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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Niklas Frank: Dunkle Seele, Feiges Maul
Wie skandalös und komisch sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen
Dietz Verlag, Bonn
584 Seiten
29,90 Euro
Rezension von Stefan Berkholz
Donnerstag, 23. Februar 2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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In seinem letzten Buch stritten Niklas Frank und sein „Bruder Norman“ über ihren Vater,
den „Judenschlächter von Krakau“, den ewigen Gefolgsmann Hitlers und
Generalgouverneur im besetzten Polen in den Jahren 1939 bis 1945. Ein Zitat des
Bruders wurde zum Titel des Zwiegesprächs: „Mein Vater war ein Naziverbrecher, aber ich
liebe ihn“. Denn Bruder Norman konnte, im Gegensatz zu Niklas Frank, nie den geistigen
Bruch mit dem Vater vollziehen und verdrängte die Geschichte bis zuletzt. Nun hat Niklas
Frank ein Buch über die Entnazifizierung vorgelegt, der Titel: „Dunkle Seele, Feiges Maul.
Wie skandalös und komisch sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen“. Stefan
Berkholz empfiehlt das Buch allen Lesern, die es sich und ihrer Geschichte nicht leicht
machen wollen.
Um dieses Buch zu verstehen, sollte man die
Lebensgeschichte des Verfassers kennen. Niklas Frank ist
der jüngste Sohn des „Schlächters von Polen“, der im
Oktober 1946 in Nürnberg hingerichtet wurde. Da war Niklas
Frank sieben Jahre alt. Sein Leben lang tobt der mittlerweile
77-Jährige gegen den Fluch einer schicksalhaften Geburt
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und die Scham über die deutschen Verbrechen. Er ringt mit
einem Trauma. Spätestens seit der Abrechnung mit seinem
Vater vor dreißig Jahren in einem eigenen Buch nimmt
Niklas Frank kein Blatt vor den Mund, schreibt und spricht
Klartext, verwünscht die Verdrängungskünste der
Deutschen, macht seine Wut und sein Entsetzen über die
mörderischen zwölf Jahre unter Hitler (und die Lügen und
das Schweigen danach) öffentlich. Damit setzt er sich selbst
Angriffen aus. Aber er kennt kein Erbarmen, weder mit sich
noch mit den Angeklagten. So auch in seinem neuen Buch:
„Dunkle Seele, Feiges Maul. Wie skandalös und komisch
sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen“. Es ist
ein rein zufälliger Querschnitt durch die Persilscheine und
Lügengebäude aus den Jahren 1946 bis 1952. Millionen von
Akten zur Entnazifizierung verstauben in den Archiven einige prominente Namen hat Niklas Frank herausgefischt:
Lina Heydrich, Oskar von Hindenburg, Emmy Göring,
Annelies von Ribbentrop, Winifred Wagner. Viel wichtiger
aber ist Frank das alltägliche, das ganz gewöhnliche
deutsche Gemüt. Dabei wird sein Furor zum einen von der
eigenen Geschichte getragen, zum anderen von der Furcht,
wir lebten in einer Schönwetterdemokratie, machten uns alle
etwas vor und verleugneten den braunen Schoß, der noch
fruchtbar ist. Niklas Frank bekennt sich aber auch zu seinem
Patriotismus. „Ich liebe Deutschland“, schreibt er, „aber ich
misstraue den Deutschen.“ Am Beispiel von Gustav
Heinemann fragt er: „Warum nur haben in unserem Land
selbst so helle Köpfe wie Gustav Heinemann dunkle
Flecken?“ Denn der spätere Bundespräsident diente unter
Hitler unter anderem dem NS-Rechtswahrerbund, der
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nationalsozialistischen Berufsorganisation der Juristen. Und
heute? Wie da der Bürgermeister einer Nordseeinsel auf die
entsetzliche Geschichte vor achtzig Jahren reagiert, das ist
entlarvend und empörend, das ist getragen von einem
Bürokratengeist, der nichts anderes gelten lässt außer
Stempelkissen, Aktenzeichen, Amtssprache. Empathie?
Zweifel? Einsicht? Fehlanzeige. Gegen diese Ignoranz und
Borniertheit von Entscheidungsträgern wütet Niklas Frank ein
ums andere Mal und macht auch diesen Briefwechsel
öffentlich. Aber er selbst, Niklas und seine fabelhafte Familie,
tauchen in diesem Buch auch immer wieder auf und werden
nachträglich zur Strecke gebracht. Wie gut es ihnen doch
damals ging, erinnert sich Niklas Frank, „grad pfundig war
mein Leben“, schreibt er sarkastisch; im Hause Frank wurde
geprasst, es gab ordentliche Gelage – aber das Personal
wurde kurz gehalten und musste hungern; seine Mutter
Brigitte nennt er „des Teufels Nutznießerin“, „ein
Schweineweib“; an ein Weihnachtsfest in Oberbayern
erinnert er sich, wie der Vater ans Telefon eilte und „eitel,
brutal und ohne jeden himmlischen Frieden sagen konnte:
‘Aber mit den Hinrichtungen warten Sie noch, bis ich wieder
in Krakau bin.‘“ Und die Subalternen der amtlichen
Mörderseele warteten im besetzten Land folgsam, damit dem
Generalgouverneur sein Vergnügen nicht genommen werde.
Niklas Frank fällt den Klägern ins Wort, er verlacht sie, lobt
sie, tadelt sie, stellt ihnen ein Zeugnis aus. Und im nächsten
Augenblick beschimpft er die Täter und Lügner, nennt sie
einen Hundsfott, verhöhnt ihre Feigheit, verlacht ihre Lügen.
Wer Niklas Franks mittlerweile drei Bücher über seine
Familie gelesen hat, den wird auch dieses Buch
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interessieren, weil er ahnt, was ihn erwartet, nämlich
radikale, gallige, polemische Aufklärung. Andere,
unvorbereitete Leser, die allein neugierig auf das Thema
Entnazifizierung sind, werden ihre Mühe haben und sich
einlesen müssen. Nicht nur einmal muss man um drei Ecken
lesen und denken, um den Gedanken und Spitzfindigkeiten
des Verfassers folgen zu können. Wer sich davor nicht
scheut, erfährt hier sicher mehr als in anderen Büchern.
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