SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Byung-Chul Han: Die Austreibung des Anderen Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016 112 Seiten 20 Euro Rezension von Philip Kovce Donnerstag, 27. Oktober 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Wenn es darum geht, wie wir uns selbst und unsere Gegenwart verstehen können, dann ist der Philosoph Byung-Chul Han ein gefragter Zeitgenosse. Er legt regelmäßig Bücher vor, welche die globalisierte Welt, die digitale Gesellschaft und die individuelle Existenz reflektieren. Sein jüngstes Werk handelt von der Austreibung des anderen – vom Verlust des Gegenübers in unserer selbstbezogenen Zeit. Philip Kovce hat es gelesen. Wer behaupten wollte, dass wir uns in der heutigen Gesellschaft alle gleichen, der sähe sich vor große Probleme gestellt. Lebensentwürfe, Berufswege, Partnerschaften – nie war so Vieles so verschieden wie dieser Tage. Jeder unterscheidet sich inzwischen von seinen Nachbarn, seinen Verwandten, seinen Freunden. Wir leben nicht mehr in der gleichen Welt. Wir leben in einer Welt, die in Verschiedenheiten zerfällt. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Der Philosoph Byung-Chul Han, der an der Universität der Künste in Berlin lehrt, bestreitet die Unterschiedlichkeit der Welt nicht. Allerdings entdeckt er in der Art und Weise, wie wir uns von anderen unterscheiden, eine ewige Wiederkunft des Gleichen. Von der Austreibung des anderen handelt Hans jüngster zeitdiagnostischer Verdichtungsversuch – davon, dass wir zwar als Ware mit anderen konkurrieren, uns aber als Wesen nicht mehr von anderen differenzieren. Wir gleichen uns dadurch, dass wir uns warenförmig unterscheiden. Die Phänomene, die laut Han dieser Wesensgleichschaltung und also der Austreibung des anderen zugrunde liegen, könnten alltäglicher nicht sein: Es geht um Selfies und Smartphones, Flüchtlinge und Facebook, Burn-Out und Depression, um Filme Lars von Triers und Skulpturen von Jeff Koons, aber auch um Terrorismus und Selbstmordattentäter – es geht darum, wie wir uns selbst und andere inszenieren und eliminieren. Bei aller Empörung, die in Hans kurzen, klaren Sätzen mitschwingt, bei aller Anklage, die er erhebt, ist sein Urteil dennoch gerechtfertigt – denn stimmt es etwa nicht, dass Smartphones nicht nur Nützlichkeitsversprechen, sondern auch Arbeitslager sind? Dass sich selbst auflauernde Selfie-Paparazzi Ich und Du dort suchen, wo weder Ich noch Du zu finden sind? Dass verzweifelte Selbstmordattentäter die konsequentesten Interpreten der Aufmerksamkeitsökonomie sind? Der Ton, den Han anschlägt, vereinfacht nicht, er verdichtet. Er bringt außerdem Obertöne hervor, die das Verständnis öffnen und weiten. Entsprechend ist Hans Kritik nicht bloß Gesellschaftskritik, sondern stets auch Selbstkritik – des Autors und der Leser. Wer unversehrt durch das Buch blättern will, der darf sich nicht gemeint fühlen. Gemeint darf sich bei Han allerdings jeder fühlen, auch dann, wenn dieser vom Neoliberalismus redet: Denn der Neoliberalismus ist bei Han weniger ein gut ausgeheckter Plan irgendwelcher böser Kapitalisten als ein trojanisches Pferd, das wir nicht nur selbst gezimmert haben, sondern sogar bewohnen. Im Bauch des trojanischen Pferdes lauert Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT unser unternehmerisches Selbst der eigenen Biografie auf – und lässt nur noch gelten, was Geld bringt. Dass diese Zeitdiagnose nicht nur ein empörter und anklagender, sondern ein atmender Gedankengang ist, liegt schließlich daran, dass neben den Terror des Gleichen und die Gewalt des Globalen Betrachtungen etwa über die Schwelle, den Blick, die Stimme und das Zuhören treten, welche die Austreibung des anderen nicht bloß zusammenfassen, sondern rückabzuwickeln helfen. Wenn Han vom Zuhören spricht, das dem Sprechen vorausgeht, ja Voraussetzung für die Sprache des anderen ist, wenn er im Blick das Sehen und Gesehen-Werden des Menschen offenlegt oder der Schwelle im Unterschied zu Grenze und Grenzenlosigkeit, Abstand und Abstandslosigkeit eine Nähe und Ferne bescheinigt, die erst Lebendigkeit verbürgen, dann ist man längst dabei, der Austreibung des anderen entgegenzuwirken. Was ist das Neue an Hans Buch? Dass wir auf andere angewiesen sind, ist nichts Neues. Doch dass der andere weit mehr ist als bloß eine bestimme Variable meiner Bedürfnisformel, dass ich wesentlich durch andere und dank anderer existiere, dass ich mich selbst nicht im eigenen Spiegel, sondern angesichts des anderen erkenne, diese ewig-aktuelle Einsicht ringt Han der selbstbezogenen Gegenwart ab, indem er den anderen als Geheimnis und Wahrheit, Freund und Feind, Himmel und Hölle beschreibt. Han stimmt uns auf ein Schwellenleben angesichts des anderen ein, den auszutreiben nichts anderes als ein Akt der Selbstzerstörung ist. Wer sich mit Byung-Chul Han dem anderen wieder annähern will, der tut dies, indem er Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute liest. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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