I. Fachteil | Schwerpunktthema: Schiedsgerichtsbarkeit Nr. 48 | Dezember 2014 Vertreten deutsche Firmen ihre Interessen in Spanien angemessen? Der Fall der alternativen Streitbeilegungsmethoden von Rechtsanwältin/Abogada Catalina Garay y Chamizo, LL.M., Berlin und Fernando Rodriguez Prieto, Madrid* Konflikte treten in jeder Familie auf. So auch bei deutschen Muttergesellschaften mit spanischen Tochterfirmen. Zu ihrer Lösung gibt es sicherlich verschiedene Ansätze. Die Frage ist lediglich, ob der von den deutschen Firmen gewählte auch derjenige ist, der die in Rede stehenden Interessen am besten berücksichtigt. mehr ist in diesem Beispiel das deutsche Unternehmen seiner Verantwortung nachgekommen, die Tochtergesellschaft so rentabel und effizient wie möglich zu gestalten. Hierzu trägt auch die Tatsache bei, dass einige Arbeitnehmer und Führungskräfte mit ihren neuen Arbeitsbedingungen viel zufriedener sind. Ein Beispielsfall Angesichts dieser positiven Ergebnisse erscheint es überraschend, dass unsere Anekdote ein außergewöhnlicher Einzelfall ist. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle lassen die deutschen Muttergesellschaften aufgrund der Reden und Einreden der spanischen Verantwortlichen von der Einführung solcher Veränderungen ab. Oftmals sind solche Veränderungen nämlich höchst unerwünscht und seien aufgrund des unantastbaren Charakters ineffizienter Modelle und Gebräuche aus kulturellen Gründen auch unmöglich durchsetzbar. Erwähnen wir zur Beantwortung dieser Frage zunächst eine Anekdote, die sich so tatsächlich ereignete: Ein großes deutsches Unternehmen zeigte sich nach dem Kauf und der Einbindung einer spanischen Firma in ihr internationales Netz sehr verwundert über den herkömmlichen spanischen Büro-Tagesablauf. Vor allem die Verantwortlichen kamen verhältnismäßig spät ins Büro und verließen dieses noch viel später (normalerweise nach 20 Uhr). Zudem war das Büro während der Mittagspause zwei lange Stunden praktisch ausgestorben. Das deutsche Mutterunternehmen wies auf die Unannehmlichkeiten des Trennens vom europäischen Netz zu diesen Zeiten und die hohen Instandhaltungskosten hin, die durch die Öffnung des Büros über so lange Stunden verursacht wurden. Hiergegen brachten die spanischen Verantwortlichen vor, dass eine Änderung unmöglich sei. Diese Arbeitszeiten seien eine Sitte mit Wurzeln in der spanischen Wirtschaftskultur. Zudem sei es geboten, sich an die Erfordernisse der Kunden und örtlichen Zulieferer anzupassen. In Spanien zeige ein Verantwortlicher sein Interesse und sein Engagement gerade dadurch, dass er viel Zeit im Unternehmen verbringe und das Büro sehr spät verlasse. Die neuen deutschen Leiter taten bei der Führung ihrer spanischen Tochtergesellschaft nun genau das, was sie angesichts dieser Argumente zur Verteidigung und Beibehaltung eines ineffizienten Systems tun mussten. Sie schenkten ihnen keinerlei Beachtung und ordneten eine Änderung der Arbeitszeiten in allen spanischen Büros an. Nicht jedoch bei den Arbeitszeiten, sondern in einem anderen Bereich zeigt sich das fehlende Engagement deutscher Firmen hinsichtlich der Politik ihrer spanischen Tochtergesellschaften besonders extrem: bei der Gestaltung und Ausführung der Verhaltenspolitik bei internen und externen Konflikten. Außergerichtliche Streitbeilegung In den weiter entwickelten Industrieländern finden sich die wichtigen Unternehmen nicht mehr mit dem traditionellen Rechtsweg zur Lösung von Problemen ab, wenn die beschränkten Möglichkeiten der bilateralen Verhandlung ausgeschöpft sind. Sie bedienen sich außergerichtlicher Streitbeilegungsmethoden, wie der Mediation und der Schiedsgerichtsbarkeit in ihren verschiedenen Ausprägungen. Die vielen Vorteile hinsichtlich der Zeit- und Kostenersparnis und der Zufriedenheit mit den erreichten Lösungen wurden schon von vielen Firmen entdeckt. Politiken, die sich bevorzugt der Mediation und anderen Wegen des Zusammenarbeitens bedienen, gelten wegen ihrer positiven Wirkung auf den gesellschaftlichen Transformationsprozess als Teil der sozialen Unternehmensverantwortung. Die Arbeitnehmer und Führungskräfte des Unternehmens in Spanien begannen also, gegen 8 Uhr morgens ins Büro zu kommen, die Mittagspause kurz zu halten und verließen das Büro gegen 16:30 Uhr. Die Fachkräfte sahen ein, dass das systematische „Im-Büro-Zeit-verbringen“ weniger ein Zeichen von lobenswertem Einsatz und mehr ein stillschweigendes Anerkenntnis totgeschlagener Zeit ist. Viele entdeckten auch die Vorteile, ein Familienleben zu haben oder die neuen freien Stunden mit einer unendlichen Fülle an interessanten Aktivitäten verbringen zu können. Die spanische Firma spart große Kosten, die nun ihren Erlös und den ihrer Muttergesellschaft vermehren werden. Insbesondere wird die Schiedsgerichtsbarkeit zur attraktiven Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit, da Schiedsurteile ebenso bindend und vollstreckbar sind. In Deutschland befinden sich sogar in der Zivilprozessordnung (ZPO) ausführliche Regelungen hierzu, welche jedoch in ihrem Großteil von den Parteien abgedungen werden können. Insgesamt zeichnet sich die Schiedsgerichtsbarkeit durch ein hohes Maß an Individualisierbarkeit durch die Konfliktparteien aus. So können entweder bestehende ständige Schiedsgerichte als Institution angerufen werden. Ebenso möglich ist aber auch eine individuelle ad-hoc – Vereinbarung und Einsetzung. Worauf wir hier das Augenmerk legen wollen, sind nicht die unterschiedlichen kulturellen Arbeitsweisen im Einzelnen. Viel- Diese Flexibilität macht es möglich, das jeweilige Schiedsgerichtsverfahren an die streitige Situation sowie die involvierten Parteien Mitteilungsblatt DAV Internationaler Rechtsverkehr 2/14 35 I. Fachteil | Schwerpunktthema: Schiedsgerichtsbarkeit anzupassen und schafft aufgrund seines freiwilligen Charakters eine positive Verhandlungsatmosphäre. Somit entsteht ein von allen Beteiligten akzeptiertes und zufriedenstellendes Ergebnis. Doch auch rein wirtschaftliche Gründe erklären die Attraktivität der Schiedsgerichtsverfahren. Zum einen sind sie verhältnismäßig kostengünstig und bringen eine große Zeitersparnis. Zum anderen wird vor Schiedsgerichten vertraulich verhandelt. All dies führt dazu, dass Ansehen und Ruf der Unternehmen keinen oder kaum Schaden nehmen und es vielmals möglich ist, die Geschäftsbeziehungen mit Klienten und Zulieferern während und nach der Verhandlung aufrecht zu erhalten. Bei internen Konflikten bewirkt dies auch eine Steigerung der Treue und Zufriedenheit der Arbeitnehmer, da frühe und freundschaftlichere Wege gefunden werden, um Probleme zu lösen. Nach alledem verwundert es nicht, dass die Zahl der durchgeführten Schiedsverfahren in Deutschland stetig steigend ist. Genaue Bezifferungen sind aufgrund der verschiedenen institutionellen und privaten Möglichkeiten der Durchführung leider nicht möglich. Die IHK Hamburg schätzt die Zahl in Deutschland insgesamt für 2012 dennoch auf ca. 1000. Neben größeren und großen Unternehmen machen hierzulande auch immer öfter Privatpersonen insbesondere im Bereich des Gesellschaftsund Erbrechts von schiedsgerichtlichen Verfahren Gebrauch. Die hier aufgezählten Vorteile machen deutlich, dass das Problem, auf welche Art und Weise Konflikte angegangen werden (sollten), kein exklusiv für die Rechtsabteilung bestehendes ist. Es erfasst viele Unternehmensbereiche, wie die Abteilungen Marketing, Vertrieb, Finanzen aber auch Personal und Produktion. Letztendlich breitet es sich über das ganze Unternehmen hinaus aus und beeinflusst mittel- und langfristig die Wettbewerbsfähigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Firma wesentlich. Deswegen muss sich auch die oberste Führungsebene in die Gestaltung und Einführung dieser Politiken einbringen und dafür Sorge tragen, dass angemessene Anreize gesetzt werden, um die effizientesten und effektivsten Lösungen zu finden. Nr. 48 | Dezember 2014 Ineffizienz und hohen Kosten, wird weiterhin an der staatlichen Gerichtsbarkeit festgehalten. Letzterer Faktor wird aufgrund der erhöhten Gerichtskosten, welche durch die konservative Regierung Rajoys (PP, Partido Popular) eingeführt wurden, noch verstärkt. Die Anwälte selbst haben aufgrund ihrer vorgeschriebenen Vergütung auch wenig Anreiz die außergerichtlichen Streitbeilegungsmethoden anzuraten und auszuprobieren. Die oberste Führungsebene der Unternehmen tut, ob nun aus Unkenntnis oder wegen des Widerstands gegen Neuerungen in den Tochterunternehmen, ebenso nichts, um die Situation zu verbessern. Dieser Unwille ist jedoch keine Eigenheit Spaniens und anderer Länder und zeigt sich auch nicht nur punktuell. Im Grunde ist es eine dem Menschen eigene, nahezu normale Art, auf die Veränderungen und der Notwendigkeit des Erlernens neuer Fertigkeiten zu reagieren. Nicht anders war es bei den Arbeitnehmern, die vor Jahrzehnten mit der Arbeit an Computern beginnen mussten oder bei den Rauchern, denen das Rauchen am Arbeitsplatz verboten wurde. Erst später, nach einem Transitionsprozess, wenn die Ergebnisse stimmen, wird die Veränderung gebilligt und die Anpassung selbstverständlich. Wenn etwas für ein Unternehmen notwendig und gut ist, so ist es meist unnütz wider besseren Wissens auf Mitarbeit und Forderungen beteiligter Personen zu warten. Mitunter muss man sie – freilich unter Beachtung entsprechender Kommunikationsschritte – zu ihrem Glück „zwingen“. Manche Gesellschaften sind Neuerungen gegenüber offener als andere und die Rechts- und Wirtschaftskultur in Spanien lässt in dieser Hinsicht viele Wünsche offen. Angesichts unserer eingangs betrachteten Anekdote ist es umso erstaunlicher, dass die deutschen Unternehmen diesbezüglich nicht tätig werden und nicht versuchen, auf die spanischen Firmen oder ihre eigenen Tochtergesellschaften einzuwirken. Letztere und ihre deutschen Muttergesellschaften, die für die Ineffizienz und den Rentabilitätsverlust ihrer eigenen Investitionen verantwortlich sind, spüren den Schaden der fehlenden Initiative in einer immer wettbewerbsfähigeren und globalisierten Welt. Könnten sie sich nicht an dem Unternehmen, welches die Arbeitszeiten geändert hat, ein Beispiel nehmen? Hiermit ist die Notwendigkeit großer Veränderungen der Politiken zur Handhabung von Konflikten in Unternehmen in Industrieländern offensichtlich. In einer Welt der ständigen Veränderungen müssen diese immer effizienter und wettbewerbsfähiger werden. Dies bringt sie auch dazu, Neuerungen in ihre Rechtsund Wirtschaftskultur einzuführen. In einigen angelsächsischen Ländern, die in diesen Bereichen weiter fortgeschritten sind, wurde schon von der „quiet revolution“ gesprochen, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Aufgrund dieser Bewegung ist das Bestreiten des staatlichen Rechtsweges zwar noch für einige Fälle unumgänglich, aber diese sind in der Minderzahl. *Rechtsanwältin/Abogada Unbeweglichkeit Spaniens Notar, Mediator, Schiedsrichter Catalina Garay y Chamizo, LL.M. Vorsitzende des DAV Spanien Gülpen & Garay Berlin [email protected] *Fernando Rodriguez Prieto Madrid Umso deutlicher stellen sich als Kontrast die Firmen einiger Länder – und hierunter auch Spanien – aufgrund ihrer Unbeweglichkeit und ihres Widerstandes gegenüber Veränderungen heraus. Ihre Anwälte scheinen, gleich ob inhouse oder extern, die weltweiten Tendenzen zu verkennen. Trotz ihrer Langwierigkeit, 36 Mitteilungsblatt DAV Internationaler Rechtsverkehr 2/14
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