20 Sport Montag 8. Juni 2015 «Nach grossen Titeln ist man etwas weggetreten» FECHTEN EM IN MONTREUX TENNIS Nach dem Finalsieg über Novak Djokovic am French Open sprach Stan Wawrinka über seinen Erfolg, die Freundschaft mit der Weltnummer 1 und seine umstrittene Hose. Draufgänger: Max Heinzer belohnt sich für seine risikoreiche Darbietung und besiegt im Achtelfinal den routinierten Holländer Bas Verwijlen 15:7. Keystone Max mimt den Rocky Max Heinzer gewinnt an den Europameisterschaften in Montreux im Stile des Filmhelden Rocky Balboa die Silbermedaille. Fabian Kauter scheidet früh aus. D er Gegner liegt am Boden. Getroffen von der eigenen Enttäuschung – und von Max Heinzer. Dieser tänzelt derweil herum, zur berühmten Musik aus den Rocky-Filmen triumphierend mit dem Degen in alle Himmelsrichtungen zeigend. Soeben hat der Schweizer Hoffnungsträger im Halbfinal der Europameisterschaften in Montreux den Ungarn Gabor Boczko in der Zusatzminute 15:14 besiegt. Bronze ist dem Schwyzer bereits vor dem Gefecht sicher gewesen, nun wird er mindestens die Silbermedaille gewinnen. Der Jubel ist gross im erhabenen Auditorium Stravinski. Dort, wo sonst weltberühmte Künstler beim Jazzfestival auftreten, sorgt nun ein 27-jähriger Schweizer für die Musik. 11 von 12 Runden hat Max Heinzer da überstanden, um beim Bild des Boxkampfes zu bleiben. Die 12., der Final, beginnt in wenigen Minuten. Knapp zehn Stunden zuvor ist dieser Triumphzug in die ruhmreiche Halle noch ein grosses Stück entfernt. Wie der des von Silvester Stallone gespielten Rocky Balboa beginnt Max Heinzers Weg in trister Umgebung. Bis zum Sechzehntelfinal wird im Keller des Auditoriums Stravinski gefochten. Der Boden ist aus Stein, die Pisten sind durch Metallgitter abgetrennt. Auch die angebrachten Fahnen der 40 Teilnehmenden Nationen vermögen der Szenerie keinen Glanz zu verleihen. 26 Fechter duellieren sich gleichzeitig, der Klang der Klingen wird immer wieder durch Urschreie der Athleten übertönt. Die Noblesse des nahe gelegenen Hotels Palace scheint weit entfernt. Aber Fabian Kauter fühlt sich wohl in dieser Umgebung. Die ersten vier Gefechte vermag er zu gewinnen. Zwar verliert er zum Ende der Vorrunde noch zweimal, in der Runde der Letzten 64 ist er aber wieder in alter Stärke zurück. Der Berner besiegt vor einer Handvoll Zuschauer den Norweger Bartosz Piasecki, immerhin Zweiter der Olympischen Spiele 2012 in London, und entkommt dem tristen Soussol. Es ist 13.42 Uhr, Kauter vermeldet seinen Erfolg über Twitter und beendet den Eintrag mit einem #cmon à la Roger Federer. Die Schweizer wissen zu überzeugen. Neben Kauter und Heinzer qualifizieren sich auch Peer Borsky und Benjamin Steffen für den Sechzehntelfinal. Die EM, der grösste Fechtanlass in der Schweiz seit der WM 1998 in La Chaux-de-Fonds, ist lanciert. Noch am Samstag hatten die Frauen zwar nicht enttäuscht, für die beste heimische Degenfechterin, Tiffany Géroudet, bedeutete aber der Achtelfinal das Ende. Nun scheint das grosse Fest möglich, Max Heinzer übersteht als Erster die 7. Runde. Doch während draussen in der Ferne ein Gewitter aufzieht, bricht das Unheil über die Schweizer herein. Borsky, Steffen und Kauter scheiden aus, keiner von ihnen hat den Hauch einer Chance. Es ist 16.23 Uhr, Kauter vermeldet seine 8:15-Niederlage gegen Maxim Chworost über Twitter. Der Eintrag endet mit zwei traurigen Smileys. Yves Allegro, der frühere Doppelpartner von Federer, spendet per Tweet postwendend Trost. Max Heinzer lässt derweil im Stundentakt die Musik erklingen. Mit dem Kämpferherz von Rocky Balboa besiegt er einen Gegner nach dem anderen. Im Viertelfinal nimmt er für seinen Kollegen Kauter Revanche an Chworost, im Halbfinal führt er gegen Boczko rasch 10:6, verletzt sich dann aber an der Fechthand. Im ausverkauften Auditorium Stravinski brechen bange Minuten an. Unter frenetischen Anfeuerungsrufen rettet sich der taumelnde Heinzer aber in die finale Runde. Dort unterliegt er der französischen Weltnummer 1 Gauthier Grumier 12:15. «Ich habe eine gute Leistung gezeigt, aber insgesamt mehr Fehler gemacht», sagt Heinzer, der nicht so genau zu wissen scheint, ob er sich nun über die Silbermedaille freuen soll oder nicht. Anders als Rocky Balboa ist Heinzer kein Happy End vorbehalten. Vorerst zumindest. Am Mittwoch treten die Schweizer um Heinzer, Kauter, Steffen und Borsky beim Teamwettkampf als Titelverteidiger der letzten drei Austragungen an. Dominic Wuillemin «Dann bin ich ein gefundenes Fressen» Ein enttäuschter Fabian Kauter übt nach seinem Aus im Sechzehntelfinal bei der EM in Montreux Selbstkritik. War der Druck zu gross, der auf Ihnen lastete? Fabian Kauter: Natürlich war der Druck da. Aber damit muss ich umgehen. Das kann keine Entschuldigung für die Niederlage sein. Schliesslich kenne ich diese Situationen vom Turnier in Bern. Wie erklären Sie sich dann das 8:15 im Sechzehntelfinal gegen den Ukrainer Maxim Chworost ? Ich hätte unbedingt in Führung gehen sollen. Ich bin nun mal kein Aufholkünstler. Und wenn ich dann mal deutlich hinten liege, wird es schwierig für mich. Fabian Kauter Was geht Ihnen in diesen Momenten durch den Kopf? Es fällt mir dann schwer, motiviert zu bleiben. Weil ich das Gefühl habe, ich hätte einen Plan, diesen aber nicht umsetzen kann. Lassen Sie dann den Kopf hängen? Leider ist das meine Art. Wenn ich keine Lösung mehr sehe, merkt man mir das an. Und dann bin ich ein gefundenes Fressen. Das ist sicher etwas, das ich ver- bessern muss. Meine Körpersprache war für gar nichts. Dabei sind Sie gut in die EM gestartet . . . Ja. Zwar war ich zu Beginn sehr nervös, ich konnte aber dennoch meine vier ersten Gefechte gewinnen und wurde dann lockerer. Ich fühlte mich gut, war stolz auf mich. Inwiefern? Weil ich umsetzen konnte, was ich mir vorgenommen hatte. Und in der Runde der letzten 64 zeigte ich gegen den Zweiten der Olympischen Spiele in London ein starke Leistung. Und dann kam das jähe Ende im Sechzehntelfinal . . . Das ist mega bitter. Die Location ist mega schön. Ich hätte sehr gerne weitergefochten. Ihre Kollegen Peer Borsky und Benjamin Steffen schieden ebenfalls früh aus. Nur Max Heinzer überzeugte. Welchen Einfluss hat dies auf den Teamwettkampf vom Mittwoch? Das Wichtigste ist nun, dass wir zusammenhalten. Und die Situation ist nicht neu für uns. Wir sind auch schon früh rausgeflogen und haben später als Team den Weltcup gewonnen. Keiner von uns ist nun müde oder traurig. Wir wissen, was wir können. Wie helfen Sie sich gegenseitig? Wir haben einen offenen Dialog im Team. Wir sagen uns alles direkt ins Gesicht und reden nicht hinter dem Rücken des anderen. Jeder sagt, wie er sich fühlt. Das haben wir anderen Teams voraus. Aufgezeichnet: dwu «Ich verspüre viel stolz», erklärte der nunmehr zweimalige GrandSlam-Sieger Stan Wawrinka nach seinem Triumph am French Open. An seiner Seite stand die eben erhaltene «Coupe des Mousquetaires», und vor ihm hing seine umstrittene, karierte Hose, die er den Journalisten nochmals mit einem strahlenden Lachen präsentiert hatte: «Ich bin offenbar der Einzige, der sie mag. Es wurde viel über sie gesprochen. Da ist es lustig, dass sie das French Open gewonnen hat.» Wie fühlt sich dieser GrandSlam-Sieg im Vergleich zum ersten in Melbourne 2014 an? Stan Wawrinka: Ich versuche nicht, sie zu vergleichen. Dieser Titel ist natürlich sehr speziell, im Final gegen Novak Djokovic, die Nummer 1 der Welt. Er hat in diesem Jahr fast alles gewonnen. Ich verspüre momentan viele Emotionen, aber insgesamt bin ich entspannt. Es wird aber etwas Zeit verstreichen, bis ich wirklich realisiere, was ich erreicht habe. Nach grossen Titeln ist man immer etwas weggetreten. War das heute die beste Leistung ihrer Karriere? Es ist sicher einer der besten Matchs meiner Karriere, wenn nicht der beste. Gegen Ende des zweiten Satzes zweifelte ich daran, dass ich das Niveau würde halten können. Aber es erging Novak nicht besser. Wir haben beide gekämpft. Und zum Ende des vierten Satzes war ich losgelöst, mir gelangen einige herrliche Rückhandschläge. Es ist selten, dass die Schläge so gelingen, und dann noch im Final. Es ist ein grossartiges Gefühl. Was hat Ihnen Ihr Coach Magnus Norman vor der Partie gesagt? Wir hatten eine gute Unterhaltung. Ich war sehr entspannt – bis Stan Wawrinka strahlt mit dem Pokal um die Wette. Keystone etwas 15 Minuten vor dem Match. Dann wurde ich sehr nervös. Ich habe zu mir selber gesagt: «Was geht hier ab?» Er hat mir gut zugesprochen. Er glaubt immer an mich. Immer findet er die richtigen Worte, um mein Selbstvertrauen zu stärken und mir den Gauben zu vermitteln, dass ich die Nummer 1 der Welt in einem Grand-Slam-Final schlagen kann. Sie hatten Ihre Nerven während des Finals gut im Griff. Ich war überrascht, wie ich gespielt habe. Eben weil ich sehr nervös war. Aber ich fühlte mich nie gehemmt. Ich habe die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich bin meiner Linie immer treu geblieben. Nach dem Matchball haben Sie sich lange mit Djokovic unterhalten. Haben Sie sich fast entschuldigt, dass Sie ihm den Titel weggeschnappt haben, den er so sehr wollte? «Wir sind sehr gute Freunde. Wir trainieren fast jede Woche, fast bei jedem Turnier miteinander. Ich verstehe mich sehr gut mit seinem ganzen Team. Natürlich bin ich sehr glücklich, dass ich den Titel geholt habe. Aber ich weiss auch, dass er sich nach diesem Titel sehnt. Ich bin sicher, dass er ihn eines Tages gewinnen wird.» Aufgezeichnet: si Serena Williams rückt Steffi Graf näher TENNIS Favoritin Serena Williams hat im French-Open-Final die Tschechin Lucie Safarova in die Schranken gewiesen. Serena Williams triumphierte am French Open wie zuvor schon am Australian Open. Die 33-jährige Amerikanerin setzte sich im Final gegen Lucie Safarova (Tsch/WTA 13) 6:3, 6:7 (2:7), 6:2 durch. Fast 16 Jahre, nachdem sie am US Open im Final gegen Martina Hingis ihren ersten GrandSlam-Titel gewonnen hatte, feierte Serena Williams ihren 20. Triumph auf höchster Turnierstufe. Zur Egalisierung des Profiära-Rekords von Steffi Graf fehlen ihr nur noch zwei Titel. Nichts spricht dagegen, dass sie diese Marke in absehbarer Zeit erreichen wird. In diesem Jahr hat sie erst einen Match verloren. Ihr Erfolg gründet nicht zuletzt auf der mentalen Stärke. Fünfmal in Serie musste sie in den letzten Tagen über drei Sätze gehen. Im Halbfinal hatte sie sich gegen die Waadtländerin Timea Bacsinszky mit 4:6, 6:3, 6:0 durchgesetzt und dabei mit ihrem zur Schau gestellten Unwohlsein nicht nur in der Schweiz eine Welle der Empörung ausgelöst. Gegen Safarova präsentierte sich Williams erholt, musste aber dennoch einen Posieren vor dem Eiffelturm: Serena Williams zeigt den Pokal. Key Umweg gehen. Beim Stand von 3:6, 1:4, 15:40 nach 45 Minuten legte die Tschechin ihre Nervosität ab und drehte in ihrem ersten Grand-Slam-Final plötzlich auf und wendete dadurch den Satz. Im dritten Umgang führte sie 2:0, ehe Williams wie so oft wieder einen Gang hochschaltete und sechs Game-Gewinne aneinanderreihte. «Als ich ein kleines Mädchen in Kalifornien war, wollten meine Eltern, dass ich Tennis spiele. Nun stehe ich hier mit 20 GrandSlam-Titeln», sagte Williams gerührt. «Ist das mein Leben? Es ist unwirklich.» si
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