SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Johannes Fried: Dies Irae Eine Geschichte des Weltuntergangs C.H. Beck Verlag 352 Seiten 29.95 Euro Rezension von Angela Gutzeit Freitag, 23.09.2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Als er 2006 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa erhielt, wurde der Mittelalter-Forscher Johannes Fried als einer der originellsten Historiker deutscher Zunge gewürdigt. In der Tat betrachtet Fried die Geschichte in seinen Büchern oft aus ungewöhnlicher Perspektive. Seit rund 15 Jahren beschäftigt er sich zum Beispiel mit dem im Westen verbreiteten Endzeitdenken. 2001 legte der mittlerweile emeritierte Professor an der der Universität Frankfurt die Studie „Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter vor. Nun hat er sie in seinem neuen Buch „Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs“ erweitert und bis in die Gegenwart geführt.- Angela Gutzeit stellt das Buch vor. Apokalyptische Visionen haben den Hautgout des Spinnerhaften. Der rationale, religionsskeptische Mensch im westlichen Lebensraum schreibt sie gern den Sekten zu. Und es mutete ja in der Tat lächerlich an, als beispielsweise Augenzeugen in den Rauchwolken der einstürzenden Zwillingstürme des World Trade Centers die satanische Fratze des Anti-Christ zu erkennen glaubten, eine apokalyptische Chiffre, die nicht nur dem Sünden-Babel USA, sondern der gesamten Welt den Untergang ankündigen würde. Der prophezeite Untergang blieb auch diesmal aus. Doch hinter Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT dieser Schreckensbekundung lässt sich offenbar mehr erkennen als die alberne Verspanntheit einiger Endzeitprediger. Nach den Worten des Mittelalter-Historikers Johannes Fried ist sie unserer christlichen Kultur zutiefst eingeschrieben und bricht sich immer wieder aufs Neue Bahn. In seinem Buch „Dies irae“ ist Fried den Spuren eines jahrtausendealten Prozesses nachgegangen - von der biblischen Prophetie bis zur heutigen Kosmologie. Von der Verkündigung alter Schriften bis zu Kunst, Musik, Literatur, Philosophie der Neuzeit und der Moderne. Berücksichtigt wird das Filmschaffen des 20. Jahrhunderts wie auch das satanische Endzeitgebrüll in Heavy- und Death-Metal unserer Tage. Wer Frieds reiche, über viele Jahre erarbeitete Studie gelesen hat, sieht tatsächlich die Zeichen der Angst vor dem Untergang, wie auch die Lust, sich diesen Phantasien hinzugeben, überall. Denken wir nur an Lars von Triers todes- und untergangsüchtigen Spielfilm „Melancholia“. Sich nackt im Mondschein räkelnd, erwartet eine seiner Film-Figuren den Aufschlag des heranrasenden Planeten. Was hat dieses Denken hervorgebracht, befördert und am Leben gehalten? Auf 350 Seiten geht Fried dieser Frage nach – mit wissenschaftlicher Akribie und dabei anschaulich geschrieben. Wobei dem Mittelalter-Forscher die vier Kapitel über die geschichtstheologischen Grundlagen apokalyptischen Denkens und sein Fortwirken über das Zeitalter der Aufklärung hinaus besser gelingen als seine Diagnose unserer Gegenwart. Die zentrale These in Frieds Buch lautet: Nur das Christentum und damit die gesamte christliche Kultur kündet von einer linear ablaufenden Heilsgeschichte, die in eine endgültige Vernichtung der materiellen Welt mündet. Erlösung wird Rechtschaffenden und Gottesgläubigen nur im Jenseits gewährt. Kein Neuanfang auf Erden – nirgends eine zweite Chance für die Welt - wie in anderen zyklisch angelegten Religionen üblich. Auch der Islam kenne keine alles zerstörende Vernichtung. Im Prophetenbuch Zefanias des Alten Testaments erklang sie erstmals, die Sorge vor jenem Tag des göttlichen Zorns. „Dies irae, dies illa“, ein Vers, der von der Vernichtung der Gottlosen, nicht aber vom Untergang der Erde kündete. In den rätselhaften Bildern der Apokalypse des Johannes im Neuen Testament aber wurde die Prophezeiung ins Endzeitliche alles Irdischen gewendet. Die Drohung des nahenden Endes, das immer weiter und zunehmend ohne zeitliche Festlegung in die Zukunft verschoben wurde, entfaltete eine ungeheure Dynamik des Glaubens und Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT des Missionierens. Andererseits beförderte sie auch die Auseinandersetzung mit dem scheinbar Unabwendbaren und begünstigte damit Forschung und Wissenschaft. Die Apokalypse des Christentums als Globalisierungseffekt, so Fried, sei nur noch vergleichbar mit der Ausbreitung des Homo Sapiens über die Erde. Ein durchaus zwiespältiger Prozess. Recht unscharf wird Johannes Fried dann aber eben leider am Ende seines Buches, wenn er eine zunehmend kritiklose Untergangsstimmung in der westlichen Welt zu erkennen meint, „ohne die Ursprungsvision der Erlösung, des erstrebten Aufstiegs zum Licht“, wie er schreibt. Statt die von ihm beschriebenen Verfallserscheinungen unserer Zeit wie „Machtsteigerung“, „Gewaltbereitschaft“, „Desillusionierung“, „Gewinn- und Spaßmaximierung“ sowie die heutigen Erscheinungsformen endzeitlichen Denkens zu analysieren, klagt er und ruft nach einer zweiten Aufklärung. „Was ist nur in diese westliche Gesellschaft gefahren…?“ fragt er hilflos. Aber vielleicht ist die Gegenwart auch einfach nicht das Gebiet, auf dem sich der renommierte Mittelalter-Spezialist gern und kundig bewegt. – Trotzdem ist „Dies irae“ über weite Strecken ein lesenswertes Buch. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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