SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Jože Pirjevec: Tito. Die Biografie
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof
Kunstmann Verlag
720 Seiten
39,95 Euro
Rezension von Andreas Puff-Trojan
Donnerstag, 29.09.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten
Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung
bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
dreißig Jahre damit verbracht, um dem Phänomen Tito in all seinen Facetten auf die Spur
zu kommen. In seiner Heimat Slowenien wurde Pirjevec über 700 Seiten starke TitoBiographie zum Bestseller. Bei uns ist das Buch im Kunstmann Verlag erschienen.
Andreas Puff-Trojan hat es gelesen.
Wie viele Diktatoren des 20. Jahrhunderts kam Josip Broz aus ärmlichen Verhältnissen,
sein Vater war kroatischer Kleinbauer, seine Mutter stammte aus Slowenien. Der gelernte
Schlosser und spätere Staatspräsident Jugoslawiens erlebte die russische
Oktoberrevolution mit, kämpfte in der Roten Armee und schloss sich 1920 der
Kommunistischen Partei Jugoslawiens an. Im Zweiten Weltkrieg machte er mit seinen
Partisanen-Truppen der deutschen Wehrmacht das Leben zur Hölle. Zuvor schon hatte er
im Untergrund den Code-Namen „Tito“ angenommen. Anders aber als die meisten
Diktatoren wirkte er nicht hölzern steif wie Stalin und gebärdete sich nicht als enthemmter
Volkstribun wie Hitler oder Mussolini. Sehr schnell erlernte er, wie man sich auf dem
politischen Parkett geschmeidig zu bewegen hat. Selbst gekrönte Häupter, etwa die
Queen, waren von Titos Auftreten angetan.
Um Tito ranken sich eine Menge Anekdoten: Das betrifft seine Vorliebe für Frauen,
Luxuslimousinen und Diamantringe ebenso wie seine Schlagfertigkeit und seine
Trinkfestigkeit. Ohne Zweifel, wenn es je einen Dandy der proletarischen Revolution
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
gegeben hat, dann war es Josip Broz Tito. Der Historiker Jože Pirjevec ist schlau genug,
diese Histörchen seinem Lesepublikum nicht zu verschweigen. Denn sein geschichtliches
opus magnum bietet sehr viele Fakten und Zahlen auf, ist daher an Genauigkeit kaum zu
überbieten. Doch Fakten sind eine trockene Angelegenheit, die Anekdoten rund um Tito
wirken da wie ein kühles Glas Champagner. Aber man muss auch eines sagen: In
Pirjevecs Biographie sind selbst die harten zeitgeschichtlichen Dokumente durch einen
erzählerischen Faden verbunden. Daran hat sich auch Klaus Detlef Olof in seiner
Übersetzung aus dem Slowenischen gehalten. Langweilig ist diese Sache also auf keinen
Fall. Sicher auch deswegen, weil zwar die Figur Titos im Zentrum steht, es aber letztlich
um die Weltpolitik der 1950er bis 1980er Jahre geht. Und da herrschte bekanntlich der
Kalte Krieg zwischen Ost und West.
Tito war ein Meister des politischen Lavierens. Er wusste genau um die militärisch
strategisch wichtige Lage seines Landes. Und so verstand er es, den Westen wie den
Osten an sich zu binden. Getreide, Kredite und Waffen nahm er von beiden Seiten. Beim
Prager Frühling im Jahr 1968, der durch die Armee des Warschauer Paktes blutig
niedergeschlagen wurde, kritisierte Tito das Vorgehens Moskaus weitaus schärfer als so
mancher westliche Politiker. Das heißt aber auch eines, wie Pirjevec genau zeigt: Tito
führte die westlichen Staaten keineswegs an der Nase herum, wie gerne behauptet wird,
sondern er benötigte sie als Partner, um gegen Moskau stark genug auftreten zu können.
Titos Wahlspruch, dass er in Jugoslawien einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“
realisieren wolle, ist allerdings nur bedingt wahr. Titos Vielvölkerstaat war auch ein
Polizeistaat, der Staatspräsident konnte sich auf seine Armee verlassen und setzte sie,
etwa gegen Studentenrevolten, ein. Viele seiner politischen Gegner haben eines
gemeinsam: Sie kamen bei einem Autounfall ums Leben. Tito hat Arbeitslager für
politische Oppositionelle errichten lassen, das größte auf der kroatischen Adria-Insel Goli
otok. Dort herrschte Willkür, Rechtlosigkeit und Gewalt. Rund 15 000 Menschen sollen
diese Hölle durchgemacht haben, wie viele davon umkamen, sagt Pirjevec leider nicht.
Ebenso behandelt er die von Tito 1945 angeordnete Vernichtung von Tausenden
Kriegsgefangenen, in der Hauptsache kroatische Ustascha-Kämpfer und
Wehrmachtssoldaten, nur am Rande. Das ist schade. Auch wenn genaue Zahlen fehlen,
so hätte Pirjevec sicher noch mehr im historischen Sumpfgebiet bohren können, um die
diktatorische Fratze Titos näher zu beleuchten.
Josip Broz Tito war kein Hitler und er war auch kein Stalin, und er ging sicherlich nicht so
brutal gegen seine eigenen Landsleute vor wie der rumänische Despot Nikolai Ceaușescu.
Und doch hatte Titos Herrschaft diktatorische Züge, die sich in dem letzten Jahrzehnt
seines Wirkens noch verstärkten. Mit dieser Haltung versuchte sich Tito vor den
nationalistischen Tendenzen der Serben und der Kroaten zu schützen. Letztlich hielt nur
seine staatsmännische Figur Jugoslawien zusammen. Tito wusste es: Nach seinem Tod
würde der Vielvölkerstaat sich in nichts auflösen – und damit seine Vorstellung eines
liberalen Kommunismus.
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.