SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Jaroslav Rudiš: Nationalstraße Aus dem Tschechischen von Eva Profousová München: Luchterhand, 2016 160 Seiten 14,99 Euro Rezension von Christoph Schälzle Freitag, 02. September 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Jaroslav Rudiš ist in Deutschland kein Unbekannter. Vor einigen Jahren hatte er die Siegfried-Unseld-Gastprofessur in Berlin inne. Sein jüngst auf Deutsch erschienener Roman spielt mit dem Titel „Nationalstraße“ auf den Beginn der „Samtenen Revolution“ im November 1989 an, ist aber ein Buch von europäischer Bedeutung. Anhand eines zum rechten Schläger mutierten ehemaligen Polizisten bietet Rudiš erschreckende Einblicke in die Binnenlogik des euroskeptischen, ausländerfeindlichen Populismus, der nicht nur in Tschechien die Gemüter bewegt. Der rechte Wahnsinn hat Methode. In seinem neuen Roman blickt der tschechische Autor Jaroslav Rudiš tief ins Innere eines rechten Schlägers, der in seiner Stammkneipe im Plattenbau eine apokalyptische Weltsicht pflegt. Die Geschichte geht auf eine reale Kneipenbekanntschaft des Autors zurück. Man zweifelt keine Sekunde daran, daß die wuchtigen Parolen ihre eigene Logik haben, so krude sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Rudiš gibt der Suada seines Helden breiten Raum. Er folgt nur zum Teil dem gängigen Ansatz, rechte Gewalt mit zerrütteten Lebensläufen zu erklären. Wir sind im Milieu der Wendeverlierer in Prag, aber es herrschen stabile soziale Verhältnisse. Vandam, so nennt sich der Protagonist nach dem Kinohelden Jean-Claude Van Damme, hat sein Leben im Griff. Er treibt Sport, seine Wohnung ist aufgeräumt, an seinen Händen klebt Lack von der Arbeit, aber kein Blut. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Der Text ist fast durchgängig als suggestiver Monolog gestaltet. Es handelt sich um Vandams Vermächtnis an seinen 17-jährigen Sohn, den er laut Gerichtsbeschluss nicht sehen darf. Unter einer alten Ulme im Wald redet er auf ihn ein: Du musst trainieren! Du musst Dich schlagen! Sich zu prügeln ist die einzige Pädagogik, die Vandam kennt. Es ist ein Mittel, um die aus den Fugen geratene Welt zurechtzuklopfen. Wenn Vandam jemandem eine Lektion erteilt, dann nennt er das den Sieg der Wahrheit und Liebe über Lüge und Hass. Hinter seiner Ordnungsliebe stehen nicht zuletzt persönliche Empfindlichkeiten. Vandam ist tolerant, solange die Fremden kein Remmidemmi machen. Aber wo gesellschaftliche Codes missachtet werden, da greift er ein. Seine Tiraden sind bisweilen absurd übertrieben, was ihm aber bewußt ist: Alle sollen raus, die Zigeuner, die Bonzen, die Fidschis, aber auch alle anderen, inklusive der Frauen, die nicht blasen wollen. Vandam nennt das dann tschechischen Humor. Einen Perspektivwechsel bietet nur das zentrale Kapitel mit der Überschrift Narben. Aus der Außensicht, aber ohne jede Bewertung, berichtet Rudiš von einem kurzen Erlösungsmoment: Vandam hat Sex mit Sylva, der Wirtin seiner Stammkneipe. Die Voraussetzungen sind nicht schlecht, aber seine Eitelkeit steht der Liebe im Weg. Beide waren Zeugen der Samtenen Revolution von 1989, bringen aber ihre Erinnerung nicht auf einen Nenner. Vandam prahlt damit, daß er den ersten Schlag geführt und alles losgetreten hat. Was er ihr verschweigt: Er kämpfte auf der falschen Seite. Er stand als Polizist in der vordersten Reihe, während sein Bruder schon damals den richtigen Riecher hatte. Wenn Rudiš so etwas wie eine Reflexionsebene eingezogen hat, dann verbirgt sie sich hinter dem Lob der elementaren körperlichen Erfahrung. Vandam nennt das Handarbeit. Machtlos gegenüber dem Weltgetriebe, bleibt nur der Körper als Schauplatz der Wahrheit. Nur ihm und seiner Kraft kann man trauen – im Unterschied zur Politik und den Medien, von denen es mehr als einmal heißt: Sie labern Dich voll, haben aber selbst keinen Plan. Ein mythischer Wald trennt das alte vom neuen Tschechien, die Plattenbausiedlung von den Häusern der Wendegewinnler, zu denen auch Vandams Bruder gehört. Wölfe streifen umher, unter einer alten Ulme erscheinen germanische Krieger. In äußerster Not schleppt sich Vandam auf die andere Seite. Um auf sich aufmerksam zu machen, ruft er lautstark: „Heil Hitler!“. Vandams Monolog ist im Grunde kein Roman, sondern ein durchkomponierter Theatertext. Rudiš Nachwort wirkt wie eine Regieanweisung, die es nicht gebraucht hätte. Seine Erklärungen zur tschechischen Geschichte verblassen angesichts der Gewalt, mit der hier Orientierung herbeigeprügelt werden soll. Was Vandam herausposaunt, weist über den Horizont seiner Stammkneipe hinaus. Man kann es sinngemäß in ganz Europa hören, von Pegida bis zur Brexit-Kampagne. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Dass Rudiš dennoch Sympathie für den Sheriff der Prager Nordstadt weckt, liegt an der überzeugenden Form, die er seinem Buch gegeben hat. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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