Thema: Mietpreisbremsen Koalition greift in Wohnungsmarkt ein SEITE 1-3 Berlin, Montag 09. März 2015 KOPF DER WOCHE Ein Minister im Akkord © picture-alliance/dpa Heiko Maas Es liegt auch am generalistischen Wesen des Justizressorts, dass der Minister derzeit Gesetze im Akkord vorlegen kann: Ob schärfere Gangart gegen Vergewaltiger und Kinderpornografie, Kleinanleger- oder Anti-Doping-Gesetz, Frauenquote, Antiterrormaßnahmen oder die Mietpreisbremse – der sozialdemokratische Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas (48), steht seit Wochen im Rampenlicht. Für den schmächtigen Mann aus dem Saarland war die überraschende Berufung ins Kabinett der Großen Koalition 2013 die große Chance, sich vom Ruf des ewigen Verlierers – dreimal trat Maas an der Saar erfolglos als Ministerpräsident an – zu befreien. Von Anfang an versuchte Maas als Aktivposten zu wirken, so mit seinem Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung oder der Reform des alten Mord-Paragrafen. Dass er als Bundesminister kein Bundestags-Mandat hat, spornt ihn in seinem Ehrgeiz zusätzlich an. kru T ZAHL DER WOCHE 260.000 Wohnungen werden laut KfW in diesem Jahr neu in Deutschland gebaut. Dies sei eine Folge der niedrigen Kreditzinsen und der hohen Zuwanderung, hieß es von der nationalen Förderbank. Schon 2014 wurden hierzulande 250.000 Wohnungen fertiggestellt. Dies bedeutete einen Zehn-Jahres-Rekord. ZITAT DER WOCHE »Dieses Gesetz ist allenfalls ein Bremschen.« Renate Künast (Grüne) bei der Debatte im Deutschen Bundestag am vergangenen Donnerstag über die Einführung einer Mietpreisbremse IN DIESER WOCHE INNENPOLITIK Gesundheit Gesetz soll Versorgung in ländlichen Gebieten verbessern Seite 5 EUROPA UND DIE WELT Israel Vor der Wahl am 17. März liegen linkes und rechtes Lager gleichauf Seite 11 NEUE SICHERHEITSLAGE ALTE ÄNGSTE Die Bundeswehr setzt auch wegen Russlands Politik wieder auf Panzer SEITE Russlands Opposition ist nach der Ermordung Nemzows in großer Sorge SEITE 9 www.das-parlament.de 65. Jahrgang | Nr. 11-12 | Preis 1 € | A 5544 Bundestag tritt auf Bremse MIETRECHTSNOVELLE Koalition erhofft ein Ende der Preisspirale. Opposition hat Zweifel L ange Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen, happige Mieten – in den Szenebezirken der Großstädte, in den Ballungszentren und Uni-Städten lässt sich beobachten, was passiert, wenn hohe Nachfrage auf geringes Angebot trifft. Die Mieten steigen teils drastisch. Die sogenannte Mietpreisbremse soll dem nun ein Riegel vorschieben. Vergangenen Donnerstag verabschiedete der Deutsche Bundestag das Mietrechtsnovellierungsgesetz (18/3121, 18/3250) mit Stimmen der CDU/CSU und der SPD. Grüne und Linke enthielten sich, ein einzelner CDU/CSU-Abgeordneter stimmte dagegen. Das Gesetz sieht eine Deckelung der Mieten bei Neuvermietungen in bestimmten Gebieten vor und führt das Bestellerprinzip bei der Wohnungsvermittlung ein (siehe Beitrag unten). Justizminister Heiko Maas (SPD) sprach von einem „verdammt guten Tag für Mieterinnen und Mieter in Deutschland“. Die Mietpreisbremse werde für etwa fünf Millionen Wohnungen in Deutschland gelten, jährlich würden über 400.000 Mieter davon profitieren können, schätzte Maas. Laut Justizministerium sollen Mieter zudem durch Einsparungen bei Miete und Courtage um zirka 857 Millionen Euro jährlich entlastet werden. Die Deckelung werde sich „positiv auf die Stadtentwicklung auswirken“. Sie verhindere, dass Normal- und Geringverdiener „an den Stadtrand verdrängt werden“, sagte der Justizminister. Sören Bartol (SPD) betonte, mit der Mietpreisbremse werde ein zentrales Vorhaben der Koalition umgesetzt. Sie sei „kein Allheilmittel gegen Wohnungsmangel“, sondern Teil eines umzusetzenden Gesamtpakets. So verwies Bartol unter anderem auf eine weitere Mietrechtsnovelle und die Städtebauförderung. Zankapfel der Koalition Die Mietpreisbremse hatte im vergangenen Jahr für Zwist zwischen den Koalitionspartnern gesorgt. Eigentlich sollte das Gesetz bis zum Sommer 2014 über die Bühne gebracht werden. Doch daraus wurde nichts. Ein Referentenentwurf des Justizministeriums fiel bei der Union durch. Erst im Oktober beschloss das Kabinett dann einen geänderten Gesetzentwurf. Doch auch nach der ersten Lesung im November rumorte es. Erst bei einem Spitzentreffen der Koalition vorvergangene Woche wurde der Streit beigelegt. Die langwierigen Auseinandersetzungen haben sich nach Ansicht von Jan-Marco Luczak (CDU) gelohnt. „Gegenüber dem Referentenentwurf haben wir viele funda- Immer weiter nach oben dreht sich die Mietspirale in vielen Städten. Die Mietpreisbremse soll nun Linderung bringen. mentale Änderungen und Verbesserung (CDU). Dennis Rohde (SPD) sagte, es sei durchgesetzt“, sagte Luczak. Dazu gehöre, ein Erfolg der SPD, Forderungen zum Beidass Neubauten komplett von der Miet- spiel nach einer sachlichen Beschränkung preisbremse ausgenommen seien. Denn: auf Ein- und Zwei-Zimmerwohnungen verNur der Bau neuer Wohnungen könne an hindert zu haben. Rohde gab zu, dass die den Ursachen der Mietsteigerung rühren. Mietpreisbremse ein Eingriff in die EigenDie Mietpreisbremse dürfe keine Investiti- tumsfreiheit sei. Aber Eigentum verpflichte eben auch, sagte der Sozionsbremse werden, sagte der Christdemokrat. Wer aldemokrat mit Verweis auf das Grundgesetz. Die Geld in die Hand nehme, für den sei es auch wichtig, Vielfalt in den Städten sicherzustellen, „das ist und dass es sich „wirtschaftlich das bleibt ein gesellschaftträgt“ (s. auch Interview, S.2). Es sei auch entscheilicher Mehrwert“, sagte dend gewesen, die Länder in Rohde. „Wir werden uns die Pflicht zu nehmen und auch in Zukunft das Recht objektive Kriterien für die herausnehmen, ordnungsAusweisung der angespannpolitische Eingriffe vorzuten Wohnungsmärkte ins nehmen im Sinne der Christian Kühn (Grüne) Gesetz zu schreiben. Mehrheit der Menschen in Schließlich handele es sich unserem Land“, kündigte um einen „intensiven Einer an. griff“ ins Eigentumsrecht. Luczak bedauer- Bei der Opposition fiel die Mietpreisbremte das Fehlen einiger Detailregelungen. So se durch. Die Idee sei gut, die Umsetzung hätte man sich im Sinne der Rechtssicher- schlecht. Es sei ein „Tag der verpassten heit etwa mit der Frage qualifizierter Miet- Chancen“, urteilte Linken-Vizefraktionsspiegel näher auseinandersetzen können. chefin Caren Lay. Das Gesetz sei durch die Hier sei eine Chance vertan worden, mein- Ausnahmen „ausgehöhlt wie ein Schweizer te auch Elisabeth Winkelmeier-Becker Käse“. Sowohl die zeitliche Begrenzung auf »Eine Mietpreisbremse, die im Gesetzblatt steht, hilft vor Ort noch nicht.« fünf Jahre als auch die räumliche Einengung auf angespannte Wohnungsmärkte kritisierte Lay. Die Bremse müsse „flächendeckend“ und „dauerhaft“ wirken. Die Ausnahme von umfassend modernisierten Wohnungen käme einer „Einladung zur Luxusmodernisierung“ gleich, monierte die Linken-Abgeordnete. Diese Modernisierungen seien schon jetzt einer der Hauptursachen dafür, „dass Mieter aus ihren Wohnungen, aus ihren Stadtteilen vertrieben werden“. Zu viel Zeit gelassen Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) griff die Koalition ebenfalls scharf an. Sie habe keine „robuste Mietpreisbremse“ vorgelegt, es handele sich um eine „Mogelpackung“. Zudem habe die Umsetzung des Vorhabens zu lange gedauert. In der Zwischenzeit hätten zahlreiche Vermieter die Mieten „sicherheitshalber“ schon erhöht (s. auch „Parlamentarisches Profil“, S.2). Ihr Fraktionskollege Christian Kühn verwies zudem darauf, dass die Umsetzung der Maßnahme vor Ort ebenfalls noch Zeit in Anspruch nehmen werde. „Eine Mietpreisbremse, die im Gesetzblatt steht, hilft vor Ort noch nicht“, Sören Christian Reimer T sagte Kühn. WIRTSCHAFT UND FINANZEN Agrarwende Opposition fordert „bäuerlichökologische Landwirtschaft“ Seite 13 Wo gedeckelt wird und wer die Courtage zahlt KEHRSEITE GESETZESINHALT Zins bei Neuvermietung kann begrenzt werden. Neue Regeln für Courtage-Zahlungen Bundestag Die Namenspatrone des Berliner Parlamentsviertels Seite 14 MIT DER BEILAGE Das Parlament Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH 60268 Frankfurt am Main 11211 4 194560 401004 11 D er beschlossene Gesetzentwurf (18/3121) hat zwei Schwerpunkte: die Einführung der sogenannten Mietpreisbremse und die Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung. Abgebremst Die Mietpreisbremse wird im BGB verankert. In „angespannten Wohnungsmärkten“ soll die Miete bei Neuvermietungen nur maximal zehn Prozent über der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ liegen dürfen. Diese Vergleichsmiete lässt sich zum Beispiel aus Mietspiegeln, wenn vorhanden, ablesen. Der Mieter soll die Möglichkeit haben, Auskunft vom Vermieter über die Basis der Preisfindung zu erhalten. Zu viel gezahlte Miete kann gegebenenfalls zurückverlangt werden, wenn der Mieter vorher gerügt hatte. Auf die eigentliche Bremse treten die Bundesländer. Bis spätestens 31. Dezember 2020 können sie per Rechtsverordnung die angespannten Wohnungsmärkte in Kommunen ausweisen. Diese sind laut Gesetzestext dann gegeben, wenn etwa in einem Stadtteil eine ausreichende Versorgung mit Mietwohnungen „besonders gefährdet ist“. Als Indikator ist zum Beispiel eine geringe Leerstandsquote bei großer Nachfrage im Gesetz angeführt. Die Bundesländer müssen die Verordnung entsprechend begründen und darlegen, was sie gegen die angespannte Lage zu tun gedenken. Die Mietpreisbremse darf für maximal fünf Jahre angezogen werden. Damit läuft sie spätestens 2025 aus. Ungebremst Komplett ausgenommen von der Neuregelung sind Wohnungen, die nach dem 1. Oktober 2014 erstmals als Wohnung genutzt und vermietet werden. Ebenfalls nicht gekappt werden muss die Miete nach einer „umfassenden Modernisierung“, allerdings nur bei der Erstvermietung. Bestandsschutz genießen Vermieter, die schon vor der Neuvermietung einen Mietzins verlangten, der zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete lag. Sie müssen die Miete bei einer Neuvermietung nicht verringern. Ausgebremst Auch das Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung soll geändert werden. Mieter sollen demnach künftig nur unter zwei Bedingungen die Courtage zahlen: Zum einen müssen sie den Vermittler schriftlich beauftragt haben; zum anderen muss der Makler ausschließlich aufgrund dieser Anfrage einen Auftrag des Vermieters der vermittelten Wohnung eingeholt haben, diese dem Interessenten anzubieten. Für vermittelte Wohnungen, die der Makler bereits vorher in seinem Bestand hatte, kann vom Mieter keine Courtage mehr verlangt werden.Verstöße gegen die neuen Vorschriften können mit einem Bußgeld belangt werden. scr T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper © picture-alliance/blickwinkel/E. Teister EDITORIAL Zum Wohl der Mieter VON JÖRG BIALLAS Mieter in den angesagten Stadtteilen deutscher Großstädte, zumal in solchen mit begehrten Altbau-Wohnungen, werden längst in zwei Gruppen eingeteilt: die mit „alten“ und jene mit „neuen“ Mietverträgen. Die „Neuen“, die dort vergleichsweise kurzfristig wohnen, verdienen oft deutlich überdurchschnittlich. Daher können sie sich ihr attraktives Zuhause leisten. Die „Alten“, etwa Familien mit Kindern, aber auch Rentner und sozial schwächer Gestellte, haben ihre Verträge hingegen schon vor vielen Jahren zu nach wie vor erschwinglichen Konditionen abgeschlossen. Das Problem dieser Zweiteilung ist in München, Hamburg, Stuttgart, Berlin, Köln und anderswo zu besichtigen: Jede Fluktuation auf dem Mietmarkt führt zwangsweise dazu, dass die Preise deutlich steigen, weil die Wohnungseigentümer sich bei der Neubemessung des Mietzinses die begehrte Lage mit einem saftigen Aufschlag vergüten lassen. Die Folge sind oft schicke Wohnviertel, die allerdings ihre Bevölkerungsstruktur durch soziale Auslese komplett verändert haben. Denn die Miete für eine angemessene Wohnung im Hamburger Schanzenviertel, am Prenzlauer Berg in Berlin oder in München-Schwabing ist beispielsweise für eine Familie mit mehreren Kindern kaum noch zu bezahlen. Das soll sich mit der Mietpreisbremse, die der Deutsche Bundestag in der vergangenen Woche beschlossen hat, ändern. Die Bundesländer können in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt verfügen, dass Preissprünge bei Neuvermietungen gedeckelt werden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Mieter im Land mit dem neuen Gesetz 850 Millionen Euro im Jahr sparen. Das ist kein Pappenstiel. Jedenfalls, wenn das Konzept funktioniert. Kritiker bemängeln schon vorab, dass zu viele Ausnahmen zugelassen seien. Außerdem bestünde die Gefahr, Neumieter ersatzweise durch überzogenen Abschlagszahlungen zu schröpfen. Und: Statt einer Vermietung könne der Eigentümer einen Verkauf seiner Wohnung in Betracht ziehen. Das würde wiederum ausschließlich eine finanzkräftige Klientel ansprechen. Vermutlich wird erst die Praxis zeigen, wie sich das Gesetzespaket tatsächlich auf den Wohnungsmarkt auswirkt. Ohnehin darf die berechtigte Absicht, schwache Mieter zu stärken, nicht dazu führen, die Interessen der Vermieter mehr als nötig zu beschneiden.
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