U-Haft Bayreuth Jetzt ist es also doch soweit. Ich sitze mit Handschellen in einem Transporter auf dem Weg in die JVA Bayreuth. Um mich herum Gitter. Ich fühle mich wie ein Huhn in der Legebatterie. Während wir durch die Stadt fahren, können mich alle Leute durch die Scheiben sehen. Ich bin in einer Art Schockzustand. Ich realisiere alles noch nicht so richtig. Dann durchfahren wir das Tor der JVA Bayreuth. Um mich herum weit und breit nur graue Gebäude und Stacheldraht. Ich werde angemeldet. Ich muss meine Wertsachen abgeben. Ich habe nur eine Kette und zwei Ringe an meinen Fingern. Der eine ist der Verlobungsring von Seven und mir. Was die wohl gerade macht? »Ey, schlaf nicht ein«, brüllt der Beamte und gibt mir einen Schubser. Ich muss zuerst »auf Kammer«. Die Kammer ist der Ort, wo du alles abgeben musst und wo du in Einheitskleidung gesteckt wirst. Ab diesem Moment bist du kein Mensch mehr, du bist nur noch ein Gefangener. Ich bekomme folgende Gegenstände: Eine weiße Unterhose, bei der der Gummi schon gerissen und wieder zusammengebunden ist, ein ausgeleiertes Unterhemd, schwarze Socken, gefühlt Größe 50, eine blaue Arbeiterhose, ein türkisgrünes Hemd, einen grauen Pullover, der total verwaschen ist und Löcher hat, und schwarze Schuhe, die unbequem sind und deren Herstellungskosten vermutlich 20 Cent betragen haben. Ich muss mich komplett ausziehen, in die Hocke gehen und Husten, damit der Beamte in mein Arschloch schauen kann. Ich muss meinen Sack und meine Arme heben. Als ob ich ein Messer unterm Sack kleben hätte. Nachdem er mit einem Kugelschreiber in meinem Mund herumgestochert hat, muss ich duschen. Das Wasser ist eiskalt. Ich zittere, gebe aber keinen Mucks von mir. Zum Waschen muss ich einen länglich runden Seifenstein benutzen. Die ganze Zeit sieht mir der Beamte dabei zu. »Wasch dich hinter den Ohren, dein neues Zuhause wartet!« Du Penner!, denk ich mir, ich würde dir am liebsten in die Fresse hauen. Ich will hier raus; ich muss hier raus! Ich bin noch keine zwei Stunden hier. Das kann ja was werden. Ich bekomme Zahnbürste, Seifenstein, Rasierer, Becher, Besteck und ein längliches Metallbrett als Tellerersatz. Ich werde »auf Station« gebracht. Ins Haus B, oberster Stock, U-Haft. Haus B ist das Haus für Langzeitstraftäter über sieben Jahre: Mörder, Bankräuber, Gewalttäter. Nur keine Vergewaltiger, die werden in einem separaten Haus untergebracht. Zum Schutz vor Misshandlungen … Alle drei Meter sperrt der Beamte dicke Stahltüren auf. Das Klimpern der Schlüssel ist ein unangenehmes Geräusch, das mich noch wahnsinnig machen wird und das ich nie mehr vergessen werde. Die anderen Gefangenen haben bereits Einschluss. Meine Zelle liegt am Ende eines langen, dunklen, grauen Gangs. In meiner Zelle stehen ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank und mein Bett, ein Betonklotz, auf dem eine dünne Matratze liegt. Mein Kopfkissen und meine Decke sind aus grobem Wollstoff. Pferdedecken, die man beim Umzug verwendet. Die Toilette befindet sich mitten im Raum, nur durch eine kleine Wand abgetrennt. Das verschissene Klo stinkt penetrant, der Uringeruch sticht mir in die Nase. Über der Tür hängt eine Halterung für ein Fernsehgerät. Wann ich den wohl bekomme? Ohne Fernsehen wird man hier doch wahnsinnig. Vor dem Fenster sind schwere Metallgitter angebracht. Der Hausarbeiter, so was Ähnliches wie ein Hausmeister, gibt mir mein Abendessen. 150 Gramm Bierschinken am Stück, Brot und Butter. Der Beamte zieht die Zellentür zu. Das Schloss rastet ein. Ich bin alleine. Alleine in einem Raum ohne irgendwelche Geräusche. Alles ist grau, keine Farben, kein Leben. Ab und zu hör ich Schreie. Ich schmiere mir ein Butterbrot und kaue meinen Bierschinken. Danach beziehe ich mein »Bett« und versuche zu schlafen, versuche zu vergessen, wo ich bin. It´s a hard knock life? Vom Klicken der Schlösser werde ich wach. Es wird immer lauter, bis schließlich meine Zelle an der Reihe ist. Der Beamte öffnet die Tür. Es muss so gegen sechs Uhr sein. »Foschter, sind Sie noch am Leben?«, reißt er mich aus dem Halbschlaf, während er mit seinem Schlüssel hektisch gegen die Metalltüre klimpert. »Hä, was, ja … schon?«, antwortete ich verschlafen. Krass, so wird man also im Knast geweckt. Kraftlos lasse ich meinen Kopf zurück auf das Kopfteil fallen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Mir wird wieder klar, wo ich mich befinde. Sekunden später bin ich panisch. Jeden Moment kann einer in meine Zelle kommen und mich abziehen oder zusammenschlagen, schießt es mir durch den Kopf. Blitzschnell bin ich angezogen. Ich habe wahnsinnige Rückenschmerzen. Mein Schädel hämmert. Ich greife nach der Gabel, die ich in meiner Hosentasche versteckt habe. Ich schleiche mich an meine Zellentüre. Vorsichtig blinzle ich auf den Gang, nicht wissend, was da auf mich zukommen wird. Ich habe eine Scheißangst. Am Ende des Ganges erkenne ich einen Schatten. Ein zwei Meter großer durchtrainierter Riese, mit Narben im Gesicht, schlendert durch die Gänge. Er kommt langsam auf mich zu und fragt leise: »Du bist also der Neue!?« Oh Gott, was will der denn jetzt? »Ja, schon«, sag ich. Ich versuche meine Angst zu verbergen. Er ist locker zwei Köpfe größer als ich. Auf seinen Hals hat er Badboy tätowiert, seine Wangen sind mit Narben übersät. Mit Kölner Dialekt fragt er: »Du bist Deutsch, habe ich recht?« Bevor ich etwas sagen kann, fügt er hinzu. „Wenn dich einer von den Kanaken anmacht, sagste mir Bescheid, klar?!“ „Äh, klar, ok. Danke!“, antworte ich schnell. Da dreht er sich um und geht. Dann ist wieder Einschluss. Der Beamte verriegelt alle Zellentüren. »So Foschter, das war dein erster Aufschluss. Hofgang ist um 9 Uhr«, brummte er. Und damit fällt auch meine dicke Stahltüre wieder ins Schloss. Der erste Schock ist überstanden. Wenn man so aussieht wie der Narbenmann, muss man im Knast keine Angst haben, denke ich mir. Mal sehen, wer hier noch so rumläuft. Beim Mittagsaufschluss von 11 bis 13 Uhr lauf ich durch die Gänge. Eigentlich alles ganz normale Menschen, die hier so einsitzen, aber die Hälfte davon kann noch nicht mal richtig Deutsch. Plötzlich steht vor mir ein Chinese, der von oben bis unten mit traditionellen chinesischen Tattoos verziert ist. Er steht da, im Unterhemd, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Und er beobachtet mich. Das reicht für heute, ich geh lieber zurück in meine Zelle. Später erfahre ich, dass der seltsame Chinese mit 15 Jahren Haft rechnen muss. Er besaß sieben Lagerhallen, in denen gewerbsmäßig Marihuana angebaut wurde. Erwischt wurde er, weil es beim Stromversorger die Hauptsicherung rausgehauen hat. Ich weiß nicht, wie viel Gras die Bullen sichergestellt haben, aber es müssen Tonnen gewesen sein. Als ich mir gerade eine Kippe drehe, klopft es an meiner Tür: »Ey, Foschter, ich bin der Meisner, dein Zellennachbar! Kann ich mir eine von dir drehen?« »Ja klar, komm rein, woher kennst du meinen Namen?«, frage ich. »Der steht unter deiner Gefangenennummer, du Spast«, antwortet Meisner. »Wegen was bist du da?«, fragt Meisner. Mein Anwalt hatte mir geraten, mit niemandem zu reden und nicht auf die Frage, weshalb ich hier bin, zu antworten. Völliger Schwachsinn. Das ist die Eintrittskarte, mit der man ins Gespräch kommt. Außerdem entscheidet sich damit gleich mal, ob du Opfer oder ob du cool sein wirst. Drogendealer sind meistens angesehene Leute im Knast. Es sei denn, du bist ein linker Zinker, dann hast du ein echtes Problem. Schweigen ist jedenfalls keine gute Idee, das macht verdächtig. »Ich wurde verraten«, beginn ich also das Gespräch. Verraten, denk ich mir, klingt, erst mal sympathisch. »Anderthalb Kilo Speed, bisschen Koks, paar Pillen, und du?“ »Alter, ich auch. Mich und meine Freundin haben sie gefickt. 200 Gramm Crystal auf Aussage. Zwei Jahre bekomme ich wahrscheinlich, und nach einem Jahr gehe ich auf Therapie. Komm mit, ich stelle dir jemanden vor.« Wir gehen in die gegenüberliegende Zelle zu Andi Waller. Der sieht aus wie einer, der wegen Steuerhinterziehung sitzt. Wie ein Finanzbeamter sieht der aus. Er ist klein, dick und trägt eine Brille mit Glasbausteinen, durch die seine Augen stark vergrößert wirkten. »Ey, was geht. Ich bin der Dome.« »Bist du wegen Meth hier?«, fragte der Finanzbeamtenverschnitt. »Nein anderthalb Kilo Speed auf Aussage.« Im gleichen Moment steht Sven, der Zweimetermann, in der Tür. »Anderthalb Kilo? Ich bin wegen zwei Kilo hier auf Aussage. Wo haste geholt?« »In Köln, besser gesagt in Brühl«, antworte ich. Der Riese lacht. »Krass man, dann haste bestimmt von einem meiner Leute geholt!« Ich beschreibe, wo ich das Zeug gekauft habe, und Sven kennt den Ort tatsächlich. Auch hat er seinen Stoff in Nürnberg verkauft. Was für ein cooler Zufall. Mit ihm an meiner Seite habe ich nichts mehr zu befürchten. Mit Meisner und Waller verbringe ich die meiste Zeit des Aufschlusses. Unsere Gespräche kreisen ständig um das Dealen und wie man das noch weiter ausbauen könnte. Keine drei Wochen später haben wir den perfekten Plan, genau wie Johnny Depp in Blow. Mit etwas Vorkenntnis kommst du in den Knast, mit einem Doktortitel kommst du wieder raus. Bevor ich es vergesse. Waller ist alles andere als ein Finanzbeamter. Er ist seit 15 Jahren im Geschäft und dealte mit 80-prozentigem Meth. Er ist ein richtig heller Kopf, der darüber hinaus auch Bomben bauen kann. Er wurde übrigens auch verraten, wie fast alle früher oder später. Rockhans, der einige Zeit später zu uns stößt, ist richtig krass. Er sieht nicht besonders aus, hatte keine dicken Muskeln oder sonst irgendetwas, aber er hat richtig fett Kohle gemacht hat. Was ich an Speed verkauft hatte, hat er an Meth vertickt. Sobald er Geld hatte, holte er 90-prozentiges Meth aus Tschechien im großen Stile. Im Bayreuther Umkreis hatte er schließlich so viele Abnehmer, dass er den ganzen Tag nur herumgefahren ist und Geld eingesammelt hat. Jeden Tag verdiente er gute 7000 Euro. Jeden Tag! Knapp drei Jahre ging das gut. Außerdem behauptet er, Verbindungen zu tschechischen Organhändlern zu haben. Dabei ist Rockhans erst 20 Jahre alt! Die Zeit im Gefängnis ist intensiv. Ich meine damit nicht nur die Gewalt und das Eingesperrtsein, die Trauer, die Angst, die Wut und die Einsamkeit. Das Zwischenmenschliche, das Zusammenleben, die Beziehungen unter den Gefangenen sind etwas besonders. Im Gefängnis triffst du dein Spiegelbild. Die Menschen hier haben die gleichen Dinge erlebt wie du! Sie kennen den Stress mit der Freundin, den Ärger mit den Eltern, den Bullen, dem Gesetz. Alle kennen das Gefühl, ganz oben gewesen zu sein, und alle kennen den plötzlichen Absturz; ganz nach unten. Und so teilen „echte Knastbrüder“ einfach alles. So langsam beginne ich mich wohlzufühlen. Ich habe meine neue Bande gefunden! Meisner, Rockhans, Waller und ich. Wir teilen unsere Einkäufe, verbringen jede »offene Minute« miteinander. Alle wissen über den anderen Bescheid. Es steht schon jetzt fest, dass wir uns draußen wieder treffen werden. Verbunden durch das gemeinsame Ziel, sich an denen zu rächen, die uns verraten und verkauft haben, um dann als nächstes richtig Gas zu geben und durchzustarten. Unser Plan mit der CMC – der Crystal-Meth-Combo ist schnell geschmiedet. Ein Wort gibt das andere, eine Vision die Nächste. Jetzt müssen wir nur noch warten, bis wir wieder rauskommen. Bis es soweit ist, spielen wir Tischtennis oder Schach. Wir machen Scherze, kochen und trainieren zusammen. Obwohl ich im Gefängnis sitze, habe ich echt Glück, dass ich auf einen so lockeren Gang gekommen bin. So schlimm ist Knast doch nicht! Zumindest während des Aufschlusses. Manchmal macht es sogar richtig Spaß, mit den Jungs abzuhängen. Schnell habe ich keine Angst mehr vor dem Knast. Alles lässt sich hier regeln. Alles!
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