Griechenland: Versprochen, gebrochen

Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 08.02.2016
Griechenland: Versprochen, gebrochen
1. Kompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler sollen ...
1. den Status der volkswirtschaftlichen Entwicklung in Griechenland
ermitteln.
2. sich die Vereinbarungen der Europäischen Union (EU), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der griechischen Regierung hinsichtlich Hilfsleistungen erschließen.
3. den Stand der Verhandlungen bzw. Umsetzung und die diesbezüglichen Kontroversen herausarbeiten.
2. Aufgaben
1.
Ermitteln Sie den aktuellen Status der volkswirtschaftlichen Entwicklung
Griechenlands. Benennen Sie die derzeit dringendsten Probleme.
2.
Geben Sie die wesentlichen Vereinbarungen hinsichtlich der Bereitstellung
von Hilfspaketen zwischen der griechischen Regierung, der Europäischen
Union (EU) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder. Arbeiten
Sie insbesondere die von Griechenland zu erfüllenden Auflagen heraus.
3.
Erschließen Sie sich den Stand der in diesem Zusammenhang eingeleiteten
Reformvorhaben. Erläutern Sie die derzeit auftretenden Konflikte.
4.
Erörtern Sie die Interdependenz der Handlungen der unterschiedlichen Akteure. Verdeutlichen Sie insbesondere, inwieweit die griechischen auch gesamteuropäische Probleme darstellen.
5.
Analysieren Sie, inwiefern sich die Rahmenbedingungen der Verhandlungen
und die Verhandlungsposition der griechischen Regierung seit dem letzten
Jahr verändert haben. Setzen Sie sich mit den Gründen auseinander.
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Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 08.02.2016
Griechenland: Versprochen, gebrochen
Déjà-vu: Griechenlands Premier versichert, er werde alle Reformzusagen erfüllen.
Tatsächlich gerät Athen massiv in Verzug. Tsipras kann es sich leisten, denn die EU
hat andere Sorgen.
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Die Stimmung war so düster wie der Himmel: Der Nordwind blies dunkle Wolken
über die Akropolis, als die Vertreter der Geldgeber am Freitagabend die Gespräche
mit dem griechischen Finanzminister Euklid Tsakalotos beendeten und ihre Koffer
packten. Zerknirscht, ratlos, resigniert. Eine Woche lang hatten die Kontrolleure,
früher Troika genannt, Athens Reformen inspiziert. Und doch waren weiterhin fast
alle Fragen offen. […] Die Liste der unerfüllten Versprechen ist lang. Bei zwei
Dritteln der Aufgaben tut sich bisher nichts. Nur 15 Prozent der Maßnahmen, die
Athen umsetzen soll, sind abgeschlossen oder machen Fortschritte. So hat es der
griechische Industrieverband festgestellt. […] Eigentlich sollte der erste Prüfbericht
schon im Oktober den Euro-Finanzministern vorgelegt werden. Nun passiert es
frühestens Ende März, möglicherweise aber auch erst im Sommer. Im Juli muss Athen
größere Kredite bedienen. Das dürfte den Einigungsdruck erhöhen. Ohne Überprüfung
gibt es keine neuen Milliarden.
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Versprochen, gebrochen - das Muster ist nach sechs Jahren Griechenland-Krise
bekannt. Neu ist, dass auch der Rest Europas es nicht sonderlich eilig hat mit den
Griechen. Sonst waren es vor allem Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister
Wolfgang Schäuble (beide CDU), die Druck machten. Doch wegen der
Flüchtlingskrise hat Berlin derzeit größere Sorgen. Zumal man Athen für eine Lösung
braucht. Deshalb ist es Merkel gar nicht so unrecht, wenn sich die
Programmüberprüfung verzögert. Nur ungern würde man beide Probleme vermischen
und so womöglich die eigene Verhandlungsposition schwächen. So ist es denn auch
kein Problem mehr, dass es bislang keinen Termin für die Rückkehr der Kontrolleure
gibt. Im Gespräch sind ein paar Wochen. Finanzminister Tsakalotos sagt nur: „Ich
weiß es nicht.“ Die vergessene Krise: Sie schwelt weiter.
Wenn sich die europäischen Staats- und Regierungschefs Mitte Februar in Brüssel
treffen, geht es mal wieder um Griechenland. Allerdings nicht um die finanzielle Lage
des Landes, die bisher die Tagesordnung auf den EU-Gipfeln bestimmte. Tatsächlich
geht es dieses Mal vor allem um die Flüchtlingskrise. Seit Jahresbeginn kamen mehr
als 68 000 Menschen auf den griechischen Inseln an. Am Freitag war Innenminister
Thomas de Maizière nach Athen gereist und forderte von der Regierung schnellere
Abschiebungen. […]
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Tsipras ist mit seinen Reformen weit im Rückstand. Das gilt insbesondere für die von
den Geldgebern zwingend geforderte Rentenreform. Mit dem bisherigen Entwurf ist
man unzufrieden. Insbesondere mit der darin enthaltenen starken Erhöhung der
Rentenbeiträge. Ein solcher Kostenschub für die Unternehmen belaste die
wirtschaftliche Entwicklung zu stark.
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Tsipras Vorschlag hat drei Elemente: Das erste ist die Verlängerung der für einen
Rentenanspruch notwendigen Mindestbeitragszeit. Sie beträgt in Griechenland derzeit
nur 15 Jahre - nach Einschätzung der Troika aus EU-Kommission, Europäischer
Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) viel zu wenig.
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Das zweite Element ist die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Auch das
missfällt allen drei Kontrolleuren.
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Einen Dissens indes gibt es in der Troika um Punkt drei: Der IWF verlangt nominale
Rentenkürzungen. EZB und EU-Kommission halten diese nicht für zwingend
erforderlich. Der Grund für die Strenge des IWF: Das kostspielige Rentensystem ist
eine der Hauptursachen der griechischen Schuldenkrise. Griechenland gibt mehr als
16 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Renten aus - doppelt so viel wie im
europäischen Durchschnitt. Allein in den vergangenen 16 Jahren wurden die
Rentenkassen mit 214 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt bezuschusst, das
entspricht nahezu 120 Prozent des aktuellen BIP. Zwar heißt es in Brüssel: „Das ist
ein Streit zwischen dem IWF und der griechischen Regierung.“ Doch für Premier
Tsipras sind die Renten eine „rote Linie“. Im Verlauf der Krise wurden sie bereits um
ein Viertel eingedampft. Weitere Einschnitte könnten den Premier das Amt kosten: Er
verfügt nur über eine hauchdünne Mehrheit von 153 der 300 Mandate. Fällt die
Rentenreform durch, bedeutet das wahrscheinlich den Sturz der Regierung.
Deshalb scheint die EU bereit, der Athener Regierung an diesem Punkt
entgegenzukommen. Das wiederum beunruhigt den IWF. In Washington hat man
ohnehin die Befürchtung, die Flüchtlingskrise könne dazu führen, dass die Europäer
nachsichtiger mit Athen umgehen. In Berlin versichert man, den Währungsfonds zu
unterstützen. Seine Zustimmung sei für den Abschluss der ersten Überprüfung des
Hilfsprogramms zwingend erforderlich. „Der IWF hat mehrfach gesagt, wenn
Rentenreform und Fiskalziele nicht stimmen, macht er nicht mit“, heißt es in der
Regierung. Um den IWF an Bord zu halten, ist die Bundesregierung deshalb bereit,
den Griechen ihren Wunsch nach Schuldenerleichterungen zu erfüllen. Die fordert
auch der IWF. Eine Zusage wird es aber erst nach Abschluss der ersten
Programmüberprüfung geben. Danach soll über beides im Bundestag abgestimmt
werden. Anschließend, so der Plan, wäre die Troika-Teilnahme des IWF für vier
weitere Jahre sicher. Außerdem, so die Hoffnung im Kanzleramt, wäre dann auch die
Unionsfraktion mit den Hilfen einverstanden.
Quelle: Berschens, R./Hildebrand, J./Höhler, G., Handelsblatt, Nr. 026, 08.02.2016, 1
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