SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN), Telefon Außen-Experte der Bundestagsfraktion, gab heute,19.05.16, Telefax dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „NATO-Außenministertreffen in Brüssel“. Internet Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Datum: 07221/929-23981 07221/929-22050 www.swr2.de 19.05.2016 Trittin (GRÜNE): Aufrüstung in Osteuropa Rückfall in die 80er Jahre Baden-Baden: Der Außenpolitiker der Bündnisgrünen, Jürgen Trittin, hält die NATO-Pläne zur Truppenverstärkung in osteuropäischen Ländern für falsch. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Trittin, die westliche Allianz reagiere auf den russischen Völkerrechtsbruch bei der KrimAnnexion mit einem "Vorwärts in die 80er Jahre" des letzten Jahrhunderts. Eigentlicher Grund für die Aufrüstungspläne sei weniger das Drängen osteuropäischer NATO-Partner als vielmehr die Haltung tonangebender Kreise vor allem im US-Kongress. Diese hielten gegenüber Moskau eine andere Strategie für angezeigt als die "Mehrheit der Europäer" verfolgen wollten. Europa wisse aber, dass Frieden auf dem Kontinent nur mit einem Russland möglich sei, das nicht isoliert werden dürfe. Die NATO sei gut beraten, zur Vertrauensbildung beizutragen, sagte Trittin. Dazu könne sie nicht nur den NATO-Russland-Rat wieder regelmäßig tagen lassen. Sinnvoll sei vor allem, auf den Raketenschirm zu verzichten, der ursprünglich ja als Schutzschild gegen den Iran ausgegeben worden sei. Nach dem Atomvertrag mit Teheran sei diese Bedrohung glücklicher Weise beseitigt. Moskaus Bedenken, die Installation habe sich von Anfang an gegen Russland gerichtet, könnten mit einem Verzicht auf den Raketenschirm zerstreut werden. Wortlaut des Live-Gesprächs: Geissler: Letzte Woche hat die NATO ihr Raketenschild in Rumänien ausgebaut, heute geht es in Brüssel um Truppen, und bevor es um diese Frage geht, soll erst einmal ausdrücklich und feierlich Montenegro als Staat Nummer 29 die Beitrittszusage zur NATO bekommen. Kann man da wirklich sagen, Russland hat so überhaupt keinen Grund, sich auch nur irgendwie provoziert zu fühlen? Trittin: Erst einmal hat Russland selber sehr entscheidend zur Verschlechterung der Situation in Europa beigetragen. Die aggressiven Akte der Annexion der Krim, das Vorgehen in der Ukraine verstoßen eindeutig gegen Regeln, die wir uns in Europa mit der Schlussakte von Helsinki gegeben haben. Auf der anderen Seite hat Europa – genauer gesagt, die NATO – darauf reagiert, indem sie den Russen erst einmal gesagt haben, mit euch reden wir nicht mehr und zum zweiten geht sie jetzt daran, die Grundlagen der NATO-Russland-Akte – das war mal Grundlage für die Osterweiterung der NATO – also für den Beitritt der Osteuropäer zur NATO, in Frage zu stellen, indem massiv aufgerüstet wird, neue Panzerverbände, aber eben auch die Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) praktische Präsenz - man darf es ja nicht Stationierung nennen - von Soldaten direkt an der Grenze zu Russland. So entsteht eine neue Rüstungsspirale. Geissler: Ist das eine Provokation in Ihren Augen, oder kann man sagen, das ist eine Reaktion, die nachvollziehbar ist? Trittin: Ich halte das nicht für klug. Klug wäre es gewesen, auf die Provokation seitens Russlands nicht mit Gegenrüstung zu reagieren, denn das Ergebnis, was wir jetzt haben werden, ist: auf die Erhöhung der Präsenz von Soldaten an der Ostgrenze der NATO wird auch Russland entsprechend reagieren, und so schaukelt man sich hoch. Man könnte das Motto der NATO eigentlich mit den Worten beschreiben: Vorwärts in die 80er Jahre, in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Geissler: Sie meinen die Einkreisungsängste, die ja damals auch schon der Sowjetunion bescheinigt wurden. Diesen Ängsten wurde ja offensichtlich mal Rechnung getragen mit der von Ihnen erwähnten NATO-Russland-Grundakte, die verspricht, dass westliche Truppen nicht dauerhaft an der russischen Grenze stationiert werden sollen, allenfalls rotierend. Nun sagt aber der polnische Außenminister, das ist ganz überholt. Er will mehr Truppen dort und vor allem mit permanenter Präsenz. Wird er sich da durchsetzen, was meinen Sie? Trittin: Ich glaube, dass er sich damit nicht durchsetzen wird, aber ich würde auch ein bisschen davor warnen, zu glauben, dass man es hier im Wesentlichen mit einem Widerspruch innerhalb der NATO gegenüber den Osteuropäern zu tun hat. Dahinter steckt ein schweres strategisches Zerwürfnis, hätte ich fast gesagt, zwischen der Mehrheit der Europäer und einer Mehrheit zum Beispiel im amerikanischen Kongress. Es geht um die Frage, wie ist unser Verhältnis zu Russland. Die Mehrheit der Europäer ist der Auffassung, dass es Sicherheit und Frieden in Europa nur gibt mit Russland, und dass wir kein Interesse daran haben dürfen, Russland in eine Ecke zu stellen, möglicherweise aus ökonomischen und anderen Gründen sie zu isolieren und in eine Situation reinzubringen, wo ein 180 Millionen-Volk mit Atomwaffen gar zu einem failed state wird. Das wird in den USA vielfach anders gesehen. Geissler: US-Truppen üben ja bereits in der Ex-Sowjetrepublik Moldau. Der neue NATOOberbefehlshaber will Waffen in die Ukraine schicken. In der Ostsee gibt es ein Manöver nach dem anderen. Trittin: Ich glaube, das ist der Kern, es ist nicht der Streit zwischen den Europäern. Es ist die Frage, ob Europa es sich leisten kann, erneut in eine Konfrontation mit seinem Nachbarn Russland zu gehen. Ich glaube, das ist nicht im europäischen Interesse. Es ist in meiner festen Überzeugung auch nicht im Interesse der USA, denn, wie man gerade in Syrien und vielen anderen Konflikten der Welt sieht: Die wirklichen Bedrohungen für die Sicherheit, die kommen heute nicht mehr aus dem Hochrüsten militärischer Blöcke, sondern, die entstehen aus Terrorismus, aus solchen Bedrohungen wie dem IS. Geissler: Wobei, in diesem strategischen Dilemma ist es offensichtlich so, dass die Osteuropäer sich vielleicht etwas instrumentalisieren lassen von Washington. Die Frage ist ja, was könnte die NATO denn ihrerseits und sozusagen pro-aktiv tun, um die Lage zu Moskau zu entspannen? Trittin: Es gebe einfach ein ganz einfaches Instrument. Neben der Wiedereinsetzung und permanenten Tagen des NATO-Russland-Rates könnte die NATO auf den Raketenabwehrschild verzichten. Der ist mal gemacht worden, angeblich nicht als Antwort auf Russland, sondern gegen die Bedrohung durch den Iran. Die Bedrohung durch den Iran ist Gott sei Dank über den Atomvertrag zwischen den Europäern, den fünf Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates und dem Iran erledigt worden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war dieser und ist dieser Raketenabwehrschild überflüssig geworden. Das wäre ein sichtbares und kluges Signal an Russland, dass eben genau hier die Kooperation und nicht die Konfrontation gesucht wird. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Geissler: Sie sprechen den Punkt Vertrauensbildung an. Es gab ja mal eine KSZE, eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa seit 75. Etwas Ähnliches hat Putin in seiner berühmten Rede damals im Bundestag angesprochen. Eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Vancouver und Vladivostok. Halten Sie sowas für realistisch oder ist das eher Zukunftsmusik, sowas noch einmal unter neuer Grundlage aufzubauen? Trittin: Ich halte es für klüger als zurückzufallen in die Zeiten davor, wo man geglaubt hat, mit ökonomischem Druck und der materiellen Hochrüstung, Russland in die Knie zwingen zu können. Das ist eine Strategie, die hat damals nicht gefruchtet und die hat heute nicht gefruchtet. Es müssen alle Seiten, und da ist zunächst immer Russland gefragt, denn sie haben die KSZE-Grundakte verletzt mit der Annexion der Krim, aber, es müssen alle auf diese Grundlagen zurückkehren. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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