SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Kerstin Uvnäs Moberg: Oxytocin, das Hormon der Nähe
Springer-Verlag
24,99 Euro
Rezension von Ulfried Geuter
Freitag, 01. Juli 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Beim Stillen, Streicheln und beim Sex: jedesmal schüttet der Körper Oxytocin aus. Es ist
das “Hormon der Nähe”, wie es im Titel des Buches von Kerstin Uvnäs Moberg heißt,
einer schwedischen Forscherin, die sich vielleicht wie niemand anders auf der Welt mit
dieser Substanz beschäftigt hat.
Was passiert, wenn Menschen sich nahe kommen? Das interessiert Kerstin Uvnäs
Moberg. Allerdings ist sie keine Psychologin oder Soziologin sondern Biochemikerin. Und
so geht sie die Frage naturwissenschaftlich an und stieß dabei auf einen Stoff, der sie
seither beschäftigt: Oxytocin. Das Hormon wird im Hypothalamus, einem Teil des Gehirns
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gebildet, und dann über die Hirnanhangdrüse ausgeschüttet. Und wenn es von dort ins
Blut gelangt, werden wir entspannt, wenden uns lieber anderen Menschen zu und haben
weniger Angst. In einem Experiment spritzte man Männern Oxytocin in die Nase.
Anschließend hatten sie in einem Computerspiel mehr Vertrauen in ihre Teamgefährten. In
einem anderen Experiment erkannten Männer danach die emotionale Bedeutung von
Gesichtsausdrücken besser, als Männer das gemeinhin können.
Nun müssen wir aber nicht darauf warten, dass das Hormon von selbst irgendwann in die
Blutbahn kommt. Denn seine Produktion wird durch Berührung und menschliche Nähe
ausgelöst, in besonders hoher Dosis beim Stillen und beim Orgasmus. Wenn ein Baby
schreit, steigt bei der Mutter der Oxytocinspiegel an, und wenn es trinkt, auch der des
Babys.
Uvnäs Moberg macht in ihrem Buch solche Zusammenhänge auf allgemeinverständliche
Weise klar, so dass man es auch als Laie entspannt lesen kann. Und sie hat dabei eine
Botschaft: Biologische Mechanismen und die Art und Weise, wie wir unsere menschlichen
Beziehungen gestalten wirken aufeinander ein.
Beim Oxytocin könne man den Zusammenhang so benennen: Was Menschen Schönes
auf der Ebene ihrer psychischen Beziehungen bewirken, bewirkt das Hormon auf der
Ebene des Körpers. Gelangt es ins Blut, wird ein Teil des Autonomen Nervensystems
aktiver, das so genannte parasympathische System. Das wiederum mindert Spannungen
in den Muskeln und weitet die Blutgefäße. Weshalb Mütter, die viel gestillt haben, besser
vor einem späteren Herzinfarkt geschützt sind. Denn Oxytocin mindert die Stressreaktion.
Das Hormon wirkt aber noch auf zwei weiteren Wegen: Als so genannter Neurotransmitter
überträgt es Botschaften von einer Nervenzelle auf die andere, und als so genannter
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Neuromodulator steckt es im Gehirn Nervenzellen mit seiner Botschaft an, die mit
derjenigen Zelle, die das Hormon freisetzt, nicht unmittelbar verbunden sind. Dadurch
taucht das Gehirn, bildlich gesprochen, in ein wohliges Bad von Oxytocin, wenn wir zum
Beispiel massiert werden.
Uvnäs Moberg zeigt nicht nur diese physiologischen Zusammenhänge auf, sie verknüpft
sie auch mit zahlreichen psychologischen und sozialwissenschaftlichen
Forschungsergebnissen. Zum Beispiel demjenigen, dass Kinder in einer
Kindertagesstätte, die während der Mittagspause zehn Minuten massiert werden, ruhiger
und weniger aggressiv sind. Oder dass Wühlmäuse, denen man Oxytocin gibt, eher eine
dauerhafte Bindung zu einer gegengeschlechtlichen Wühlmaus eingehen, selbst wenn
sich beide nicht paaren.
Der Mensch, so eine Botschaft dieses kurzweiligen und lehrreichen Buches, ist nämlich
ein Säugetier. Und Säugetiere sind soziale Wesen. Sie bringen ihre Nachkommen lebend
auf die Welt und stillen sie. Und darüber bauen sie Bindungen auf. Bindung ist noch
wichtiger als Muttermilch. Das zeigte vor vielen Jahren schon der amerikanische
Psychologe Harry Harlow in legendären Experimenten: Affenbabys, die zwischen einer
Drahtattrappe einer Mutter mit einer Milchflasche und einer Fellattrappe ohne Milchflasche
zu wählen hatten, bevorzugten die Fellattrappe. Nur mit der Drahtattrappe aufgezogene
Tiere waren später in ihrem sozialen und sexuellen Verhalten schwer gestört, und sie
verhielten sich aggressiv zu ihrem eigenen Nachwuchs.
Erfahrungen mit Nähe - und mit dem Fehlen von Nähe - werden also weitergegeben. Und
das liegt nur indirekt am Oxytocin. Dessen Wirkungsdauer im Blut ist nämlich auf wenige
Minuten begrenzt. Ein häufiger Ausstoß von Oxytocin wirkt aber als eine Impfung gegen
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Stress, und das Ausbleiben von Oxytocin lässt auf Dauer eine Stressphysiologie
entstehen. Ob wir also später im Leben schneller oder weniger schnell gestresst sind,
hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel wohltuende Nähe und Berührung wir vom ersten
Lebenstag an erfahren haben. Nähe zu pflegen ist der Appell, der von diesem Buch
ausgeht.
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