SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Edward Brooke-Hitching: Enzyklopädie der vergessenen Sportarten Aus dem Englischen von Matthias Müller Liebeskind Verlag 200 Seiten 29 Euro Rezension von Andreas Puff-Trojan Donnerstag, 29. Dezember 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Ohne Zweifel: Wir alle sind vom Sport umringt. Sei es aktiv als einsamer Jogger oder als teamfähiger Handballspieler, sei es gemütlich vor dem Fernseher während eines FußballCoups. Und weil so viele Sportarten unser Leben begleiten, können wir uns kaum vorstellen, dass es sportliche Aktivitäten gab, die sich einst großer Beliebtheit erfreuten, aber heute in Vergessenheit geraten sind. Der britische Autor Edward Brooke-Hitching hat akribisch Archive durchforscht, um diesen verborgenen Schatz körperlicher Ertüchtigung zu heben. Andreas Puff-Trojan hat das Buch gelesen. Wie kam der Autor bloß auf den exzentrischen Gedanken, eine „Enzyklopädie der vergessenen Sportarten“ zu verfassen? In einem alten Buch gab es einen Kupferstich, auf dem deutsche Männer des 18. Jahrhunderts zu sehen waren, wie sie auf sportliche Weise Füchse in die Luft warfen. Das machte den Autor nachdenklich und neugierig zugleich. Nach Brooke-Hitching lassen sich die vergessenen Sportarten mit drei Merkmalen kategorisieren. Das erste betrifft Sport und „Grausamkeit“. Fast immer hat dabei das arme Tier das Nachsehen. Beliebt waren „Bärenhatz“, „Löwenhatz“, sogar Menschen traten gegen Kampfhunde an. Es gibt allerdings vergessene Sportarten, bei denen sich der Mensch selbst großer „Gefahr“ aussetzte – das ist das zweite Merkmal. Und genau deswegen sollte diesen Aktivitäten kein langes Leben beschieden sein. „Polo“ ist ein hochherrschaftlicher Sport britischer Herkunft. Die Technik affinen Amerikaner erfanden dazu das „Autopolo“. Mit hoher Geschwindigkeit und einem Holzschläger bewaffnet jagte man dem Ball nach. Doch Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT diese motorisierte Variante des Polospiels glich eher einem Stockcar-Rennen. Oft ignorierten die Fahrer den Ball und rammten viel lieber zuerst das gegnerische Gefährt. Dass es beim „Autopolo“ zu schweren Verletzungen und sogar zu Todesfällen kam, ist leicht vorstellbar. Golf gilt vielen als ein gemächliches Wandern mit Schläger und Ball, bei dem man Geschäfte abschließt. Amerikanischen Piloten war das zu langweilig. So kreierten sie 1928 „Luftgolf“. Per Flugzeug musste der Ball so nahe wie möglich am Boden abgeworfen werden, um diesen dann perfekt ins Loch zu platzieren. Auch beim „Luftgolf“ konnte der Schaden groß sein: Wer sich in seinem Flieger zu nahe an die Erdoberfläche wagte, der drohte an einer Unebenheit oder an einem Baum, zu zerschellen. Ungefährlichere Varianten waren „Nachtgolf“ und „Pfeil-und-Bogen-Golf“. Doch auch diese Sportarten gerieten alsbald in Vergessenheit. Es gibt allerdings auch sportliche Aktivitäten, die aufgrund ihrer „Lächerlichkeit“ in der Versenkung verschwanden. Diese Art unfreiwilliger Komik ist das dritte Merkmal, mit dem Brooke-Hitching die vergessenen Sportarten unterteilt. „Baseball mit Kanone“ gehört dazu: Bei der Wucht des Abschlages nahm der Schlagmann – verständlicherweise! – einfach Reißaus vor dem Ball. Beim „Eis-Tennis“ wiederum neigte der Ball dazu wegzurutschen. Ausrutscher mit körperlichen Blessuren waren bei den Spielern sowieso eine einzukalkulierende Sache. Man mag über solch sportliche Aktivitäten lächeln, doch Edward Brooke-Hitching zeigt auf, dass selbst die Verantwortlichen der Olympischen Spiele vor eigenartigen, ja, sogar lächerlichen Sportarten nicht zurückschreckten. Bei den Spielen in Frankreich im Jahr 1900 gab es etwa als Disziplin „Taubenschießen“ auf echte Tiere! Das 200-MeterHindernissschwimmen war eine Kuriosität. Denn die Teilnehmer mussten sich über eine Stange wuchten, dann über eine Reihe von Booten, zuletzt unter einer Bootsformation hindurch tauchen. 1908 war „Fahradpolo“ eine eingetragene Disziplin. Und 1992 wurde „Roller Hockey“, also Hockey auf Inlineskates, vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell anerkannt. Das „Ski-Ballett“ ließ sich allerdings nie als olympische Disziplin durchsetzen. Dabei ähnelt dieser anmutige Sport stark dem Eiskunstlauf: Zu Musik und auf sanft abfallenden Hängen werden Sprünge, Drehungen und Überschläge vollführt. Doch es gibt einen Grund, weswegen das „Ski-Ballett“ den gestrengen Hütern Olympischer Disziplinen missfiel: Es war zu spektakulär: Viele Teilnehmer betraten die Hänge mit Stirnbändern und Schulterpads, in Matador-Kostümen, mit Pailletten, Puffärmeln und Glitzerhandschuhen. Und wem es nicht gelang, damit die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu ziehen, der versuchte es mit Rauchbomben, Lichteffekten und Konfettiregen. Man sieht: Auch heute sind den sportlichen Phantasien keine Grenzen gesetzt. Edward Brooke-Hitchings „Enzyklopädie der vergessenen Sportarten“ ist amüsant zu lesen und kurzweilig geschrieben, und sie sagt viel aus über den sportlichen Artenreichtum vergangener Epochen – und auch über den „schieren Wahnsinn unserer Vorfahren“, wie Edward Brooke-Hitching folgerichtig anmerkt. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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