SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Karen Krüger: Eine Reise durch das islamische Deutschland
Rowohlt Verlag Berlin
348 Seiten
19,95 Euro
Rezension von Brigitte Neumann
Donnerstag, 05. Januar 2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Man konnte ahnen, dass dem Buch einige Aufmerksamkeit zuteil würde, allein wegen des
Titels „Eine Reise durch das islamische Deutschland“. Aber dass es in den Tagen vor
seinem Erscheinen dann förmlich eskortiert würde von Gewaltakten mit islamistischem
Hintergrund, das wirkte schon ein wenig bitter – Nizza, dann der erste vom IS reklamierte
vollendete Terrorakt in Deutschland: ein 17 –jähriger Junge aus Afghanistan, der mit einer
Axt auf Zugreisende losgeht, jetzt der Selbstmordanschlag eines Syrers in Ansbach.
Radikale scheinen das Heft des Handelns in die Hand genommen zu haben und sich
gegenseitig hochzuschaukeln – jeder islamistisch begründete Terrorakt bringt den
Rechtspopulisten neue Sympathisanten. Ob daran ein eher moderates Buch wie das der
Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Karen Krüger „Eine Reise
durch das islamische Deutschland“ etwas ändern kann?
Die Idee hinter dem Buch ist schon nach den ersten Seiten spürbar und so schlicht wie
gut, Muslime in Deutschland als Individuen zu zeigen, sie herauszulösen aus dem Block
der Gläubigen, denn eine knappe Mehrheit der Deutschen, so eine im Buch zitierte Studie
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der Bertelsmannstiftung, können Islam und Islamismus nicht mehr so recht
auseinanderhalten.
Also portraitiert Karen Krüger 20 deutsche Muslime, die etwas zu sagen haben, aber in
keiner Talkshow auftauchen und auch nicht in der Zeitung stehen: zum Beispiel einen
Bestattungsunternehmer, mehrere Imame, darunter auch eine der wenigen Frauen in
diesem Amt, eine Ex-Salafistin, eine Feministin, einen Banker, einen Psychotherapeuten,
einen Modeschöpfer, Taxifahrer, Teestubenbesitzer, eine praktizierenden Muslima, die
schon lange mit einem praktizierenden Christen verheiratet ist - allesamt Menschen, die
sich freuten, dass endlich jemand kam und sie fragte. Ihr Buch will den – wie sie sie nennt
- Urdeutschen die Angst vor diesem Kontakt in die Nachbarschaft nehmen.
Karen Krüger, Feuilletonredakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung,
hegt eine grundsätzliche Sympathie für religiöse Menschen. Sie ist praktizierende Christin.
Einen Teil ihrer Jugend hat die heute 41-Jährige in der Türkei verbracht. Sie spricht
Türkisch. Die Verbindungen ins Land sind – seit 2008 auch aus beruflichen Gründen – nie
abgerissen.
Unter den Portraitierten ist Fidan aus Berlin, von der die Autorin zu ihrer Überraschung
eingeladen wird, am Ende der 12-tägigen Fastenzeit im Gebetshaus und mit der Familie
zu feiern. Die Mittdreißigerin arbeitet als Referentin eines Abgeordneten. Fidan ist Alevitin,
eine von 700 000 in Deutschland. Krüger erklärt, dass viele Aleviten sich nicht so recht als
Muslime sehen. Denn bei ihnen sind Frauen unverhüllt, sie zeigen ihre Religiosität wenig
nach außen, sondern verstehen sie eher als eine Philosophie, ihre Zeremonien sind,
anders als bei den Muslimen, von Musik und Tanz dominiert.
Am Tag des Fastenbrechens wird in der Türkei gewählt – wir schreiben November 2015.
Karen Krüger isst die traditionelle süße Asure-Suppe der Aleviten und schaut mit der
Familie Fernsehen. Erdogan wird die Wahl gewinnen.
Karen Krüger lässt ihre Protagonisten zu Wort kommen und erklärt Zusammenhänge,
Hintergründe, Ursachen. Sie liefert Fakten: Etwa vier Millionen Muslime leben in
Deutschland, die meisten haben türkische Wurzeln, ihre Großeltern waren Gastarbeiter,
angeworben im bäuerlich strukturierten Anatolien. Unter Atatürk galten sie als rückständig.
Das änderte sich erst, als Erdogan mit seiner AKP 2003 an die Regierung kam. Er gab
den sogenannten Schwarztürken Selbstbewusstsein, denn er ist einer von ihnen. Bis
heute sind sie seine Anhänger. Auch die in Deutschland. Karen Krüger besucht einen
türkischen Groß-Gastronom in Köln, der als großer Erdogan-Anhänger gilt, was sich aber
nach einem Gespräch als Teil seiner äußerst erfolgreichen Geschäftsstrategie
herausstellt.
Allgemein ist Krüger weder gut auf Erdogan zu sprechen noch auf die DITIB, den von der
türkischen Religionsbehörde gesteuerten Dachverband aller türkischen
Moscheegemeinden in Deutschland. Krüger hat beobachtet, dass die DITIB alles
daransetzt, die Deutschtürken, auch die in Deutschland geborenen, an die Türkei zu
binden. Und das sei doch sehr integrationshemmend. Sie erzählt von Moscheebesuchen,
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von Gesprächen mit Imamen, und auch von der Enttäuschung vieler Türkischstämmiger,
die gerne Deutsche wären, sich aber von der Mehrheitsgesellschaft immer wieder auf ihre
Herkunft, auf ihre Religion verwiesen fühlen.
Karen Krüger zeigt, wie viele Facetten das Thema Islam in Deutschland hat. So viele
nämlich wie es Menschen und deren Geschichten gibt. Ihr Stil ist nie grell, nie forciert, nie
laut, sondern moderat und trotzdem nicht fad. Sie arbeitet dezidiert nicht mit dem Mittel
der Zuspitzung. Zuspitzer gibt es derzeit wahrlich genug. Ihre Haltung ist konstruktiv, sie
will, dass es gut ausgeht.
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