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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Oleg Krasnitskiy, Gesandter der Botschaft der Russischen Telefon
Föderation in Deutschland gab heute, 08.07.16,
Telefax
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„NATO-Gipfel in Warschau“.
Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Datum:
07221/929-23981
07221/929-22050
www.swr2.de
08.07.2016
Russlands Gesandter: NATO-Politik hebelt die Grundakte aus
Baden-Baden: Der Gesandte der russischen Botschaft in Berlin, Oleg Krasnitskiy, sieht
"Unbehagen" und Sorge" in Moskau über die NATO-Politik in Osteuropa. Im Südwestrundfunk
(SWR) sagte der russische Diplomat, Moskau bleibe dialogbereit, werde aber wohl auch
militärische Vorsorge treffen. Die NATO erschüttere mit ihren Plänen die Grundlagen der
europäischen Sicherheit "weiter". Dabei gehe es Moskau nicht allein um die geplante
Entsendung von vier Bataillonen, "nicht nur um diese 4000 Soldaten, das ist nicht so viel", sagte
Krasnitskiy. Die westliche Allianz habe unter dem Titel "vorgeschobene Stationierung" schon
seit 2014 Zehntausende von Soldaten in die Lage versetzt, binnen kurzer Zeit nach Osten
verlegt zu werden. Diese Fakten hätten schon "eine andere Dimension". Mit der Rückkehr zu
einer Politik der Abschreckung werde die NATO-Russland-Grundakte, die auf Partnerschaft und
Zusammenarbeit angelegt sei, "ausgehebelt"
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Wie bewerten Sie das, was die NATO da vorhat?
Krasnitskiy: Wir bewerten diese Pläne mit Unbehagen und Sorge, denn dadurch werden die
Grundlagen der europäischen Sicherheit erschüttert, weiter erschüttert. Diese Pläne basieren
auch auf Unterstellungen, die gar nicht der Realität entsprechen. Russland hat nie im Sinn,
irgendein Land in Europa anzugreifen. Was die baltischen Staaten anbetrifft, so ist dort die
Existenz der russischen sprechenden Minderheit, aber das ist eine Frage die rein politisch
gelöst wird. In Polen und in Litauen gibt es keine Minderheiten, Polen und Litauen fürchten so
oder so irgendwelche Angriffe, und dadurch kommt dann diese Reaktion von der NATO.
Geissler: Wenn sie sich die Größenordnung aber mal ansehen, um die es hier geht. Das
sind vier Bataillone, gerade mal 4.000 Soldaten die in die Nähe ihrer Grenzen kommen
sollen. Hat das wirklich eine Qualität, auf die Russland reagieren muss, oder ist das nicht
eher Symbolik?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Krasnitskiy: Es geht nicht nur um diese 4.000 Soldaten. Das ist nicht so viel. Es geht um die so
genannte vorgeschobene Stationierung dieser Soldaten. Es werden Militärlager dort aufgebaut
und die Technik dorthin gebracht. Dann gibt es Rückversicherungsmaßnahmen aus dem Jahre
2014, und das ist eine ganze Armee von 40- bis 50-tausend Soldaten, die ständig bereit sind
nach Osten verlegt zu werden. Die Logistik dafür gibt es schon. Das ist schon eine andere
Dimension, und dadurch wird die NATO Russland Grundakte ausgehebelt. Weil diese Akte
setzt auf die Partnerschaft, auf die praktische Zusammenarbeit zwischen Russland und NATO,
und das schließt Abschreckung aus. Mit der Abschreckung bleibt das Angebot von Dialog
abstrakt.
Geissler: Wenn sie sagen, das hebelt die Grundakte aus, wie wird Russland darauf
praktisch reagieren? Ihr Kollege Gruschko, der russische Botschafter bei der NATO, hat
gestern sinngemäß gesagt, sein Land könne gar nicht anders, als mit zusätzlicher
militärischer Vorsorge zu antworten.
Krasnitskiy: So eine militärische Vorsorge wird folgen aus meiner Sicht, und es gibt auch
andere Reaktionen aus Russland im Vorfeld die das bestätigen, auch vom Präsidenten
Russland. Aber der Präsident, Herr Putin, hat auch bestätigt, Russland will mit der NATO
konstruktive Beziehungen haben und zwar in Form von Dialog und praktischer
Zusammenarbeit. Das gilt auch für diese Frage, Vermeidung von Inzidenten…..
Geissler: Von Zwischenfällen auf hoher See zum Beispiel, ja. Der Ursprung dieser NATOBeschlüsse jetzt liegt aber im Misstrauen vor allem der Osteuropäer gegenüber der
russischen Politik. Wie erklären Sie sich dieses Misstrauen?
Krasnitskiy: Aus meiner Sicht kann hier von irgendeiner Bedrohung, seitens Russlands
gegenüber der NATO oder einzelner Mitgliedsstaaten keine Rede sein. Man muss
berücksichtigen, dass in Europa militärisch die NATO Überlegenheit hat und zwar in erster Linie
im konventionellen Bereich. Die Militärausgaben aller NATO-Staaten übersteigen die
russischen 15 Mal.
Geissler: Kommen wir nochmal auf die Sorge einzelner baltischer Länder, ich nehm jetzt
vielleicht Mal Estland. Versteht sich denn Ihr Land als Schutzmacht dieser Minderheit
dort?
Krasnitskiy: Nicht unbedingt. Wir kümmern uns um die Belange der russisch-sprechenden
Minderheiten dort, aber im politischen, diplomatischen Sinne. Es geht um die Sprachrechte,
Bürgerrechte dieser Leute, dass sie die vollen Rechte bekommen, die auch den Bürgern
Estland zustehen. Das ist eine Frage die auch in der OSZE erörtert wird.
Geissler: Sie wissen, dass insbesondere der Bundesaußenminister vor einer Rückkehr
zur Konfrontation warnt, auch an die Adresse der NATO natürlich. Er mahnt zum Dialog
und eine gute Gelegenheit, gegenseitige Sorgen, vielleicht auch über die NATO-Pläne zu
zerstreuen, hätte sich doch bieten können, wenn der NATO-Russland-Rat noch vor dem
NATO-Gipfel getagt hätte, nicht erst nächsten Mittwoch. Warum hat Russland das
abgelehnt?
Krasnitskiy: Russland hat das nicht grundsätzlich abgelehnt. Wie Sie wissen, es gab schon eine
Sitzung und das war Ende April, und die Initiative, den Rat auszusetzen, war nicht eine
russische sondern die von der NATO 2014.
Geissler: Das ist schon richtig. Nur die Bundeskanzlerin hat gestern bedauert, dass
Russland die Einberufung dieses NATO-Russland-Rats noch vor dem NATO-Gipfel
abgelehnt hat. Was erwarten sie denn, wenn er nächste Woche stattfindet?
Krasnitskiy: Ja, dort erwarten wir ein ausführliches Gespräch über die neuen Pläne der NATO
und Erläuterungen seitens der NATO, was das bedeutet für die europäischen Sicherheit.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Geissler: Was könnte denn Ihr Land, was könnte Russland tun, um in diese Situation im
aktuellen Konflikt, in diesem angespannten Verhältnis selbst deeskalierend zu wirken?
Krasnitskiy: Russland ist zu Deeskalation bereit, wenn die NATO das auch tut.
Geissler: Das sagen die anderen auch.
Krasnitskiy: Unsere Vorschläge waren leider ohne Reaktion geblieben. Man kann zu diesen
Vorschlägen ohne Vorbedingungen dann zurückkehren. Vorausgesetzt, dass
Abschreckungspolitik rückläufig gemacht wird.
Geissler: Ihr Präsident hat mal für eine neue Sicherheitsarchitektur plädiert. Müsste dazu
nicht ein konkreter Plan auf den Tisch, ein Plan aus Moskau?
Krasnitskiy: Es gibt diesen in Form des Entwurfs für einen Vertrag über die europäische
Sicherheit, basierend auf der politischen Deklaration, aus dem Jahre 1990, Pariser Charta. Dort
ist vorgesehen, dass die europäische Sicherheit Kolletiv sein muss, das heißt unteilbar, und
wenn die NATO dem zustimmt, muss man da verhandeln.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)