Schuld und Schulden - Ruhr

Süddeutsche Zeitung
THEMEN DES TAGES
Donnerstag, 19. März 2015
Bayern, Deutschland, München Seite 2
AUSSENANSICHT
K
napp 70 Jahre nach Kriegsende
irritieren die vehement vorgetragenen Reparationsforderungen aus
Athen. Griechische Medien lancierten Zahlen von bis zu 330 Milliarden Euro, was
ziemlich genau den eigenen Staatsschulden entspricht. Die Ankündigung, man
werde auch vor der Pfändung deutscher
Immobilien nicht zurückschrecken, erinnern an das Jahr 2001, als die Zwangsversteigerung des Goethe-Instituts in Athen
drohte. Diese scheiterte damals nur am
griechischen Justizminister – sein heutiger Nachfolger zeigt sich hier offener. Die
Reaktionen in Deutschland sind entsprechend heftig. Viele Kommentare lehnen
die griechischen Forderungen kategorisch
ab und verweisen auf völkerrechtliche Abkommen, die Überwindung der Reparationen durch den Prozess der europäischen
Integration und den Zeitablauf. Dagegen
heißt es vereinzelt auch auf deutscher Seite, dass Schuld nicht verjährbar ist. Recht,
Politik und Moral gehen in dieser Debatte
wild durcheinander. Worum aber geht es
bei diesen Forderungen konkret?
Bereits auf der Pariser Reparationskonferenz 1946 hatte Griechenland 7,2 Milliarden Dollar für Kriegs- und Besatzungsschäden gefordert. Dem standen deutsche
Lieferungen von Gütern und Anlagen im
Wert von lediglich etwa 25 Millionen Dollar gegenüber. Das Missverhältnis zwischen der reduzierten Wirtschaftssubstanz des besiegten Deutschland und der
Schuld und Schulden
Vergessene und verdrängte Fakten zur Frage deutscher
Reparationen für Griechenland. Von Constantin Goschler
immensen Höhe der Gesamtforderungen
aller ehemaligen Kriegsgegner erzwang
eine niedrige Konkursquote. Zudem besaß
die Westintegration der Bundesrepublik
schon bald Vorrang vor Reparationen. Hierher gehört auch das Londoner Schuldenabkommen von 1953, das kommerzielle Vorund Nachkriegsschulden gegenüber Reparationsforderungen privilegierte. Letztere
wurden in London bis zum nie erwarteten
Abschluss eines Friedensvertrags zurückgestellt.
Der erzwungene Entschädigungsverzicht für ihre Staatsbürger provozierte Ende der Fünfzigerjahre einen erfolgreichen
diplomatischen Vorstoß zwölf westlicher
Länder, darunter auch Griechenland.
Durch ein Globalabkommen mit Deutschland erhielt Athen seit 1960 insgesamt
115 Millionen Mark. Bonn hatte durchgesetzt, dass diese Globalabkommen explizit
zur Entschädigung individueller NS-Opfer
und nicht für Kriegsreparationen eingesetzt würden. Damit sollte verhindert werden, dass der Geist der Reparationsfrage
wieder aus der Flasche gelassen wurde.
Deshalb sticht auch die Behauptung nicht,
wonach dieses Globalabkommen griechische Reparationsforderungen erledigt habe. Dies gilt insbesondere für die Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark zur
Finanzierung von Besatzungskosten, die
das Deutsche Reich der griechischen Nationalbank 1942 auferlegte. Damals wurde angekündigt, die Anleihe nach Ende des Krieges zurückzuzahlen, was nie geschah.
Das Märchen vom freundlichen
Landser und den
levantinischen Händlern
Mit der Wiedervereinigung lebte auch
die Reparationsfrage wieder auf. Seither
ist umstritten, inwieweit der mit dem Londoner Schuldenabkommen verbundene
Reparationsaufschub durch das Zwei-PlusVier-Abkommen von 1990 hinfällig wurde.
Und auch darüber, ob Griechenland, das
selbst kein Vertragspartner war, gewissermaßen stillschweigend den nachfolgenden Reparationsverzicht akzeptiert hat
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
oder nicht, streiten Völkerrechtler und Politiker bis heute. Im Gegensatz zur deutschen bestritt die griechische Regierung
diesen Schluss und versuchte nach der Wiedervereinigung vergeblich, die Reparationsfrage auf den Tisch zu bringen.
Diese diplomatische Abfuhr löste allerdings eine neue Entwicklung aus: 1995
reichten Nachfahren der 1944 in Distomo
von deutschen SS-Truppen ermordeten Zivilisten zivilrechtliche Klagen ein, und
zwar parallel in Griechenland und in
Deutschland. Die Kläger siegten zwar über
mehrere Instanzen vor griechischen Gerichten, jedoch stoppte das griechische Justizministerium die Richter. Damit wurde
die Staatenimmunität bestätigt: Staaten
können nicht von Individuen fremder Staaten verklagt werden. Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag bekräftigte
2012 diesen völkerrechtlichen Grundsatz
und wies alle in Griechenland und Italien
anhängigen Zivilklagen ausländischer NSOpfer gegen die Bundesrepublik endgültig
zurück. In seinem Urteilskommentar formulierte der japanische Präsident des
Internationalen Gerichtshofs, Hisashi Owada, zugleich Bedauern und Erstaunen über
die ausgebliebene Entschädigung und
empfahl politische Verhandlungen.
Der Weg zur Lösung dieser Frage führt
also nicht über das Recht, sondern über die
Politik. Mit den neuesten griechischen Reparationsforderungen wird die aus Krieg
und Besatzung resultierende moralische
Schuld Deutschlands zum Vehikel des griechischen Kampfes gegen die eigenen
Schulden. Doch jenseits solcher populistisch eingefärbter Interessen betrifft dies
eine grundsätzliche Dimension der europäischen Integration, die ursprünglich
nicht zuletzt auf dem Bemühen basierte,
die alten Feindschaften des Zweiten Weltkriegs zu überwinden. Mit den jüngsten Reparationsforderungen konterkariert die
griechische Regierung auch einen traditionellen deutschen Diskurs: Seit der frühen
Nachkriegszeit findet sich in der deutschen Auseinandersetzung mit griechischen Reparationsforderungen immer wieder das Stereotyp von den verschlagenen
levantinischen Händlern, die lange Zeit
mit blutrünstigen balkanischen Partisanen kombiniert wurden, welche friedliche
Landser, die im besetzten Griechenland
eigentlich nur Urlaub unter Ölbäumen gesucht hätten, heimtückisch aus dem Hinterhalt attackierten. Dem steht auf eigener
Seite oft ein Selbstbild des ehrbaren Kaufmanns gegenüber.
Gerne wird dabei vergessen, dass die
gesunde Geschäftsbilanz, auf die man hierzulande gerne verweist, vor dem Hintergrund eines gewaltigen Konkurses zu vorteilhaften Bedingungen steht. Anstelle gelegentlicher Anklänge von Arroganz angesichts der eigenen Prosperität wäre hier
mehr Sensibilität angemessen: Der deutsche Wiederaufstieg nach dem Zweiten
Weltkrieg hatte viel mit der Großzügigkeit
der ehemaligen Gegner zu tun, die im Gegenzug damit rechnen konnten, von der
ökonomischen Stärke der Bundesrepublik
zu profitieren. Umgekehrt sollte aber die
Reparationsfrage auch nicht für kurzfristige politische Positionsgewinne instrumentalisiert werden, zumal sich das Problem
angesichts der Vielzahl der betroffenen
Länder nur im europäischen Gesamtkontext behandeln lässt. Die Grundlagen des
Gabentausches, auf dem die europäische
Integration und der Friede nach 1945 beruhten, müssen also dringend neu diskutiert werden.
Constantin Goschler, 54,
ist seit 2006 Professor
für Zeitgeschichte an der
Ruhr-Universität Bochum
und beschäftigt sich seit
vielen Jahren mit der
Geschichte von Wiedergutmachung und Diktaturfolgenbewältigung.
FOTO: PRIVAT
A59676869
nhaberland