SWR2 MANUSKRIPT

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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Martin Sabrow: Erich Honecker
Das Leben davor
Verlag C.H.Beck
27,95 Euro
Rezension von Rudolf Walther
Donnerstag, 15.12.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Martin Sabrow beschäftigt sich in seiner Studie mit den ersten 33 Jahren im Leben eines
Politikers, dem in der DDR eine parteioffizielle Biografie zugeordnete wurde. Die
Beurteilung Erich Honeckers schwankte beträchtlich zwischen Held, Verräter und
Betrüger. Der 1912 im Saarland Geborene war für die DDR ein Widerstandskämpfer und
makelloser Kommunist.
Wie allen kommunistischen Politikern verpasste die Kaderabteilung der SED auch Erich
Honecker die Biografie eines Kämpfers, der immer richtig, d.h. auf der Parteilinie, lag.
Doch blieben in seinem Lebenslauf auch immer dunkle Stellen offen, was noch 2011die
Boulevardpresse zu der Behauptung verleitete: „Honecker wollte für Hitler in den Krieg
ziehen.“ Sabrow geht den dunklen Stellen nach und zeigt Honeckers Kampf um seine
Biografie – jenseits und in Konkurrenz zu parteikonformen Vorgaben. Seine erste Ehe
etwa strich Honecker selbst aus seiner Biografie. Über Gründe und Motive kann man
allenfalls spekulieren.
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Martin Sabrow arbeitet sich mit Akkuratesse durch winzigste Details der schriftlichen und
mündlichen Quellen des „Falles Honecker“. Keine noch so kleine Aussage, für die Sabrow
nicht in einer seiner 1557 Fußnoten einen Beleg anführte. Das ist historiographische Arbeit
auf höchstem Niveau – zumindest was die Transparenz betrifft.
Honeckers Weg vom Dachdeckerlehrling, über ein Praktikum in der Landwirtschaft zum
Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes sowie dessen Lehrgang an der
Parteihochschule in Moskau zum Berufsrevolutionär zeichnet Sabrow anhand von
unbekannten Quellen ebenso akribisch nach wie die Herkunft der Familie „Honegger“ aus
der Schweiz.
Erich Honecker trat als 16-jähriger 1928 dem kommunistischen Jugendverband bei und
wurde hauptberuflich Sekretär, der nach 1933 in der Illegalität lebte. 1935 wurde er wegen
„Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Er tauchte ein in das, was Sabrow
„kommunistische Sinnwelt“ oder „Denkwelt“ nennt. Mit diesen etwas unscharfen Begriffen
charakterisiert Sabrow das Dilemma kommunistischer Biografien. Sie müssen individuelle
Erfahrungen und Präferenzen ihres Führungspersonals koordinieren mit der ehernen
Gewissheit und „geschlossenen Sinnwelt“ der Partei, die buchstäblich „immer Recht hat“
und sich gegenüber Veränderungen immunisiert, um ihren Avantgarde-Anspruch zu
behaupten. Das geht nicht ohne Verbiegungen und Verdrehungen ab.
Aber im Falle Honeckers hat die von der Partei verordnete Anpassung der Biografie
Honeckers an die Parteilinie mehrfach nicht funktioniert. Für die Aufklärung der „dunklen
Kapitel“ (FAZ) im Leben Honeckers sorgte Honecker selbst in seiner Autobiografe von
1980. Seine Selbstbeschreibung etwa bei seiner Abweichung von der Parteilinie in der
Frage der Saar-Abstimmung von 1935 oder seine Befürwortung der Kooperation mit der
SPD – gegen die unsägliche offizielle „Sozialfaschismus“-Strategie der KPD – sind nicht
zu widerlegen.
Bei allen Verdiensten von Sabrows Ermittlungen in sprichwörtlich alle Richtungen - so
fragt er etwa auch nach Details wie: „Hat Honecker nach zehn Jahren im Zuchthaus einem
frierenden Genossen einen, seinen oder gar keinen Mantel gegeben?“ – bleibt die Frage
virulent, was derlei Erwägungen zur historischen Aufklärung beitragen. Gelegentlich stellt
sich der Eindruck ein, solche Vernehmungen „des Täters“ dienten vor allem dem
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hypothetischen Räsonnement über dessen moralische und politische Integrität als
Widerstandskämpfer. Zweifel, die Sabrow am Ende seines Buches jedoch klar
zurückweist. Aber damit erklärt er auch sein langwieriges Abwägen von Hypothesen,
Spekulationen, psychologischen Ferndiagnosen faktisch als Protokoll einer vergeblichen
Spurensuche oder Stochern im Nebel, denn sein Fazit lautet: „Erich Honeckers
Lebensentwurf blieb einer Menschheitsidee verpflichtet, der er bis zum Schluss die Treue
hielt“.
Vielleicht ist die Quellengattung Stasi-Akten nicht geeignet für die Rekonstruktion
historischer Verhältnisse, weil diese Quellen vor allem Konstrukte der Jagd einer
paranoiden Behörde auf vorab kriminalisierte Gesinnungen dokumentieren – im
Unterschied zu sachhaltigen Dokumenten. So wird der Leser auf Schritt und Tritt mit
Sabrows Befunden ratlos gemacht, wonach sich Honeckers Leben „wahrscheinlich so“,
„vielleicht aber“ ganz anders oder „jedenfalls nicht so“ abgespielt habe, wie es die von der
Partei verwaltete Biografie Honeckers suggeriert. Bei allem Respekt vor Sabrows
Detailarbeit – hier wäre weniger oft mehr gewesen.
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