Die Gretchenfrage

Walliser Bote
Donnerstag, 26. März 2015
WALLIS
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Politik | Die CVP und die (Homo-)Ehe – in den letzten Wochen öffneten sich alte Gräben
Die Gretchenfrage
Liberal vs. konservativ. Während Nationalrätin Viola Amherd der «Ehe für alle» zustimmt, spricht sich ihr Präsident Christophe Darbellay für das Bündnis zwischen Mann und Frau aus.
DAVID BINER
«Unterschiedliche Ansichten»
Jede Partei hat ihre eigene DNA. Oder
im Wirtschaftsjargon ausgedrückt: ihre «Corporate Identity» – ihre eigene
Unternehmensidentität. Die Sozialdemokraten als Kämpfer für eine sozial
gerechte Gesellschaft, die SVP als die
Gralshüterin einer unabhängigen
Schweiz und die FDP übernimmt den
Part der Wirtschaftsfreundlichen – natürlich sind solche Erscheinungsbilder
der grossen Volksparteien weder
schwarz-weiss gefärbt noch von einem
starren Rahmen umgeben. An der Innen- und Aussenwahrnehmung wird
ständig gebastelt. Die Miteinbeziehung der verschiedenen Strömungen
innerhalb einer Partei bedeutet einen
langwierigen Prozess – Wahljahr hin
oder her. Die CVP möchte das gesellschaftliche Zusammenleben – wie es
Parteiname und -programm verraten –
«gemäss einem christlichen Menschenund Gesellschaftsbild» gestalten. Doch
die Debatten der letzten Wochen über
Homosexualität und die Deutungsversuche von Ehe haben gezeigt, dass das
«C» für christlich eher ein Relikt aus
katholisch-konservativen Zeiten denn
ein verbürgter Programmpunkt ist.
Einmal mehr stellt sich für die CVP die
Gretchenfrage. «Nun sag, CVP, wie
hast du’s mit der (Homo-)Ehe?»
Vor einem Monat publizierte die
«SonntagsZeitung» eine Umfrage, wonach sich 70 Prozent der CVP-Basis für
die Ehe von lesbischen und schwulen
Paaren ausspricht. Gleichzeitig stimmten die CVP-Nationalräte Guillaume
Barazzone GE und Viola Amherd in der
Rechtskommission des Nationalrats
(RK) der grünliberalen Initiative «Ehe
für alle» zu. Ein Entscheid mit Signalwirkung, wenn man bedenkt, dass die
RK die erste politische Instanz überhaupt ist, die in der Schweiz Ja zur
Homo-Ehe sagt.
«Ich hatte einige Reaktionen aus
der Bevölkerung, die positiv waren»,
bestätigt Viola Amherd die Anfrage, ob
und wie ihr Handheben zugunsten
einer Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe an der Basis registriert wurde. Eine alteingesessene
«Schwarze» rümpfte derweil hinter
vorgehaltener Hand die Nase und sah
bereits die politische Karriere «ihrer»
Walliser Nationalrätin in Gefahr. Solch
ein Gebaren werde in C-Stammlanden
nicht goutiert, so die etwas ältere Dame. CVPO-Präsident Toni Andenmatten relativiert: Das Thema Homo-Ehe
brenne den Oberwalliser Parteimitgliedern nicht gerade unter den Nägeln.
«Aber klar: In einer Mittepartei wird es
immer wieder unterschiedliche Ansichten zwischen liberalen und konservativen Kreisen geben.»
Schon nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als die Volkspartei gen
Mitte des Parteienspektrums rückte,
gab es Stimmen, die vom «C» nichts
mehr wissen wollten, die Bezeichnung
«konservativ» verlor in den 60er-Jahren ebenfalls an Attraktivität. Dennoch wurde 1970 aus der KonservativChristlichsozialen Volkspartei die CVP,
die sich seither im Spagat zwischen traditionellen Werten und einer programmatischen Öffnung übt.
Mann und Frau
Dieser Kraftakt wurde jüngst bei der
ständerätlichen Debatte über die CVPInitiative gegen die Heiratsstrafe deutlich. Im Kern ging es natürlich um
steuerrechtliche Fragen. Aber eben
auch um die Spitzfindigkeit, wie denn
die Ehe zu definieren sei. Die Formulierung, wonach die Ehe als eine «auf
Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann
und Frau» definiert wird, ging einer
Ratsmehrheit zu weit – ebenso, dass
diese Mann-Frau-Beziehung eine
«Wirtschaftsgemeinschaft» bilden soll.
Während die CVP-Ständeräte letzteren
Begriff beibehalten wollten – um die
Einführung einer Individualbesteuerung zu verunmöglichen –, zeigten sie
sich indes bereit, beim Initiativtext auf
die Definition der Ehe zu verzichten.
Am Schluss blieb es allerdings bei
Mann und Frau, der Ständerat lehnte
einen direkten Gegenvorschlag ab.
Mehr als eine Frage des Rechts
Christophe Darbellay freuts. Die ganze
Debatte um die Ehe-Definition sei zwar
nur ein Nebenschauplatz der Heiratsstrafe-Initiative, so der CVP-Parteipräsident. Aber die Beziehung von gleichgeschlechtlichen Paaren sei durch das
Bundesgesetz über die eingetragene
Partnerschaft von 2005 bereits geregelt. Während beispielsweise der Kanton Wallis das Gesetz damals ablehnte,
fasste die CVP – wie die SP, Grünen sowie FDP – die Ja-Parole; aber mit der Bedingung: bis hierher und nicht weiter.
In Vorstössen wie der «Ehe für alle»Initiative der Grünliberalen sieht Darbellay deshalb eine «Salami-Taktik»
liberaler Kreise. «Zentrale Werte müssen wir konsequent vertreten, auch
wenn das nicht allen passt.» Beispielsweise die Ehe: Für ihn sei dieses Bündnis immer noch eines zwischen Mann
und Frau. Da sei er persönlich schon
konservativer als zum Beispiel Viola
Amherd. Die wiederum verweist auf
KEYSTONE/MONTAGE WB
die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Ehe zwar eine Verbindung zwischen Mann und Frau sei.
«Sie ist aber mehr als nur eine Frage
des Rechts. Es ist das Versprechen von
zwei Menschen, füreinander Verantwortung zu übernehmen, einander zu
unterstützen.» Zudem, so Amherd,
müsse man sich fragen, «ob wir der Gesellschaft nicht einen Bärendienst erweisen, wenn wir uns der Tatsache verschliessen, dass sich heute Menschen
viel freier für ihre Form des Zusammenlebens entscheiden.» Was aber
noch lange nicht heissen solle, dass das
«C» von gestern sei: «Für mich haben
christliche Werte immer einen hohen
Stellenwert», so Amherd, «auf der
christlichen Soziallehre fusst der moderne Wohlfahrtsstaat.» Da die Gesellschaft aber kein «toter Haufen» sei,
müsse man sich der Diskussion stellen,
das gelte auch für das Familienbild der
CVP: «Auch wenn wir die klassische Familie mit leiblichen Eltern als Ideal anschauen, ist die Realität vielerorts eine
andere.» Gestern teilte übrigens der
Bundesrat mit, es sei künftig zu prüfen, ob die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paaren ermöglicht werden könnte. Die Suche nach den Antworten auf die Gretchenfrage geht weiter – auch für die CVP.
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