SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK David Foster Wallace: Der Große Rote Sohn Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach Kiepenheuer & Witsch 112 Seiten 7,99 Euro Rezension von Julia Schröder Donnerstag, 16. Februar 2017 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Als David Foster Wallace sich 2008 das Leben nahm, galt er als Erneuerer USamerikanischer Erzählkunst und einer der prägnantesten Autoren seines Landes. Seither hat sein deutscher Verlag Kiepenheuer & Witsch einige Erzählungsbände und Wallace’ unvollendeten Großroman “Der bleiche König” posthum herausgebracht. Vergleichsweise schmalbrüstig wirkt die jüngste Veröffentlichung aus Wallace’ Nachlass: “Der Große Rote Sohn”, im Original 1998 im Auftrag der Film-Zeitschrift “Premiere” geschrieben, umfasst kaum 100 Seiten. Aber die haben es in sich und lohnen noch heute die Lektüre. Julia Schröder sagt, warum. Das Repräsentantenhaus des US-Bundesstaates Utah verabschiedete im März 2016 eine Resolution: Pornografie führe – so wörtlich – zu “einem breiten Spektrum an individuellen und öffentlichen Gesundheitsschäden und Schäden für die Gesellschaft”. Ob David Foster Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Wallace diese Ansicht teilte, als er sich 1998 anschickte, in Las Vegas während der Pornomesse rund um die Verleihung der Adult Video News Awards zu recherchieren, ist unbekannt. Die Schlüsse, die er nach der gründlichen Inaugenscheinnahme dieser Oscars der Pornofilmindustrie zog, sind allerdings eindeutig: Das Pornobusiness führt zu einem breiten Spektrum an Abgeschmacktheiten und Schäden am menschlichen Anstand. Das ist es, was der Leser aus Wallace’ Text “Big Red Son” mitnimmt, der unter dem Titel “Der Große Rote Sohn” jetzt erstmals auf Deutsch erschienen ist. David Foster Wallace, der ebenso geniale wie depressive Vollender der USamerikanischen Postmoderne, schrieb bis zu seinem Suizid im Jahr 2008 nicht nur unbegreiflich raffiniert erzählte Storys und Riesen-Romane wie “Unendlicher Spaß”, sondern auch eine Vielzahl von Texten zwischen literarischer Reportage und Essay. Vor Grauen erregenden Schauplätzen zeigte er dabei ebenso wenig Scheu wie vor herausfordernden Sichtweisen. An Bord eines Luxuskreuzfahrtschiffs etwa erinnerte ihn die durchorganisierte Verwaltung ausgerechnet an Auschwitz; das jährliche große Hummerfressen im Ostküstenstaat Maine schilderte er als fröhliches Gemetzel - bis der Leser nicht mehr umhin konnte, sich grundlegenden moralischen Fragen menschlicher Mitgeschöpflichkeit zu stellen. Seine Verehrer ließen sich all das gern bieten - mit gutem Grund: Wallace’ Erlebnisaufsätze sind stilistisch brillant, originell im Denken und sehr oft unglaublich komisch. In diese Kategorie gehört auch “Der Große Rote Sohn”. Er erschien 1998, also vor fast zwanzig Jahren. Wobei selbst hartgesottene Fans zugeben müssen, dass zwei Jahrzehnte eine lange Zeit sind für den Medien- und damit auch den Pornobetrieb. Und ebenso für die Sorte elaborierten Gonzo-Journalismus, die Wallace hier vorführt. Klar, allein die fiebrige Atmosphäre auf der Pornomesse, diesem Jahrmarkt schrägster Begierden, schnellstverdienten Geldes und schmutzigster Sexualpraktiken lohnt die Lektüre der knapp 100 Seiten. Wallace entzückt verlässlich mit Sätzen wie “Den Lärmpegel (...) beschreibt man am besten so: Stellen Sie sich vor, der Weltuntergang kommt in Form einer Cocktailparty.” Aber metafiktionale Spielereien wie eine Fülle von Fußnoten oder die Tatsache, dass der Erzähler sich konsequent als “Ihre Autoren” Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT bezeichnet, wirken, 2017 gelesen, ein wenig angestaubt. Daran ändert auch nichts, dass der Übersetzer Ulrich Blumenbach einigen Aufwand treibt, um Ton und Jargon des Originals zu treffen. Die Adult Video News Awards gibt es bis heute. Aber dem professionell gemachten Pornofilm ist durch die Amateure auf den einschlägigen Gratis-Plattformen im Internet eine fatale Konkurrenz erwachsen. Wo der Berichterstatter 1998 an jeder Ecke über hochhackige Starlets in atemraubenden Vinyl-Minis stolpert, die sich auf den Schößen Zigarre rauchender Produzenten räkeln und alles zeigen, was sie unter den Vinyl-Minis haben, wird heute bei den Awards die Kategorie “Best Live Chat Website” ausgezeichnet. Wallace dokumentiert das Treiben rund um Leute wie den ruchlosen “Max Hardcore” und die von Fan-Rudeln angeschmachtete ”Jasmin St. Claire” mit einer Mischung aus Faszination und Fassungslosigkeit. Ob die Flamboyance jener Epoche die Digitalisierung der Unterhaltungsindustrie unbeschadet überstanden hat, entzieht sich der Kenntnis der Rezensentin. Seinen Titel jedenfalls trägt der Text zu Recht: Mit seiner geschmacklosen Eitelkeit, seiner zelebrierten Menschenverachtung sei das Pornobusiness, so Wallace’ These, der “Große Rote Sohn des Mainstreams”. Der “pornografische Extremismus” zeichne nur die Entwicklungskurve von Hollywoods allgemeiner Entertainment-Industrie nach, auch Fernsehen und “saubere” Filme seien schließlich immer “gewalttätiger, unverhüllter und brutaler” geworden, schreibt er. Diese Erkenntnis war schon 1998 nicht ganz neu. Aber selten hat jemand den niederschmetternden Befund so unterhaltsam zur Sprache gebracht. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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