Wie christlich ist Europa überhaupt noch? I n t e rview mit dem Europaabgeordneten Ingo Friedrich zum Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Ende Juni endet die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Nun sprach Thomas Greif mit Ingo Friedrich (65) aus Gunzenhausen, der seit 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CSU ist. Herr Dr. Friedrich, Europa und seine Parlamentarier stehen hierzulande vielfach im Schatten der Landes- und Bundespolitik. Dafür scheinen Sie in der Türkei umso bekannter zu sein. Friedrich: Manchmal werde ich von Urlaubern aus der Türkei nach Gesprächen mit Einheimischen angerufen. Ich habe dort wohl ein Image als eine Art „Hetzer“ gegen den EUBeitritt der Türkei. Formulieren wir es etwas ziviler: Sie sind jedenfalls gegen den Beitritt. Friedrich: Demokratie und Menschenrechte haben sich in der Tür- Ingo Friedrich Seit 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments, 1967 Examen als Diplom-Volkswirt, verheiratet mit Britta Friedrich, zwei Kinder, Partei- und Öffentliche Ämter (Auswahl): – 1968–72: Bezirksvorsitzender der Jungen Union Mittelfranken – Seit 1963: Mitglied des Bezirksvorstands der CSU Mittelfranken – Seit 1989: Mitglied des Parteivorstands der CSU – seit 1993: Landesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CSU – Seit 1993: Stellvertretender CSU-Parteivorsitzender – 1992–99: Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament – Seit 1996: Präsidiumsmitglied (Schatzmeister) der Europäischen Volkspartei (EVP), Zusammenschluss der christdemokratischen Parteien Europas – 1999-2007: Vizepräsident des Europäischen Parlaments – Seit 2007: Präsidiumsmitglied (Quästor) des Europäischen Parlaments 6 kei noch nicht wirklich durchgesetzt. Es gibt Folter, und auch die Behandlung der christlichen Kirchen ist völlig inakzeptabel. Hinzu kommt, dass sich die EU schon durch die vielen Beitritte der letzten Jahre bis aufs Äußerste überdehnt hat. Die Türkei mit 80 Millionen Menschen würde uns finanziell, kulturell und institutionell völlig überfordern. Kritiker klagen, dass Sie die Brückenfunk tion der Türkei in die islamische Welt ver kennen. Friedrich: Diese Hoffnung verkennt die wahre Sachlage. In den Augen vieler islamischer Länder ist die Ingo Friedrich, Türkei schon heute (rechts). viel zu verwestlicht, um noch als Mittler taugen zu können. Nein, man muss in allen Bereichen eng zusammenarbeiten, etwa in der Umweltpolitik, in der Verkehrspolitik oder in der Wissenschaft. Für eine Vollmitgliedschaft der Türkei mit neuen 100 EU-Abgeordneten und weiteren 500 türkischen EU-Beamten sehe ich aber derzeit keine Chance. Die EU-Institutionen könnten dann nicht mehr funktionieren. seit 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments, im Gespräch mit Thomas Greif Foto: Sauerbeck bzw. Handelsklassen, die 27 unterschiedliche nationale Regelungen ablösen. Tun sie das denn derzeit? Friedrich: Ich bin seit einiger Zeit als Quästor zuständig für die inneren A bläufe im EU-Parlament und muss schon sagen: Es grenzt an ein Wu nder, dass diese komplexe Realität überhaupt funktioniert. Das sind die Verzweigungen in die Details. Wie lautet bei alledem die zentrale Botschaft Europas an die Welt? Friedrich: Die EU ist weltweit der erste und ziemlich erfolgreiche Großversuch, soziale Verantwortung für Schwächere und effiziente Marktwirtschaft miteinander zu verbinden. Drei Ereignisse der europäischen Geschichte waren für Europa und die Welt außerordentlich segensreich: Die Christianisierung, die Reformation Martin Luthers und die friedliche Europäische Integration. Immerhin gibt es gut 20.000 europä ische Vorschriften ... Friedrich: ... und allein 120.000 deutsche! Wir sind dabei, überflüssige Gesetze aus dem Verkehr zu ziehen, aber es gibt auch Vorschriften, die zunächst bürokratisch aussehen, aber praktischen Nutzen stiften: Die Richtlinie über die Größe von Traktorsitzen zum Beispiel, Vorgaben für die Krümmung von Gurken oder für die Größe von Äpfeln sind technisch sinnvolle Normen Was kann der EAK-Chef spezifisch protestantisches nach Europa ein bringen? Friedrich: In der Europapolitik spielen konfessionelle Differenzen keine hervorgehobene Rolle. Der Evangelische Arbeitskreis ist innerhalb der CSU ja nicht nur Sprachrohr des Protestantismus, sondern auch christliches Gewissen der Partei, da es ein katholisches Pendant nicht gibt. Mein Engagement, etwa für den Gottesbezug in der Präambel der EU-Grund- rechtecharta, spiegelt vor allem eine christliche Grundhaltung wider. Wie christlich ist Europa überhaupt noch? Machen wir´s am Beispiel des Parlamentsbetriebes fest. Friedrich: Es gibt eine monatliche Runde mit etwa 40 Kollegen, die Bibeltexte interpretieren. Hinzu kommt das halbjährlich stattfindende „European Prayer Breakfast“ mit bis zu 400 Abgeordneten aus allen Parlamenten Europas. Ein schönes Symbol ist für mich, dass die vom Abriss bedrohte Auferstehungskapelle im Brüsseler Europaviertel durch ökumenischen Einsatz erhalten wurde und nun christliche Präsenz in nächster Nähe der Institutionen spürbar und sichtbar macht. Wer bekommt bei der Wahl des neu en Parteichefs Ihre Stimme – Horst Seehofer oder Erwin Huber? Friedrich: Das ist natürlich streng geheim! Wäre heute die Wahl, würde Huber wohl das Rennen machen. Wenn Horst Seehofer sein Privatleben nicht regelt, wird er keine Chance haben. Treten Sie zur EU-Wahl 2009 wieder an? Friedrich: Selbstverständlich. Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern · Nr. 26 vom 1. 7. 2007
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