SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK André Heller: „Das Buch vom Süden“ Paul Zsolnay Verlag 336 Seiten 24,90 Euro Rezension von Moritz Holler Mittwoch, 20.07.2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Der Süden ist seit jeher ein Ort der Sehnsucht und Inspiration. Dies lässt sich bis auf Goethe zurückführen, etwa auf das berühmte Lied Mignons aus "Wilhelm Meister": "Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn ... " Zuletzt befeuerte die österreichische Band Wanda den Mythos mit ihrem Song „Bologna“. Nach André Heller ist der Süden ein „Ort wo Geduld und Gelassenheit auf Feldern wachsen“. Der Österreicher ist ein wahrer Tausendsassa. Der Sohn des jüdischen Wiener Schokoladenfabrikanten Stephan Heller arbeitete zunächst als Radiomoderator, und wurde dann gefeierter Chansonnier. In den 1980er Jahren hängte er seine Karriere an den Nagel und wurde erfolgreicher Kulturmanager. Sein Schaffen reicht von der Kulturkoordination der FußballWeltmeisterschaft 2006 in Deutschland und der Mitbegründung des „Zirkus Roncalli“ bis zu Shows wie „Afrika Afrika“ und dem Vergnügungspark „Luna Luna“. Gegenwärtig arbeitet Heller am „Anima Garden“ unweit von Marrakesch. Bislang hatte der Wiener einige kleinere Schriften und einen Roman veröffentlicht. Nun ist „Das Buch vom Süden“ im Paul Zsolnay Verlag erschienen. Moritz Holler hat es gelesen. „Das Buch vom Süden“ beginnt als klassischer Bildungsroman und zeichnet zunächst die Kindheit und Jugend von Julian Passauer nach. André Hellers Hauptfigur wächst zwar im grauen Wien der 1950er Jahre heran, doch das Umfeld seiner Kindheit ist durchaus nicht gewöhnlich. Der Vater ist als Vizedirektor des Naturhistorischen Museums ein angesehener Mann, und die kleine Familie bewohnt die alten Dienerzimmer von Schloss Schönbrunn. Man bewegt sich in illustren Kreisen, in denen auch zahllose exzentrische Charaktere aus Adel und Großbürgertum verkehren. Heller zeichnet in „Das Buch vom Süden“ zunächst einen Wiener Kosmos von Unikaten. Er schildert authentisch die Überbleibsel der verblassenden Habsburger Welt in einem enormen Detailreichtum, der von gesellschaftlichen Gewohnheiten über die Kleidung der Figuren bis zum ihrem Vokabular nichts auslässt. Der junge Julian bewegt sich inmitten eines österreichischen Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Nachkriegspanoramas, das auch Spuren jüngerer Grausamkeiten aufweist. Überlebende der Shoah brechen das Schweigen, Kriegsheimkehrer und Versehrte prägen das Stadtbild. Und eines Tages erzählt Julians Vater von seiner Internierung in einem KZ, die er nur durch eine glückliche Fügung überlebte. Die Sprache des Romans ist bild- und metaphernreich, doch wirkt sie nie überfrachtet, sondern behält stets ihre leichtfüßige Wiener Melodie. Wienerisch wirkt auch das Oszillieren in der Erzählhaltung zwischen sinnlichem Schwelgen und ironischen Spitzfindigkeiten. Der erste Teil des „Buches vom Süden“, der das Heranwachsen Julians abbildet, ist von außergewöhnlicher Schönheit – ein Kaleidoskop pittoresker oder sogar bizarrer Einfälle und Anekdoten aus seinem Leben. Heller vermag es gekonnt, Julians Heranwachsen zu skizzieren, und schildert wie äußere Ereignisse in seinem Gemüt widerhallen. Infolge des Wegfalls der südlichen Kronländer der Habsburger Monarchie kultiviert der Vater eine vehemente Sehnsucht nach südlichen Gefilden, die er dem Filius in leuchtenden Farben ausmalt. Und so verwundert es nicht, dass auch dieser bald in die weite Welt hinauszieht. Im zweiten Teil des Romans bereist er den Mittelmeerraum und wird schließlich ein erfolgreicher Pokerspieler, der sich bald am Gardasee zur Ruhe setzen kann. Die Jahre plätschern dahin, während Julian wie ein Seiltänzer zwischen mehreren Frauen balanciert und über das Dasein sinniert. Das Buch gerät in diesem zweiten Teil leider zu einer schieren Aneinanderreihung langweiliger Szenen und unplausibler Beziehungen zwischen den Figuren. Heller verlagert die Handlung allzu sehr in Julians Inneres und verliert zusehends das Interesse daran, eine Geschichte zu erzählen. War sein Erzählstil anfangs sehr unterhaltsam und elegant, kommt es infolge der introspektiven Wandlung mit zunehmend spirituellem Inhalt zu einem stilistischen Bruch. Der literarische Abschied von der K.u.k.-Monarchie, den Heller hier noch einmal aufnimmt, beschäftigte auch Schriftsteller wie Robert Musil, Heimito von Doderer und Joseph Roth. Letzterer war gar ein Bekannter von Hellers Vaters und ist für den Autor eine große Inspirationsquelle. Die Roth’sche Heraufbeschwörung eines halb ideellen, halb geographischen Ortes außerhalb der Geschichte übernimmt Heller – bei ihm ist dieser Ort nur eben nicht mehr die Habsburger Monarchie, sondern ein diffuser Süden. Die etwas enttäuschende Auflösung des Buches lautet: Die Reise dorthin ist vor allem eine innere Erfahrung. Doch das so realisierte Transzendenzversprechen ist sentimentales und starres Pathos. Die Beschreibung von Julians Wiener Kindheit und Jugend in der fulminanten ersten Buchhälfte machen André Hellers „Das Buch vom Süden“ dennoch lesenswert. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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