SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Heinrich Steinfest: Das Leben und Sterben der Flugzeuge Piper Verlag 608 Seiten 25 Euro Rezension von Pascal Fischer Freitag, 04. November 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Heinrich Steinfest ist im Literaturbetrieb eine feste Größe, so seltsam und schwierig einzuordnen seine Romane auch sind: Krimis, so wie die Reihe um den Kommissar Markus Cheng? Science Fiction? Phantastik, Horror, Slapstick, Comedy, wie viele folgende Einzelromane? Mehrere Preise und Nominierungen hat der 1961 geborene Autor eingeheimst. Topmanager werden Bademeister, Pornodarsteller wechseln in Strickwarenläden, grüne Rollos mit Ferngläsern sind Tore zu Parallelwelten, das ist der Kosmos von Heinrich Steinfest, der mit dem neuesten Roman, „Das Leben und Sterben der Flugzeuge“, noch fantastischer wird. Heinrich Steinfest ist vom bloß skurrilen Krimiautor endgültig zum Phantastik-Kreativkopf geworden. Im neuen Roman „Das Leben und Sterben der Flugzeuge“ ist die Welt nur Traum, allerdings gleich doppelt. Denn bei Steinfest existieren Parallelwelten, die verbunden sind durch Figurenpaare, die das Leben des jeweils Anderen in der Gegenwelt träumen, wenn sie selber schlafen. In der einen, recht konventionellen Wach-Welt, treffen wir Kommissar Blind, 56 Jahre alt, Womanizer, doch Single. Kaum schläft er ein, erlebt er sich als Spatz namens Quimp, in einer Welt Nummer zwei, wo Spatzen denken und sprechen. Quimp wiederum träumt sich nachts als Kommissar Blind. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Als sei das nicht genug, passiert nun in beiden Welten allerhand Skurriles: Blind ermittelt zu einem Forscher, der sich mit seiner Geliebten mit dem Auto angeblich absichtlich totgefahren hat. Aber wie hat er den Wagen bedient, wenn er doch nur ein Bein hatte? Bald führen die Spuren zu geheimen Aktivisten, die nachts das Mobiliar der sozialdemokratischen und christdemokratischen Parteizentralen austauschen. Oder Kreuze in katholischen und evangelischen Kirchen vertauschen. In Quimps viel fantastischerer Welt droht derweil ein finaler Spatzenkrieg, mit Vogelkampfanzügen und allerlei Wunderwaffen. Zu Anfang steht diese Geschichten ziemlich verwirrend nebeneinander, bis endlich klar wird: Die Welten hängen zusammen. Bald tauchen Gegner auf, die Blind alias Quimp in beiden Welten verfolgen. Manchmal können diese übernatürlich verbundenen Figurendoppel ihre Welten sogar tauschen und beamen sich hinüber. Faszinierenderweise wirkt das nicht ästhetisch beliebig, sondern glaubhaft. Steinfest betont die Würde und Wichtigkeit jeder Realität. Keine seiner beiden Welten ist die ursprünglichere. Konstruktion und Doppelplot fordern dem Leser so Einiges an Konzentration ab, geht es doch in den zwei Welten durch mehr oder weniger Original-Städte wie Wien, Belfast, Paris und Oslo, überall gibt es lauernde Killer, verführerische Frauen, spannende Pokerpartien, unterirdische Geheimlabore, Entführungen, Schießereien und Geheimgänge. Sogar Erotik, auch zwischen Spatzen. Es klingt, als träfe James Bond hier stilistisch auf Robert Musil in einem Feuerwerk der Möglichkeiten. Da wundern an anderer Stelle Steinfests Holzhammer-Anspielungen auf James Joyce oder Thomas Bernhard. Das wäre nicht nötig gewesen. Überhaupt geht es mit Steinfest manchmal etwas zu sehr durch. Schlicht jede Figur hat einen höchst eigenartigen Zug. Eine Witwe, die Kommissar Blind befragt, hat eine verstümmelte Hand. Deren Geschichte, ein Reitunfall, natürlich ausufernd erzählt werden muss. Dann wieder muss der Zufall Risse in der Handlung kitten. Vielleicht erklärt sich das aus Steinfests tastendem Schreibprozess, der zu Anfang das Ende noch nicht kennt und im letzten Fünftel des Romans die Kreise etwas langatmig schließt. Quimps und Blinds Sprache rettet da die Leselust, insbesondere durch neuartige, verspielte Vergleiche: Ein Golfrasen hat ein krankes Grün, ein „Grün mit Migräne“. Dem erschreckten Kommissar „vergletschert“ die Brust. Liebevolle bis freche Weisheiten und Apercus streuen Blind und Quimp gerne spontan ein: Rechtfertigungen für Terrorismus gäbe es wohl irgendwann bei Amazon zu bestellen. Oder: Die Liebe zwischen einem alten und einem jungen Menschen sei die einzig durchführbare Form der Zeitreise. Aber schade, dass Steinfest sein Talent nicht nutzt, um aus dem Oberthema Traum-Realität oder auch Pluralität noch fokussierter Weisheiten zu gewinnen. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Dafür steht symbolhaft ein Flugzeugwrack im Buch, das auftaucht, bevor die Maschine abgestürzt ist. Obschon titelgebend, ist es für die Spannung nebensächlich und dem Leser ist schnell klar, dass da ein Effekt von Zeitverschiebung und Parallelwelt am Werke war. Mit einem Twist, der zugleich Steinfests Liebeserklärung an die Welt darstellt: Nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Dinge können träumen – und sich so in andere Welten versetzen. Eine phänomenologische Meditation im Geiste Terry Pratchetts. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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