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Edward Brooke-Hitching: Enzyklopädie der vergessenen Sportarten
Aus dem Englischen von Matthias Müller
Liebeskind Verlag
200 Seiten
29 Euro
Rezension von Andreas Puff-Trojan
Donnerstag, 29. Dezember 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Ohne Zweifel: Wir alle sind vom Sport umringt. Sei es aktiv als einsamer Jogger oder als
teamfähiger Handballspieler, sei es gemütlich vor dem Fernseher während eines FußballCoups. Und weil so viele Sportarten unser Leben begleiten, können wir uns kaum
vorstellen, dass es sportliche Aktivitäten gab, die sich einst großer Beliebtheit erfreuten,
aber heute in Vergessenheit geraten sind. Der britische Autor Edward Brooke-Hitching hat
akribisch Archive durchforscht, um diesen verborgenen Schatz körperlicher Ertüchtigung
zu heben. Andreas Puff-Trojan hat das Buch gelesen.
Wie kam der Autor bloß auf den exzentrischen Gedanken, eine „Enzyklopädie der
vergessenen Sportarten“ zu verfassen? In einem alten Buch gab es einen Kupferstich, auf
dem deutsche Männer des 18. Jahrhunderts zu sehen waren, wie sie auf sportliche Weise
Füchse in die Luft warfen. Das machte den Autor nachdenklich und neugierig zugleich.
Nach Brooke-Hitching lassen sich die vergessenen Sportarten mit drei Merkmalen
kategorisieren. Das erste betrifft Sport und „Grausamkeit“. Fast immer hat dabei das arme
Tier das Nachsehen. Beliebt waren „Bärenhatz“, „Löwenhatz“, sogar Menschen traten
gegen Kampfhunde an.
Es gibt allerdings vergessene Sportarten, bei denen sich der Mensch selbst großer
„Gefahr“ aussetzte – das ist das zweite Merkmal. Und genau deswegen sollte diesen
Aktivitäten kein langes Leben beschieden sein. „Polo“ ist ein hochherrschaftlicher Sport
britischer Herkunft. Die Technik affinen Amerikaner erfanden dazu das „Autopolo“. Mit
hoher Geschwindigkeit und einem Holzschläger bewaffnet jagte man dem Ball nach. Doch
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diese motorisierte Variante des Polospiels glich eher einem Stockcar-Rennen. Oft
ignorierten die Fahrer den Ball und rammten viel lieber zuerst das gegnerische Gefährt.
Dass es beim „Autopolo“ zu schweren Verletzungen und sogar zu Todesfällen kam, ist
leicht vorstellbar. Golf gilt vielen als ein gemächliches Wandern mit Schläger und Ball, bei
dem man Geschäfte abschließt. Amerikanischen Piloten war das zu langweilig. So
kreierten sie 1928 „Luftgolf“. Per Flugzeug musste der Ball so nahe wie möglich am Boden
abgeworfen werden, um diesen dann perfekt ins Loch zu platzieren. Auch beim „Luftgolf“
konnte der Schaden groß sein: Wer sich in seinem Flieger zu nahe an die Erdoberfläche
wagte, der drohte an einer Unebenheit oder an einem Baum, zu zerschellen.
Ungefährlichere Varianten waren „Nachtgolf“ und „Pfeil-und-Bogen-Golf“. Doch auch diese
Sportarten gerieten alsbald in Vergessenheit.
Es gibt allerdings auch sportliche Aktivitäten, die aufgrund ihrer „Lächerlichkeit“ in der
Versenkung verschwanden. Diese Art unfreiwilliger Komik ist das dritte Merkmal, mit dem
Brooke-Hitching die vergessenen Sportarten unterteilt. „Baseball mit Kanone“ gehört dazu:
Bei der Wucht des Abschlages nahm der Schlagmann – verständlicherweise! – einfach
Reißaus vor dem Ball. Beim „Eis-Tennis“ wiederum neigte der Ball dazu wegzurutschen.
Ausrutscher mit körperlichen Blessuren waren bei den Spielern sowieso eine
einzukalkulierende Sache.
Man mag über solch sportliche Aktivitäten lächeln, doch Edward Brooke-Hitching zeigt auf,
dass selbst die Verantwortlichen der Olympischen Spiele vor eigenartigen, ja, sogar
lächerlichen Sportarten nicht zurückschreckten. Bei den Spielen in Frankreich im Jahr
1900 gab es etwa als Disziplin „Taubenschießen“ auf echte Tiere! Das 200-MeterHindernissschwimmen war eine Kuriosität. Denn die Teilnehmer mussten sich über eine
Stange wuchten, dann über eine Reihe von Booten, zuletzt unter einer Bootsformation
hindurch tauchen. 1908 war „Fahradpolo“ eine eingetragene Disziplin. Und 1992 wurde
„Roller Hockey“, also Hockey auf Inlineskates, vom Internationalen Olympischen Komitee
offiziell anerkannt. Das „Ski-Ballett“ ließ sich allerdings nie als olympische Disziplin
durchsetzen. Dabei ähnelt dieser anmutige Sport stark dem Eiskunstlauf: Zu Musik und
auf sanft abfallenden Hängen werden Sprünge, Drehungen und Überschläge vollführt.
Doch es gibt einen Grund, weswegen das „Ski-Ballett“ den gestrengen Hütern
Olympischer Disziplinen missfiel: Es war zu spektakulär: Viele Teilnehmer betraten die
Hänge mit Stirnbändern und Schulterpads, in Matador-Kostümen, mit Pailletten,
Puffärmeln und Glitzerhandschuhen. Und wem es nicht gelang, damit die Aufmerksamkeit
der Menge auf sich zu ziehen, der versuchte es mit Rauchbomben, Lichteffekten und
Konfettiregen.
Man sieht: Auch heute sind den sportlichen Phantasien keine Grenzen gesetzt. Edward
Brooke-Hitchings „Enzyklopädie der vergessenen Sportarten“ ist amüsant zu lesen und
kurzweilig geschrieben, und sie sagt viel aus über den sportlichen Artenreichtum
vergangener Epochen – und auch über den „schieren Wahnsinn unserer Vorfahren“, wie
Edward Brooke-Hitching folgerichtig anmerkt.
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