POLITIK der niedergelassene arzt 9/2014 Systematische Zersetzung Wie der Hausärzteverband vom schwachen KV-System profitiert Der Ärger vieler Hausärzte über die Reform des Hausarzt-Kapitels im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) treibt die Neueinschreibungen in die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) in die Höhe. Deren Honorarvolumen könnte schon im laufenden Geschäftsjahr die Milliarden-Marke knacken, verkündete der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft „Hausärztliche Vertragsgemeinschaft AG“ (HÄVG) Eberhard Mehl unlängst. Mit dem Zulauf zur HzV entwickelt sich das Tochterunternehmen des Deutschen Hausärzteverbands (HÄV) immer mehr zur Abrechnungskonkurrenz der Kassenärztlichen Vereinigungen. or dem Hintergrund des SeparatismusStreits, der die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Ende 2013 nahezu völlig lähmte, hat der Erfolg der HzV zudem einen faden Beigeschmack. Damals entging KBV-Vize Dipl.-Med. Regina Feldmann nur dank der Stützung durch den Hausärzteverband ihrer Abwahl durch die Vertreterversammlung und konnte ihre Arbeit am Hausarzt-EBM fortsetzen. Der wurde pflichtschuldig zwar auch von der HÄVFührungsriege als reine Umverteilungsmaßnahme kritisiert. Der EBM-Frust vieler Hausärzte beschert dem Hausärzteverband nun aber vor allem eins: sprudelnde HzVEinnahmen in Millionenhöhe und einen Machtgewinn im schwelenden Konkurrenzkampf zur KBV. Wohin die Gelder im Einzelnen fließen, bleibt obendrein Geheimnis von HÄV-Chef Ulrich Weigeldt. Obwohl es sich um Beiträge aus der Gesetzlichen Krankenversicherung handelt, müssen beispielsweise die Vorstandsbezüge nach aktueller Gesetzeslage nicht veröffentlicht werden. Um zu verstehen, wie Standespolitik zu einem derartig undurchsichtigen Beziehungs- und Machtgeflecht ausarten kann, ist ein Blick in die Vergangenheit nötig. gleich sich die Werte nur um wenige Prozentpunkte unterscheiden, verdeutlicht der Ärztemonitor jedoch zumindest, dass von einer systematischen Benachteiligung der Hausärzte zugunsten der Fachärzte keine Rede sein kann. Das genau jedoch ist der Sprit, der die hausärztlichen Interessenvertreter antreibt. Belege freilich sucht man dafür vergebens und wurden auch von Hausarztverbandsseite nie vorgelegt, wohl schlichtweg, weil keine hausarztfeindlichen KBV- oder KV-Beschlüsse existieren. Schlammschlacht in der KBV © axentis/Lopata V Noch vor gut zehn Jahren hatten die Hausärzte berechtigten Grund zur Unzufriedenheit, jedenfalls wenn man das Honorar anschaut. Über alle vier Quartale des Jahres 2002 hinweg lagen sie im Vergleich zu den grundversorgenden Facharztgruppen, also Gynäkologen, Dermatologen, HalsNasen-Ohrenärzte, Augenärzte und Orthopäden, mit 173.200 Euro laut KBVHonorarbericht lediglich auf dem vorletzten Platz. Nur Hautärzte verdienten weni- Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt: „Ich bin stolz auf diesen Verband.“ ger. Dies änderte sich jedoch in den kommenden Jahren zusehends. 2012 betrug das durchschnittliche Jahreshonorar 197.404 Euro. Damit belegten die Hausärzte Platz drei hinter Augenärzten und Orthopäden. Hausärzte sind zufrieden Der Zugewinn beim Einkommen spiegelt sich auch in der Zufriedenheit der Allgemeinmediziner wider. Laut repräsentativer Ärztemonitor-Befragung von KBV und NAV-Virchow-Bund aus dem Juni 2014 sind 61 Prozent der Hausärzte zufrieden mit ihrem persönlichen monatlichen Einkommen. Das Gleiche antworteten nur 59 Prozent der Fachärzte. Auch bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Situation ihrer Praxis liegt der Zufriedenheitswert der Hausärzte (61 Prozent) höher als der der Fachärzte (57 Prozent). Wenn- Ein anderer Aspekt liegt darüber hinaus in den persönlichen Animositäten der Führungsfiguren von KBV und Hausärzteverband. Der maßgebliche Akteur hier: Ulrich Weigeldt. Der Bremer Allgemeinmediziner leitete einst an der Seite von Dr. Andreas Köhler als Co-Vorstand die Geschicke der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Das war im Januar 2005. Nur gut zwei Jahre später trat Weigeldt unter dem Druck eines Abwahlantrags der Vertreterversammlung von seinem Posten zurück. Nicht einmal unter den hausärztlichen Delegierten fanden sich noch ausreichend Unterstützer, was auf verbandsinterne Rivalitäten und eine juristische Schlappe beim Ausbau der Hausarztverträge zurückzuführen war. Noch schlechter war es jedoch um das Verhältnis der beiden KBV-Vorstände bestellt. Eine regelrechte Schlammschlacht führte zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen Köhler und Weigeldt. Am Ende musste der Hausarzt seinen Posten als KBV-Vorstand räumen. Köhler blieb im Amt. Weigeldts Abschied kam die Körperschaft nebenbei teuer zu stehen. Verschiedene Medien berichteten von rund einer Million Euro Abfindung. Wenn durch die fürstliche Summe der persönliche finanzielle Schaden begrenzt gewesen sein dürfte, blieb jedoch die Rivalität Weigeldts zur Berliner KBV-Zentrale. 25 26 POLITIK Neben dem Kleinkrieg der Protagonisten untereinander geht es bei dem Konflikt um eine handfeste Machtfrage zwischen zwei Systemen: der Kollektivvertrag im KVSystem hier, die hausärztlichen Selektivverträge, abgerechnet über die HÄVG, da. Im Wettstreit um die Gunst der bundesweit rund 55.000 Hausärzte erzielte der HÄV jüngst einen wichtigen Etappensieg. CDU und SPD verabschiedeten sich auf Drängen des Verbandes im Koalitionsvertrag von der sogenannten Refinanzierungsklausel bei Hausarztverträgen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hielt sich an das Koalitionspapier und setzte die Neuregelung zum 1. April 2014 um. Seitdem sind die HzV-Honorare nicht mehr an die des Kollektivvertrags gebunden. Höhere Auszahlungen müssen nicht mehr an anderer Stelle eingespart werden. Seinen Triumph kostete Weigeldt bei der Delegiertenversammlung im Mai 2014 in Dortmund genüsslich aus: „Ich bin stolz auf diesen Verband, der mit ruhigem, sachlichem aber stetigem Argumentieren die notwendige Überzeugungsarbeit geleistet hat.“ Gleichzeitig erteilte er den Forderungen der KBV, die KVen als Vertragspartner an Selektivverträgen wie der HzV zu beteiligen und positive Resultate in den Kollektivvertrag zu überführen, eine Absage: „Unsere Patienten sind keine Versuchskaninchen.“ Daneben erneuerte Weigeldt seine Kritik an der für die Hausärzte angeblich ungerechten Trennung der fach- und hausärztlichen Honorartöpfe und forderte die Bundesregierung auf, die ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarte paritätische Segmentierung der KV-Gremien umzusetzen. Vermeintliche Facharzt-Diktatur Das Versprechen der Politik, Haus- und Fachärzte künftig getrennt voneinander über ihre Angelegenheiten in den Körperschaften entscheiden zu lassen, ist auf die jüngsten Spannungen innerhalb des KVSystems zurückzuführen. Nach dem Rücktritt des vergleichsweise pragmatischen Weigeldt-Nachfolgers Dr. CarlHeinz Müller im Dezember 2011 als KBVVize-Vorstand entsandten die HÄV-Funktionäre im Mai 2012 Regina Feldmann als neue KBV-Vorsitzende. Die Nominierung stellte sich bald als neuer Spaltpilz innerhalb der KBV-Führung heraus. Wieder machten Vorwürfe über der niedergelassene arzt 9/2014 fachliche Defizite und persönliche Auseinandersetzungen der Führungsspitze die Runde. Schon bald wollten Köhler und Feldmann nichts mehr voneinander wissen. Dies dürfte den HÄV-Strategen durchaus Recht gewesen sein, diente das Misstrauen gegen Frau Feldmann doch als Beleg für die systematische Unterdrückung der hausärztlichen Interessen innerhalb der KBV. Dass handwerkliche Mängel, zum Beispiel bei der Ausarbeitung des neuen Hausarzt-EBM, dafür verantwortlich sein könnten, ließ sich, getragen von der Empörungswelle gegen die vermeintliche Facharzt-Diktatur, leicht leugnen. Bereits im Dezember 2013, und damit innerhalb von nur gut anderthalb Jahren Amtszeit musste sich, die KBVVize dem Misstrauensvotum der Vertreterversammlung stellen. Zwar entging Frau Feldmann mit hauchdünner Stimmenzahl – lediglich 23 der 60 Delegierten stimmten für ihren Verbleib – und nur durch die demonstrative Unterstützung der HÄV-Führung ihrer Abwahl vom Vorstandsposten. In der Zwischenzeit erlitt jedoch KBV-Chef Köhler einen schweren Herzinfarkt und kündigte im Januar seinen Rücktritt an. Wenn auch unter tragischen Umständen hatte mit Köhlers Rückzug diesmal die hausärztliche Fraktion gewonnen und die Politik den Eindruck, die außer Kontrolle geratene Selbstverwaltung von außen reformieren zu müssen. Neben der gezielten Schwächung des KV-Systems nutzen die HÄV-Strategen gegenüber der Politik den Nachwuchsmangel vor allem in den ländlichen Regionen für ihre Ziele aus. Zwar liegt es keineswegs allein am Geld, dass sich zu wenige junge Ärzte für die Niederlassung auf dem Land interessieren. Schon heute wirft eine Hausarztpraxis abseits der Metropolen reichlich Gewinne ab. Vielmehr liegt es an strukturellen Problemen der Kommunen, die den Ärztemangel begünstigen. Dennoch verfängt das Klagen der Hausärzte in dem auf einfache und kurzfristige Lösungsansätze eingestellten Politiksystem. EBM-Reform befeuert HzV Die Doppelstrategie aus Zersetzung und Klagen erweist sich nun als Goldesel für den Hausärzteverband und sein Wirtschaftsun- ternehmen. Die Unzufriedenheit mit den neuen Abrechnungsregeln, die die Feldmansche EBM-Reform zur Folge hat, hat der wirtschaftlichen Entwicklung der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft zu einer beachtlichen Dynamik verholfen. „Es bleibt unser Ziel, in der Bundesrepublik flächendeckend präsent zu sein“, betont HÄVG-Vorstand Mehl, der gleichzeitig Hauptgeschäftsführer des Hausärzteverbandes ist. Obgleich der Rubel rollt wie nie, arbeite die Aktiengesellschaft nicht gewinnorientiert, versichert der Doppelfunktionär. Dass Investitionen in der marktwirtschaftlichen Logik einzig das Ziel haben, ein Vermögen durch Erträge zu vermehren, übergeht Mehl dabei beflissentlich: „Wir investieren jeden Cent, den wir verdienen.“ So endete das Geschäftsjahr 2013 für die HÄVG mit einem Miniüberschuss von 13.500 Euro. Intransparente Vorstandsbezüge Keine Auskunft gibt der Jahresabschluss über die Zusammensetzung der Personalaufwendungen. Die beliefen sich im abgelaufenen Jahr auf 4,9 Millionen Euro. Während die Vorstandsbezüge in der Selbstverwaltung per Gesetz öffentlich gemacht werden müssen, fehlt es an ähnlicher Transparenz bei den mit der Abwicklung der Hausarztzentrierten Versorgung befassten Organisationen. Obwohl auch hier öffentliche Mittel aus der Gesetzlichen Krankenversicherung zum Einsatz kommen, bleibt unklar, wer vom Run auf die HzV finanziell profitiert. Fakt ist, dass die HÄVG nicht nur wirtschaftsrechtlich aufs Engste mit dem Hausärzteverband verquickt ist. Auch personell sind die Führungsspitzen von Verband und AG dicht verwoben. Dies betrifft nicht nur Eberhard Mehl. Auch weitere prominente Funktionsträger halten Doppelämter. HÄV-Chef Weigeldt ist erster stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der HÄVG. Der ehemalige Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands, Rainer Kötzle, ist Aufsichtsratsvorsitzender. Die Liste ließe sich fortsetzen. Thomas Hahn NAV-Virchow-Bund Bundesgeschäftsstelle Berlin Chausseestraße 119b 10115 Berlin
© Copyright 2024 ExpyDoc