rE./; E 2 D; der Fehlerterm rE W D ! Rm die Eigenschaft E j j rE./ j E xE j fE D fE.xE C x/ E fE fE0 .x/ E x: E Bemerkung 55.3. Sei fE W D ! Rm eine Funktion mit einem Definitionsbereich D R, die in einem inneren Punkt xE 2 D total differenzierbar ist. Man nennt in diesem Kontext die lineare Abbildung xE ֏ fE0 .x/ E xE das vollständige Differenzial von fE in xE . Häufig wird in (55.3) anstelle von das Zeichen d verwendet, und (55.4) wird dann zu E 2 Rn ; (55.1) die Tangentialapproximation an die Funktion fE bezüglich des Punktes x E . Es gilt E T E ./ E für E 2 D; E x: fE./ E f ;xE (55.2) Im Fall n D 2 und m D 1 ist der Graph dieser Funktion TfE;xE eine Ebene; man spricht dann auch von einer Tangententialebene. Eine Illustration dazu finden Sie in Abbildung 88. (55.5) M Beispiel (Fehlerrechnung). Die Schwingungsdauer eines mathematischen Pendels (hier wird eine Punktmasse im Schwerpunkt betrachtet) ist gegeben durch die Zahl a) Man nennt E xE / DW TfE;xE ./; (55.4) d fE fE0 .x/d E xE : M fE.x/ E C fE0 .x/. E E (55.3) für xE 2 Rn ein, wobei noch x E CxE 2 D angenommen wird. Damit wird (55.1), (55.2) zu ! 0 für E ! xE hat. fE.x/ E T D 2 q ` g: (55.6) Dabei beschreibt ` die Länge des Pendels, und g ist die Erdbeschleunigung. Die Situation ist in Abbildung 89 dargestellt. Wir gehen hier der Frage nach, inwieweit sich relative Messfehler in ` und g auf die Berechnung von T mittels (55.6) auswirken. Dies geschieht näherungsweise mit Hilfe des totalen Differenzials von T . Man berechnet zunächst @T @` D p ; `g @T @g D g q ` g D 1 T 2g © R. Plato Kapitel 55 Totale Differenzierbarkeit .......... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ......... . ... .......... ........... .. ........ .. .......... ................ .... .......................... 55.4 Regeln für Funktionen ` Abb. 89: Darstellung des mathematischen Pendels .˛ fE C ˇ g/ E 0 .x/ E D ˛ fE0 .x/ E C ˇ gE0 .x/: E und erhält daraus und mit (55.5) @T @` d` C @T @g dg D p d ` `g 1 2 q g ` p1 d ` `g 1 g dg D 1 2 d` ` dg ; g und daraus erhält man die näherungsweise gültige Abschätzung ˇ dT ˇ ˇ ˇ T 1 2 ˇ d ` ˇ ˇ dg ˇ ˇ ˇCˇ ˇ : ` g (55.7) Liegt beispielsweise der relative Fehler in der Länge des Pendels bei 3% und der für die Schwerkraft bei 1%, so lässt sich der relative Fehler der berechneten Schwingungsdauer des Pendels nach (55.7) näherungsweise durch 1 .0; 03 2 (55.8) 1 T dg: 2g Man ist an dem relativen Fehler interessiert und führt hierzu eine Division mit T durch. Dies ergibt dT T differenzierbare Satz 55.6 (Linearität). Sind zwei Funktionen fE W D ! Rm und gE W D ! Rm mit Definitionsbereich D Rn in einem inneren Punkt x E 2 D jeweils total differenzierbar, so ist für beliebige Zahlen ˛; ˇ 2 R die Linearkombination ˛fE C ˇ gE W D ! Rm in xE 2 D ebenfalls total differenzierbar. Für die dazugehörige Jacobi-Matrix gilt dT total 125 C 0; 01/ D 0; 02 abschätzen. Beweis. Wird hier nicht geführt. Für zwei Funktionen fE W D ! Rm und g E W E ! Rp mit n offenen Definitionsbereichen D R beziehungsweise E Rm (mit n; m; p 1) gelte fE.D/ E . Dann ist die die Hinterausführung g E ı fE so erklärt: gE ı fE W D ! Rp ; xE ֏ g. E fE.x//: E Satz 55.7 (Kettenregel). Sind mit den zuvor genannten Bezeichnungen fE in einem Punkt x E 2 D und gE in fE.x/ E 2 E jeweils total differenzierbar, so ist die Verknüpfung g E ı fE in xE 2 D total differenzierbar, und für die dazugehörige Jacobi-Matrix gilt .gE ı fE/0 .x/ E D gE0 .fE.x// E fE0 .x/: E (55.9) Beweis. Wird hier nicht geführt. M Ein einfaches hinreichendes Kriterium für totale Differenzierbarkeit liefert der folgende Satz: Satz 55.4. Sei fE W D ! Rm eine Funktion mit Definitionsbereich D Rn , und weiter sei xE 2 D ein innerer Punkt von D . Ist f stetig partiell differenzierbar in xE , so ist sie dort auch total differenzierbar. Beweis. Wird hier nicht geführt. Bemerkung. Wie schon im eindimensionalen Fall bedeutet die Kettenregel (55.9) „äußere Ableitung mal innere Ableitung“. Man beachte jedoch, dass auf der rechten Seite der Gleichung (55.9) das Produkt zweier Matrizen zu berechnen ist. Außerdem kommt es dabei auf die richtige Reihenfolge an. M Bemerkung 55.8. a) Wir sehen uns im Folgenden die Kettenregel (55.9) für den folgenden Spezialfall an: Total differenzierbare Funktionen sind stetig: Satz 55.5. Jede in einem inneren Punkt xE 2 D total differenzierbare Funktion fE W D ! Rm mit Definitionsbereich D Rn ist stetig in xE . Beweis. Der Beweis ist nicht schwer, wird hier aber trotzdem nicht geführt. Es ist fE W I ! Rm mit einem Intervall I R (das ist ein Weg im Sinne der Definition 51.1). und g W E ! R mit E Rm ; es ist also g skalarwertig. In diesem Fall gilt g ı fE W I ! R. Die Kettenregel lässt sich dann so schreiben: .g ı fE/0 .x/ D r g.f E .x// fE0 .x/: (55.10)
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