SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Stark

SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
Stark dank Papa?
Wie Väter ihre Töchter unterstützen können
Autorin: Ingrid Strobl
Redaktion: Anja Brockert
Regie: Nicole Paulsen
Sendung: Donnerstag, 11.09.2014, 8.30 Uhr, SWR 2
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1
Regie: Leise Musik (z.B. „O mein Papa“ in der Interpretation von Lys Assia, bitte nicht
Lilli Palmer! Oder „My heart belongs to daddy“ in der Interpretation von Ella Fitzgerald,
bitte nicht Marilyn Monroe!)
Zitatorin:
Die erste Beziehung, die ein Mädchen zu einem Mann hat, ist die Beziehung zu seinem
Vater, die sich ihm so stark einprägt, dass alle seine späteren Beziehungen zu Männern
durch diese Erfahrung beeinflusst werden. Wir werden unbewusst von einem Mann
angezogen, der uns behandelt, wie unser Vater uns oder unsere Mutter behandelt hat.
Meg Meeker, Autorin des Buches "Starke Väter, starke Töchter".
O-Ton 1 (Lisa Lautwein)
Ich hab immer von meinem Vater sehr positives Feedback bekommen. Auch zu der
Zeit, als ich richtig schlecht aussah, mit Zahnspange und Hasenzähnen und fettigen
Haaren. Jedenfalls hat er immer gesagt, "du wirst mal richtig hübsch", oder "mir ist
eigentlich auch egal, wie du aussiehst, weil ich liebe dich trotzdem".
Zitator:
Das Selbstbewusstsein von Frauen ist umso höher, je mehr sie von ihrem Vater positiv
bestätigt wurden.
Tanya Scheffler und Peter Naus, kanadische Humanwissenschaftler.
O-Ton 2 (Jörg Lautwein)
Lisa ist mit Kaiserschnitt auf die Welt gekommen, und ich war sozusagen die erste
Person, die mit ihr in Kontakt kam, außer natürlich der Geburtshelfer. Und dann hatt ich
dieses kleine Würmchen im Arm und hab mich dann direkt halt um die kümmern
müssen. Normal werden die ja angelegt, die Babies, und ich hatte halt den kleinen
Finger als Ersatz für die. Und das ist von Anfang an bis jetzt geblieben, ne, diese
Verbindung.
Regie: Musik langsam weg
Ansage:
Stark dank Papa? Wie Väter ihre Töchter unterstützen können.
Eine Sendung von Ingrid Strobl.
Erzähler:
Töchter und ihre Väter, Väter und ihre Töchter. Eine ganz spezielle Beziehung - und
Stoff für Dramen aller Art. Schon der antike Dichter Euripides erzählte davon. In seinem
Stück „Iphigenie in Aulis“ bringt ein Vater seine geliebte Tochter als Opfer dar. In
Shakespeares „King Lear“ wird die jüngste Tochter zu Unrecht vom Vater verstoßen,
und in der Hollywood-Komödie "Vater der Braut" muss Daddy lernen, dass das
Töchterchen ihn für einen anderen Mann verlassen will.
Auch die Psychoanalyse befasst sich mit dem besonderen Verhältnis zwischen
Töchtern und Vätern; Familienpsychologen und Therapeutinnen kümmern sich um
gestörte Vater-Tochter-Beziehungen und die Folgen sexuellen Missbrauchs.
Doch kaum eine wissenschaftliche Studie hat bisher die Frage untersucht, wie sich ein
Vater verhalten sollte, damit seine Tochter zu einem selbstbewussten und
selbstbestimmten weiblichen Wesen heranwachsen kann.
Regie: Leise Musik (zum Beispiel Schönbergs Verklärte Nacht), darüber:
2
Zitator:
Meine liebe Anna! An dir sehe ich jetzt, wie alt ich bin, denn du bist so alt wie die
Psychoanalyse. Beide haben mir Sorgen gemacht, aber im Grunde erwarte ich doch
mehr Freude von Dir als von ihr.
Erzähler:
Schrieb Sigmund Freud seiner Tochter Anna zu ihrem 25. Geburtstag. Freud war einer
der ersten, der das Thema Väter und Töchter auf wissenschaftlicher Ebene aufgriff.
Seine Theorie der kindlichen Sexualität und der Ausrichtung der Tochter auf den Vater
prägte lange Zeit das Bild, das sich nicht nur Psychoanalytiker von Frauen machten.
Der kleine Junge, so Freud, begehrt die Mutter und betrachtet den Vater als
Konkurrenten und Widersacher. Als Vorbild für diese Konstellation nahm er die antike
Sage von Ödipus, der - unwissentlich - seine Mutter heiratet und den Vater tötet. In
seinem 1925 verfassten Aufsatz "Einige psychische Folgen des anatomischen
Geschlechtsunterschiedes" erläuterte Sigmund Freud, warum seines Erachtens die
sexuelle Entwicklung beim Mädchen völlig anders verläuft:
Zitator:
Das kleine Mädchen bemerkt den auffällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines
Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines
eigenen, kleinen und versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen.
Erzähler:
Gleichzeitig hasst das Mädchen die Mutter dafür, dass sie es mit diesem "Mangel"
geboren hat. Im weiteren Verlauf, so Freud:
Zitator:
Gibt [das Mädchen] den Wunsch nach dem Penis auf, um den Wunsch nach einem
Kinde an die Stelle zu setzen, und nimmt in dieser Absicht den Vater zum
Liebesobjekt. Die Mutter wird zum Objekt der Eifersucht, aus dem Mädchen ist ein
kleines Weib geworden.
Erzähler:
Indem das Mädchen den Vater begehrt und sich von der Mutter löst, akzeptiert es, dass
es selbst keinen Penis hat. Das ist die Voraussetzung dafür, dass es zu einem im Sinne
der damaligen Zeit "normalen Weibe" heranwachsen kann, sprich: zur Gattin, Hausfrau
und Mutter.
Hält das Mädchen aber daran fest, selbst einen Penis - anders gesagt: ein
selbstbestimmtes Leben - zu wollen, entwickelt es laut Freud einen
"Männlichkeitskomplex", der zu Neurosen führen kann.
Freuds dritte Tochter Anna hielt sich nicht an dieses Schema. Sie zog es vor,
berufstätig zu sein, wurde selbst Psychoanalytikerin - und holte ihre Lebensgefährtin
samt deren Kindern in das väterliche Haus. Nach Freuds Theorie ein klassischer Fall
von nicht bewältigtem Penisneid. Heute mutet diese Theorie etwas aus der Zeit
gefallen, genauso wie der von dem Analytiker Carl Gustav Jung beschriebenen
Elektrakomplex.
Regie: Leise Musik, darüber:
Zitatorin:
3
Ich gieße diese Spenden für die Toten aus / Und rufe dich, mein Vater, mein erbarme
dich / Und deines Sohns Orestes, dass er wiederkehrt! / Denn sieh, verstoßen leben wir
und wie verkauft / Von unsrer Mutter; und zum Manne hat sie sich / Aigisth erlesen, der
dich mit erschlagen hat / Und einer Magd gleich hält sie mich; Orestes / Ist verjagt aus
seinem Erbe; während sie in Prunk / Und eitler Wollust deines Schweißes Frucht
vertun!
Erzähler:
Die mykenische Prinzessin Elektra gilt als klassische Vatertochter. Der Dichter
Aischylos ließ sie am Grab ihres Vaters Agamemnon dessen Tod beweinen und
Anklage gegen die Mutter erheben. Das Thema tauchte schon bei Homer auf, mehrere
griechische Dramatiker übernahmen es. Den Analytiker C. G. Jung inspirierte der
Elektra-Mythos zu einer Replik auf den Wiener Kollegen Sigmund Freud. 1912 stellte
Jung in einer Vorlesung in New sein weibliches Gegenstück zu Freuds Ödipus-Komplex
vor:
Zitator:
Beim Mädchen entwickelt sich die spezifische Zuneigung zum Vater und die
entsprechende Eifersuchtseinstellung gegen die Mutter. Man könnte diesen Komplex
dann den Elektrakomplex nennen. Elektra hat ja bekanntlich Blutrache genommen an
ihrer Mutter Klytämnestra für den Gattenmord, der Elektra des geliebten Vaters
beraubte.
Erzähler:
Heute werden diese Theorien nur noch von wenigen vertreten. Bereits in den 1970er
Jahren kritisierten Kate Millett und andere Theoretikerinnen der Frauenbewegung den
Freud’schen „Penisneid“ als Männerfantasie. Das männliche Geschlecht werde damit
zum überlegenen erklärt, Frauen zu Mängelwesen degradiert und die gesellschaftlichen
Bedingungen, die zur Entstehung von Rollenmustern führten, ignoriert.
Sigmund Freud selbst wurde übrigens als Vater eines Besseren belehrt. Er wünschte
sich zwar lange Zeit, seine Tochter Anna würde endlich eine "richtige Frau" werden. Als
sie aber beharrlich an ihrer beruflichen Karriere und einem Leben ohne Mann und Kind
festhielt, lernte er sie schließlich als kompetente Kollegin schätzen. Er war stolz auf sie
und dankbar für ihre Unterstützung.
Regie: Musik / Akzent
O-Ton 3 (Thalia Krapohl)
Meine Beziehung zu meinem Papa ist eigentlich ganz gut. Wir haben viel zu reden. Also
eigentlich red ich meistens (lacht) und Papa hört ganz gut zu. Und, ja, wir haben auch
gemeinsame Interessen, was natürlich auch förderlich ist für Gesprächsfindung und so
was.
Erzähler:
Thalia Krapohl, geboren 1993, Studentin. Ihr Vater, Lothar Krapohl, ist Jahrgang 1949
und Erziehungswissenschaftler an der Hochschule für Soziale Arbeit in Aachen.
O-Ton 4 (Lothar Krapohl)
Die Einstellung, die meine Frau und ich damals hatten, war, dass Hausarbeit ein
gemeinsames Thema war, und Berufstätigkeit auch. Wir sind ja nun auch durch die
Frauenbewegung gegangen, als Männer, und sind (lachend) davon nicht unberührt
4
geblieben. Also spätestens da war klar, die Modelle Frau und Haushalt und Mutter und
Kind, und wir dann draußen in Beruf und Karriere, das haut nicht hin. Das war vorbei.
Erzähler:
Infolge der Frauenbewegung wurden auch in manch anderer Familie die alten
Rollenbilder infrage gestellt oder sogar verworfen. Bereits Ende der Achtzigerjahre blieb
zum Beispiel der Bonner Familientherapeut Dieter Dicke ein paar Jahre zuhause, um
sich um die Kinder zu kümmern. Ursprünglich wollten er und seine Frau Teilzeit
arbeiten. Doch dann bekam seine Frau eine Vollzeitstelle als Lehrerin.
O-Ton 5 (Dieter Dicke)
Und dann hab ich gesagt, okay, ich wollte mit meinen Kindern immer schon mehr zu tun
haben, das war irgendwas, was in meinem Leben relativ früh Thema war oder Raum
eingenommen hat. Also insofern ist es in unserem Familienleben immer normal
gewesen sowohl, dass die Mutter arbeitet, als auch, dass der Vater zuhause ist und
alles macht, was man so macht. Und dass es auch kein Thema war, also wir haben
darüber nie diskutiert. Im Sinne von Konfliktdiskussionen.
Erzähler:
So weit wie er ging damals kaum ein Vater. Doch auch schon weniger ist hilfreich.
Studien in den USA zeigen, dass es für Töchter von Vorteil ist, wenn ihre Eltern die
herkömmliche Rollenverteilung außer Kraft setzen. Oder sie zumindest nicht
uneingeschränkt leben. So untersuchten etwa die amerikanischen Psychologinnen Lois
W. Hoffman und Lise M. Youngblade Ende der 90er Jahre, welche Wirkung die
Berufstätigkeit der Mutter auf die Kinder hat. Und fanden, quasi nebenbei, heraus:
Zitatorin:
Je umfangreicher die Berufstätigkeit der Partnerin ist, desto mehr beteiligt sich der
Mann an Hausarbeit und Kindererziehung. Eine vermehrte Partizipation des Vaters und
ein egalitäreres Geschlechtsrollenkonzept in der Familie wiederum führen zu einer
egalitäreren Sichtweise der Töchter bezüglich der weiblichen Rolle.
Erzähler:
Auch auf die schulischen Leistungen hat es offenbar Einfluss, wenn sich Väter stärker
an Haushalt und Kindererziehung beteiligen. Das hat der Erziehungswissenschaftler
Sebastian Bergold von der Universität Dortmund in seinen Untersuchungen zu diesem
Thema festgestellt:
O-Ton 6 (Sebastian Bergold)
Immer wenn Kinder mitbekommen, dass in ihrer Familie traditionelle Rollenmuster
aufgebrochen werden, wirkt sich das positiv aus. In dem Sinne, dass sie dann eben
auch unbekümmerter an Aufgaben herangehen, die von anderen eher als
geschlechtsspezifisch betrachtet werden. Forschung von Kolleginnen und Kollegen
zeigt, dass Mädchen zum Beispiel in Mathematik dann bessere Leistungen erzielen
konnten.
Erzähler:
Wie aber wirken sich Verhalten und Einstellungen des Vaters ganz konkret auf die
Tochter aus? Und was kann ein Vater tun, um seine Tochter gezielt zu fördern? Die
Wissenschaft hat darauf nur spärliche Antworten. Einige wenige US-amerikanische
Studien ergaben in den 80er und 90er Jahren, dass zum Beispiel die Karriere5
Orientierung von Collegestudentinnen stärker von der Einstellung des Vaters zu Beruf
und Karriere abhängt als von der Einstellung der Mutter. Und dass die bedingungslose
Zuneigung des Vaters „positive Auswirkungen“ auf das Selbstbewusstsein der Tochter
hat. Linda Nielsen, Psychologin an der Wake Forest University in North Carolina, fasst
auf ihrer Website die bislang vorliegenden Untersuchungsergebnisse zu Vätern und
Töchtern zusammen. Demnach haben Töchter, die von einem liebevollen Vater
unterstützt werden, anderen Mädchen einiges voraus:
Zitatorin:
Sie sind in Studium und Beruf erfolgreich; sie vermeiden emotional und physisch
missbräuchliche Beziehungen und können dem Druck der Peergroup, Drogen zu
nehmen, zu trinken und verfrüht Sex zu haben, widerstehen. Sie verfügen über
Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit und sind in ihrer Selbstbewertung weniger
abhängig vom Urteil eines Jungen. Sie können ihre Ansichten vertreten und zu ihren
Haltungen stehen, Herausforderungen annehmen und gut mit Autoritätspersonen
umgehen. Und sie neigen weniger zu Depressionen und Essstörungen.
Erzähler:
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch: oftmals wurden diese Studien von weißen,
privilegierten College-Studentinnen und Studenten erstellt, die - per Fragebogen - vor
allem Ihresgleichen befragten. Häufiger noch ergaben sich die Befunde aus
Umkehrschlüssen. So erforschten die Psychologinnen Rose Merlino Perkins und
Rebecca Dumlao zum Beispiel, welche Auswirkungen ein abwesender oder ein
missbrauchender Vater auf die Entwicklung seiner Tochter haben kann. Und stellten
dabei auch fest:
Zitatorin:
Töchter mit einer guten Vater-Beziehung sind selbstbewusster, selbstsicherer und
erfolgreicher in Schule und Karriere als Töchter mit einer schlechteren VaterBeziehung.
Erzähler:
Die kanadischen Humanwissenschaftler Tanya S. Scheffler und Peter Naus
kommentierten die Forschungslage 1999 ziemlich ernüchtert:
Zitator:
Bis heute konzentriert sich der größte Teil der wissenschaftlichen Literatur zur VaterTochter-Beziehung auf persönliche Erfahrungsberichte oder den Elektra-Komplex. Es
wurde viel über Inzest geschrieben und relativ wenig über "normale" Vater-TochterBeziehungen. Es ist durchaus bemerkenswert, dass etwas, das häufig als "machtvolle
Beziehung im Leben einer Frau" beschrieben wird, kaum Gegenstand
wissenschaftlicher Forschung ist.
Erzähler:
Und sie stimmen dem Befund der US-amerikanischen Psychologin Victoria Secunda zu,
die 1992 schrieb:
Zitatorin:
Von allen innerfamiliären Bindungen ist die Vater-Tochter-Beziehung noch immer
diejenige, die am wenigsten verstanden und am wenigstens untersucht wird. Ende OC]
6
Erzähler:
Bis heute hat sich die wissenschaftliche Lage kaum verbessert. Es sind vor allem
Praktiker, die sich dafür interessieren, wie sich das väterliche Verhalten konkret auf die
Tochter auswirkt: Jugendpsychologinnen, Familientherapeuten, Väter und Mütter.
O-Ton 7 (Dieter Dicke)
Ich glaub, der Ursprung ist eigentlich die Mann-Frau-Beziehung. Die Beziehung
zwischen Vater und Mutter.
Erzähler:
Sagt der Bonner Familientherapeut Dieter Dicke.
O-Ton 8 (Dieter Dicke)
Das ist eine ganz wesentliche Grundlage: Wie reden Vater und Mutter miteinander?
Und natürlich auch, wie redet der Vater mit seiner Tochter? Und ein Bewusstsein
darüber zu haben, dass das, die Art und Weise, wie er spricht, wie er sich verhält, für
seine Tochter bedeutsam ist.
O-Ton 9 (Angelika Greiwe-Krapohl)
Die väterliche Position ist auch deswegen so wichtig, weil sie von der Mutter trennt. Und
damit auch ne eigene Identifikationsbildung überhaupt erst in ‘nem guten Sinne möglich
macht. Sonst bleibt das Mädchen zu stark an die Mutter gebunden. Und kann dadurch
die eigene Persönlichkeit nicht so gut entfalten. Also, diese dritte Person, wir nennen
das in der Therapie das Triangulierende, ist unglaublich wichtig für die eigene
Identitätsbildung.
Erzähler:
Angelika Greiwe-Krapohl ist Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin und arbeitet
vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen.
O-Ton 10 (Angelika Greiwe-Krapohl)
Natürlich ist in erster Linie die Identitätsfindung stark gebunden an die Mutter. Was ist
das für eine Frau, was ist die Mutter für ein Vorbild, oder die weibliche Bezugsperson,
es ist ja auch nicht immer die Mutter. Das hat sicherlich eine ganz starke Wirkung. Aber
genau so stark ist auch die Wirkung des Vaters: wie gucke ich meine Tochter an, habe
ich einen Glanz in den Augen, wenn ich sie angucke, freue ich mich über sie? Das ist
schon so entscheidend für die Entwicklung des Selbstbewusstseins. Dass ich die
Freude in den Augen meines Vaters auch sehe, nicht nur in den Augen meiner Mutter.
Erzähler:
Aus ihrer Praxis weiß Angelika Greiwe-Krapohl, dass vielen Vätern gar nicht bewusst
ist, dass sie für ihre Tochter eine wichtige Rolle spielen könnten. Häufig beobachtet sie
…
O-Ton 11 (Angelika Greiwe-Krapohl)
…dass die Väter sich mit den Söhnen stärker identifizieren und auch ihnen was
weitergeben wollen. Und dass sie bei den Töchtern oft hilflos sind, was kann ich den
Töchtern weitergeben?
Erzähler:
7
Diese Erfahrung hat auch ihr Mann gemacht, der Erziehungswissenschaftler Lothar
Krapohl:
O-Ton 12 (Lothar Krapohl)
Ich hatte tausend Ideen, wie man spielerisch die Welt mit ‘nem Jungen erkunden kann.
Deutlich weniger Ideen, wie man mit ‘nem kleinem Mädchen und später dann auch
größeren Mädchen als Vater die Welt erkunden kann.
Erzähler:
Nach der Geburt seiner beiden Töchter ließ Lothar Krapohl die Dinge erst einmal auf
sich zukommen.
O-Ton 13 (Lothar Krapohl)
Ich dachte, gut, da ist eine Mutter, und da ist ein Vater, und das, was jeder geben kann,
gibt er, und das wird schon hinhauen. Insofern hab ich mir da nicht viele Gedanken
drum gemacht. Sondern das ist eher geschlechtsunabhängig gewesen, was so meine
rudimentären Vorstellungen waren von selbständigen Menschen, kritischen Menschen,
wie geht das, die dahin zu bringen.
Erzähler:
Allerdings war es ihm wichtig, sich die Erziehung der Töchter mit seiner Frau zu teilen.
O-Ton 14 (Lothar Krapohl)
Also, wie sich ein Mädchen anzieht, das war nicht so sehr mein Gebiet, und das hab ich
auch meiner damaligen Frau überlassen. Aber bei allen anderen Fragen fühlte ich mich
genauso gefragt, da wollt ich schon auch mitreden. Weil ich denke, es ist wichtig, dass
die eben beide Seiten kennenlernen, ne männliche Sicht, ne weibliche Sicht, Papa und
Mama.
Erzähler:
Die Töchter Maite und Thalia erinnern sich gerne an ihren "Spiele-Papa", der mit ihnen
raus in den Wald ging, Pflanzen und Tiere erklärte, Geschichten vorlas, mit ihnen malte
und Musik machte.
O-Ton 15 (Maite Krapohl)
Wir haben unseren Hasenstall selber gebaut und unser Gehege selber gebaut. Ich war
das klassische Pferdemädchen, aber es war dann ganz gut, den Ausgleich zu haben,
wenn (lachend) Papa dann mit einem auch was Handwerkliches gemacht hat.
Erzähler:
Auch der Kinder-und Familientherapeut Dieter Dicke hat bei der Geburt seiner Kinder
Gianna und David in den späten Achtzigerjahren nicht darüber nachgedacht, wie er die
Tochter nun ganz spezifisch fördern könnte. Allerdings:
O-Ton 16 (Dieter Dicke)
In der damaligen Zeit gab´s natürlich das Thema männlich - weiblich, also wie viel
Männlichkeit oder Weiblichkeit ist sozusagen angeboren, und wie viel nicht. Insofern
haben wir natürlich auch damals versucht, in Hinblick auf Spielzeug und alles Mögliche,
das gleich zu verteilen. Konkret hieß das, dass wir eben schon auch Gianna Autos und
Bau-Spielzeuge gegeben haben.
8
Erzähler:
Ein Erziehungsstil, der die Geschlechtsstereotypen nicht unterstützt, ist für die
Entwicklung der Töchter wichtig, meint auch Erziehungswissenschaftler Sebastian
Bergold von der Universität Dortmund:
O-Ton 17 (Sebastian Bergold)
Und wichtig ist auch, dass Väter ihren Töchtern genau das gleiche zutrauen wie
Söhnen. Und das den Töchtern auch überzeugend kommunizieren.
Regie: Musik / Akzent
O-Ton 18 (Lisa Lautwein)
Ich hab ziemlich lange Barbie gespielt. Genauso gut konnt ich aber auch mit den Jungs
auf der Straße Fußball spielen. Und er hat mich eigentlich auch immer unterstützt. Bei
sportlichen Sachen oder bei Klamottenfragen oder sonst irgendwas.
Erzähler:
Lisa Lautwein ist 23 und Bürokauffrau. Als sie zweieinhalb Jahre alt war, trennten sich
ihre Eltern, Lisa blieb beim Vater, der als Bäckermeister nicht unbegrenzt Zeit für sie
hatte. Trotzdem, sagt Lisa Lautwein lächelnd, wusste er immer, womit sie sich gerade
beschäftigte. Und zwängte sie dabei in keine Rolle.
O-Ton 19 (Jörg Lautwein)
Ich hatte nie ne Vorstellung, wie sie sein sollte. Ich wollte einfach nur, dass sie halt
locker ist, umgänglich, sozial.
Erzähler:
Diese Haltung von Lisas Vater würde der amerikanische Bestsellerautor und Coach Joe
Kelly vermutlich befürworten. Joe Kelly ist selbst Vater von Zwillingstöchtern. Auf seiner
Website nennt er sich „The Dad-Man“, der Papa-Mann. Er sitzt in unzähligen Gremien
zum Thema Väter und Töchter, hält Vorträge und wendet sich in seinen Büchern und
Videos an Familien aller Schichten und Hautfarben. Er gibt praktische Tipps und hat
einen Test für Väter ins Netz gestellt:
Regie: Leise Musik, darüber:
Zitator:
Ich kenne die Ziele, die meine Tochter gerade verfolgt.
Erzähler:
Ich kenne die Namen ihrer drei engsten Freundinnen.
Zitator:
Ich spreche mit meiner Tochter über Geld.
Erzähler:
Ich kommentiere das Gewicht meiner Partnerin.
Zitator:
Ich empfehle meiner Tochter, eine Diät zu machen.
9
Erzähler:
Ich brülle meine Partnerin an.
Regie: Musik langsam weg
Erzähler:
Insgesamt 36 Fragen beinhaltet der Test. Die Auswertung der Punkte reicht von „Ihre
Beziehung zu Ihrer Tochter beruht offenbar auf einer soliden Grundlage“ bis „Sie sollten
ernsthaft eine Veränderung erwägen. Ihre Handlungen und ihr Verhalten können ihre
Tochter zugrunde richten.“
Joe Kellys Bücher tragen Titel wie: "Väter und Töchter. Wie Sie Ihre Tochter inspirieren,
verstehen und unterstützen können". Und auf seiner Website gibt er schon mal
konkrete Tipps dazu:
Zitator:
Hör deiner Tochter zu. Finde heraus, was wichtig für sie ist, was sie denkt, glaubt, fühlt,
tut und wovon sie träumt. Ermutige sie und fördere ihre Stärken. Hilf ihr, Hindernisse zu
erkennen und zu überwinden, ihre Ziele zu erreichen, sich selbst und anderen zu
helfen. Respektiere ihre Einmaligkeit. Ermutige sie, sich und ihren Körper zu lieben.
Fördere sie von klein auf darin, Sport zu treiben und körperlich aktiv zu sein. Nimm sie
mit zur Arbeit. Zeige ihr, was du da machst. Zeige ihr, wie du mit Geld umgehst. Trag
dazu bei, dass die Welt ein guter und sicherer Ort für Mädchen wird.
Erzähler:
Viele dieser Tipps, das wissen Eltern aus Erfahrung, kann man ganz gut umsetzen,
solange die Tochter noch ein Kind ist. Doch dann kommt die Pubertät. Und auch die
liebevollste Vater-Tochter-Beziehung gerät in Turbulenzen. Selbst Papa-Tochter Lisa
Lautwein erinnert sich an schwierige Phasen in der Pubertät. Und daran, dass ihr Vater
damals für sie das Richtige tat:
O-Ton 20 (Lisa Lautwein)
Klar, es gab Tage oder Wochen, da haben wir nicht mit einander geredet. Oder halt nur
das nötigste. Aber der war halt immer da. Und das war glaub ich auch sehr prägend für
mich.
Erzähler:
In ihrem Blog "Strong Fathers, Strong Daughters" - "Starke Väter, starke Töchter"
wendet sich die amerikanische Kinder-und Jugendärztin Meg Meeker an Väter
pubertierender Töchter. Und gibt zunächst einen etwas ernüchternden Hinweis:
Zitatorin:
Egal wie sehr Sie sich bemühen, ihre Tochter vor schädlichen Einflüssen einer Welt zu
bewahren, die Frauen herabwürdigt und zu Sexualobjekten macht: es wird Ihnen nicht
gelingen.
Erzähler:
Allerdings könnten Väter in der Zeit der Pubertät, wenn sich der Körper der Tochter
verändert und die Seele in Aufruhr ist, ein paar hilfreiche Verhaltensweisen an den Tag
legen:
Zitatorin:
10
Sagen Sie ihr, dass Sie sie lieben. Drücken Sie Ihre Bewunderung für sie aus und
zeigen Sie ihr, dass Sie an sie glauben. Machen Sie keine Bemerkungen über ihr
Gewicht. Niemals! Benutzen Sie keine Koseworte für Körperteile und nennen Sie sie nie
"sexy". Äußern Sie sich nicht zu oft zu ihrem Aussehen. Sie soll nicht das Gefühl haben,
das spiele eine vorrangige Rolle für Sie.
Erzähler:
Die Tochter soll aber auch nicht das Gefühl bekommen, dass ihr Vater sich jetzt von ihr
zurückzieht, sagt die Kinder-und Jugendpsychologin Angelika Greiwe-Krapohl. Oder
dass ihm ihr Aussehen völlig egal ist.
O-Ton 21 (Angelika Greiwe-Krapohl)
In der Pubertät ist wichtig so ne väterliche Anerkennung zu spüren, damit ich mir zum
Beispiel leistungsmäßig was zutraue. Aber auch mitbekomme, aha, ich werde ein
weibliches attraktives Wesen. Und mein Vater kann auch das rückmelden. Also, er kann
sagen, "du siehst toll aus, du bekommst eine gute Figur, schön". Das muss nicht gleich,
und das ist heutzutage unsere Schwierigkeit, in den missbräuchlichen Bereich gehen,
sondern das kann auch einfach so sein, dass man sich freut, als Vater, zu sehen, meine
Tochter macht eine gesunde, gute körperliche weibliche Entwicklung. Und dann haben
die Mädchen es leichter, wenn sie dann selber Interesse haben an ‘nem jungen Mann
oder einem Jungen, dass sie der Anerkennung nicht so hinterher laufen. Weil die haben
sie ja vom Vater schon mal bekommen. Sondern sie können einfach auch
selbstbewusster auswählen. Und ihre eigenen Grenzen dann auch stärker spüren. Und
aber auch ihre Möglichkeiten.
Erzähler:
Das Heranreifen zur Frau kann allerdings dazu führen, dass Mädchen in alte oder auch
neue, sexualisierte Rollenklischees verfallen. Deshalb ist es gerade in der Pubertät
wichtig, die Tochter vor dieser Falle zu bewahren.
O-Ton 22 (Angelika Greiwe Krapohl)
Väter könnten mit ihren Töchtern die sportlichen Sachen stark betonen, sofern sie auch
selber Lust dran haben. Aber auch es könnten die intellektuellen Sachen sein. Dass
man diskutiert, dass man über politische Themen spricht, dass ich halt meiner Tochter
das Gefühl gebe, du bist ein ernstzunehmender Diskussionspartner. Das können sicher
auch die Mütter, natürlich. Aber die Väter fordern dann vielleicht auch ein bisschen
mehr. Dass sie sagen, "dann sag doch mal, wie du argumentierst zu ‘nem bestimmten
Thema! Ich bin gespannt". Also, so auch in ´nem konkurrierenden, Anreiz gebenden
Setting.
Erzähler:
Ermutigen, nicht entmutigen – im eigenständigen Denken ebenso wie im positiven
Verhältnis zum Körper. Präsent sein, wenn die Tochter den Vater braucht, ihn um Rat
und Unterstützung bittet. Sich an der Erziehung beteiligen, von Anfang an. Das sind für
den Erziehungswissenschaftler Lothar Krapohl wesentliche Punkte im Umgang von
Vätern mit ihren Töchtern.
O-Ton 23 (Lothar Krapohl)
Und, das ist, glaub ich, der wichtigste Punkt, dass die das Gefühl haben, egal, was sie
machen, sie sind geliebt. Und zwar in ihren unterschiedlichen Facetten: als werdende
Frauen, als Frauen, die ein Studium machen oder einen Beruf ergreifen, oder auch,
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wenn sie die Mutterrolle anstreben, also da nicht vorweg Lebenspläne begrenzen.
Sondern die in ihren Überlegungen begleiten. Was nicht immer heißt, zu allem Ja und
Amen zu sagen, also schon auch Stellung beziehen, Dinge zu bedenken geben. Aber
eben sie als Personen darin wertschätzen.
Regie: Leise Musik, darüber:
Erzähler:
Maite, Lothar Krapohls älteste Tochter, ist heute 26, Schulsozialarbeiterin – und hat
noch einen Punkt hinzuzufügen:
O-Ton 24 (Maite Krapohl)
Mit das wichtigste ist auch, dass der Papa stolz auf seine Tochter ist. Und das auch
sagen kann. Ich glaub, dass, jetzt aus meiner Sicht, das schönste ist, natürlich nach
"Ich hab dich lieb" oder so: "Ich bin stolz auf dich". Ja. Das ist auch das, wonach sich ne
Tochter am meisten sehnt.
Regie: Musik noch einmal hoch, dann weg!
*****
Literaturangaben:
Sigmund Freud und Anna Freud: Briefwechsel, Frankfurt am Main 2006, S. Fischer Verlag,
34,90 Euro
Joe Kelly: Dads and Daughters, Broadway Paperback 2007, 12,34 $
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