Nichtlineare partielle Differentialgleichungen

Nichtlineare partielle Differentialgleichungen
Univ.-Prof. Dr. Ansgar Jüngel
Institut für Analysis und Scientific Computing
Technische Universität Wien
Vorlesungsmanuskript
14. Juni 2016
Dieses Manuskript basiert zum Teil auf dem Vorlesungsmanuskript “Nichtlineare partielle Differentialgleichungen” von Prof. Dr. A. Arnold bzw. auf dem Buch “Partielle Differentialgleichungen”
von L. Evans. Es handelt sich um eine vorläufige Version; bitte senden Sie gefundene Fehler an
[email protected].
1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Sobolevräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Konvergenz und Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
3
9
10
2 Nichtlineare elliptische Gleichungen
2.1 Semilineare Gleichungen . . . . . .
2.2 Monotone semilineare Gleichungen
2.3 Quasilineare Gleichungen . . . . . .
2.4 Drift-Diffusionsgleichungen . . . . .
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15
23
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3 Nichtlineare parabolische Gleichungen
3.1 Sobolevräume in Ort und Zeit . . . . .
3.2 Semilineare Gleichungen . . . . . . . .
3.3 Positivität und Langzeitverhalten . . .
3.4 Quasilineare Gleichungen . . . . . . . .
3.5 Die Poröse-Medien-Gleichung . . . . .
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4 Weitere nichtlineare Gleichungen
4.1 Stationäre Navier-Stokes-Gleichungen
4.2 Schrödinger-Gleichung . . . . . . . .
4.3 Hamilton-Jacobi-Gleichungen . . . .
4.4 Eine logarithmische Gleichung vierter
2
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Ordnung
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1
Einleitung
Mit Hilfe von partiellen Differentialgleichungen kann eine Vielzahl von Prozessen aus den
Natur- und sogar Wirtschaftswissenschaften beschrieben werden. Bei einer realistischen
Modellierung sind die Differentialgleichungen in der Regel nichtlinear. Im Gegensatz zu linearen partiellen Differentialgleichungen können nichtlineare partielle Differentialgleichungen nicht auf einfache Weise klassifiziert werden. Daher sind viele verschiedene, spezielle
Techniken notwendig, um die Wohlgestelltheit von Randwert- und Anfangsrandwertproblemen und das qualitative Verhalten ihrer Lösungen zu untersuchen. In dieser Vorlesung
werden typische Strategien für semilineare und quasilineare Gleichungen vorgestellt. Wir
beginnen mit der Präsentation einiger nichtlinearer Gleichungen, die untersucht werden
sollen.
1.1
Beispiele
Flüssigkeit in einem porösen Medium. Wir wollen eine Gleichung herleiten, die die
Evolution einer Flüssigkeit in einem porösen Medium beschreibt. Beispiele sind das Eindringen von Wasser in einen Deich oder die Bewegung von Grundwasser in einer Gesteinsschicht. Wir suchen also eine Gleichung für die Flüssigkeitsdichte n(x, t). Nehmen wir
Massenerhaltung an, so erfüllt n die Erhaltungsgleichung
nt + div(nv) = 0,
wobei v die Durchschnittsgeschwindigkeit der Flüssigkeit bezeichnet. Hier und im folgenden betrachten wir ausschließlich dimensionslose, skalierte Gleichungen. Die
R obige Gleichung heißt Erhaltungsgleichung, weil sie impliziert, daß die Gesamtmasse R3 ndx zeitlich
konstant ist, also erhalten bleibt. Wir nehmen weiter an, daß die Geschwindigkeit v proportional zum Gradienten des Drucks p ist. Dies ist das sogenannte Darcy-Gesetz:
v = −k∇p,
und k > 0 hängt von der Viskosität der Flüssigkeit und der Permeabilität des Mediums ab.
Die dritte Annahme lautet, daß der Druck über die folgende Zustandsgleichung gegeben
ist:
p = nγ , γ > 0.
Setzen wir die drei Gleichungen zusammen, erhalten wir die Poröse-Medien-Gleichung
nt − div
kγ
∇nγ+1 = 0.
γ+1
Schreiben wir sie in der Form
nt − div(D(n)∇n) = 0 mit D(n) = kγnγ ,
3
so sehen wir, daß es sich um eine quasilineare parabolische Gleichung handelt. Sie wird im
allgemeinen in einem Gebiet Ω ⊂ Rn gelöst und wird vervollständigt durch Rand- und
Anfangsbedingungen, zum Beispiel
n = 0 auf ∂Ω, t > 0,
n(·, 0) = n0
in Ω.
Die Funktion D(n) kann als ein dichteabhängiger Diffusionskoeffizient interpretiert werden. Die Diffusivität wird umso größer, je größer die Flüssigkeitsdichte ist. Der Differentialoperator L(u) = −div(D(n)∇n) ist nicht gleichmäßig elliptisch, denn die Diffusivität
verschwindet, wenn n = 0. Daher gehört die Poröse-Medien-Gleichung zur Klasse der degeneriert parabolischen Differentialgleichungen. Ist die Diffusivität konstant, D(n) = D0 , so
erhalten wir die Wärmeleitungsgleichung ut −D0 ∆n = 0. Im Gegensatz zu dieser Gleichung
besitzt die Poröse-Medien-Gleichung eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit. Physikalisch bedeutet dies, daß sich von der Flüssigkeit gesättigte Gebiete mit endlicher Geschwindigkeit in dem Medium ausbreiten.
Inkompressible Flüssigkeiten und Gase. Sei eine Flüssigkeit oder ein Gas mit Teilchendichte n(x, t) und mittlerer Geschwindigkeit v(x, t) gegeben. Die Gleichung
nt + div(nv) = 0
(1.1)
beschreibt die Erhaltung der Teilchendichte. Der Teilchenstrom wird durch die Stromdichte
nv beschrieben, die der folgenden Gleichung genügt:
(nv)t + div(nv ⊗ v) + ∇p = F (v),
(1.2)
wobei v⊗v eine Matrix mit den Komponenten vi vj und p der Druck der Flüssigkeit ist. Falls
F (v) = 0, so handelt es sich bei den beiden obigen Gleichungen um die Euler-Gleichungen.
Sie gelten für dünne Gase wie etwa Luft. Die Differentialgleichungen sind dann von erster
Ordnung und fallen in die Klasse der hyperbolischen Erhaltungsgleichungen (denn Gesamtteilchendichte und Gesamtstromdichte sind zeitlich konstant), die wir im folgenden nicht
betrachten wollen. Flüssigkeiten wie Wasser oder Öl sind viskos, wir erwarten also diffusive
Terme in der Gleichung für den Teilchenstrom. Man kann zeigen, daß in diesem Fall
F (v) = (λ + µ)∇(div v) + µ∆v
ist, wobei λ und µ > 0 Flüssigkeitskonstanten sind und der Laplace-Operator auf die vektorwertige Funktion v komponentenweise zu betrachten ist (∆v ist also wieder ein Vektor).
Mit diesem Ausdruck werden (1.1) und (1.2) Navier-Stokes-Gleichungen genannt. Die mathematische Behandlung dieser Gleichungen ist sehr anspruchsvoll und wir begnügen uns
mit dem Spezialfall einer stationären, homogenen Flüssigkeit. Wegen der Stationärität fallen die zeitlichen Ableitungen weg. Homogenität bedeutet, daß die Teilchendichte räumlich
konstant ist. Beide Voraussetzungen implizieren, daß n(x, t) = n0 eine Konstante ist. Zur
Vereinfachung nehmen wir an, daß n0 = 1 und µ = 1 gilt. In diesem Fall können wir (1.1)
und (1.2) vereinfachen. Wir erhalten:
div(v ⊗ v) + ∇p = ∆v,
4
div v = 0.
Wegen div(v ⊗ v) = (div v)v + (v · ∇)v = (v · ∇)v erhalten wir die stationären NavierStokes-Gleichungen
(v · ∇)v + ∇p = ∆v, div v = 0,
P
wobei die Komponenten des Vektors (v · ∇)v durch i vi ∂i vj mit ∂i = ∂/∂xi gegeben
sind. Man nennt ∆v einen diffusiven Term und (v · ∇)v einen konvektiven Term. Die
Navier-Stokes-Gleichungen sind wegen des konvektiven Terms nichtlinear. Die Gleichungen
werden in einem Gebiet Ω gelöst. Typische Randbedingungen sind v = 0 auf ∂Ω (die
Flüssigkeit ruht am Rand) oder v · ν = 0 auf ∂Ω (der Rand ist isolierend, keine Flüssigkeit
geht hindurch), wobei ν der Einheitsnormalenvektor auf ∂Ω ist. Flüssigkeiten mit der
Eigenschaft div v = 0 werden inkompressibel genannt.
Reaktion von Chemikalien. Die Konzentration einer Chemikalie in einem Gebiet Ω
kann beschrieben werden durch die Gleichung
ut − ∆u = R+ + R− .
Wir haben angenommen, daß die Diffusivität konstant ist. Die Funktion R+ beschreibt
Quellen, R− Senken in dem Gebiet. Wir nehmen an, daß die Chemikalie mit der konstanten
Rate R+ = R0 > 0 erzeugt wird und die Senke quadratisch von der Dichte abhängt,
R− = −u2 ≤ 0. Dies modelliert zum Beispiel binäre Reaktionen, bei denen die Chemikalie
umgewandelt wird. Kann die Chemikalie den Rand des Gebiets nicht durchdringen, so
können wir homogene Neumann-Randbedingungen verwenden:
∂u
= 0 auf ∂Ω, t > 0,
∂ν
u(·, 0) = u0
in Ω.
Zur Zeit t = 0 habe die Chemikalie die Dichte u0 . Bei diesem Anfangsrandwertproblem
handelt es sich um eine semilineare parabolische Gleichung. Man nennt Gleichungen vom
Typ
ut − ∆u = f (x, u)
auch Reaktions-Diffusionsgleichungen.
Was geschieht für t → ∞? Wir erwarten, daß sich die Konzentration für große Zeiten
nicht mehr ändert, ut = 0, so daß das Problem
−∆u = R0 − u2
in Ω,
∂u
= 0 auf ∂Ω
∂ν
√
zu lösen ist. Sie besitzt die Lösung u∞ = R0 . In der Chemie ist von Interesse, wie schnell
u(·, t) gegen die stationäre Lösung konvergiert. Es kann etwa gefragt werden, ob und in
welchem Sinne die Ungleichung
ku(·, t) − u∞ k ≤ ku0 ke−λt
erfüllt und wie groß die Konvergenzrate λ > 0 ist.
5
Elektronen in einem Halbleiter I. Die Bewegung von geladenen Teilchen wie Elektronen in einem Halbleitermaterial kann klassisch durch einen Diffusionsstrom beschrieben
werden, der durch Änderungen der Teilchenkonzentration n zustande kommt, und des
Driftstroms, der durch das elektrische Feld erzeugt wird. Die totale Teilchenstromdichte
kann also beschrieben werden durch
J = ∇n − n∇φ,
wobei φ das elektrische Potential und −∇φ das elektrische Feld bedeuten. Die Evolution
der Elektronendichte können wir durch die Massenerhaltungsgleichung
nt − div J = 0
beschreiben. Im folgenden sind wir nur an stationären Lösungen interessiert und setzen
daher nt = 0. Dann ist J Lösung von
div J = 0.
Das elektrische Potential ist die Lösung der Poisson-Gleichung
∆φ = n − f (x),
wobei f (x) gegebene Ladungen im Halbleiter sind und n − f die totale Ladungsdichte ist.
Das Paar (n, φ) ist also Lösung des Gleichungssystems
div(∇n − n∇φ) = 0,
∆φ = n − f (x)
im Halbleitergebiet Ω. Dies ist ein System von nichtlinearen elliptischen Gleichungen, dem
sogenannten stationären Drift-Diffusionsmodell. Wir nehmen an, daß auf dem Rand des
Gebiets die Elektronendichte und das elektrische Potential (bzw. die angelegte Spannung)
bekannt seien:
n = g, φ = ψ auf ∂Ω.
R
In der Elektrotechnik ist die Funktion ψ 7→ K J · νds von Interesse. Es wird also eine
Spannung angelegt und nach dem Stromfluß durch den Kontakt K ⊂ ∂Ω gefragt. Dies
ergibt die sogenannte Strom-Spannungskennlinie, die das Halbleiterbauteil charakterisiert.
Elektronen in einem Halbleiter II. Elektronen sind eigentlich quantenmechanische Objekte und werden durch sogenannte komplexwertige Wellenfunktionen ψ(x, t) beschrieben.
Das Integral
Z
|ψ(x, t)|2 dx
Ω
wird in der Quantenmechanik als die Wahrscheinlichkeit interpretiert, daß sich das Elektronenensemble zur Zeit t im Gebiet Ω befindet. Es wird postuliert, daß die Wellenfunktion
die Schrödinger-Gleichung
iψt + ∆ψ − V (x, t)ψ = 0 in Rn ,
6
ψ(·, 0) = ψ0 ,
erfüllt. Hierbei ist V (x, t) ein gegebenes reellwertiges Potential, zum Beispiel das Potential der Atome in einem Halbleiter oder die angelegte Spannung an den Halbleiter. Die
Schrödinger-Gleichung ist weder elliptisch noch parabolisch oder hyperbolisch. Wir werden sehen, daß sie Eigenschaften einer Wellengleichung besitzt (die Elektronen werden in
gewisser Weise durch eine “Welle” beschrieben), aber auch gewisse regularisierende Effekte besitzt, wie wir sie – im Gegensatz zur Wellengleichung – bei den elliptischen und
parabolischen Gleichungen kennengelernt haben.
Wir können einen einfachen Bezug zu den fluiddynamischen Gleichungen herstellen,
indem wir den Ausdruck |ψ|2 formal nach der Zeit differenzieren. Wir erhalten
∂t |ψ|2 = ∂t (ψψ) = ∂t ψ · ψ + ψ · ∂t ψ = (−i∆ψ + iV ψ)ψ + ψ(i∆ψ − iV ψ)
= −i div(∇ψψ − ψ∇ψ) = −2div Im(ψ∇ψ),
denn z − z = 2i Im(z) für z ∈ C. Definieren wir J = −2Im(ψ∇ψ), so erhalten wir
∂t |ψ|2 − divJ = 0.
Dies ist gerade die Erhaltungsgleichung für die Teilchendichte n = |ψ|2 .
Die obige Schrödinger-Gleichung ist linear. In einigen Anwendungen (z.B. in der Optik)
treten jedoch auch nichtlineare Gleichungen der Form
iψt + ∆ψ ± |ψ|α ψ = 0
auf, wobei der Wert von α > 0 von der Anwendung abhängt. Ein typisches Beispiel ist die
kubische Schrödinger-Gleichung mit α = 2. Die obige Gleichung ist wegen des Terms |ψ|α ψ
semilinear. Je nach Wahl des Vorzeichens und α existiert eine Lösung für alle Zeiten oder
sie wird nach endlicher Zeit unbeschränkt. Wir untersuchen dies genauer in Abschnitt 4.2.
Minimalflächen. Eine Fläche im R3 sei durch die Funktion u(x1 , x2 ) beschrieben, d.h., sie
ist gleich der Menge F = {(x1 , x2 , u(x1 , x2 )) : (x1 , x2 ) ∈ Ω}. Aus der Differentialgeometrie
ist bekannt, daß die Oberfläche von F durch
Z p
S(u) =
1 + |∇u|2 dx
Ω
beschrieben wird. Gesucht ist die Fläche minimalen Inhalts, die die Randbedingung u = g
auf ∂Ω erfüllt. Seifenhäute etwa werden durch solche Minimalflächen beschrieben. Man
kann im Rahmen der Variationsrechnung zeigen, daß die Funktion u die folgende Minimalflächengleichung erfüllt:
∇u
div p
= 0 in Ω, u = g auf ∂Ω.
1 + |∇u|2
Diese Gleichung ist quasilinear (denn der Diffusionskoeffizient hängt von ∇u ab) und elliptisch, denn wir können die Gleichung nach einer kleinen Rechnung mit x := x1 und y := x2
schreiben als
(1 + u2y )uxx − 2ux uy uxy + (1 + u2x )uyy = 0.
7
Die Koeffizientenmatrix
1 + u2y −ux uy
−ux uy 1 + u2x
besitzt positive Eigenwerte, d.h., die obige Gleichung ist elliptisch. Es handelt sich also um
eine quasilineare elliptische Gleichung vom Typ
div a(∇u) = 0.
p
In der Differentialgeometrie ist der Ausdruck 21 div(∇u/ 1 + |∇u|2 ) gleich der mittleren Krümmung der Fläche F . Minimalflächen besitzen also eine verschwindende mittlere
Krümmung.
Weitere nichtlineare Gleichungen. Die oben vorgestellten Differentialgleichungen sind
allesamt von zweiter Ordnung, d.h., die höchste auftretende Ableitung ist von zweiter Ordnung. Gleichungen erster Ordnung sind beispielsweise hyperbolische Erhaltungsgleichungen
der Form
ut + divF (u) = 0
oder Hamilton-Jacobi-Gleichungen
ut + F (∇u) = 0.
Gleichungen dritter Ordnung wie zum Beispiel die Korteweg-de-Vries-Gleichung
ut + uux + uxxx = 0
benötigen spezielle Techniken, die wir hier nicht betrachten. Der Grund, warum sich diese
Gleichungen im allgemeinen stark von Gleichungen zweiter Ordnung unterscheiden und
daher andere analytische Techniken benötigen, liegt darin, daß letztere Gleichungen gewisse diffusive Effekte zeigen, die für eine Regularität der Lösungen sorgen. (Eine Ausnahme
ist die Schrödinger-Gleichung, die aber dennoch schwach regularisiert.) Allerdings sind
diffusive Effekte nicht auf Probleme zweiter Ordnung beschränkt, und wir werden exemplarisch eine nichtlineare Gleichung vierter Ordnung betrachten, die eine logarithmische
Nichtlinearität enthält, nämlich die Derrida-Lebowitz-Speer-Spohn-Gleichung
ut + (u(ln u)xx )xx = 0.
Sie beschreibt die Teilchendichte von Elektronen in einem speziellen Halbleiter oder den
Grenzwert einer Zufallsvariablen, die Teilchensysteme mit Spin modelliert.
Für die oben vorgestellten Gleichungen und deren Verallgemeinerungen werden wir die
folgenden Fragestellungen untersuchen:
• Besitzt das Problem eine Lösung und wenn ja, ist sie eindeutig?
• Hängt die Lösung stetig von den gegebenen Daten (Koeffizienten, Randdaten, Anfangswert) ab?
• Ist die Lösung regulär, wenn die gegebenen Daten regulär sind?
• Wie verhält sich die Lösung von Evolutionsgleichungen für große Zeiten?
8
1.2
Sobolevräume
In diesem Abschnitt wiederholen und vertiefen wir einige Aspekte über Sobolevräume. Im
folgenden sei Ω ⊂ Rn (n ≥ 1) eine offene Menge.
Definition 1.1. Seien m ∈ N0 und 1 ≤ p ≤ ∞. Der Sobolevraum W m,p (Ω) ist die Menge
aller Funktionen u ∈ Lp (Ω), so daß
Dα u ∈ Lp (Ω)
für alle |α| ≤ m,
wobei α ein Multiindex und Dα u die entsprechende partielle Ableitung von u im Sinne der
Distributionen sind.
Genau genommen besteht W m,p (Ω) aus Äquivalenzklassen von Funktionen, die bis auf
Nullmengen übereinstimmen. Auf W m,p (Ω) ist die Norm
X
kukpW m,p (Ω) =
kDα ukpLp (Ω) , falls p < ∞,
|α|≤m
kukW m,p (Ω) = max kDα ukLp (Ω) ,
|α|≤m
falls p = ∞,
definiert. Mit dieser Norm ist W m,p (Ω) ein Banachraum. Im Falle m = 0 schreiben wir
W 0,p (Ω) = Lp (Ω) und für p = 2 setzen wir H m (Ω) = W m,2 (Ω). Dieser Raum ist mit dem
Skalarprodukt
X
(u, v)H m =
(Dα u, Dα v)L2
|α|≤m
ein Hilbertraum.
Definition 1.2. Seien m ∈ N und 1 ≤ p ≤ ∞. Der Sobolevraum W0m,p (Ω) ist der Abschluß
von C0∞ (Ω) in der Norm k · kW m,p (Ω) .
Der Raum W0m,p (Ω) ist ebenfalls ein Banachraum und H0m (Ω) = W0m,2 (Ω) ist mit dem
oben erwähnten Skalarprodukt ein Hilbertraum. Wir benötigen einige Eigenschaften von
W m,p (Ω) und W0m,p (Ω).
Satz 1.3 (Dichtheit). Seien 1 ≤ p < ∞ und m ∈ N0 . Dann ist C ∞ (Ω) ∩ W m,p (Ω) dicht
in W m,p (Ω) und C0∞ (Ω) ist dicht in W0m,p (Ω). Ist Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit
∂Ω ∈ C 1 (C 0,1 genügt), so ist C ∞ (Ω) dicht in W m,p (Ω).
Für einen Beweis verweisen wir auf Evans [10], Abschnitte 5.3.2 und 5.3.3.
Satz 1.4 (Einbettungssatz von Sobolev). Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈
C 1 (C 0,1 genügt) und 1 ≤ p, q < ∞, k, m ∈ N0 mit m > k.
(i) Die Einbettung W m,p (Ω) ֒→ W k,q (Ω) ist stetig, wenn m − n/p ≥ k − n/q, und
kompakt, wenn m − n/p > k − n/q.
(ii) Die Einbettung W m,p (Ω) ֒→ C k (Ω) ist kompakt, wenn m − n/p > k.
Für beliebige beschränkte Gebiete gelten beide Aussagen für W0m,p (Ω) anstatt W m,p (Ω).
9
Der Satz ist z.B. in Alt [2, Abschnitt 8.9] oder Gilbarg/Trudinger [11, Theorem 7.26]
bewiesen. In gewisser Weise charakterisiert die Zahl m − n/p die Regularität von W m,p Funktionen. Um Einbettungen der Form H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω) kompakt formulieren zu können,
führen wir die folgende Notation ein. Seien die Intervalle
 2n

2n
] : n ≥ 3,
 [ n+2 , ∞) : n ≥ 3,
 [1, n−2
∗
(1.3)
N =
[1, ∞) : n = 2, , N∗ =
(1, ∞)
: n = 2,


[1, ∞] : n = 1,
[1, ∞)
:n=1
gegeben. Dann ist die Einbettung H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω) stetig für alle p ∈ N ∗ . Wir sagen, daß
(p, q) ein zulässiges Paar ist, wenn p ∈ N ∗ und 1/p + 1/q = 1 gilt. Nach Konstruktion ist
dann automatisch q ∈ N∗ . Der Vorteil dieser Notation ist, daß für zulässige Paare (p, q)
das Produkt f g der Funktionen f ∈ Lp (Ω) und g ∈ Lq (Ω) nach der Hölder-Ungleichung
integrierbar ist: f g ∈ L1 (Ω).
Ähnlich wie für H 1 -Funktionen können wir für Funktionen u aus W 1,p (Ω) die Spur u|∂Ω
definieren (siehe z.B. Alt [2, Satz A6.6]).
Satz 1.5 (Spur von Sobolevfunktionen). Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈
C 1 (C 0,1 genügt) und 1 ≤ p < ∞. Dann existiert genau eine stetige lineare Abbildung,
genannt die Spur (engl.: trace), γ : W 1,p (Ω) → Lp (∂Ω) mit der Eigenschaft
γ(u) = u|∂Ω
für alle u ∈ W 1,p (Ω) ∩ C 0 (Ω).
Mit Hilfe des Spursatzes können wir W01,p -Funktionen ähnlich wie H01 -Funktionen charakterisieren.
Satz 1.6 (Charakterisierung von W01,p -Funktionen). Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet
mit ∂Ω ∈ C 1 (C 0,1 genügt), 1 ≤ p < ∞ und u ∈ W 1,p (Ω). Dann gilt
u ∈ W01,p (Ω)
genau dann, wenn γ(u) = 0.
Die Poincaré-Ungleichung gilt allgemein für W01,p -Funktionen (siehe Evans [10, Abschnitt 5.8.1]).
Satz 1.7 (Poincaré-Ungleichung). Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈ C 1
(C 0,1 genügt) und 1 ≤ p < ∞. Dann existiert eine Konstante CP > 0, so daß für alle
u ∈ W01,p (Ω) gilt
kukLp (Ω) ≤ CP k∇ukLp (Ω) .
1.3
Konvergenz und Kompaktheit
In endlichdimensionalen Räumen besitzen beschränkte Folgen konvergente Teilfolgen. In
unendlichdimensionalen Räumen gilt dieses Resultat im allgemeinen nicht. Das Fehlen von
Kompaktheit führt in der Theorie nichtlinearer Differentialgleichungen häufig zu Problemen. Um diese zu überwinden, kann das Konzept der schwachen Konvergenz verwendet
10
werden. Wir geben im folgenden einige Resultate aus der Funktionalanalysis ohne Beweis.
Beweise können in Zeidler [23, Kapitel 21] gefunden werden.
Sei B stets ein Banachraum mit Norm k · k. Wir erinnern zuerst an die Definition des
Dualraums. Er ist definiert durch B ′ = {f : B → R : f ist linear und stetig}. Die Norm in
B ′ ist definiert durch
kf kB ′ = sup |f (u)|.
kuk≤1
Wir schreiben auch hf, uiB ′ anstatt f (u). Beispielsweise kann der Dualraum von Lp (Ω) mit
Lq (Ω) identifiziert werden, wobei 1 ≤ p < ∞ und 1/p + 1/q = 1. Wir benötigen später
folgendes Resultat.
Proposition 1.8. Seien B und X Banachräume mit stetiger und dichter Einbettung B ֒→
X. Dann ist die Einbettung X ′ ֒→ B ′ stetig. Ist weiterhin X reflexiv, so ist X ′ dicht in B ′ .
Der Beweis ist in Zeidler [23, Problem 18.6] zu finden. Wir wenden diese Proposition
auf X = Lp (Ω) und B = H01 (Ω) an, wobei p ∈ N ∗ , und erhalten
Lq (Ω) ⊂ H −1 (Ω) = (H01 (Ω))′ ,
q ∈ N∗ , 1/p + 1/q = 1.
(1.4)
Falls n = 3, können wir q ≥ 6/5 wählen; im Falle n = 2 ist q > 1 möglich; für n = 1 ist
auch q ≥ 1 zulässig.
Definition 1.9. Eine Folge (uk ) ⊂ B heißt schwach konvergent gegen ein u ∈ B, wenn
für alle F ∈ B ′ gilt:
hF, uk iB ′ → hF, uiB ′ für k → ∞.
Wir schreiben in diesem Fall:
uk ⇀ u für k → ∞.
Beispiel 1.10. Wir behaupten, daß die Folge (uk ), definiert durch uk (x) = sin(kx)/π, in
L2 (0, 2π) schwach gegen null konvergiert. Sei f ∈ (L2 (0, 2π))′ = L2 (0, 2π). Dann sind durch
Z
1 2π
hf, uk iL2 =
sin(kx)f (x)dx
π 0
gerade die Fourier-Koeffizienten von f gegeben. Nach dem Satz von Riemann-Lebesgue
gilt aber, daß diese Koeffizienten für k → ∞ gegen null konvergieren. Dies bedeutet, daß
uk ⇀ 0 in L2 (0, 2π). Andererseits ist uk nicht stark konvergent in L2 (0, 2π), denn
Z 2π
1
1
2
sin2 (kx)dx = 6= 0.
kuk − 0kL2 (0,2π) = 2
π 0
π
Dies zeigt, daß aus schwacher Konvergenz im allgemeinen nicht starke Konvergenz folgt.
Beachte, daß die Folge (uk ) weder punktweise noch fast überall in (0, 2π) konvergiert. Das Konzept der schwachen Konvergenz erweist sich als brauchbar, denn es gilt das
folgende Resultat, das ein Spezialfall des Satzes von Alaoglu ist (Beweis siehe Zeidler [23],
Theorem 21.D).
11
Satz 1.11 (Eberlein-Šmuljan). Jede beschränkte Folge in einem reflexiven Banachraum
besitzt eine schwach konvergente Teilfolge.
Wir erinnern, daß reflexive Banachräume B über die Eigenschaft B ′′ = B definiert sind.
Der Lebesgue-Raum Lp (Ω) ist genau dann reflexiv, wenn 1 < p < ∞. Der Raum Lp (Ω)
ist genau dann separabel (d.h. enthält eine höchstens abzählbare, dichte Teilmenge), wenn
1 ≤ p < ∞. Es ist also L1 (Ω) zwar separabel, aber nicht reflexiv; es gilt (L1 (Ω))′ =
L∞ (Ω). Der Raum L∞ (Ω) is weder separabel noch reflexiv; sein Dualraum (L∞ (Ω))′ kann
identifiziert werden mit der Menge der beschränkten, endlich additiven, signierten Maße,
die bezüglich des Lebesgue-Maßes absolut stetig sind. Er enthält den Raum L1 (Ω), d.h.
L1 (Ω) ⊂ (L∞ (Ω))′ , und die Inklusion ist strikt.
Schwach konvergente Folgen besitzen die folgenden Eigenschaften (siehe Zeidler [23,
Prop. 21.23], Emmrich [9, Satz A.2.17]).
Proposition 1.12 (Eigenschaften schwacher Konvergenz). Sei B ein Banachraum.
(i) Starke Konvergenz impliziert schwache Konvergenz.
(ii) Wenn dim B < ∞, dann impliziert schwache Konvergenz starke Konvergenz.
(iii) Satz von Banach-Steinhaus: Gilt uk ⇀ u (k → ∞) für eine Folge (uk ) ⊂ B, so ist
(uk ) beschränkt und
kuk ≤ lim inf kuk k.
k→∞
(iv) Sei B reflexiv. Haben alle schwach konvergenten Teilfolgen einer beschränkten Folge
(uk ) ⊂ B denselben Grenzwert u ∈ B, so konvergiert die gesamte Folge (uk ) schwach gegen
u. Diese Aussage gilt auch für starke Konvergenz.
Teil (iv) kann übrigens verschärft werden: Ist B ein topologischer Raum, so konvergiert
(uk ) gegen u ∈ B genau dann, wenn jede Teilfolge von (uk ) eine Teilteilfolge besitzt, die
gegen denselben Grenzwert u ∈ B konvergiert.
Bemerkung 1.13. Sei (uk ) eine schwach konvergente Folge, uk ⇀ u in B und f : B → B
eine stetige Funktion. Ist dann auch die Bildfolge (f (uk )) (schwach) konvergent, f (uk ) ⇀
f (u) in B? Die Antwort ist im allgemeinen negativ. Seien beispielsweise uk (x) = sin(kx),
x ∈ (0, 2π), und f (x) = |x|. Aus Beispiel 1.10 wissen wir, daß uk ⇀ 0 in L2 (0, 2π).
Andererseits kann nicht |uk | ⇀ 0 in L2 (0, 2π) gelten, denn zum Beispiel gilt für φ(x) = 1:
Z
2π
0
1
| sin(kx)| · 1dx =
k
Z
2πk
0
| sin y|dy =
Z
2π
0
| sin y|dy = 4,
und das Integral konvergiert nicht gegen null.
In nichtreflexiven (aber separablen) Banachräumen (wie z.B. L1 (Ω)) kann ein zum
Satz von Eberlein-Šmuljan vergleichbares Resultat mit Hilfe des Konzeptes der schwach*
Konvergenz bewiesen werden. Dies ist von Bedeutung, wenn Beschränktheit in L∞ (Ω)
vorliegt, wofür Satz 1.11 nicht gilt.
12
Definition 1.14. Eine Folge (Fk ) ⊂ B ′ heißt schwach* konvergent gegen F ∈ B ′ , wenn
für alle u ∈ B gilt:
hFk , uiB ′ → hF, uiB ′ für k → ∞.
Wir schreiben in diesem Fall:
F k ⇀∗ F
für k → ∞.
Satz 1.15. Sei B ein separabler Banachraum. Jede beschränkte Folge in B ′ besitzt eine
schwach* konvergente Teilfolge.
Für einen Beweis verweisen wir auf Zeidler [23, Abschnitt 21.8]. Sei (uk ) eine beschränkte Folge in L∞ (Ω) und B = L1 (Ω). Wegen (L1 (Ω))′ = L∞ (Ω) existiert also eine Teilfolge
(uk′ ), so daß uk′ ⇀∗ u in L∞ (Ω), d.h.
Z
Z
uk′ vdx →
uvdx für alle v ∈ L1 (Ω).
Ω
Ω
Proposition 1.16 (Eigenschaften von schwach* Konvergenz). Sei B ein separabler Banachraum.
(i) Starke Konvergenz impliziert schwach* Konvergenz.
(ii) Für reflexive Banachräume sind schwache Konvergenz und schwach* Konvergenz
äquivalent.
(iii) Satz von Banach-Steinhaus: Gilt uk ⇀∗ u (k → ∞) für eine Folge (uk ) ⊂ B ′ , so
ist (uk ) beschränkt und
kukB ′ ≤ lim inf kuk kB ′ .
k→∞
∗
′
(iv) Wenn uk ⇀ u in B und vk → v in B oder wenn uk → u in B ′ und vk ⇀ v in B,
dann folgt
huk , vk iB ′ → hu, viB ′ für k → ∞.
Ist (uk ) eine beschränkte Folge in L1 (Ω), so können weder Satz 1.11 noch Satz 1.15 angewendet werden. Im allgemeinen folgt auch nicht, daß eine schwach konvergente Teilfolge
existiert. Diese Aussage ist nur unter Zusatzvoraussetzungen richtig. Nach dem Satz von
Dunford-Pettis gilt (siehe Ekeland/Temam [8, Theorem 1.3]):
Ist φ R: [0, ∞) → [0, ∞) eine stetige Funktion mit limx→∞ φ(x)/x = ∞ und gilt
supk Ω φ(|uk |)dx < ∞, so existiert eine in L1 (Ω) schwach konvergente Teilfolge
von (uk ).
Wählen wir φ(x) = |x|α mit α > 1, so folgt also aus der Beschränktheit von kuk kLα (Ω)
die Existenz einer Teilfolge (uk′ ) mit uk′ ⇀ u in L1 (Ω).
Abschließend erinnern wir an den Satz über die majorisierte Konvergenz (oder Satz
von Lebesgue) und dessen “Umkehrung”.
13
Satz 1.17 (Satz über die majorisierte Konvergenz). Seien Ω ⊂ Rn (n ≥ 1) eine offene
Menge und (fk ) ⊂ L1 (Ω) eine Folge.
(i) Gilt fk → f fast überall in Ω für k → ∞ und existiert eine Funktion g ∈ L1 (Ω) mit
|fk | ≤ g in Ω für alle k, dann folgt f ∈ L1 (Ω) und fk → f in L1 (Ω).
(ii) Gilt fk → f in L1 (Ω), dann existiert eine Teilfolge (fk′ ) mit fk′ → f fast überall in
Ω und es existiert eine Funktion g ∈ L1 (Ω), so daß |fk′ | ≤ g für alle k ′ .
Der Satz ist gültig, wenn L1 (Ω) durch Lp (Ω) ersetzt wird. Hierbei ist 1 ≤ p < ∞ für
Teil (i) und 1 ≤ p ≤ ∞ für Teil (ii). Ein Beweis von Teil (ii) ist in Brézis [4, Théorème
IV.9] zu finden.
14
2
Nichtlineare elliptische Gleichungen
Ziel dieses Kapitels ist die Lösung von nichtlinearen elliptischen Differentialgleichungen
vom Typ
−∆u = f (x, u) und − div a(∇u) = f (x).
Bei der ersten Gleichung handelt es sich um eine semilineare Gleichung (denn die höchste
Ableitung ist linear in u), bei der zweiten Gleichung um eine quasilineare Gleichung, denn
div a(∇u) =
n
X
i=1
n
X
∂ai
(∇u)∂xi ∂xj u.
∂xi ai (∂x1 u, . . . , ∂xn u) =
∂z
j
i,j=1
Um die Existenz bzw. Eindeutigkeit von Lösungen dieser Gleichungen zu beweisen, benutzen wir zwei grundlegende Prinzipien:
• Fixpunktsätze: Die Differentialgleichung wird als Fixpunktgleichung S(u) = u umformuliert und die Existenz eines Fixpunktes u wird bewiesen. Hierfür benötigen wir
typischerweise Kompaktheitsresultate, die wir über sogenannte A-priori-Abschätzungen erhalten.
• A-priori-Abschätzungen: Dies sind Ungleichungen für S(u), deren rechte Seite unabhängig von u sind. Die Abschätzungen erhalten wir z.B. aus Maximumprinzipien
oder aus der Monotonie der Nichtlinearitäten.
2.1
Semilineare Gleichungen
Betrachte die Differentialgleichung
L(u) = f (x, u) in Ω,
u=g
auf ∂Ω.
(2.5)
In den folgenden Abschnitten machen wir die folgenden Grundvoraussetzungen. Die Menge
Ω ⊂ Rn sei ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈ C 1 , der Differentialoperator L(u) ist definiert
durch
L(u) = −div(A∇u) + cu,
wobei A(x) = (aij (x)) eine (n × n)-Matrix und c(x) eine Funktion seien. Ferner sei A
symmetrisch und elliptisch (bzw. gleichmäßig in x positiv definit), d.h., es existiert α > 0,
so daß ξ T A(x)ξ ≥ α|ξ|2 für alle ξ ∈ Rn und x ∈ Ω. Außerdem gelte aij ∈ L∞ (Ω) und
c ∈ L∞ (Ω) mit c ≥ 0 in Ω. Die Randfunktion g sei auf Ω so fortgesetzt, daß g ∈ H 1 (Ω)
gilt. Schließlich sei die Funktion f eine Carathéodory-Funktion:
Definition 2.1. Wir nennen f : Ω × R → R eine Carathéodory-Funktion, wenn (i) für
alle u ∈ R die Funktion x 7→ f (x, u) meßbar und (ii) für fast alle x ∈ Ω die Funktion
u 7→ f (x, u) stetig ist.
15
Unser Ziel ist der Beweis der Existenz (und Eindeutigkeit) von Lösungen von (2.5). Die
Idee ist dabei wie folgt. (Im folgenden geben wir eine Motivation, mathematisch rigorose
Argumente kommen später.) Wir definieren einen sogenannten Fixpunktoperator. Sei dafür
v eine Funktion und u eine Lösung von
L(u) = f (x, v) in Ω,
u=g
auf ∂Ω.
(2.6)
Dies ist, für gegebenes v, eine lineare Differentialgleichung, und unter bestimmten Voraussetzungen existiert nach dem Lemma von Lax-Milgram eine eindeutige Lösung u. Dies
definiert die Abbildung S(v) = u. Können wir nun beweisen, daß sie einen Fixpunkt u∗
besitzt, d.h. S(u∗ ) = u∗ , so haben wir die Existenz einer Lösung von (2.5) bewiesen, denn
die Differentialgleichung für diesen Fixpunkt lautet
L(u∗ ) = f (x, u∗ ).
Unter welchen Voraussetzungen können wir die Existenz eines Fixpunktes folgern? Wir
kennen bereits den Fixpunktsatz von Banach:
Satz 2.2 (Fixpunktsatz von Banach). Seien B ein Banachraum, M ⊂ B eine abgeschlossene Menge und S : M → M eine Kontraktion, d.h., es existiert k ∈ (0, 1), so daß für alle
x, y ∈ M gilt:
kS(x) − S(y)k ≤ kkx − yk.
Dann besitzt S genau einen Fixpunkt.
Unter welchen Bedingungen können wir erwarten, daß der oben definierte Operator S
eine Kontraktion ist? Dazu seien v1 und v2 zwei Funktionen und u1 und u2 Lösungen von
L(u1 ) = f (x, v1 ),
L(u2 ) = f (x, v2 ).
(2.7)
Wir müssen die Ungleichung
ku1 − u2 k ≤ kkv1 − v2 k
für ein k < 1 beweisen. Man kann begründen, daß die rechte Seite der nichtlinearen Gleichung (2.6) in einem gewissen Sinne “klein” sein muß, damit die Forderung k < 1 erfüllt
werden kann. Dies ist unbefriedigend. Wir werden daher einen anderen Fixpunktsatz benutzen. (Der Fixpunktsatz von Banach spielt eine größere Rolle bei semilinearen parabolischen
Gleichungen, siehe Abschnitt 3.2.)
Satz 2.3 (Fixpunktsatz von Schauder). Seien B ein Banachraum, K ⊂ B eine kompakte
und konvexe Menge und S : K → K eine stetige Abbildung. Dann besitzt S einen Fixpunkt.
Wir erinnern, daß eine Menge K kompakt ist, wenn jede Folge in K eine konvergente
Teilfolge in K besitzt. Außerdem ist K konvex, wenn für alle u, v ∈ K und λ ∈ [0, 1] gilt
λu + (1 − λ)v ∈ K. Beachte, daß der Fixpunktsatz von Schauder nur die Existenz eines
Fixpunktes garantiert, aber nicht dessen Eindeutigkeit.
16
Beweis. Wir geben nur die Beweisidee. Ein vollständiger Beweis findet sich in Gilbarg/Trudinger [11, Sec. 11.1]. Der Beweis basiert auf dem folgenden Fixpunktsatz:
Satz 2.4 (Fixpunktsatz von Brouwer). Sei S : B1 (0) → B1 (0) eine stetige Funktion, wobei
B1 (0) die abgeschlossene Einheitskugel im Rn sei; dann existiert ein Fixpunkt von S.
Der Satz von Brouwer wird zum Beispiel in Evans [10, Sec. 8.1.4] bewiesen.
Da K kompakt ist, existieren für gegebenes j ∈ N Punkte x1 , . . . , xN , so daß die Kugeln
B1/j (xi ), i = 1, . . . , N , die Menge K überdecken. Sei Kj ⊂ K die konvexe Hülle von
{x1 , . . . , xN } und Fj eine Approximation der Identität mit Wertebereich in Kj . Dann ist
Fj ◦ S|Kj nach Konstruktion eine stetige Abbildung von Kj nach Kj . Nach dem Satz von
Brouwer besitzt diese Abbildung einen Fixpunkt uj , denn Kj ist endlichdimensional. Da
K kompakt ist, konvergiert eine Teilfolge (uj ′ ) gegen ein u ∈ K. Da Fj die Identität
approximiert, folgt
kuj ′ − S(uj ′ )k = kFj ′ ◦ S(uj ′ ) − S(uj ′ )k → 0 für j ′ → ∞.
Da S stetig ist, erhalten wir u = S(u) und damit die Behauptung.
Das erste Existenzresultat lautet wie folgt.
Satz 2.5 (Existenz für semilineare Gleichungen). Es gelten die Voraussetzungen zu Beginn
dieses Abschnitts. Ferner sei f eine Carathéodory-Funktion mit
|f (x, u)| ≤ h(x)
für x ∈ Ω, u ∈ R, wobei h ∈ Lq (Ω), q ∈ N∗ .
Dann existieren eine schwache Lösung u ∈ H 1 (Ω) von (2.5) und eine Konstante C > 0,
die nur von A, c und Ω abhängt, so daß
(2.8)
kukH 1 (Ω) ≤ C kgkH 1 (Ω) + khkLq (Ω) .
Das Intervall N∗ ist in (1.3) definiert. Die schwache Formulierung von (2.5) lautet: Finde
u ∈ H 1 (Ω) mit u = g auf ∂Ω, so daß
Z
Z
T
(∇u A∇v + cuv)dx =
f (x, u)vdx für alle v ∈ H01 (Ω).
Ω
Ω
Das Integral auf der rechten Seite ist wohldefiniert. Aus der Einbettung H01 (Ω) ֒→ Lp (Ω)
für p ∈ N ∗ folgt nämlich v ∈ Lp (Ω) und mit der Hölder-Ungleichung ergibt sich, da
1/p + 1/q = 1, die Beziehung f (·, u)v ∈ L1 (Ω).
Beweis. Der Beweis gliedert sich in mehrere Schritte.
Schritt 1: Definition des Fixpunktoperators. Sei v ∈ K = {v ∈ L2 (Ω) : kvkH 1 (Ω) ≤ M },
wobei wir M > 0 später definieren. Die Menge K ist kompakt in L2 (Ω), denn wählen wir
eine Folge (uk ) ⊂ K, so folgt aus der kompakten Einbettung H 1 (Ω) ֒→ L2 (Ω), daß eine
17
Teilfolge (uk′ ) von (uk ) existiert mit uk′ → u in L2 (Ω) und uk′ ⇀ u in H 1 (Ω) für k ′ → ∞.
Die Grenzfunktion u liegt in K, da nach Proposition 1.12 gilt:
kukH 1 (Ω) ≤ lim
inf kuk′ kH 1 (Ω) ≤ M.
′
k →∞
Also ist K kompakt.
Sei u ∈ H 1 (Ω) die eindeutig bestimmte Lösung des linearen Randwertproblems
L(u) = f (x, v) in Ω,
u=g
auf ∂Ω.
(2.9)
Dieses Problem ist lösbar (etwa nach dem Lemma von Lax-Milgram), wenn die rechte Seite
in H −1 (Ω) liegt. Dies ist der Fall, denn nach Voraussetzung und (1.4) gilt |f (x, v(x))| ≤
h(x) ∈ Lq (Ω) ֒→ H −1 (Ω) (siehe (1.4)). Dies definiert den Operator S : K → L2 (Ω),
S(v) = u. Es bleiben zu zeigen, daß S eine Selbstabbildung (d.h. S : K → K) und stetig
ist.
Schritt 2: S ist eine Selbstabbildung. Wir zeigen, daß S(K) ⊂ K. Dies ist der wichtigste
Schritt im Beweis. Sei u = S(v) ∈ S(K). Wir verwenden die Testfunktion u − g ∈ H01 (Ω)
in der schwachen Formulierung (2.9):
Z
Z
T
(∇u A∇(u − g) + cu(u − g))dx =
f (x, v)(u − g)dx.
(2.10)
Ω
Ω
Wir schätzen die linke Seite ab, indem wir die Elliptizität von A und die Youngsche Ungleichung verwenden:
Z
(∇uT A∇(u − g) + cu(u − g))dx
Ω
Z
∇(u − g)T A∇(u − g) + ∇g T A∇(u − g) + c(u − g)2 + cg(u − g) dx
=
ZΩ α
|A|2
c
c ≥
α|∇(u − g)|2 − |∇(u − g)|2 −
|∇g|2 + c(u − g)2 − (u − g)2 − g 2 dx
2
2α
2
2
Ω
α
1
1
≥ k∇(u − g)2 k2L2 (Ω) −
kAk2L∞ (Ω) k∇gk2L2 (Ω) − kckL∞ (Ω) kgk2L2 (Ω) .
(2.11)
2
2α
2
Für die Abschätzung der rechten Seite von (2.10) verwenden wir die Voraussetzung an f
und die Hölder-Ungleichung:
Z
Z
1
ε
f (x, v)(u − g)dx ≤
h|u − g|dx ≤ khkLq (Ω) ku − gkLp (Ω) ≤ ku − gk2Lp (Ω) + khk2Lq (Ω) ,
2
2ε
Ω
Ω
wobei 1/p + 1/q = 1. Dann gilt p ∈ N ∗ , und wir schließen H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω). Außerdem
folgt aus der Einbettung sowie der Poincaré-Ungleichung, daß
ku − gkLp (Ω) ≤ C1 ku − gkH 1 (Ω) ≤ C2 k∇(u − g)kL2 (Ω)
18
mit gewissen Konstanten C1 und C2 . Wählen wir nun ε > 0 hinreichend klein (z.B.
ε = α/2C22 ), so können wir den Term 2ε ku − gk2Lp (Ω) ≤ α4 k∇(u − g)k2L2 (Ω) durch den entsprechenden Ausdruck in (2.11) absorbieren. Fassen wir also die Abschätzungen beider Seiten
zusammen, erhalten wir
1
1
1
α
k∇(u − g)k2L2 (Ω) ≤
kAk2L∞ (Ω) k∇gk2L2 (Ω) + kckL∞ (Ω) kgk2L2 (Ω) + khk2Lq (Ω) =: M02 .
4
2α
2
2ε
Verwenden wir noch einmal die Poincaré-Ungleichung, so ergibt sich
kukH 1 (Ω) ≤ ku − gkH 1 (Ω) + kgkH 1 (Ω) ≤ (C3 M0 + kgkH 1 (Ω) ) =: M
(2.12)
und damit u ∈ K. Dies zeigt, daß der Fixpunktoperator S eine Selbstabbildung ist, und
beweist die A-priori-Abschätzung (2.8), sobald wir die Existenz eines Fixpunktes bewiesen
haben.
Schritt 3: S ist stetig. Sei (vk ) ⊂ K eine Folge mit vk → v in L2 (Ω) für k → ∞. Wir
müssen zeigen, daß S(vk ) → S(v) in L2 (Ω). Dazu wählen wir eine Teilfolge von (vk ), die
wir der Einfachkeit halber wieder mit (vk ) bezeichnen. Sei uk = S(vk ). Dann erfüllt uk die
schwache Formulierung
Z
Z
T
(∇uk A∇w + cuk w)dx =
f (x, vk )wdx für w ∈ H01 (Ω)
Ω
Ω
und die Abschätzung (2.12), d.h., (uk ) ist beschränkt in H 1 (Ω). Daher existiert eine Teilfolge (uk′ ), so daß für k ′ → ∞
uk′ ⇀ u in H 1 (Ω),
uk′ → u in L2 (Ω).
Die erste Konvergenz folgt aus Satz 1.11 von Eberlein-Šmuljan; die zweite Konvergenz gilt,
da H 1 (Ω) kompakt in L2 (Ω) einbettet. Wir erhalten
Z
Z
T
′
(∇uk′ A∇w + cuk w)dx → (∇uT A∇w + cuw)dx für k ′ → ∞.
Ω
Ω
Ferner folgt aus der Stetigkeit des Spuroperators γ : H 1 (Ω) → L2 (∂Ω) und γ(uk′ ) = g,
daß aus uk′ ⇀ u in H 1 (Ω) folgt γ(uk′ ) ⇀ γ(u) in L2 (∂Ω), also γ(u) = g. (Die Eigenschaft,
daß aus einer schwach konvergenten Folge die schwache Konvergenz der Bildfolge folgt,
heißt schwache Folgenstetigkeit und gilt für alle linearen stetigen Abbildungen zwischen
Banachräumen; siehe Übungsaufgaben.)
R
Um den Grenzwert k ′ → ∞ in Ω f (x, vk )wdx durchführen zu können, benötigen wir
folgendes Resultat über Carathéodory-Funktionen.
Lemma 2.6. Seien Ω ⊂ Rn (n ≥ 1) und f eine Carathéodory-Funktion mit
|f (x, u)| ≤ C|u|r + h(x),
1 ≤ q, qr < ∞, C ≥ 0, h ∈ Lq (Ω), h ≥ 0,
für alle x ∈ Ω und u ∈ R. Definiere F (u) = f (·, u(·)) für u ∈ Lqr (Ω). Dann ist F eine
stetige Abbildung von Lqr (Ω) nach Lq (Ω).
19
Wir zeigen dieses Lemma weiter unten, um den Beweis von Satz 2.5 nicht zu unterbrechen. Die Abbildung v 7→ f (·, v) ist gemäß Lemma 2.6 stetig von L2 (Ω) nach Lq (Ω) (wähle
C = 0 und r = 2/q). Aus vk′ → v in L2 (Ω) folgt also f (·, vk′ ) → f (·, v) in Lq (Ω) und daher
Z
Z
f (x, vk′ )wdx →
f (x, v)wdx.
Ω
Ω
Damit erfüllt u die Beziehung
Z
Z
T
(∇u A∇w + cuw)dx =
f (x, v)wdx,
Ω
Ω
w ∈ H01 (Ω),
und ist folglich eine Lösung des Problems L(u) = f (x, v) in Ω und u = g auf ∂Ω. Wegen
der eindeutigen Lösbarkeit des linearen Problems folgt u = S(v). Wir haben beweisen, daß
S(vk′ ) = uk′ → u = S(v) in L2 (Ω). Der Grenzwert u ist eindeutig. Wir haben insbesondere
gezeigt, daß die beliebig gewählte Teilfolge (vk ) eine Teilteilfolge (vk′ ) enthält, die gegen
den eindeutig bestimmten Grenzwert u konvergiert. Nach Proposition 1.12 (iv) konvergiert
also die gesamte Folge (uk ) gegen u, und die Stetigkeit von S ist bewiesen.
Schritt 4: Existenz eines Fixpunktes. Die Voraussetzungen des Satzes von Schauder sind
erfüllt. Also existiert ein u ∈ K, so daß S(u) = u, d.h., u ∈ H 1 (Ω) ist eine Lösung von
(2.5).
Es bleibt Lemma 2.6 zu zeigen.
Beweis von Lemma 2.6. Sei (uk ) ⊂ Lqr (Ω) mit uk → u in Lqr (Ω). Wir müssen zeigen, daß
F (uk ) → F (u) in Lq (Ω). Nach der Umkehrung des Satzes über die majorisierte Konvergenz
(Satz 1.17 (ii)) existiert eine Teilfolge (uk′ ), so daß uk′ → u fast überall in Ω für k ′ → ∞,
und es gilt die gleichmäßige Abschätzung |uk′ | ≤ u∗ ∈ Lqr (Ω) für alle k ′ . Insbesondere
gilt F (uk′ ) → F (u) fast überall in Ω. Wegen |F (uk′ )|q ≤ C(|u∗ |qr + hq ) ∈ L1 (Ω) wird
F (uk′ ) durch eine L1 -Funktion dominiert, und wir können den Satz über die majorisierte
Konvergenz anwenden und erhalten F (uk′ ) → F (u) in Lq (Ω) für k ′ → ∞. Das am Ende
des vorigen Beweises bereits angeführte Argument zeigt, daß diese Konvergenz für die
gesamte Folge gilt (wenn wir zuvor eine Teilfolge gewählt haben), und damit ist das Lemma
bewiesen.
Bemerkung 2.7. Die Rechnungen im obigen Beweis vereinfachen sich deutlich, wenn u
homogene Randbedingungen erfüllt. Wir können Existenzbeweise nichtlinearer Probleme
im allgemeinen auf solche für Probleme mit homogenen Randbedingungen zurückführen,
indem wir die Transformation v = u − g einführen. Ist nämlich u eine Lösung von L(u) =
f (x, u) in Ω, u = g auf ∂Ω, so löst v das homogene Problem
L(v) = L(u) − L(g) = f (x, v + g(x)) − L(g) =: F (x, v) in Ω,
v = 0 auf ∂Ω.
Allerdings erfüllt F nicht die Voraussetzungen von Satz 2.5, da L(g) ∈ H −1 (Ω). Der Beweis
bleibt jedoch nahezu unverändert, wenn wir die Voraussetzungen an die Nichtlinearität
20
folgendermaßen abschwächen: Sei F (·, v) = F1 (·, v) + F0 , wobei F0 ∈ H −1 (Ω) und F1
eine Carathéodory-Funktion mit |F1 (·, v)| ≤ h ∈ Lq (Ω), q ∈ N∗ , ist. Insbesondere werden
wir in Kapitel 3 meistens homogene Randbedingungen voraussetzen, um die Beweise zu
vereinfachen.
Die schwache Lösung von (2.5) ist sogar zweimal schwach differenzierbar. Um dies einzusehen, benötigen wir folgendes tiefliegendes Regularitätsresultat (siehe Gilbarg/Trudinger
[11, Theorem 9.15] oder Troianiello [21, Theorem 3.17(ii)]).
Satz 2.8 (W 2,r -Regularität linearer elliptischer Gleichungen). Es gelten die Voraussetzungen für Ω und L zu Beginn dieses Abschnitts. Ferner seien ∂Ω ∈ C 2 , aij ∈ C 0,1 (Ω),
g ∈ W 2,r (Ω) und f ∈ Lr (Ω), wobei 1 < r < ∞. Dann existiert genau eine Lösung
u ∈ W 2,r (Ω) von
L(u) = f in Ω, u = g auf ∂Ω,
und es gilt die A-priori-Abschätzung
kukW 2,r (Ω) ≤ C kgkW 2,r (Ω) + kf kLr (Ω)
mit einer von u unabhängigen Konstanten C > 0.
Korollar 2.9. Es gelten die Voraussetzungen von Satz 2.5 und Satz 2.8. Dann existiert
eine Lösung u ∈ W 2,q (Ω) von (2.5).
Beweis. Wir wissen, daß eine schwache Lösung u von L(u) = f (x, u) in Ω mit u−g ∈ H01 (Ω)
existiert. Wir interpretieren die rechte Seite als eine Funktion fe(x) = f (x, u(x)). Dann löst
u die lineare Gleichung L(u) = fe, und wegen |fe| ≤ h ∈ Lq (Ω) ist der obige Regularitätssatz
auf diese Gleichung anwendbar. Damit ist das Korollar bewiesen.
Es stellt sich nun die Frage, inwiefern der Existenzsatz 2.5 verallgemeinert werden kann.
Wir könnten etwa fragen, ob
• die Lösung eindeutig ist bzw.
• eine Lösung bei allgemeineren Nichtlinearitäten der Form |f (x, u)| ≤ C|u|β + h(x)
existiert.
Beide Fragen sind im allgemeinen negativ zu beantworten.
Beispiel 2.10. Betrachte das Randwertproblem
−u′′ = cu in (0, 1),
u(0) = u(1) = 0,
wobei c > 0. (Der Fall c ≤ 0 ist in Satz 2.5 enthalten.) Die Nullfunktion ist für alle c > 0
eine Lösung. Aus der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen ist bekannt, daß dieses
Problem nur dann nichtverschwindende Lösungen u 6= 0 besitzt, wenn c = (2πk)2 mit
k ∈ N gilt. Wenn c = (2πk)2 , dann existieren mindestens zwei Lösungen u1 (x) = 0 und
u2 (x) = sin(2πkx). Das obige Randwertproblem ist also im allgemeinen nicht eindeutig
lösbar.
21
Unter bestimmten zusätzlichen Annahmen können die obigen beiden Fragen positiv
beantwortet werden. Ist etwa die Nichtlinearität f lipschitzstetig im Sinne
|f (x, u) − f (x, v)| ≤ f0 |u − v| für x ∈ Ω, u, v ∈ R
und ist die Lipschitzkonstante f0 > 0 “hinreichend klein”, so kann die Eindeutigkeit von
Lösungen bewiesen werden (siehe Übungsaufgaben). Allgemeinere Nichtlinearitäten können
zugelassen werden, wenn sie sublinear sind, d.h., wenn für 0 < β < 1, C > 0 und h ∈ Lq (Ω)
gilt:
|f (x, u)| ≤ C|u|β + h(x) für x ∈ Ω, u ∈ R.
(2.13)
Der kritische Schritt im Existenzbeweis sind die gleichmäßigen Abschätzungen (um zu
zeigen, daß der Fixpunktoperator eine Selbstabbildung ist). Um die Rechnungen zu vereinfachen, nehmen wir an, daß u = 0 auf ∂Ω erfüllt ist (siehe Bemerkung 2.7) und verwenden
die Lösung u ∈ H01 (Ω) von L(u) = f (x, v) für gegebenes v als Testfunktion in der schwachen
Formulierung. Dies führt auf
Z
Z
Z
Z
2
2
β
(α|∇u| + cu )dx ≤
f (x, v)udx ≤ C
|v| |u|dx + h|u|dx.
Ω
Ω
Ω
Ω
Wir verwenden in beiden Integralen der rechten Seite die Hölder- und dann die YoungUngleichung:
Z
(α|∇u|2 + cu2 )dx ≤ CkvkβLβq (Ω) kukLp (Ω) + khkLq (Ω) kukLp (Ω)
Ω
ε
C
1
≤ kuk2Lp (Ω) + kvk2β
+ khk2Lq (Ω) .
Lβq (Ω)
2
ε
ε
wobei 1/p + 1/q = 1 und q ∈ N∗ . Dann ist p ∈ N ∗ und H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω). Wir schließen mit
Hilfe der Poincaré-Ungleichung für hinreichend kleines ε > 0, daß
kukH 1 (Ω) ≤ C1 kvkβLβq (Ω) + khkLq (Ω) ≤ C2 M β + khkLq (Ω) ,
denn kvkLβq (Ω) ≤ C3 kvkH 1 (Ω) ≤ C3 M wegen v ∈ K. Das Ziel lautet, ein M > 0 zu finden,
so daß
C2 M β + khkLq (Ω) ≤ M
erfüllt ist, denn in diesem Fall ist u ∈ K. Dies ist aber genau dann möglich, wenn β < 1
gilt. Dies beweist, daß S : K → K.
Semilineare Gleichungen beschreiben z.B. stationäre Zustände chemischer Reaktionen.
Hierbei ist es möglich, daß die Nichtlinearität superlinear wächst, d.h. (2.13) mit β > 1
gilt. Sind für derartige Nichtlinearitäten Existenzresultate möglich? Falls f nicht zu schnell
wächst, kann die Existenz von Lösungen bewiesen werden. Wir zitieren folgendes Resultat,
das allerdings nicht mit den hier vorgestellten Techniken bewiesen werden kann; siehe Evans
[10, Abschnitt 8.5.2] für einen Beweis.
22
Satz 2.11 (Existenz für semilineare Gleichungen II). Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet
mit ∂Ω ∈ C 1 und 1 < p < (n + 2)/(n − 2) (p < ∞, wenn n ≤ 2). Dann existiert eine
schwache Lösung u ∈ H01 (Ω), u 6= 0, von
−∆u = |u|p−1 u
in Ω,
u=0
auf ∂Ω.
Unter den Voraussetzungen des obigen Satzes existieren also mindestens zwei Lösungen,
denn u = 0 ist stets eine Lösung. Falls p > (n + 2)/(n − 2), dann ist u = 0 die einzige
(klassische) Lösung der obigen Gleichung, falls Ω sternförmig bezüglich null ist (siehe Evans
[10, Abschnitt 9.4.2]). Wir nennen u = 0 die triviale Lösung und die Zahl p = (n+2)/(n−2)
den kritischen Exponenten.
Wir erwarten, daß im Falle einer monoton fallenden (und eventuell superlinearen) Funktion f (x, u) die Lösung u beschränkt bleibt und die Existenz von Lösungen bewiesen werden
kann. Wir zeigen im folgenden Abschnitt, daß dies tatsächlich der Fall ist.
2.2
Monotone semilineare Gleichungen
In diesem Abschnitt betrachten wir wie in Abschnitt 2.1 semilineare Gleichungen vom Typ
L(u) = f (x, u) in Ω,
u=g
auf ∂Ω,
(2.14)
allerdings setzen wir voraus, daß die Funktion u 7→ f (x, u) monoton fallend ist. Dann gilt
das folgende Existenzresultat.
Satz 2.12 (Existenz und Eindeutigkeit für monotone semilineare Gleichungen I). Es
gelten die Voraussetzungen zu Beginn von Abschnitt 2.1. Ferner sei f eine CarathéodoryFunktion, und es gelte für fast alle x ∈ Ω, daß u 7→ f (x, u) monoton fallend ist. Ferner
gelte die Abschätzung
|f (x, u)| ≤ C|u|p−1 + h(x)
für x ∈ Ω, u ∈ R,
wobei C > 0, h ∈ Lq (Ω), q ∈ N∗ , 1 < p < 2n/(n − 2) (p < ∞, falls n ≤ 2) und
1/p+1/q = 1. Dann existieren genau eine schwache Lösung von (2.14) und eine Konstante
C > 0, die nur von A, c und Ω abhängt, so daß
(2.15)
kukH 1 (Ω) ≤ C kgkH 1 (Ω) + khkLq (Ω) .
Die Werte von p und q sind so gewählt, daß die Einbettung H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω) kompakt
ist und f (·, u) ∈ Lq (Ω) gilt. Dies folgt aus
|f (·, u)|q ≤ C(|u|(p−1)q + hq ) = C(|u|p + hq ) ∈ L1 (Ω).
Die Beweisidee ist wieder ein Fixpunktargument. Allerdings können wir nicht den Fixpunktsatz 2.3 von Schauder verwenden. Dies können wir folgendermaßen einsehen. Setze
zur Vereinfachung g = 0. Sei v gegeben und sei u die Lösung der linearisierten Gleichung
23
L(u) = f (x, v). Dies definiert den Fixpunktoperator S(v) = u. Verwenden wir die Testfunktion u in der linearisierten Gleichung, so erhalten wir ähnlich wie im Beweis von Satz
2.5 die Abschätzung
Z
Z
α
Ω
|∇u|2 dx ≤
Ω
|f (x, v)u|dx.
(2.16)
Es bleibt also die rechte Seite abzuschätzen. Wir bemerken, daß aus der Monotonie von f
folgt
f (x, u)u − f (x, 0)u = (f (x, u) − f (x, 0))(u − 0) ≤ 0
(2.17)
und damit
ε
1
f (x, u)u ≤ f (x, 0)u ≤ u2 + f (x, 0)2 .
2
2ε
2
Der Summand f (x, 0) ist unabhängig von u und der verbleibende Term u2 kann nach Anwendung der Poincaré-Ungleichung von der linken Seite in (2.16) absorbiert werden. Leider
haben wir den Ausdruck f (x, v)u und nicht f (x, u)u. Das Fixpunktargument zerstört die
monotone Struktur. Um dieses Problem zu lösen, verwenden wir einen anderen Fixpunktsatz.
Satz 2.13 (Fixpunktsatz von Leray-Schauder). Seien B ein Banachraum, S : B × [0, 1] →
B eine stetige und kompakte Abbildung mit S(v, 0) = 0 für alle v ∈ B und es existiere ein
C > 0, so daß für alle u ∈ B und σ ∈ [0, 1] mit S(u, σ) = u gilt
kuk ≤ C.
Dann besitzt v 7→ S(v, 1) einen Fixpunkt.
Im Gegensatz zum Fixpunktsatz von Schauder muß keine kompakte, konvexe Menge
konstruiert werden. Jedoch muß der Fixpunktoperator kompakt sein und alle Fixpunkte
müssen einer gleichmäßigen Abschätzung genügen. Der Satz von Leray-Schauder ist eine
Folgerung des Satzes von Schauder; ein Beweis ist in Gilbarg/Trudinger [11, Theorem 11.6]
zu finden.
Der Vorteil des Satzes von Leray-Schauder lautet, daß die Abschätzung nur für alle
Fixpunkte gelten muß. Konkret bedeutet dies für unser Problem (2.14) mit g = 0, daß wir
die Lösung u als Testfunktion verwenden können, und gemäß der obigen Rechnung ergibt
sich
Z
Z
Z
ε
1
2
α |∇u| dx ≤
f (x, u)udx ≤
f (x, 0)udx ≤ kuk2L2 (Ω) + kf (·, 0)k2L2 (Ω) .
2
2ε
Ω
Ω
Ω
Mit Hilfe der Poincaré-Ungleichung und für hinreichend kleines ε > 0 kann der erste Term
auf der rechten Seite von der linken Seite absorbiert werden. Es folgt
α
k∇uk2L2 (Ω) ≤ C(α)kf (·, 0)k2L2 (Ω) ,
2
also eine gleichmäßige Abschätzung für u.
24
Beweis von Satz 2.12. Die Struktur des Beweises ist wie für Satz 2.5.
Schritt 1: Definition des Fixpunktoperators. Wir definieren zuerst den Fixpunktoperator. Seien dafür v ∈ Lp (Ω) und σ ∈ [0, 1] gegeben und u ∈ H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω) die eindeutige
schwache Lösung von
L(u) = σf (x, v) in Ω,
u = σg
auf ∂Ω.
(2.18)
Dies definiert den Operator S : Lp (Ω) × [0, 1] → Lp (Ω), u = S(v, σ). Falls σ = 0, so lautet
die Lösung von (2.18) u = 0, d.h., es gilt S(v, 0) = 0 für alle v ∈ L2 (Ω).
Schritt 2: S ist stetig und kompakt. Der Beweis der Stetigkeit von S ist ähnlich wie
im Beweis von Satz 2.5. Seien vk → v in Lp (Ω) und σk → σ für k → ∞. Definiere
uk = S(vk , σk ) und verwende uk − σk g als Testfunktion in (2.18):
Z
Z
T
∇uk A∇(uk − σk g) + cuk (uk − σk g) dx = σk
f (x, vk )(uk − σk g)dx.
Ω
Ω
Ähnlich wie im Beweis von Satz 2.5 können wir die linke Seite mit Hilfe der Elliptizität
von A abschätzen, so daß folgt:
Z
Z
α
2
|∇uk | dx ≤
|f (x, vk )(uk − σk g)|dx + C(A, c, g)
(2.19)
2 Ω
Ω
ε
1
≤ kuk k2Lp (Ω) + kf (·, vk )k2Lq (Ω) + C(A, c, g),
2
2ε
wobei 1/p + 1/q = 1. Die Konstante C(A, c, g) hängt von den L∞ -Normen von A und
c sowie der H 1 -Norm von g ab. Für die letzte Ungleichung haben wir die Hölder- und
Young-Ungleichung verwendet. Mit Hilfe der Dreiecks-, Sobolev- und Poincaré-Ungleichung
erhalten wir für das erste Integral auf der rechten Seite:
ε
ε
ε
kuk k2Lp (Ω) ≤ kuk − σk gk2Lp (Ω) + kσk gk2Lp (Ω)
2
2
2
ε
ε
α
2
≤ C1 kuk − σk gkH 1 (Ω) + kσk gk2Lp (Ω) ≤ k∇uk k2L2 (Ω) + C(σ)kgk2H 1 (Ω) .
2
2
4
Der erste Term auf der rechten Seite kann durch die linke Seite in (2.19) absorbiert werden.
Das zweite Integral in (2.19) schätzen wir folgendermaßen ab:
Z
Z
Z
q
(p−1)q
|f (x, vk )| dx ≤ C2
|vk |
dx + |h|q dx .
Ω
Ω
Ω
Wegen (p − 1)q = p und der stetigen Einbettung H 1 (Ω) ֒→ Lp (Ω) ist die rechte Seite
beschränkt. Es folgt
kuk kH 1 (Ω) ≤ C3 .
(2.20)
Die Folge uk = S(vk , σk ) ist also in H 1 (Ω) beschränkt und in Lp (Ω) kompakt. Daher
existiert eine Teilfolge, so daß
uk′ ⇀ u in H 1 (Ω) und uk′ → u in Lp (Ω).
25
Wegen vk → v in Lp (Ω) konvergiert f (x, vk′ ) in Lq (Ω) gegen f (x, v) (siehe Lemma 2.6).
Der Grenzwert k ′ → ∞ in der schwachen Formulierung
Z
Z
T
(∇uk′ A∇w + cuk′ w)dx = σk
f (x, vk′ )wdx, w ∈ H01 (Ω),
Ω
liefert daher
Z
Ω
T
(∇u A∇w + cuw)dx = σ
Ω
Z
f (x, v)wdx,
Ω
w ∈ H01 (Ω).
Außerdem erfüllt die Grenzfunktion u die Randwerte. Also löst u (2.18), d.h. u = S(v, σ)
und S(vk′ , σk′ ) = uk′ → u = S(v, σ) in Lp (Ω). Diese Konvergenz gilt wegen der Eindeutigkeit des Grenzwertes für die gesamte Folge. Folglich ist S stetig.
Die Kompaktheit von S ist eine Konsequenz der gleichmäßigen Abschätzung (2.20). Ist
nämlich (vk ) eine beschränkte Folge in Lp (Ω), so ist (uk ) = (S(vk , σk )) in H 1 (Ω) beschränkt,
besitzt also eine konvergente Teilfolge in Lp (Ω).
Schritt 3: A-priori-Abschätzung. Es bleibt eine gleichmäßige Abschätzung für alle Fixpunkte zu zeigen. Seien also σ ∈ [0, 1] und u ∈ H 1 (Ω) ein Fixpunkt von S(·, σ). Wir
verwenden u − σg ∈ H01 (Ω) als Testfunktion und erhalten nach einer ähnlichen Rechnung
wie oben
Z
Z
α
2
|∇u| dx ≤ σ f (x, u)(u − σg)dx + C(A, c, g)
(2.21)
2 Ω
ZΩ
= σ (f (x, u) − f (x, σg))(u − σg)dx
Ω
Z
+ σ f (x, σg)(u − σg)dx + C(A, c, g).
Ω
Aus der Monotonie von f (x, ·) und σ ≤ 1 folgt
Z
α
1
ε
|∇u|2 dx ≤ kuk2Lp (Ω) + kf (·, g)k2Lq (Ω) + C(A, c, g).
2 Ω
2
2ε
Wir wenden wieder die Dreiecks-, Sobolev- und Poincaré-Ungleichung auf den ersten Term
auf der rechten Seite an und erhalten wie oben für hinreichend kleines ε > 0:
α
ε
kuk2Lp (Ω) ≤ k∇uk2L2 (Ω) + Ckgk2H 1 (Ω) .
2
4
Der erste Term auf der rechten Seite kann von der linken Seite in (2.21) absorbiert werden.
Den zweiten Term in (2.21) schätzen wir ab, so daß wir erhalten:
Z
α
2(p−1)
|∇u|2 dx ≤ C4 (kgkL(p−1)q (Ω) + khk2Lq (Ω) ) + C(A, c, g),
4 Ω
und dies ist wegen (p − 1)q = p beschränkt. Wir folgern die gleichmäßige Abschätzung
kukLp (Ω) ≤ C5 kukH 1 (Ω) ≤ C6 ,
26
und C6 > 0 hängt von g und h ab. Wir können nun den Fixpunktsatz von Leray-Schauder
anwenden und erhalten die Existenz eines Fixpunktes, d.h. einer Lösung von (2.14).
Schritt 4: Eindeutigkeit einer Lösung. Seien u1 und u2 zwei schwache Lösungen von
(2.14). Dann ist u1 − u2 ∈ H01 (Ω) eine zulässige Testfunktion und wir erhalten
Z
Z
T
∇ui A∇(u1 − u2 ) + cui (u1 − u2 ) dx =
f (x, ui )(u1 − u2 )dx, i = 1, 2.
Ω
Ω
Subtrahieren wir beide Gleichungen und verwenden wir die Monotonie von f , so folgt
Z
Z
T
2
∇(u1 − u2 ) A∇(u1 − u2 ) + c(u1 − u2 ) dx = (f (x, u1 ) − f (x, u2 ))(u1 − u2 )dx ≤ 0
Ω
Ω
und daher u1 − u2 = 0 in Ω.
Wir können die Wachstumsbedingung an f vermeiden, wenn wir nach L∞ -Lösungen
suchen. Dies ist unter der Monotonieannahme möglich, sofern die Randwerte in L∞ (Ω)
liegen. Um die (essentielle) Beschränktheit der Lösungen zu zeigen, verwenden wir eine
Variante des Maximumprinzips. Dazu erweitern wir das klassische Maximumprinzip auf
ein Maximumprinzip für schwache Lösungen. Zunächst beweisen wir ein Hilfsresultat.
Satz 2.14 (Stampacchia). Sei Ω ⊂ Rn (n ≥ 1) ein beschränktes Gebiet, 1 ≤ p < ∞ und
u ∈ W 1,p (Ω). Dann gilt u+ = max{u, 0} ∈ W 1,p (Ω) und
∇u+ = χu>0 ∇u,
wobei χu>0 die charakteristische Funktion auf {u > 0} = {x ∈ Ω : u(x) > 0} sei. Außerdem
gilt ∇u = 0 fast überall in {u = 0} = {x ∈ Ω : u(x) = 0}.
Der Beweis dieses Satzes basiert auf folgendem Lemma, dessen Beweis eine Übungsaufgabe ist.
Lemma 2.15. Seien F ∈ C 1 (R) mit F ′ ∈ L∞ (R) und u ∈ W 1,p (Ω), 1 ≤ p < ∞. Dann
gilt F ◦ u ∈ W 1,p (Ω) und
∇(F ◦ u) = F ′ (u)∇u.
Beweis von Satz 2.14. Da F (z) = z + keine C 1 -Funktion ist,
√ müssen wir regularisieren
(siehe Troianiello [21, Theorem 1.56]). Sei daher Fε (z) = z 2 + ε2 − ε für z > 0 und
Fε (z) = 0 sonst. Dann ist Fε ∈ C 1 (R) und Fε (z) → z + für ε → 0 und für alle z ∈ R.
Außerdem folgt aus Lemma 2.15 Fε ◦ u ∈ W 1,p (Ω). Wir erhalten nach partieller Integration
für v ∈ C0∞ (Ω)
Z
Z
Z
u∇u
′
√
vdx.
(Fε ◦ u)∇vdx = − Fε (u)∇uvdx = −
u2 + ε 2
Ω
Ω
{u>0}
Im Grenzwert erhalten wir
Z
Ω
+
u ∇vdx = −
27
Z
{u>0}
∇uvdx.
Dies bedeutet u+ ∈ W 1,p (Ω) und ∇u+ = χu>0 ∇u. Um die zweite Aussage zu zeigen,
bemerken wir, daß u = u+ − (−u)+ und daher
∇u = χu>0 ∇u + χ−u>0 ∇u = 0 fast überall in {u = 0}.
Der Satz ist bewiesen.
Wir können nun das schwache Maximumprinzip für schwache Lösungen formulieren.
Satz 2.16 (Schwaches Maximumprinzip). Es gelten die Voraussetzungen zu Beginn dieses
Abschnitts. Sei u ∈ H 1 (Ω) mit
L(u) ≤ 0
in Ω,
u≤0
auf ∂Ω.
Dann gilt u ≤ 0 fast überall in Ω.
Beweis. Wegen u ≤ 0 auf ∂Ω gilt u+ = 0 auf ∂Ω. Außerdem ist nach dem Satz von Stampacchia u+ ∈ H01 (Ω). Wir können also u+ als Testfunktion in der schwachen Formulierung
verwenden und erhalten
Z
Z
T
+
+
∇uT A∇u + cu2 dx ≥ 0.
∇u A∇u + cuu dx =
0≥
{u>0}
Ω
Daher folgt u+ = const. in Ω und wegen u+ = 0 auf ∂Ω dann u+ = 0 bzw. u ≤ 0 in Ω. Wir können nun ein Existenzresultat für elliptische Gleichungen ohne globale Wachstumsbedingung an die Nichtlinearität formulieren.
Satz 2.17 (Existenz und Eindeutigkeit für monotone semilineare Gleichungen II). Es
gelten die Voraussetzungen zu Beginn dieses Abschnitts. Zusätzlich gelte g ∈ L∞ (Ω). Die
Funktion f erfülle die folgenden Bedingungen:
• f ist eine Carathéodory-Funktion,
• u 7→ f (x, u) ist monoton fallend für fast alle x ∈ Ω,
• es existiere ein M0 > 0, so daß f (x, M0 ) ≤ 0 und f (x, −M0 ) ≥ 0 für fast alle x ∈ Ω,
• es gelte |f (x, u)| ≤ h(x) ∈ Lq (Ω) für fast alle x ∈ Ω und alle |u| ≤ M , wobei q ∈ N∗
und M = max{M0 , kgkL∞ (Ω) }.
Dann existiert genau eine schwache Lösung u ∈ H 1 (Ω) ∩ L∞ (Ω) von (2.14) und es gilt
kukL∞ (Ω) ≤ max{M0 , kgkL∞ (Ω },
kukH 1 (Ω) ≤ C(kgkH 1 (Ω) + khkLq (Ω) ),
und C > 0 hängt nur von A, c und Ω ab.
Beachte, daß die obige Voraussetzung an f nur eine lokale Bedingung ist. Sie ist etwa
erfüllt für Funktionen f (x, u) = −u3 und f (x, u) = 1 − eu .
28
Beweis. Wir definieren fM (x, v) = f (x, v) für −M ≤ v ≤ M , fM (x, v) = f (x, M ) für
v > M und fM (x, v) = f (x, −M ) für v < −M . Dann ist v 7→ fM (x, v) monoton fallend,
fM (x, M ) ≤ fM (x, M0 ) ≤ 0, fM (x, −M ) ≥ fM (x, −M0 ) ≥ 0 für M ≥ M0 und |fM (x, v)| ≤
max{|f (x, M )|, f (x, −M )} für alle v ∈ R. Aus Satz 2.5 folgt die Existenz einer schwachen
Lösung u ∈ H 1 (Ω) von
L(u) = fM (x, u) in Ω,
u=g
auf ∂Ω.
(2.22)
Wir behaupten, daß u das Originalproblem löst. Dazu zeigen wir, daß |u| ≤ M und daher
fM (x, u) = f (x, u) gilt.
Nach Definition von M ist (u − M )+ = 0 auf ∂Ω, und wir können diese Funktion als
Testfunktion in der schwachen Formulierung von (2.22) verwenden, um zu erhalten:
Z
Z
T
+
+
fM (x, u)(u − M )+ dx
∇u A∇(u − M ) + cu(u − M ) dx =
Ω
Ω
Z
Z
+
fM (x, u) − fM (x, M ) (u − M ) dx + fM (x, M )(u − M )+ dx ≤ 0,
=
Ω
Ω
denn fM ist monoton fallend und fM (x, M ) ≤ 0. Aus Satz 2.14 von Stampacchia folgt
∇(u − M )+ = χu>M ∇(u − M ) = χu>M ∇u. Daher ergibt sich
Z
Z
+ T
+
+ 2
(∇(u − M ) ) A∇(u − M ) + c((u − M ) ) dx ≤ − cM (u − M )+ dx ≤ 0
Ω
Ω
und folglich (u − M )+ = 0, woraus wir u ≤ M schließen. Die Ungleichung u ≥ −M
folgt nach einer analogen Rechnung, wenn wir die Testfunktion (u + M )− = −(−u − M )+
verwenden.
2.3
Quasilineare Gleichungen
Ziel dieses Abschnitts ist die Lösung von elliptischen Gleichungen der Form
−div a(∇u) = f
in Ω,
u = 0 auf ∂Ω.
(2.23)
Wir gehen ähnlich vor wie Evans [10, Abschnitt 9.1]. Inhomogene Randwertprobleme u = g
auf ∂Ω können ebenfalls betrachtet werden, indem man das Problem “homogenisiert”, d.h.
indem man v = u − g definiert und das Problem −div b(x, ∇v) = f mit b(x, ∇v) =
a(∇v + ∇g(x)) untersucht (siehe Bemerkung 2.7).
Wir treffen in diesem Abschnitt die folgenden Voraussetzungen. Die Menge Ω ⊂ Rn
(n ≥ 1) sei ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈ C 1 , a = (a1 , . . . , an ) : Rn → Rn ist ein
stetiges Vektorfeld und f ∈ L2 (Ω). Motiviert durch die Ergebnisse des letzten Abschnitts
fordern wir, daß die Nichtlinearität a monoton ist. Wir definieren genauer:
Definition 2.18. Sei a : Rn → Rn ein Vektorfeld. Wir nennen a monoton, wenn
(a(p) − a(q)) · (p − q) ≥ 0
29
für alle p, q ∈ Rn .
Das Vektorfeld heißt stark monoton, wenn es eine Konstante γ > 0 gibt mit
(a(p) − a(q)) · (p − q) ≥ γ|p − q|2
für alle p, q ∈ Rn .
Beispiel 2.19. Sei φ : Rn → R eine konvexe, zweimal stetig differenzierbare Funktion.
Wir behaupten, daß a = ∇φ monoton ist. Dies ist der Fall, da für alle p, q ∈ Rn nach dem
Satz von Taylor gilt:
(a(p) − a(q)) · (p − q) =
=
n
X
(∂i φ(p) − ∂i φ(q))(pi − qi )
i=1
n
X
i,j=1
Z
1
0
∂ij2 φ(p + θ(q − p))dθ(pi − qi )(pj − qj ) ≥ 0,
wobei ∂i = ∂/∂pi und ∂ij2 = ∂ 2 /∂pi ∂pj , denn die Hessematrix D2 φ von φ ist wegen der
Konvexität positiv definit. Fordern wir zusätzlich, daß φ gleichmäßig konvex ist, d.h.,
pT D2 φp ≥ γ|p|2 für alle p ∈ Rn und ein γ > 0, so folgt
a.
p die starke Monotonie vonp
2
Ein Beispiel für eine konvexe Funktion ist φ(p) = 1 + |p| , woraus a(p) = p/ 1 + |p|2
folgt. Dies entspricht der Minimalflächengleichung.
Wir beweisen die Existenz einer Lösung von (2.23). Die schwache Formulierung lautet
wie gewohnt wie folgt: Suche u ∈ H01 (Ω) mit a(∇u) ∈ L2 (Ω), so daß
Z
Z
a(∇u) · ∇vdx =
f vdx für alle v ∈ H01 (Ω).
Ω
Ω
Satz 2.20 (Existenz für quasilineare Gleichungen). Es gelten die Voraussetzungen zu Beginn dieses Abschnitts. Ferner setzen wir voraus, daß a höchstens linear wächst und koerziv
ist, d.h., es existieren Konstanten C > 0, α > 0 und β ≥ 0, so daß
|a(p)| ≤ C(1 + |p|)
und
a(p) · p ≥ α|p|2 − β
für alle p ∈ Rn .
Dann existiert eine Lösung u ∈ H01 (Ω) von (2.23).
Die Wachstumsbedingung stellt sicher, daß a(∇u) ∈ L2 (Ω). Die zweite Ungleichung
entspricht einer verallgemeinerten Koerzivitätsbedingung, denn im Falle des Laplace-Operators a(∇u) = ∇u folgt a(p) · p = |p|2 , und die Ungleichung gilt für α = 1 und β = 0.
Die Beweisidee ist wieder die Anwendung eines Fixpunktsatzes. Wir gehen allerdings
etwas anders vor als in den vorherigen Abschnitten und definieren zunächst approximative
Lösungen mit Hilfe der Galerkin-Methode. Der Vorteil ist, daß diese Lösungen in einem
endlichdimensionalen Raum definiert sind, so daß wir den Fixpunktsatz 2.4 von Brouwer
anwenden können. Hierfür sind keine Kompaktheitseigenschaften erforderlich. Wir zeigen
dann, daß die approximativen Lösungen gleichmäßig beschränkt sind und gehen anschließend mit Hilfe eines Kompaktheitsarguments zum Grenzwert unendlich vieler Dimensionen
über. Zuerst beweisen wir ein technisches Resultat (siehe Abbildung 2.1).
30
x
v(x)
0
x0
v(x0) = 0
Abbildung 2.1: Illustration für Lemma 2.21. Das Vektorfeld v(x) erfüllt die Bedingung
v(x) · x ≥ 0 für alle x auf dem Kreis.
Lemma 2.21. Sei v : Rn → Rn stetig und es gelte
v(x) · x ≥ 0
für alle |x| = r
für ein r > 0. Dann existiert ein x0 ∈ Br (0), so daß v(x0 ) = 0.
Beweis. Angenommen, für alle x ∈ Br (0) gelte v(x) 6= 0. Definiere dann die stetige Abbildung w : Br (0) → ∂Br (0) durch
w(x) = −
r
v(x),
|v(x)|
x ∈ Br (0).
Wir können w auch als Funktion von Br (0) nach Br (0) interpretieren. Nach dem Fixpunktsatz von Brouwer existiert ein x0 ∈ Br (0), so daß w(x0 ) = x0 . Nach Konstruktion von w
ist aber dann x0 ∈ ∂Br (0) und
r2 = |x0 |2 = w(x0 ) · x0 = −
Wegen x0 6= 0 liefert dies einen Widerspruch.
r
v(x0 ) · x0 ≤ 0.
|v(x0 )|
Beweis von Satz 2.20. Wir zerlegen den Beweis wieder in mehrere Schritte.
Schritt 1: Lösung eines endlichdimensionalen Problems. SeiR (wk ) eine orthonormale
Basis von H01 (Ω) bezüglich des inneren Produkts (u, v)H01 = Ω ∇u · ∇vdx. Die Folge
(wk ) kann beispielsweise gleich den normierten Eigenfunktionen von −∆ in H01 (Ω) sein.
Wir suchen Lösungen um , die eine Linearkombination aller w1 , . . . , wm sind, der GalerkinGleichungen
Z
Z
a(∇um ) · ∇wk dx =
f wk dx für alle k = 1, . . . , m.
(2.24)
Ω
Ω
31
Wir können um darstellen durch
um =
m
X
dk wk ,
k=1
d.h., wir müssen die Koeffizienten dk bestimmen. Dafür verwenden wir Lemma 2.21.
Definiere v = (v1 , . . . , vm ) : Rm → Rm durch
Z X
m
vk (d) =
a
dj ∇wj · ∇wk − f wk dx,
Ω
j=1
k = 1, . . . , m, d = (d1 , . . . , dm ) ∈ Rm .
P
Ist d∗ eine Nullstelle von v, so ist u = k d∗k wk eine Lösung von (2.24). Nun folgt aus der
Koerzivität von a
Z X
m
m
m
X
X
v(d) · d =
a
dj ∇wj ·
dk ∇wk − f
dk wk dx
Ω
j=1
k=1
k=1
Z X
m
m
2
X
dj ∇wj − β − f
dk wk dx
≥
α
Ω
j=1
= α|d|2 − βmeas(Ω) −
m
X
k=1
dk
Z
k=1
f wk dx,
Ω
denn (wj ) ist orthonormal bezüglich (·, ·)H01 . Die Young-Ungleichung ergibt
m
v(d) · d ≥
α 2
1 X
(f, wk )2L2 .
|d| − βmeas(Ω) −
2
2α k=1
Es bleibt der letzte Term abzuschätzen. Sei dafür φ ∈ H01 (Ω) die schwache Lösung von
−∆φ = f in Ω. Dann ist
Z
Z
(φ, wk )H01 =
∇φ · ∇wk dx =
f wk dx
Ω
und daher
m
X
(f, wk )2L2
=
k=1
m
X
k=1
Ω
(φ, wk )2H 1 ≤ kφk2H 1 (Ω) ≤ C1 kf k2L2 (Ω) ,
0
0
denn wk ist bezüglich H01 (Ω) normiert. Damit erhalten wir
v(d) · d ≥
C1
α 2
|d| − βmeas(Ω) −
kf k2L2 (Ω) .
2
2α
Wählen wir r > 0 hinreichend groß, so können wir erreichen, daß v(d) · d ≥
P0 für |d| = r.
Aus Lemma 2.21 folgt die Existenz von d∗ mit v(d∗ ) = 0. Dann löst um = j d∗j wj (2.24).
Schritt 2: A-priori-Abschätzungen. Der Satz ist bewiesen, wenn wir zeigen können, daß
der Grenzwert limm→∞ um in einem gewissen Sinne existiert und das Randwertproblem
32
löst. Bevor wir den Grenzwert m → ∞ durchführen können, müssen wir bezüglich m
gleichmäßige Abschätzungen zeigen. Multipliziere die Galerkin-Gleichung (2.24) mit d∗k
und summiere über k = 1, . . . , m:
Z
Z
a(∇um ) · ∇um dx =
f um dx.
(2.25)
Ω
Ω
Die Koerzivität von a impliziert
Z
Z
Z
Z
Z
1
ε
2
2
um dx +
f 2 dx.
α|∇um | − β dx ≤
a(∇um ) · ∇um dx =
f um dx ≤
2 Ω
2ε Ω
Ω
Ω
Ω
Wir wählen ε > 0 hinreichend klein und verwenden die Poincaré-Ungleichung, um den
ersten Term auf der rechten Seite durch das Integral auf der linken Seite zu absorbieren.
Wir erhalten
kum kH 1 (Ω) ≤ C(1 + kf kL2 (Ω) ).
(2.26)
Schritt 3: Grenzwert m → ∞. Nach dem Satz 1.11 von Eberlein-Šmuljan existiert eine
Teilfolge (um′ ), so daß um′ ⇀ u in H 1 (Ω) für m′ → ∞. Insbesondere gilt
∇um′ ⇀ ∇u in L2 (Ω)n .
Die Frage lautet, ob schwache Konvergenz ausreicht, um die Konvergenz a(∇um′ ) → a(∇u)
(in irgendeinem Sinne) zu schließen. Die Antwort ist leider negativ. In Bemerkung 1.13 haben wir gezeigt, daß für schwach konvergente Folgen (um ) und stetige Funktionen f die
Bildfolge f (um ) im allgemeinen nicht (schwach) konvergiert. Wir benötigen eine zusätzliche
Information über die Nichtlinearität, um die Konvergenz durchführen zu können. Wir behaupten, daß die Monotonie von a ausreicht. Die folgende Vorgehensweise wird die Methode
von Browder und Minty genannt.
Da die Einbettung H 1 (Ω) ֒→ L2 (Ω) kompakt ist, folgt aus (2.26) die Existenz einer
Teilfolge von (um ) mit
um′ → u in L2 (Ω).
Wählen wir eine gemeinsame Teilfolge, so gilt außerdem
∇um′ ⇀ ∇u in L2 (Ω)n .
Wir behaupten, daß
a(∇um′ ) ⇀ a(∇u) in L2 (Ω)n .
(2.27)
Aus der Wachstumsbedingung für a und (2.26) folgt, daß (a(∇um )) in L2 (Ω) beschränkt
ist:
ka(∇um )kL2 (Ω) ≤ C(1 + k∇um kL2 (Ω) ) ≤ C.
Daher existiert eine Teilfolge von (um′ ), die wir wiederum mit (um′ ) bezeichnen, so daß
a(∇um′ ) ⇀ b in L2 (Ω).
33
Wir müssen zeigen, daß b = a(∇u).
Führen wir den Grenzwert m′ → ∞ in den Galerkin-Gleichungen (2.24) durch, so ergibt
sich
Z
Z
b · ∇wk dx =
f wk dx, k ∈ N.
Ω
Da (wk ) eine Basis in
H01 (Ω)
Ω
ist, gilt diese Beziehung auch für alle v ∈ H01 (Ω):
Z
Z
b · ∇vdx =
f vdx.
Ω
(2.28)
Ω
Wir benutzen nun die Monotonie von a und (2.25):
Z
a(∇um ) − a(∇v) · (∇um − ∇v)dx
0≤
ZΩ
f um − a(∇um ) · ∇v − a(∇v) · (∇um − ∇v) dx,
=
Ω
wobei v ∈ H01 (Ω). Die obigen Konvergenzresultate erlauben den Grenzwert m′ → ∞:
Z
f u − b · ∇v − a(∇v) · (∇u − ∇v) dx.
0≤
Ω
Der Trick besteht darin, daß wir den Ausdruck a(∇um ) · ∇um , dessen Grenzwert nicht
unmittelbar bestimmt werden kann, da a(∇um ) und ∇um nur schwach konvergieren, mittels
der Gleichung (2.25) durch f um ersetzt haben. Wir wählen nun v = u in (2.28), können
also f u durch b · ∇u ersetzen und erhalten
Z
0 ≤ (b − a(∇v)) · (∇u − ∇v)dx.
Ω
Seien w ∈ H01 (Ω) und v = u ± λw für λ > 0. Dann ist
Z
0 ≤ ∓ (b − a(∇u ± λ∇w)) · ∇wdx.
Ω
Der Grenzwert λ → 0 ergibt dann
0≤∓
also Gleichheit:
0=
Z
Ω
Z
Ω
(b − a(∇u)) · ∇wdx,
(b − a(∇u)) · ∇wdx für alle w ∈ H01 (Ω).
Wir schließen b = a(∇u). Dies endet den Beweis.
Wir können die Eindeutigkeit der Lösung von (2.23) beweisen, wenn a stark monoton
ist.
34
Satz 2.22 (Eindeutigkeit für quasilineare Gleichungen). Es gelten die Voraussetzungen
von Satz 2.20. Ferner sei a stark monoton. Dann existiert genau eine Lösung u ∈ H01 (Ω)
von (2.23).
Beweis. Seien u1 und u2 schwache Lösungen von (2.23). Dann gilt für alle v ∈ H01 (Ω)
Z
Z
a(∇ui ) · ∇vdx =
f vdx, i = 1, 2.
Ω
Ω
Wir subtrahieren beide Gleichungen für i = 1 und i = 2 und verwenden v = u1 − u2 als
Testfunktion:
Z
Z
a(∇u1 ) − a(∇u2 ) · (∇u1 − ∇u2 )dx ≥ γ |∇u1 − ∇u2 |2 dx,
0=
Ω
Ω
wobei wir für die Ungleichung die strenge Monotonie von a benutzt haben. Dies impliziert
∇(u1 − u2 ) = 0 in Ω und wegen u1 − u2 = 0 auf ∂Ω dann u1 − u2 = 0 in Ω.
Der Eindeutigkeitsbeweis läßt vermuten, daß auch ein Vergleichsprinzip bewiesen werden kann. Dies ist tatsächlich der Fall.
Proposition 2.23. Es gelten die Voraussetzungen von Satz 2.20. Ferner sei a stark monoton. Wir setzen L(u) = −div a(∇u). Sind u, v ∈ H 1 (Ω) zwei Funktionen mit
so folgt u ≤ v in Ω.
L(u) ≤ L(v) in Ω,
u≤v
auf ∂Ω,
Beweis. Die Ungleichung L(u) ≤ L(v) bedeutet in schwacher Formulierung
Z
Z
a(∇u) · ∇wdx ≤
a(∇v) · ∇wdx für alle w ∈ H01 (Ω) mit w ≥ 0.
Ω
Ω
Dies kann geschrieben werden als
Z
a(∇u) − a(∇v) · ∇wdx ≤ 0.
Ω
+
Die Funktion w = (u − v) = max{0, u − v} erfüllt w = 0 auf ∂Ω, da dort u − v ≤ 0
vorausgesetzt wurde. Wegen des Satzes 2.14 von Stampacchia ist also w ∈ H01 (Ω) eine
zulässige Testfunktion. Aus der strengen Monotonie folgt daher
Z
Z
Z
2
a(∇u) − a(∇v) · (∇u − ∇v)dx ≥ γ
|∇u − ∇v| = γ |∇(u − v)+ |2 dx.
0≥
{u>v}
{u>v}
+
Ω
+
Wir schließen, daß ∇(u − v) = 0, also (u − v) = const. in Ω. Wegen (u − v)+ = 0 auf
∂Ω ist (u − v)+ = 0 und folglich u ≤ v in Ω.
Bemerkung 2.24. Der obige Existenzsatz kann leider nicht auf die Minimalflächengleichung
∇u
div p
= f in Ω, u = 0 auf ∂Ω,
1 + |∇u|2
p
angewendet werden, da a(p) = p/ 1 + |p|2 nicht koerziv ist. Allerdings ist es möglich, die
Eindeutigkeit von Lösungen zu zeigen (siehe Übungsaufgaben).
35
2.4
Drift-Diffusionsgleichungen
In diesem Abschnitt betrachten wir die stationären Drift-Diffusionsgleichungen für Halbleiter:
div(∇u − u∇φ) = 0, ∆φ = u − f (x) in Ω
(2.29)
mit den Randbedingungen
u = g,
φ=ψ
auf ∂Ω.
(2.30)
Physikalisch ist u eine Teilchendichte (und wir erwarten, daß u ≥ 0 gilt) und φ das elektrische Potential. Es handelt sich um ein System von nichtlinearen elliptischen Gleichungen,
denn der Ausdruck u∇φ ist nichtlinear. Wir können die Existenz von Lösungen für dieses
System zeigen, indem wir einen Fixpunktsatz verwenden. Das Hauptresultat lautet wie
folgt:
Satz 2.25 (Existenz für die Drift-Diffusionsgleichungen). Seien Ω ⊂ Rn (n ≥ 1) ein
beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈ C 1 , f ∈ L∞ (Ω) mit 0 < f∗ ≤ f (x) ≤ f ∗ für x ∈ Ω,
g, ψ ∈ H 1 (Ω) ∩ L∞ (Ω) mit 0 < g∗ ≤ g(x) ≤ g ∗ für x ∈ ∂Ω. Dann existiert eine Lösung
(u, φ) ∈ (H 1 (Ω) ∩ L∞ (Ω))2 von (2.29)-(2.30) mit
1
≤ u ≤ M eK ,
M eK
−K ≤ φ ≤ K
in Ω,
wobei
M = ekψkL∞ (Ω) max{g ∗ , 1/g∗ },
M0 = max{ln(M f ∗ ), ln(M/f∗ )},
K = max{M0 , kψkL∞ (Ω) }.
Die schwache Formulierung von (2.29)-(2.30) lautet wie folgt: Suche (u, φ) ∈ H 1 (Ω)2
mit u = g und φ = ψ auf ∂Ω, so daß für alle v ∈ H01 (Ω) gilt:
Z
Z
Z
Z
∇u · ∇vdx =
u∇φ · ∇vdx,
∇φ · ∇vdx = − (u − f (x))vdx.
(2.31)
Ω
Ω
Ω
Ω
R
Alle Integrale bis auf eines sind wohldefiniert. Damit der Driftterm Ω u∇φ · ∇vdx für
Testfunktionen v ∈ H01 (Ω) definiert ist, müssen wir u ∈ L∞ (Ω) fordern.
Der Driftterm bereitet einige mathematische Schwierigkeiten. Daher führen wir eine
Variablentransformation ein, die die erste Gleichung in (2.29) in eine symmetrische Form
überführt. Genauer definieren wir die sogenannte Slotboom-Variable v = e−φ u. Dann ist
∇v = e−φ (∇u − u∇φ) und 0 = div(∇u − u∇φ) = div(eφ ∇v).
Wir lösen also das System
div(eφ ∇v) = 0,
∆φ = eφ v − f (x) in Ω
36
(2.32)
mit den Randbedingungen
v = vD := e−ψ g,
φ=ψ
auf ∂Ω.
(2.33)
Jede Lösung dieses Systems (v, φ) ∈ (H 1 (Ω) ∩ L∞ (Ω))2 definiert vermittels u = eφ v eine
schwache Lösung des Originalproblems (2.29)-(2.30). Der Vorteil von (2.32) besteht darin, daß die erste Gleichung einen symmetrischen Differentialoperator in v definiert. Dies
wird es erlauben, auf einfache Weise Abschätzungen in H 1 (Ω) und L∞ (Ω) herzuleiten.
Üblicherweise hängen diese Abschätzungen (wegen des Diffusionskoeffienten eφ ) von φ ab.
Andererseits hängt φ von v ab. Mittels einer Abschneidetechnik wird es uns gelingen,
Abschätzungen zu gewinnen, die nicht von v oder φ abhängen.
Beweis von Satz 2.25. Um geeignete L∞ -Abschätzungen herzuleiten, verwenden wir die
Abschneidemethode nach Stampacchia, d.h., wir lösen zunächst das System
div(eφ ∇v) = 0,
wobei
vM
∆φ = eφ vM − f (x) in Ω,
(2.34)

 1/M : v ≤ 1/M
v
: 1/M < v < M
=

M
: v ≥ M.
Diese Definition stellt sicher, daß vM ∈ L∞ (Ω). Wir zerlegen den Beweis nun in mehrere
Schritte.
Schritt 1: Konstruktion des Fixpunktoperators. Sei ve ∈ L2 (Ω) gegeben und löse
−∆φ = −eφ veM (x) + f (x) in Ω,
φ=ψ
auf ∂Ω.
(2.35)
Schreiben wir F (x, φ) = −eφ veM (x) + f (x), so erkennen wir, daß die Differentialgleichung
semilinear ist. Wir behaupten, daß der Existenzsatz 2.17 anwendbar ist. Dazu ist folgendes
zu zeigen:
• F ist eine Carathéodory-Funktion, denn φ 7→ eφ ist stetig und sowohl veM als auch f
sind integrierbar.
• Die Funktion φ 7→ −eφ veM (x) + f (x) ist monoton fallend.
• Nach Konstruktion von vM und Definition von M0 folgt
F (x, M0 ) ≤ −eM0
1
+ f ∗ ≤ 0 und F (x, −M0 ) ≥ −e−M0 M + f∗ ≥ 0.
M
• Es gilt für alle |φ| ≤ M0 : |F (x, φ)| ≤ eM0 M + f ∗ ∈ L∞ (Ω).
Die Voraussetzungen von Satz 2.17 sind also erfüllt und wir folgern die Existenz und
Eindeutigkeit einer Lösung φ ∈ H 1 (Ω) von (2.35) mit den A-priori-Abschätzungen
kφkL∞ (Ω) ≤ K = max{M0 , kψkL∞ (Ω) },
37
kφkH 1 (Ω) ≤ C1 (f, ψ, M ).
(2.36)
Als nächstes lösen wir für gegebenes σ ∈ [0, 1]
div(eφ ∇v) = 0 in Ω,
v = σvD
auf ∂Ω.
Dies entspricht einem elliptischem Problem mit dem Diffusionskoeffizienten A(x) = eφ(x) .
Wegen A(x) ≥ e−K > 0 ist das Problem gleichmäßig elliptisch und wir erhalten eine
eindeutige Lösung v ∈ H 1 (Ω) mit
kvkH 1 (Ω) ≤ C2 (K)kvD kH 1 (Ω) .
(2.37)
Dies definiert den Fixpunktoperator S : L2 (Ω) × [0, 1] → L2 (Ω), S(e
v , σ) = v. Es folgt
sofort, daß S(e
v , 0) = 0.
Schritt 2: Stetigkeit von S. Seien vek → ve in L2 (Ω) und σk → σ für k → ∞ zwei
konvergente Folgen und definiere vk = S(e
vk , σk ). Sei ferner φk die Lösung des PoissonProblems (2.35) mit (e
vk )M . Die obigen A-priori-Abschätzungen zeigen, daß (vk ) und (φk )
beschränkt in H 1 (Ω) sind. Außerdem ist (φk ) beschränkt in L∞ (Ω). Es gibt also Teilfolgen
mit
vk′ ⇀ v in H 1 (Ω), vk′ → v in L2 (Ω),
φk′ ⇀ φ in H 1 (Ω), φk′ → φ in L2 (Ω).
Es gilt nun folgendes Lemma, dessen Beweis eine Übungsaufgabe ist.
Lemma 2.26. Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet, 1 ≤ p < ∞, (uk ) eine Folge mit
uk → u in Lp (Ω) für k → ∞ und f ∈ C 0 (R). Es sei (uk ) beschränkt in L∞ (Ω) oder f
beschränkt in R. Dann folgt f (uk ) → f (u) in Lp (Ω).
Wir folgern, daß eφk′ → eφ in L2 (Ω). Außerdem gilt (e
vk′ )M → veM in L2 (Ω). Das
1
φk ′
φ
Produkt konvergiert dann in L (Ω), d.h. e (e
vk′ )M → e veM in L1 (Ω). Damit können wir
in der schwachen Formulierung
Z
Z
eφk′ (e
vk′ )M − f (x) wdx, w ∈ C0∞ (Ω),
∇φk′ · ∇wdx = −
Ω
Ω
zum Grenzwert k ′ → ∞ übergehen und erhalten
Z
Z
eφ veM − f (x) wdx,
∇φ · ∇wdx = −
Ω
Ω
w ∈ C0∞ (Ω).
Derselbe Grenzwert in
Z
liefert
Ω
eφk′ ∇vk′ · ∇wdx = 0,
Z
eφ ∇v · ∇wdx = 0,
Ω
38
w ∈ C0∞ (Ω),
w ∈ C0∞ (Ω),
denn eφk′ konvergiert stark in L2 (Ω) und ∇vk′ konvergiert schwach in L2 (Ω), so daß das
Produkt schwach in L1 (Ω) konvergiert. Die schwache Formulierung gilt nur für alle w ∈
C0∞ (Ω), aber mit einem Dichtheitsargument können wir zeigen, daß sie tatsächlich für alle
w ∈ H01 (Ω) gilt. Wir haben also gezeigt, daß v = S(e
v , σ) und S(e
vk′ , σk′ ) = vk′ → v = S(e
v , σ)
2
in L (Ω). Wegen der Eindeutigkeit des Grenzwerts konvergiert die gesamte Folge. Dies
beweist die Stetigkeit von S. Die Kompaktheit der Einbettung H 1 (Ω) ֒→ L2 (Ω) impliziert
mit der Abschätzung (2.37) die Kompaktheit von S.
Schritt 3: A-priori-Abschätzungen. Sei v ∈ H 1 (Ω) ein Fixpunkt von S(·, σ). Die Definition von M ergibt M ≥ e−ψ g = vD und daher (v−M )+ = 0 auf ∂Ω, so daß (v−M )+ ∈ H01 (Ω)
eine zulässige Testfunktion für die erste Gleichung von (2.34) ist:
Z
Z
φ
+
0=
e ∇v · ∇(v − M ) dx =
eφ |∇(v − M )+ |2 dx,
Ω
Ω
also (v − M )+ = 0 und v ≤ M in Ω. In ähnlicher Weise ergibt sich wegen 1/M ≤ e−ψ g
mit der Testfunktion (v − 1/M )− die Folgerung (v − 1/M )− = 0 und v ≥ 1/M in Ω. Dies
zeigt vM = v. Ferner erhalten wir eine gleichmäßige L∞ - und damit L2 -Abschätzung für
alle Fixpunkte von S(·, σ).
Schritt 4: Ende des Beweises. Nach dem Fixpunktsatz von Leray-Schauder erhalten wir
die Existenz eines Fixpunktes v von S(·, 1). Dann löst (v, φ), wobei φ durch die PoissonGleichung definiert ist, das Randwertproblem (2.33) und (2.34). Wegen 1/M ≤ v ≤ M löst
(v, φ) sogar das Problem (2.32)-(2.33).
Sind die Randdaten und der Rand des Gebiets regulärer, so können wir folgendes Regularitätsresultat beweisen.
Proposition 2.27. Es gelten die Voraussetzungen von Satz 2.25. Seien ∂Ω ∈ C ∞ , f , g,
ψ ∈ C ∞ (Ω). Dann ist jede beschränkte schwache Lösung von (2.29)-(2.30) eine klassische
Lösung.
Beweis. Der Beweis illustriert die sogenannte Bootstrapping-Technik. Eine schwache Lösung von (2.29)-(2.30) erfüllt
∆φ = u − f (x) ∈ L∞ (Ω),
∆u = div(u∇φ) = ∇u · ∇φ + u∆φ.
Nach Satz 2.8 erhalten wir φ ∈ W 2,p (Ω) für jedes p < ∞. Dies impliziert insbesondere
|∇φ| ∈ L∞ (Ω) und damit ∆u ∈ L2 (Ω). Derselbe Satz ergibt u ∈ H 2 (Ω). Ferner gilt für alle
i = 1, . . . , n
∆∂i φ = ∂i u − ∂i f ∈ L2 (Ω),
und Satz 2.8 impliziert ∂i φ ∈ H 2 , also φ ∈ H 3 (Ω). Außerdem gilt für hinreichend großes
p < ∞:
∆∂i u = ∇∂i u · ∇φ + |{z}
∇u · ∇∂i φ + ∂i u · ∆φ + |{z}
u · ∆∂i φ ∈ L2 (Ω)
| {z } |{z}
|{z} |{z}
| {z }
| {z }
∈L2 (Ω) ∈L∞ (Ω)
∈H 1 (Ω) ∈Lp (Ω)
∈H 1 (Ω) ∈Lp (Ω)
39
∈L∞ (Ω)
L2 (Ω)
mit den Randbedingungen ∂i u = ∂i g auf ∂Ω, und damit ∂i u ∈ H 2 (Ω) oder u ∈ H 3 (Ω).
Diese Argumentation können wir fortsetzen, bis wir u, φ ∈ H m (Ω) erhalten, wobei m so
groß ist, daß aus dem Einbettungssatz von Sobolev u, φ ∈ C 2 (Ω) folgt.
Schließlich können wir die Frage stellen, ob das System (2.29)-(2.30) eindeutig lösbar
ist. Dies ist im allgemeinen nicht der Fall. Dies ist nicht überraschend, denn es gibt Halbleiterbauteile (Thyristoren), deren Funktionsweise darauf basiert, daß es mehrere Zustände
gibt. Für hinreichend kleine angelegte Spannungen (d.h. “kleines” |∇ψ|) kann die Eindeutigkeit von Lösungen bewiesen werden. Der Fall ∇ψ = 0 ist besonders einfach und wird in
den Übungsaufgaben betrachtet.
40
3
Nichtlineare parabolische Gleichungen
In diesem Kapitel stellen wir Techniken vor, mit denen semilineare Gleichungen vom Typ
ut − ∆u = f (x, u)
oder quasilineare Gleichungen vom Typ
ut − div(a(u)∇u) = f (x, t)
analysiert werden können. Wie im vorigen Kapitel verwenden wir wegen der Nichtlinearitäten die Fixpunktsätze von Schauder bzw. Leray-Schauder. Die in diesen Sätzen geforderte Kompaktheit schließen wir aus A-priori-Abschätzungen. Bei zeitabhängigen Gleichungen
können wir in einigen Fällen auch den Fixpunktsatz von Banach verwenden, für den keine
Kompaktheit notwendig ist und der zugleich die Eindeutigkeit der Lösungen liefert.
Um schwache Lösungen parabolischer Gleichungen definieren zu können, benötigen wir
Sobolevräume in Ort und Zeit. Daher beginnen wir mit einem Abschnitt, in dem wir einige
Ergebnisse über derartige Räume wiederholen bzw. vertiefen.
3.1
Sobolevräume in Ort und Zeit
Lösungen parabolischer Gleichungen sind Funktionen in Ort und Zeit. Da die Regularität
im Ort von der in der Zeit verschieden sein kann (und im allgemeinen verschieden ist),
benötigen wir Sobolevräume, die zwischen der Orts- und Zeitvariable unterscheiden. Wir
fassen eine Lösung u(x, t) für fast alle t > 0 als eine Funktion u(t) : Ω → R auf, die in einem
Banachraum B liegt. Dies führt zu einer Definition von Räumen der Form C k ([0, T ]; B),
Lp (0, T ; B) bzw. W m,p (0, T ; B). Diese Notationen bedeuten, daß u(t) ∈ B und t 7→ u(t)
stetig differenzierbar, integrierbar bzw. schwach differenzierbar ist. Genauer definieren wir
die folgenden Räume banachraumwertiger Funktionen.
Definition 3.1. Seien B ein Banachraum und T > 0. Wir definieren:
(i) Der Raum C k ([0, T ]; B) ist die Menge aller Funktionen u : [0, T ] → B, die k-mal
stetig differenzierbar sind. Die Norm ist gegeben durch
kukC k ([0,T ];B) =
k
X
i=0
max ku(i) (t)kB .
0≤t≤T
(ii) Der Raum Lp (0, T ; B) ist die Menge aller (Äquivalenzklassen von) meßbaren Funktionen u : (0, T ) → B, für die gilt:
kukLp (0,T ;B) =
Z
T
0
ku(t)kpB dt
1/p
<∞
kukL∞ (0,T ;B) = ess sup ku(t)kB < ∞.
0<t<T
41
für 1 ≤ p < ∞ und
Die oben definierten Räume sind allesamt Banachräume. Ist H ein Hilbertraum, so ist
L2 (0, T ; H) ein Hilbertraum mit dem Skalarprodukt
Z T
(u, v)L2 (0,T ;H) =
(u(t), v(t))H dt, u, v ∈ L2 (0, T ; H).
0
Für den Dualraum von Lp (0, T ; B) gilt das folgende Resultat (für einen Beweis siehe Zeidler
[23, Prop. 23.7 und Excercise 23.12d]).
Proposition 3.2. Seien B ein reflexiver und separabler Banachraum, 1 ≤ p < ∞ und
1/p + 1/q = 1. Dann können wir den Dualraum von Lp (0, T ; B) mit Lq (0, T ; B ′ ) identifizieren:
(Lp (0, T ; B))′ = Lq (0, T ; B ′ ).
Wenn B = Lp (Ω) mit 1 ≤ p < ∞, dann können wir Lp (0, T ; Lp (Ω)) mit Lp (Ω × (0, T ))
identifizieren. Dies gilt nicht für p = ∞ (siehe [16, Example 1.42]).
Wir erinnern, in welchem Sinne wir für parabolische Gleichungen schwache Lösungen
definieren können. Sei u eine klassische Lösung von
ut − ∆u = f (x, t) in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(·, 0) = u0
in Ω,
wobei f eine reguläre Funktion sei. Multipliziere die Differentialgleichung mit einer Testfunktion w ∈ C0∞ (Ω × (0, T )), integriere über Ω × (0, T ) und integriere partiell:
Z TZ
Z TZ
Z T
f wdxdt.
∇u · ∇wdxdt =
(ut , w)L2 dt +
0
0
0
Ω
Ω
Eine schwache Lösung sollte einmal schwach bezüglich x differenzierbar sein, also u(t) ∈
H01 (Ω) für fast alle t. Die Funktion t 7→ ∇u(t) sollte quadratintegrabel sein. Dies bedeutet
u ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)). Die Zeitableitung erfüllt die Gleichung ut (t) = ∆u(t)+f (t) ∈ H −1 (Ω).
Andererseits sollte t 7→ ut (t) für fast alle t quadratintegrabel sein, damit das Integral über
t Sinn macht. Wir fordern also ut ∈ L2 (0, T ; H −1 (Ω)). Dies heißt, daß u(t) und ut (t) in
verschiedenen Banachräumen liegen. Eine Verallgemeinerung dieses Konzepts führt auf
sogenannte Evolutionstripel.
Seien dazu ein separabler Hilbertraum H und ein reflexiver, separabler Banachraum
V gegeben, wobei die Einbettung V ֒→ H stetig und dicht sei. (Ein typisches Beispiel ist
H = L2 (Ω) und V = H01 (Ω).) Nach Proposition 1.8 ist dann die Einbettung H ′ ֒→ V ′ stetig
und dicht. Wir können mit Hilfe der Riesz-Abbildung den Raum H und seinen Dualraum
H ′ identifizieren. Insbesondere gilt
hu, viV ′ = (u, v)H
für u ∈ H, v ∈ V.
Damit erhalten wir die folgende Inklusionskette:
V ֒→ H ≃ H ′ ֒→ V ′ .
Ein solches Tripel (V, H, V ′ ) nennen wir ein Evolutionstripel. Wir fassen zusammen:
42
Definition 3.3. Seien H ein separabler Hilbertraum und V ein reflexiver, separabler Banachraum mit stetiger und dichter Einbettung V ֒→ H. Dann heißt das Tripel V ֒→ H ֒→
V ′ ein Gelfand-Tripel oder Evolutionstripel.
Ein Beispiel für ein Evolutionstripel ist gegeben durch
H01 (Ω) ֒→ L2 (Ω) ֒→ H −1 (Ω).
Wir suchen also allgemein schwache Lösungen parabolischer Gleichungen mit u ∈ L2 (0, T ;
V ) und ut ∈ L2 (0, T ; V ′ ). Wir definieren daher für 1 < p < ∞:
W 1,p (0, T ; V, H) = {u ∈ Lp (0, T ; V ) : ut ∈ Lq (0, T ; V ′ )},
1 1
+ = 1.
p q
Für diesen Raum gelten folgende Eigenschaften.
Proposition 3.4. Seien V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel und 1 < p < ∞.
(i) Der Raum W = W 1,p (0, T ; V, H) ist mit der Norm
kukW = kukLp (0,T ;V ) + kut kLq (0,T ;V ′ ) ,
u ∈ W,
ein Banachraum.
(ii) Der Raum C 1 ([0, T ]; V ) ist dicht in W 1,p (0, T ; V, H).
(iii) Die Einbettung W 1,p (0, T ; V, H) ֒→ C 0 ([0, T ]; H) ist stetig (ggf. nach Auswahl eines
geeigneten Repräsentanten).
(iv) Sei u ∈ W 1,p (0, T ; V, H). Dann ist die Abbildung t 7→ ku(t)kH absolut stetig (also
insbesondere fast überall differenzierbar), und es gilt
d
ku(t)k2H = 2hut (t), u(t)iV ′
dt
für fast alle 0 < t < T.
Beweis. (i) Siehe Evans [10, Seite 287] oder Zeidler [23, Prop. 23.23(iv)].
(ii) Siehe Emmrich [9, Satz 8.1.9].
(iii) Wir zeigen nur, daß eine Konstante C > 0 existiert, so daß für alle u ∈ W 1,p (0, T ;
V, H) gilt
kukL∞ (0,T ;H) ≤ C kukLp (0,T ;V ) + kut kLq (0,T ;V ′ ) .
Sei zunächst u ∈ C 1 ([0, T ]; V ). Dann gilt für alle t, t∗ ∈ [0, T ]:
Z t
2
∗ 2
ku(t)kH = ku(t )kH + 2 (ut (s), u(s))H ds.
(3.38)
t∗
Es gibt ein t∗ ∈ [0, T ], so daß
ku(t
∗
)k2H
1
=
T
Z
T
0
43
ku(s)k2H ds.
(3.39)
Wegen ut (s) ∈ V ⊂ H ⊂ V ′ können wir schreiben:
(ut (s), u(s))H = hut (s), u(s)iV ′ ≤ kut (s)kV ′ ku(s)kV .
Setzen wir diese Ungleichung sowie (3.39) in (3.38) ein, so erhalten wir mit der Hölderund dann der Young-Ungleichung
Z T
Z
1 T
2
2
kut (s)kV ′ ku(s)kV ds
ku(s)kH ds + 2
ku(t)kH ≤
T 0
0
1
≤ kuk2L2 (0,T ;H) + kuk2Lp (0,T ;V ) + kut k2Lq (0,T ;V ′ ) .
T
Ist nun p ≥ 2, so ergibt die Einbettung Lp (0, T ; V ) ֒→ L2 (0, T ; V ) ֒→ L2 (0, T ; H) die Behauptung. Anderenfalls verwenden wir die Interpolationsungleichung (die aus der HölderUngleichung folgt)
Z
T
0
kuk2H dt
≤ sup
t∈(0,T )
2−p
ku(t)kH
Z
T
0
kukpH dt
≤
εkuk2L∞ (0,T ;H)
+ C1 (ε)
Z
T
0
kukpH dt
2/p
,
aus der
ku(t)k2H ≤ εkuk2L∞ (0,T ;H) + C2 (ε)kuk2Lp (0,T ;V ) + kut k2Lq (0,T ;V ′ )
folgt. Nehmen wir das Supremum über t ∈ (0, T ) und wählen wir ε < 1, so absorbiert die
linke Seite den ersten Term auf der rechten Seite, und die Behauptung folgt, da C 1 ([0, T ]; V )
nach (ii) dicht in W 1,p (0, T ; V, H) liegt.
(iv) Folgt aus (3.38) nach dem Grenzwertübergang t∗ → t und einem Dichtheitsargument.
Die Eigenschaft (iii) des obigen Satzes sagt aus, daß eine schwache Lösung einer parabolischen Gleichung, die ein Element von W 1,p (0, T ; V, H) ist, den Anfangswert u(0) = u0
im Sinne von H erfüllt.
Ist (uk ) eine Folge, so daß (uk ) in Lp (0, T ; V ) und (∂t uk ) in Lq (0, T ; V ′ ) mit 1/p+1/q = 1
beschränkt sind, so existiert eine Teilfolge mit den Eigenschaften
uk′ ⇀ u in Lp (0, T ; V ),
∂t uk′ ⇀ ∂t u in Lq (0, T ; V ′ ) für k ′ → ∞.
Wir haben bereits im vorigen Kapitel gesehen, daß bei nichtlinearen Gleichungen schwache
Konvergenz im allgemeinen nicht ausreicht, um in den Nichtlinearitäten zum Grenzwert
überzugehen. Allerdings ist unter den oben getroffenen Voraussetzungen die Folge (uk )
sogar in Lp (0, T ; H) kompakt, sofern V ֒→ H kompakt ist.
Satz 3.5 (Lemma von Aubin). Seien V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel und 1 < p <
∞. Die Einbettung V ֒→ H sei kompakt. Dann ist die Einbettung W 1,p (0, T ; V, H) ֒→
Lp (0, T ; H) kompakt.
44
Für einen Beweis siehe zum Beispiel Showalter [19, Seite 106f.]. Beachte, daß die Einbettung Lp (0, T ; V ) ֒→ Lp (0, T ; H) im allgemeinen nicht kompakt ist, selbst wenn V ֒→ H
kompakt ist. Vielmehr ist eine zusätzliche Information über die Zeitableitung notwendig.
Das Lemma von Aubin sagt aus, daß wenn (uk ) in Lp (0, T ; V ) und (∂t uk ) in Lq (0, T ; V ′ )
mit 1 < p < ∞ beschränkt sind, dann existiert eine Teilfolge mit
uk′ → u in Lp (0, T ; H) für k ′ → ∞.
Diese starke Konvergenz wird in vielen Fällen genügen, um in den Nichtlinearitäten den
Grenzwert durchführen zu können.
Bemerkung 3.6. Das Lemma von Aubin gilt auch in der folgenden allgemeineren Version:
Seien X, B, Y Banachräume mit kompakter Einbettung X ֒→ B und stetiger Einbettung
B ֒→ Y . Seien ferner U ⊂ Lp (0, T ; X) und {∂u/∂t : u ∈ U } ⊂ Lr (0, T ; Y ) beschränkt,
wobei entweder 1 ≤ p < ∞, r = 1 oder p = ∞, r > 1. Dann ist U relativ kompakt in
Lp (0, T ; B).
3.2
Semilineare Gleichungen
Wir suchen in diesem Abschnitt Lösungen des semilinearen Anfangsrandwertproblems
ut + L(u) = f (x, t, u) in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω.
(3.40)
Wir machen die folgenden Voraussetzungen: Die Menge Ω ⊂ Rn sei ein beschränktes Gebiet
mit ∂Ω ∈ C 1 , der Differentialoperator L(u) sei definiert durch
L(u) = −div(A∇u) + cu,
wobei A(x) = (aij (x)) eine (n × n)-Matrix und c(x) eine Funktion seien. Ferner sei A
symmetrisch und elliptisch. Außerdem gelte aij ∈ L∞ (Ω) und c ∈ L∞ (Ω) mit c ≥ 0 in Ω
und u0 ∈ L2 (Ω). Schließlich sei die Funktion f eine Carathéodory-Funktion (d.h. meßbar
in (x, t) und stetig in u) und (x, t) 7→ f (x, t, u) sei für alle u ∈ R integrierbar.
Die folgenden Resultate gelten auch für zeitabhängige Funktionen A und c und inhomogene Dirichlet-Randbedingungen unter geeigneten Voraussetzungen. Wir verzichten auf
die Darstellung der allgemeineren Situation, um die Präsentation nicht mit einer Vielzahl
von Voraussetzungen zu überladen. Zuerst klären wir den Begriff der schwachen Lösung
für (3.40).
Definition 3.7. Seien V = H01 (Ω), H = L2 (Ω), V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel und
T > 0. Wir nennen u eine schwache Lösung von (3.40), wenn
(i) u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) und f (·, ·, u) ∈ L2 (Ω × (0, T ));
(ii) für alle v ∈ L2 (0, T ; V ) gilt
Z TZ
Z T
Z TZ
T
∇u A∇v + cuv dxdt =
f (x, t, u)vdxdt;
hut , viH −1 dt +
0
0
0
Ω
(iii) u(·, 0) = u0 fast überall in Ω.
45
Ω
Für lineare parabolische Gleichungen erinnern wir an das folgende Existenzresultat.
Satz 3.8 (Existenz für lineare Gleichungen). Es gelten die zu Beginn dieses Abschnitts
gemachten Voraussetzungen. Ferner seien f ∈ L2 (Ω × (0, T )) und T > 0. Dann existiert
eine eindeutig bestimmte schwache Lösung u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) von
ut + L(u) = f (x, t)
in Ω, t > 0,
u=0
auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω
in Sinne der Definition 3.7.
Wenn die Nichtlinearität f (x, t, u) lipschitzstetig in u ist, können wir die Existenz von
Lösungen von (3.40) beweisen.
Satz 3.9 (Globale Existenz und Eindeutigkeit für semilineare Gleichungen). Es gelten die
zu Beginn dieses Abschnitts gemachten Voraussetzungen. Ferner sei T > 0, f (·, ·, 0) ∈
L2 (0, T ; L2 (Ω)), und f sei lipschitzstetig in u gleichmäßig in (x, t), d.h., es existiert ein
L > 0, so daß für alle x ∈ Ω, t ∈ (0, T ) und u, v ∈ R gilt
|f (x, t, u) − f (x, t, v)| ≤ L|u − v|.
Dann existiert eine eindeutig bestimmte schwache Lösung von (3.40) im Sinne von Definition 3.7.
Beweis. Die Beweisidee lautet, den Fixpunktsatz von Banach (siehe Abschnitt 2.1) mit
dem Raum X = C 0 ([0, T ∗ ]; L2 (Ω)) anzuwenden. Es wird sich herausstellen, daß der Fixpunktoperator nur dann eine Kontraktion ist, wenn wir T ∗ > 0 hinreichend klein wählen.
Damit folgt Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung im Zeitintervall [0, T ∗ ]. Da T ∗ unabhängig von u gewählt werden kann, können wir dann die Lösung auf [0, T ] fortsetzen.
Schritt 1: Definition des Fixpunktoperators. Sei v ∈ X. Die Lipschitzstetigkeit von f
impliziert |f (x, t, v)| ≤ C(1 + |v|) ∈ L2 (0, T ; L2 (Ω)). Nach Satz 3.8 existiert also eine
eindeutig bestimmte schwache Lösung u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) von
ut + L(u) = f (x, t, v(x, t)) in Ω, t > 0,
u(0) = u0
in Ω.
Nach Proposition 3.4 gilt u ∈ X. Dies definiert den Fixpunktoperator S : X → X, S(v) =
u. Wir müssen zeigen, daß S eine Kontraktion ist.
Schritt 2: S ist eine Kontraktion. Seien v1 , v2 ∈ X und u1 = S(v1 ), u2 = S(v2 ). Die
Funktion u1 − u2 löst die Gleichung
(u1 − u2 )t + L(u1 − u2 ) = f (x, t, v1 ) − f (x, t, v2 ) in Ω, t > 0,
(u1 − u2 )(0) = 0 in Ω.
Verwenden wir die Testfunktion u1 − u2 ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)) in der schwachen Formulierung
dieser Gleichung und die Elliptizität von A, so folgt für t ∈ (0, T ∗ )
Z tZ
Z t
α|∇(u1 − u2 )|2 + c(u1 − u2 )2 dxds
h(u1 − u2 )t , u1 − u2 iV ′ ds +
0
Z0 t ZΩ
f (x, s, v1 ) − f (x, s, v2 ) (u1 − u2 )dxds.
≤
0
Ω
46
Nach Proposition 3.4 (iv) und wegen (u1 − u2 )(0) = 0 können wir das erste Integral auf
der linken Seite schreiben als 21 k(u1 − u2 )(t)k2L2 (Ω) . Die Lipschitzstetigkeit von f und die
Poincaré-Ungleichung ergeben also
Z tZ
1
2
k(u1 − u2 )(t)kL2 (Ω) + α
|∇(u1 − u2 )|2 dxds
2
Z t0 Ω
kf (·, s, v1 ) − f (·, s, v2 )kL2 (Ω) ku1 − u2 kL2 (Ω) ds
≤
0
Z t
kv1 − v2 kL2 (Ω) ku1 − u2 kL2 (Ω) ds
≤L
0
Z t
≤ C1
kv1 − v2 kL2 (Ω) k∇(u1 − u2 )kL2 (Ω) ds
0
Z
Z
α t
C12 t
2
≤
k∇(u1 − u2 )kL2 (Ω) ds +
kv1 − v2 k2L2 (Ω) ds.
2 0
2α 0
Wir nehmen das Maximum über t ∈ [0, T ∗ ] und folgern
kS(v1 ) − S(v2 )k2L∞ ([0,T ∗ ];H) = ku1 − u2 k2L∞ ([0,T ∗ ];H) ≤
C12 T ∗
kv1 − v2 k2L∞ ([0,T ∗ ];H) .
α
Die Konstante C1 hängt von der Lipschitzkonstante L und der Poincaré-Konstante ab. Wir
wählen nun T ∗ > 0 so klein, daß C12 T ∗ /α < 1. Dann zeigt die obige Ungleichung, daß S
auf X eine Kontraktion ist, und der Fixpunktsatz von Banach liefert die Existenz einer
eindeutig bestimmten Lösung u auf [0, T ∗ ].
Schritt 3: Fortsetzung der lokalen Lösung. Es gilt nach Proposition 3.4 (iii) u(t) ∈ L2 (Ω)
für alle t ∈ [0, T ∗ ]. Insbesondere ist u(T ∗ ) ∈ L2 (Ω). Wir können nun diese Funktion als
Anfangswert verwenden und die obige Argumentation wiederholen. Dies liefert eine Lösung,
die auf [T ∗ , 2T ∗ ] definiert ist, denn T ∗ ist unabhängig von u. Nach endlich vielen Schritten
haben wir also eine Lösung auf [0, T ] konstruiert. Diese globale Lösung ist dann auch
eindeutig, denn gäbe es zwei Lösungen u1 und u2 , so könnten wir mit den Abschätzungen
aus Schritt 2 sofort u1 − u2 = 0 schließen.
Semilineare parabolische Gleichungen spielen in der chemischen Reaktionskinetik eine
große Rolle. Die Forderung der Lipschitzstetigkeit von f ist eine starke Einschränkung. In
Abschnitt 1.1 haben wir beispielsweise gesehen, daß f (u) = R0 −u2 ; diese Funktion ist nicht
lipschitzstetig in R. Wir behaupten, daß das Problem (3.40) auch für solche Funktionen
zumindest lokal in der Zeit lösbar ist.
Satz 3.10 (Lokale Existenz und Eindeutigkeit für semilineare Gleichungen). Es gelten die
zu Beginn dieses Abschnitts gemachten Voraussetzungen und es sei u0 ∈ L∞ (Ω). Ferner
sei f lokal lipschitzstetig in u gleichmäßig in (x, t), d.h., für alle R > 0 existiert L(R) > 0,
so daß
|f (x, t, u) − f (x, t, v)| ≤ L(R)|u − v|
für alle |u| ≤ R, |v| ≤ R, x ∈ Ω, t > 0,
47
und wachse höchstens polynomiell, d.h., es existieren Konstanten K > 0 und r > 0, so daß
|f (x, t, u)| ≤ K(1 + |u|r )
für alle u ∈ R.
Dann existiert ein T ∗ > 0, so daß (3.40) auf dem Intervall [0, T ∗ ] eine eindeutig bestimmte
Lösung u ∈ W 1,2 (0, T ∗ ; V, H) im Sinne von Definition 3.7 besitzt. Außerdem erfüllt u die
Abschätzung
ku(·, t)kL∞ (Ω) ≤ ku0 kL∞ (Ω) eλt , 0 ≤ t ≤ T ∗ ,
wobei λ > 0 nicht von u abhängt.
Der Beweis von Satz 3.10 basiert auf dem Fixpunktsatz von Banach und dem schwachen
Maximumprinzip. Wir werden eine Testfunktion vom Typ (u − M eλt )+ verwenden. Dann
ist ein Integral vom Typ
Z
T
0
hut , (u − M eλt )+ iH −1 dt
zu berechnen. Dafür formulieren wir folgendes Lemma, dessen Beweis eine Übungsaufgabe
ist.
Lemma 3.11. Seien z : [0, T ] → [0, ∞) stetig differenzierbar und u ∈ W 1,2 (0, T ; H01 (Ω),
L2 (Ω)). Dann gilt für 0 ≤ τ ≤ T :
Z τ
Z τZ
Z
1
+
+
2
+
2
hut , (u − z) iH −1 dt =
zt (u − z)+ dxdt.
(u − z) (τ ) − (u − z) (0) dx +
2
0
0
Ω
Ω
Beweis von Satz 3.10. Seien M = ku0 kL∞ (Ω) , T ∗ > 0 und λ > 0 gegeben. Wir definieren
die Menge
B = {v ∈ C 0 ([0, T ∗ ]; L2 (Ω)) : kv(t)kL∞ (Ω) ≤ M eλt , 0 ≤ t ≤ T ∗ }.
Sei ferner v ∈ B und u ∈ W 1,2 (0, T ∗ ; V, H) die eindeutig bestimmte Lösung des linearen
Problems
ut + L(u) = f (x, t, v(x, t)) in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω.
Diese Lösung existiert gemäß Satz 3.8, denn
|f (x, t, v)| ≤ K(1 + |v|r ) ≤ K(1 + M r erλt ) ∈ L2 (Ω × (0, T ∗ )).
(3.41)
Wir behaupten, daß die Lösung u im Raum B liegt. Dazu beobachten wir, daß (u −
M eλt )+ ∈ L2 (0, T ∗ ; V ) eine Testfunktion ist und (u − M eλt )+ (0) = (u0 − M )+ = 0 gilt.
Wir erhalten
Z τ
Z τZ
λt +
(∇(u − M eλt )+ )T A∇u + cu(u − M eλt )+ dxdt
hut , (u − M e ) iH −1 dt +
{z
} |
{z
}
0
0
Ω |
=
Z
τ
0
Z
=χu>M eλt ∇uT A∇u≥0
Ω
f (x, t, v)(u − M eλt )+ dxdt.
48
≥0
Wir verwenden nun Lemma 3.11, die Elliptizität von A und die Abschätzung (3.41):
Z
Z τZ
1
λt +
2
(u − M e ) (τ ) dx +
(M eλt )t (u − M eλt )+ dxdt
2 Ω
0
Ω
Z τZ
f (x, t, v)(u − M eλt )+ dxdt
≤
0
Ω
und daher
Z
Z τZ
1
λt +
2
f (x, t, v) − λM eλt (u − M eλt )+ dxdt
(u − M e ) (τ ) dx ≤
2 Ω
Z0 τ ZΩ
K(1 + M r erλt ) − λM eλt (u − M eλt )+ dxdt.
≤
0
Ω
r
Wir wählen nun λ = K(2M + 1)/M und, falls r > 1, T ∗ ≤ (ln 2)/(λ(r − 1)). Dann folgt
∗
e(r−1)λt ≤ e(r−1)λT ≤ 2 für 0 ≤ t ≤ T ∗ . Falls r ≤ 1, erhalten wir e(r−1)λt ≤ 1 unabhängig
von der Wahl von T ∗ . Damit ist
Z
Z τZ
1
λt +
2
K(1 + M r erλt ) − K(2M r + 1)eλt (u − M eλt )+ dxdt
(u − M e ) (τ ) dx ≤
2 Ω
Z0 τ ZΩ
KM r eλt (e(r−1)λt − 2)(u − M eλt )+ dxdt ≤ 0.
≤
{z
}
|
0
Ω
≤0
λt
Dies impliziert sofort u(·, t) ≤ M e in Ω, t ∈ [0, T ∗ ]. Verwenden wir die Testfunktion
(−u−M eλt )+ , so ergibt sich nach einer ähnlichen Rechnung −u(·, t)−M eλt ≤ 0. Insgesamt
erhalten wir |u(·, t)| ≤ M eλt , also u ∈ B. Dies definiert den Fixpunktoperator S : B → B,
S(v) = u. Es bleibt zu zeigen, daß S eine Kontraktion ist.
Seien v1 , v2 ∈ B und u1 = S(v1 ), u2 = S(v2 ). Mit der Testfunktion u1 − u2 in der
Differenz der schwachen Formulierungen für u1 bzw. u2 folgt
Z τZ
Z τ
∇(u1 − u2 )T A∇(u1 − u2 ) + c(u1 − u2 )2 dxdt
h(u1 − u2 )t , u1 − u2 iH −1 dt +
0
Ω
0
Z τZ
f (x, t, v1 ) − f (x, t, v2 ) (u1 − u2 )dxdt.
=
0
Ω
Wir verwenden die Elliptizität von A und die Poincaré- und Young-Ungleichung:
Z
Z τZ
1
2
|∇(u1 − u2 )|2 dxdt
(u1 − u2 )(τ ) dx + α
2 Ω
0
Ω
Z τ
kf (x, t, v1 ) − f (x, t, v2 )kL2 (Ω) ku1 − u2 kL2 (Ω) dt
≤
0
Z τ
≤ C1
kf (x, t, v1 ) − f (x, t, v2 )kL2 (Ω) k∇(u1 − u2 )kL2 (Ω) dt
0
Z
C12 τ
≤
kf (x, t, v1 ) − f (x, t, v2 )k2L2 (Ω) dt
2α 0
Z
α t
k∇(u1 − u2 )k2L2 (Ω) dt.
+
2 0
49
Aus der lokalen Lipschitzstetigkeit von f ergibt sich weiter
Z Z
1
α τ
C 2 L(M eλt )τ
2
k(u1 − u2 )(τ )kL2 (Ω) +
kv1 − v2 k2L∞ (0,T ∗ ;L2 (Ω)) .
|∇(u1 − u2 )|2 dxdt ≤ 1
2
2 0 Ω
2α
Wir nehmen das Supremum über τ ∈ [0, T ∗ ]:
ku1 − u2 kL∞ (0,T ∗ ;L2 (Ω))
C12 L∗ T ∗
≤
kv1 − v2 kL∞ (0,T ∗ ;L2 (Ω)) ,
α
wobei L∗ := supt∈(0,T ∗ ) L(M eλt) . Falls C12 L∗ T ∗ /α < 1, so erhalten wir eine Kontraktion.
Insgesamt müssen wir also T ∗ > 0 so wählen, daß T ∗ < T and C12 L∗ T ∗ < α.
Satz 3.10 schließt nicht aus, daß die Lösung doch global in der Zeit existiert. Das
folgende Resultat zeigt jedoch, daß dies im allgemeinen falsch ist. Dazu betrachten wir wie
Evans [10, Abschnitt 9.4.1] die spezielle Gleichung
ut − ∆u = u2
in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω.
(3.42)
Da die Abbildung u 7→ u2 lokal lipschitzstetig ist, existiert eine Lösung lokal in der Zeit. Wir
behaupten, daß für hinreichend großes T > 0 und u0 > 0 keine Lösung von (3.42) existieren
kann. Dieses Ergebnis kann folgendermaßen verstanden werden. Sind die diffusiven Kräfte
vernachlässigbar, erhalten wir die gewöhnliche Differentialgleichung
ut = u 2 ,
t > 0,
Die Lösung lautet
u(t) =
u(0) = u0 > 0.
1
,
1/u0 − t
t ≥ 0,
und sie existiert nur für t < 1/u0 . Der Diffusionsterm −∆u wirkt bekanntermaßen glättend,
so daß der Reaktionsterm u2 und der Diffusionsterm ∆u im Wettbewerb stehen. Da u 7→ u2
superlinear wächst, erwarten wir, daß die Reaktionen schneller stattfinden als die Diffusion
glätten kann. Mit anderen Worten: Die Lösung “explodiert” nach endlicher Zeit.
Proposition 3.12 (Nichtexistenz globaler Lösungen). Sei u eine schwache Lösung von
1
(3.42) mit u0 > 0 und sei w
R 1 > 0 die Eigenfunktion von −∆ auf H0 (Ω) zum kleinsten
Eigenwert λ1 > 0 mit Ω w1 dx = 1. Falls das Anfangsdatum so gewählt ist, daß
R
u w dx > λ1 , dann existiert ein t∗ > 0, so daß
Ω 0 1
Z
lim∗ u(x, t)w1 (x)dx = ∞.
t→t
Ω
In diesem Sinne sagen wir, daß die Gleichung (3.42) keine schwache Lösung besitzt, die
global in der Zeit existiert.
50
Beweis. Die Eigenwertgleichung
−∆w = λw
in Ω,
w = 0 auf ∂Ω,
besitzt einen Eigenwert λ1 > 0 mit Eigenfunktion w1 ∈ HR2 (Ω). Es ist möglich (nach dem
Maximumprinzip), w1 so zu wählen, daß w1 > 0 in Ω und Ω w1 dx = 1. Sei u eine schwache
Lösung von (3.42). Da ut − ∆u ≥ 0, u(0) ≥ 0 und u = 0 auf ∂Ω, folgt aus dem schwachen
Maximumprinzip, daß u ≥ 0 in Ω, t > 0. (Wähle u− = min{0, u} als Testfunktion und
rechne wie im Beweis von Theorem 3.10.) Wir definieren
Z
z(t) =
u(t)w1 dx, t ≥ 0.
Ω
Wegen u ∈ C 0 ([0, T ]; L2 (Ω)) ist z für alle t ≥ 0 definiert. Es folgt (ähnlich wie in Proposition
3.4)
Z
dz
d
2
(t) = hu, w1 iH −1 = hut , w1 iH −1 = h∆u + u , w1 iH −1 = (u∆w1 + u2 w1 )dx.
dt
dt
Ω
Im letzten Schritt haben wir zweimal partiell integriert. Da w1 eine Eigenfunktion ist,
erhalten wir
Z
dz
= −λ1 z + u2 w1 dx.
dt
Ω
Die Beweisidee lautet nun zu zeigen, daß das letzte Integral nach unten durch z 2 abgeschätzt
werden kann. Dazu verwenden wir die Hölder-Ungleichung:
Z
Z
1/2 Z
1/2 Z
1/2
√ √
2
u w1 dx
w1 dx
=
z=
u w1 w1 dx ≤
u2 w1 dx
,
Ω
Ω
denn
R
Ω
w1 dx = 1. Daher ist z 2 ≤
R
Ω
Ω
Ω
u2 w1 dx und
dz
≥ −λ1 z + z 2 ,
dt
t ≥ 0.
Diese Differentialungleichung kann gelöst werden. Die Funktion y(t) = eλ1 t z(t) erfüllt
dy
dz
= eλ1 t + λ1 eλ1 t z ≥ eλ1 t z 2 = e−λ1 t y 2 .
dt
dt
Folglich ist
1 dy
d 1
−
= 2
≥ e−λ1 t .
dt
y
y dt
Integration dieser Ungleichung von 0 bis t ergibt
−
1
1
1
+
≥ − (e−λ1 t − 1).
y(t) y(0)
λ1
51
Wir lösen diese Ungleichung nach y(t) auf:
y(t) ≥
y(0)λ1
.
λ1 − y(0)(1 − e−λ1 t )
Diese Umformulierung Rist möglich, falls der Nenner ungleich null ist. Wir wählen nun u0
so, daß z(0) = y(0) = Ω u0 w1 dx > λ1 . Dann gibt es ein t∗ > 0, so daß der obige Nenner
gleich null wird, d.h. y(t) → ∞ und z(t) = e−λ1 t y(t) → ∞ für t → t∗ . Dies zeigt die
Behauptung.
Das Ergebnis von Proposition 3.12 ist aus Sicht der Reaktionskinetik plausibel. Die
rechte Seite der Gleichung
ut − ∆u = u2
modelliert eine binäre Reaktion, bei der Moleküle entstehen. Tatsächlich wird eine Kettenreaktion beschrieben, und die Anzahl der Moleküle wächst über alle Maßen. Eine Lösung
kann nicht für alle Zeiten existieren. Bei der Reaktionsgleichung
ut − ∆u = R0 − u2
wird eine binäre Reaktion beschrieben, bei der Moleküle vernichtet werden mit einem
√
konstanten Quellterm. Es ist plausibel, daß sich die Teilchendichte auf den Wert u = R0
(wegen R0 − u2 = 0) einpendelt und daß insbesondere eine globale Lösung existiert. Dieser
Fall ist in Satz 3.9 jedoch nicht enthalten. Ähnlich wie bei den elliptischen Gleichungen
ist die Monotonie von u 7→ R0 − u2 entscheidend für die globale Existenz. Das folgende
Resultat gilt für monotone semilineare Gleichungen.
Satz 3.13 (Globale Existenz und Eindeutigkeit für monotone semilineare Gleichungen).
Es gelten die zu Beginn dieses Abschnitts gemachten Voraussetzungen und es seien u0 ∈
L∞ (Ω) und T > 0. Ferner sei f : Ω × (0, T ) × R → R eine Funktion mit den folgenden
Eigenschaften:
• f ist eine Carathéodory-Funktion,
• u 7→ f (x, t, u) ist monoton fallend für fast alle x ∈ Ω, t > 0,
• es existiere ein M0 > 0, so daß f (x, t, M0 ) ≤ 0 und f (x, t, −M0 ) ≥ 0 für fast alle
x ∈ Ω, t > 0,
• für alle M > 0 gelte |f (x, t, u)| ≤ hM (x, t) ∈ L2 (Ω × (0, T )) für fast alle x ∈ Ω, t > 0
und für alle |u| ≤ M .
Dann existiert genau eine schwache Lösung u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) von (3.40) im Sinne der
Definition 3.7. Außerdem erfüllt u die Abschätzung
|u| ≤ max{M0 , ku0 kL∞ (Ω) }
52
in Ω × (0, T ).
Die Voraussetzung hM ∈ L2 (Ω) kann abgeschwächt werden (siehe Satz 2.17). Sie vereinfacht den Beweis des Satzes. Wir benötigen folgendes Hilfsergebnis, das ähnlich wie Lemma
2.26 bewiesen wird.
Lemma 3.14. Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet, 1 ≤ p < ∞, (uk ) eine Folge mit
uk → u in Lp (Ω) für k → ∞ und f eine Carathéodory-Funktion mit |f (·, u)| ≤ h ∈ Lp (Ω)
für alle u ∈ R. Dann folgt f (·, uk ) → f (·, u) in Lp (Ω).
Beweis. Nach der Umkehrung des Satzes über die majorisierte Konvergenz existiert eine
Teilfolge (uk′ ) mit uk′ → u fast überall in Ω für k ′ → ∞. Da f stetig in u ist, erhalten wir
f (x, uk′ ) → f (x, u) fast überall. Ferner ist |f (·, uk′ )|p ≤ hp ∈ L1 (Ω). Nach dem Satz über
die majorisierte Konvergenz folgt f (·, uk′ ) → f (·, u) in Lp (Ω). Da u eindeutig bestimmt ist,
konvergiert die gesamte Folge.
Beweis von Satz 3.13. Wir wenden den Fixpunktsatz von Leray-Schauder an, um die Monotonie von f auszunutzen. Da f bezüglich u nur lokal beschränkt ist, benutzen wir außerdem die Abschneidemethode von Stampacchia. Seien dafür v ∈ L2 (Ω×(0, T )) und σ ∈ [0, 1]
gegeben und u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) die eindeutig bestimmte Lösung des linearen Problems
ut + L(u) = σf (x, t, vM (x, t)) in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(0) = σu0
in Ω, (3.43)
wobei vM = max{−M, min{M, v}} und M = max{M0 , ku0 kL∞ (Ω) }. Die Lösung existiert,
denn f (x, t, vM (x, t)) ist eine L2 -Funktion in (x, t). Dies definiert den Fixpunktoperator
S : L2 (Ω × (0, T )) × [0, 1] → L2 (Ω × (0, T )), S(v, σ) = u. Es gilt S(v, 0) = 0 für alle v.
Außerdem ist S stetig, denn ist vk → v in L2 (Ω × (0, T )), σk → σ und uk = S(vk , σk ), so
folgt aus den Voraussetzungen an f und Lemma 3.14
f (x, t, (vk )M ) → f (x, t, vM ) in L2 ((0, T ) × Ω).
Da die rechte Seite der linearen Gleichung bezüglich k in L2 beschränkt ist, folgt aus den
A-priori-Abschätzungen, daß (uk ) in W 1,2 (0, T ; V, H) beschränkt ist. Also existiert eine
Teilfolge mit uk′ ⇀ u in W 1,2 (0, T ; V, H) und – nach dem Lemma von Aubin (Satz 3.5)
– uk′ → u in L2 (Ω × (0, T )). Das Lemma kann angewendet werden, da V kompakt in H
einbettet. Wir können also den Grenzwert k ′ → ∞ in der schwachen Formulierung von
uk′ durchführen und schließen, daß u eine schwache Lösung von (3.43) ist. Dies beweist
u = S(v, σ) und die Stetigkeit von S.
Um die Kompaktheit von S zu zeigen, verwenden wir u als Testfunktion in (3.43):
Z
Z
Z τZ
Z τZ
1
1
2
2
2
u(τ ) dx −
u dx + α
|∇u| dxdt ≤ σ
f (x, t, vM )udxdt
2 Ω
2 Ω 0
0
Ω
0
Ω
Z τZ
1
1
≤
hM |u|dxdt ≤ khM k2L2 (Ω×(0,T )) + kuk2L2 (Ω×(0,T )) .
2
2
0
Ω
Mit dem Lemma von Gronwall schließen wir, daß kukL2 (0,T ;V ) ≤ C1 . Dann ist auch ut
beschränkt, denn
kut kL2 (0,T ;H −1 (Ω)) ≤ kA∇ukL2 (0,T ;L2 (Ω)) + k − cu + σf (x, t, vM )kL2 (0,T ;L2 (Ω)) ≤ C2 .
53
Aus dem Lemma von Aubin folgt, daß u = S(v, σ) in einer kompakten Teilmenge von
L2 (0, T ; L2 (Ω)) liegt, d.h., S ist kompakt.
Der entscheidende Beweisschritt sind die gleichmäßigen Abschätzungen für alle Fixpunkte von S(·, σ). Sei u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) ein solcher Fixpunkt. Wir verwenden die
Testfunktion (u − M )+ , die Elliptizität von L und Lemma 3.11:
Z τZ
Z
Z τZ
1
+
+
2
f (x, t, uM )(u − M )+ dxdt.
cu(u − M ) dxdt ≤
(u − M ) (τ ) dx +
2 Ω
0
Ω
0
Ω
Der zweite Term auf der linken Seite kann geschrieben werden als
Z τZ
Z τZ
+
c(u − M )+ dxdt ≥ 0.
c(u − M )(u − M ) dxdt + M
0
0
Ω
Ω
Die rechte Seite kann wegen der Voraussetzungen an f nach oben abgeschätzt werden durch
Z τZ
Z τZ
+
f (x, t, M0 )(u − M )+ dxdt ≤ 0,
f (x, t, M )(u − M ) dxdt ≤
0
0
{u>M }
{u>M }
denn f (x, t, M0 ) ≤ 0. Wir schließen, daß (u − M )+ (τ ) = 0, also u ≤ M in Ω × (0, T ).
Die Testfunktion (u + M )− ergibt
Z τZ
Z
Z τZ
1
−
−
2
f (x, t, uM )(u + M )− dxdt.
cu(u + M ) dxdt ≤
(u + M ) (τ ) dx +
2 Ω
0
Ω
0
Ω
Wir schätzen folgendermaßen ab:
Z τZ
Z τZ
Z τZ
− 2
−
c(u + M )− dxdt ≥ 0.
c((u + M ) ) dxdt − M
cu(u + M ) dxdt =
0
0
Ω
0
Ω
Ω
Ferner ist wegen f (x, t, −M0 ) ≥ 0
Z τZ
Z τZ
−
f (x, t, −M )(u + M )− dxdt
f (x, t, uM )(u + M ) dxdt ≤
0
{u<−M }
0
Ω
Z τZ
f (x, t, −M0 )(u + M )− dxdt ≤ 0.
≤
0
{u<−M }
−
Dies liefert (u + M ) = 0 und damit u ≥ −M . Insgesamt erhalten wir eine gleichmäßige Abschätzung für u in L∞ (Ω × (0, T )) und wegen der Beschränktheit von Ω auch in
L2 (Ω × (0, T )). Insbesondere haben wir f (x, t, uM ) = f (x, t, u) gezeigt, da |u| ≤ M . Die
Voraussetzungen des Fixpunktsatzes von Leray-Schauder sind erfüllt. Es existiert also eine
Lösung von (3.40).
Es bleibt die Eindeutigkeit von Lösungen zu zeigen. Seien u1 und u2 zwei schwache
Lösungen von (3.40). Wir benutzen die Testfunktion u1 − u2 in der Differenz der schwachen
Formulierungen für u1 bzw. u2 . Wegen der Elliptizität von L und der Nichtnegativität von
c ergibt sich
Z
Z τZ
1
2
f (x, t, u1 ) − f (x, t, u2 ) (u1 − u2 )dxdt ≤ 0,
(u1 − u2 )(τ ) dx ≤
2 Ω
0
Ω
wobei wir die Monotonie von f verwendet haben. Daher ist u1 = u2 und das Eindeutigkeitsresultat folgt.
54
3.3
Positivität und Langzeitverhalten
Satz 3.13 liefert die Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen der Reaktions-Diffusionsgleichung
ut − ∆u = R0 − u2 in Ω, t > 0, u(0) = u0 in Ω
(3.44)
mit den Randbedingungen u = 0 auf ∂Ω, wobei R0 > 0. Im Hinblick auf chemische
Anwendungen ist es realistischer, homogene Neumann-Randbedingungen
∂u
= 0 auf ∂Ω
∂ν
vorauszusetzen. Für positive Anfangswerte u0 erwarten wir,
√ daß die Konzentration u(t)
positiv ist und für t → ∞ gegen den stationären Zustand R0 konvergiert. Wir beweisen
dies in diesem Abschnitt.
Wir untersuchen etwas allgemeiner monotone semilineare Gleichungen der Form
ut + L(u) = f (u) in Ω, t > 0,
∂u
= 0 auf ∂Ω,
∂ν
u(0) = u0
in Ω.
(3.45)
Die Voraussetzungen an Ω und L(u) seien dieselben wie zu Beginn von Abschnitt 3.2. Die
Funktion f : R → R sei stetig und monoton fallend. Die schwache Formulierung lautet wie
folgt. Seien V = H 1 (Ω) und H = L2 (Ω). Dann ist V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel.
Gesucht ist u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H), so daß für alle v ∈ L2 (0, T ; V )
Z TZ
Z T
Z TZ
T
∇u A∇v + cuv dxdt =
f (u)vdxdt.
hut , viV ′ dt +
0
0
0
Ω
Ω
Die Existenzresultate aus Abschnitt 3.2 sind nicht unmittelbar anwendbar, da wir hier
Neumann-Randbedingungen vorausgesetzt haben. Die schwache Formulierung ist jedoch
dieselbe wie die entsprechende Formulierung für Dirichlet-Probleme bis auf die Definition
des Raumes V . Die Beweise der Sätze des vorigen Abschnitts gelten nun unverändert für
die obige schwache Formulierung außer an den Stellen, an denen Eigenschaften des Raums
V benutzt werden. Im vorliegenden Fall betrifft dies nur die Poincaré-Ungleichung. Gilt
nämlich V = H01 (Ω), so folgt aus einer gleichmäßigen Abschätzung für ∇u in L2 sofort eine
Abschätzung für u in H 1 . Dieses Argument ist im Falle V = H 1 (Ω) nicht mehr gültig. Die
Standard-Abschätzungen des vorigen Abschnitts liefern jedoch mehr als nur gleichmäßige
Abschätzungen für ∇u in L2 , sondern zugleich Abschätzungen für u in L∞ (0, T ; L2 (Ω))
und insbesondere in L2 (0, T ; L2 (Ω)). Dies liefert eine Abschätzung für u in L2 (0, T ; H 1 (Ω))
ohne Verwendung der Poincaré-Ungleichung. Wir können also den Beweis von Satz 3.13
direkt auf das obige Neumann-Randwertproblem übertragen. Wir erhalten das folgende
Existenzresultat.
Satz 3.15 (Globale Existenz und Eindeutigkeit für semilineare Gleichungen mit Neumann-Rand). Es gelten die Voraussetzungen zu Beginn von Abschnitt 3.2. Ferner seien
T > 0 und u0 ∈ L∞ (Ω). Die Funktion f : R → R sei stetig und monoton fallend und es
existiere ein M0 > 0 mit f (M0 ) ≤ 0 und f (−M0 ) ≥ 0. Dann existiert genau eine schwache
Lösung u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) von (3.45) mit |u| ≤ max{M0 , ku0 kL∞ (Ω) } in Ω × (0, T ).
55
Wir behaupten, daß die Lösung von (3.45) positiv ist, sofern u0 > 0.
Proposition 3.16. Sei u0 ∈ L∞ (Ω) mit u0 ≥ u∗ > 0 in Ω. Es existiere ein m0 > 0, so
daß f (m0 ) ≥ 0. Sei ferner u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) eine schwache Lösung von (3.45). Dann
gilt
u(·, t) ≥ min{m0 , u∗ }e−λt in Ω, t > 0,
wobei λ = supΩ c.
Die Funktion f (u) = R0 − u2 erfüllt die Voraussetzung der Proposition√mit m0 =
Die Lösung der Reaktion-Diffusionsgleichung (3.44) erfüllt also u ≥ min{ R0 , u∗ }.
√
R0 .
Beweis. Der Beweis illustriert eine Variante des Minimumprinzips. Eine erste Idee wäre,
die Testfunktion (u − m)− mit 0 < m = min{m0 , u∗ } in der schwachen Formulierung von
(3.45) zu verwenden. Wir erhalten unter Verwendung der Elliptizität von L und f (u) ≥
f (m) ≥ f (m0 ) ≥ 0 für u ≤ m:
Z
Z
1d
− 2
c(u − m)(u − m)− + cm(u − m)− dx
((u − m) ) dx +
2 dt Ω
ZΩ
≤
f (u)(u − m)− dx ≤ 0.
{u<m}
Wegen c ≥ 0 folgt weiter
1d
2 dt
Z
− 2
Ω
((u − m) ) dx ≤ −m
Z
Ω
c(u − m)− dx.
Das Problem ist nun, daß das Integral auf der rechten Seite nichtnegativ ist und nicht ohne
weiteres abgeschätzt werden kann. Die Testfunktion (u−m)− führt also nicht zum Ziel. Der
Grund liegt darin, daß inf u zwar für endliche Zeiten positiv ist, aber mit fortschreitender
Zeit immer kleiner werden könnte. Die Konstante m > 0 ist womöglich für beliebige T > 0
nicht die untere Schranke.
Wir verwenden daher die Testfunktion (u − me−λt )− mit einer zu bestimmenden Konstante λ > 0 (siehe auch den Beweis von Satz 3.10). Es ergibt sich mit Hilfe von Lemma
3.11
Z
Z
1d
−λt − 2
((u − me ) ) dx + c ((u − me−λt )− )2 + me−λt (u − me−λt )− dx
2 dt Ω
ZΩ
Z
−λt −
−λt
≤
f (u)(u − me ) dx − (me )t (u − me−λt )− dx.
Ω
Ω
Das erste Integral auf der rechten Seite ist wegen f (u) ≥ f (m) ≥ 0 für u < me−λt ≤ m
nichtpositiv. Daher ist
Z
Z
1d
−λt − 2
((u − me ) ) dx ≤
m(λ − c)e−λt (u − me−λt )− dx.
2 dt Ω
Ω
Wählen wir λ = supΩ c, so ist das Integral auf der rechten Seite nichtpositiv und wir
erhalten (u − me−λt )− = 0, also die Behauptung.
56
Schließlich zeigen wir, daß die Lösung von (3.45) für t → ∞ gegen die schwache Lösung
des stationären Problems
∂u∞
= 0 auf ∂Ω
(3.46)
L(u∞ ) = f (u∞ ) in Ω,
∂ν
konvergiert. Die Lösbarkeit dieses Problems ist sichergestellt, wenn c strikt positiv ist,
denn dies liefert eine Abschätzung für u∞ in L2 . Der Diffusionsterm div(A∇u∞ ) ergibt
eine Abschätzung für ∇u∞ in L2 , also insgesamt eine Abschätzung für u∞ in H 1 . Dies
garantiert die Kompaktheit des Fixpunktoperators. Nach dem Maximumprinzip gilt sogar
u∞ ∈ L∞ (Ω). Ein detaillierter Beweis, der sehr ähnlich zum Beweis von Satz 2.17 ist, wird
der Leserin bzw. dem Leser überlassen.
Satz 3.17. Sei −f eine (stark) monotone Funktion, d.h., es existiert ein γ ≥ 0 (γ > 0)
mit
−(f (u) − f (v))(u − v) ≥ γ(u − v)2 für alle u, v ∈ R.
Sei weiter u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) eine schwache Lösung von (3.45). Dann gilt
ku(t) − u∞ kL∞ (Ω) ≤ ku0 − u∞ kL∞ (Ω) e−λt ,
wobei λ = inf Ω c + γ.
t ≥ 0,
Beweis. Der Beweis illustriert eine Variante der Moser-Iterationstechnik. Wir zeigen Abschätzungen für u − u∞ in Lp und gehen dann zum Grenzwert p → ∞ über. Sei p eine
ungerade natürliche Zahl. Die Differenz u − u∞ löst die folgende Gleichung:
(u − u∞ )t − L(u − u∞ ) = f (u) − f (u∞ ).
Da sowohl u als auch u∞ in L∞ (Ω) liegen, können wir die Testfunktion (u − u∞ )p in der
schwachen Formulierung der obigen Gleichung verwenden und erhalten
Z
p
h(u − u∞ )t , (u − u∞ ) iV ′ + p (u − u∞ )p−1 ∇(u − u∞ )T A∇(u − u∞ )dx
Z Ω
Z
p+1
+ c(u − u∞ ) dx = (f (u) − f (u∞ ))(u − u∞ )p dx.
Ω
Ω
Das erste Integral auf der linken Seite kann geschrieben werden als
Z
1 d
p
h(u − u∞ )t , (u − u∞ ) iV ′ =
(u − u∞ )p+1 dx.
p + 1 dt Ω
Diese Beziehung gilt für alle regulären Funktionen und aus Dichtheitsgründen dann auch
für Funktionen aus W 1,2 (0, T ; V, H). Ein ausführlicher Beweis kann ähnlich wie für Lemma
3.11 geführt werden. Das zweite Integral wird wie folgt abgeschätzt:
Z
p (u − u∞ )p−1 ∇(u − u∞ )T A∇(u − u∞ )dx
Ω
Z
4p
=
∇((u − u∞ )(p+1)/2 )T A∇((u − u∞ )(p+1)/2 )dx
2
(p + 1) Ω
Z
4pα
|∇((u − u∞ )(p+1)/2 )|2 dx.
≥
2
(p + 1) Ω
57
Aus der starken Monotonie von −f folgt
Z
Z
p
(f (u) − f (u∞ ))(u − u∞ ) dx = (f (u) − f (u∞ ))(u − u∞ )(u − u∞ )p−1 dx
Ω
Ω
Z
≤ −γ (u − u∞ )p+1 dx ≤ 0.
Ω
Wir haben benutzt, daß (u − u∞ )p−1 ≥ 0, da p − 1 gerade ist. Damit folgt
Z
Z
Z
d
4pα
p+1
(p+1)/2 2
(u−u∞ ) dx+
|∇((u−u∞ )
)| dx+(p+1) (c+γ)(u−u∞ )p+1 dx ≤ 0.
dt Ω
p+1 Ω
Ω
(3.47)
Schreiben wir F (t) = ku(t) − u∞ kp+1
,
so
haben
wir
die
Differentialungleichung
Lp+1 (Ω)
F ′ (t) + (p + 1)λF (t) ≤ 0
gezeigt, wobei λ = inf Ω c + γ. Wir verwenden die folgende Version des Lemmas von Gronwall.
Lemma 3.18 (Gronwall). Seien λ0 ∈ R und F : [0, T ] → [0, ∞) eine absolut stetige (also
fast überall differenzierbare Funktion) mit
F ′ (t) + λ0 F (t) ≤ 0
für fast alle t ∈ [0, T ].
Dann folgt F (t) ≤ F (0)e−λ0 t für t ∈ [0, T ].
Wir erhalten mit λ0 = (p + 1)λ nach Ziehen der (p + 1)-ten Wurzel:
ku(t) − u∞ kLp+1 (Ω) ≤ ku0 − u∞ kLp+1 (Ω) e−λt .
Da kvkLp (Ω) → kvkL∞ (Ω) für p → ∞ und für alle v ∈ L∞ (Ω) (siehe Übungsaufgaben), ist
der Satz bewiesen.
Bemerkung 3.19. Wir haben das Integral
Z
4pα
|∇((u − u∞ )(p+1)/2 )|2 dx
p+1 Ω
in (3.47) nicht ausgenutzt, da wir für Neumann-Probleme keine Poincaré-Ungleichung zur
Verfügung haben. Im Falle eines Dirichlet-Problems können wir dieses Integral nach unten
abschätzen durch
Z
Z
4pα 2
4pα 2
(p+1)/2 2
C
C
|(u − u∞ )
| dx =
(u − u∞ )p+1 dx,
p+1 P Ω
p+1 P Ω
wobei CP > 0 die Poincaré-Konstante ist. Damit ändert sich die Differentialungleichung
zu
4pα 2 C F (t) ≤ 0,
F ′ (t) + (p + 1)λ +
p+1 P
58
und das Lemma von Gronwall ergibt
ku(t) − u∞ kLp+1 (Ω) ≤ ku0 − u∞ kLp+1 (Ω) exp − λ +
4pα
2
t .
C
(p + 1)2 P
Im Grenzwert p → ∞ erhalten wir also dieselbe Abschätzung wie in Satz 3.17. Für endliche
Werte von p ist die Abklingrate jedoch größer als im Falle von Neumann-Randbedingungen.
Bemerkung 3.20. Streng genommen ist Satz 3.17 nicht anwendbar auf die ReaktionsDiffusionsgleichung (3.44), da f (u) = R0 − u2 nicht streng monoton ist:
−(f (u) − f (v))(u − v) = (u2 − v 2 )(u − v) = (u + v)(u − v)2 .
Unter√den Voraussetzungen von Proposition 3.16 ist die Lösung u positiv, u ≥ m =
min{ R0 , u∗ }. Also ist
−(f (u) − f (v))(u − v) ≥ 2m(u − v)2
für alle u, v ≥ m.
Die Funktion −f ist also streng monoton auf dem Intervall [m, ∞) und Satz 3.17 ist
anwendbar. Die Lösung des Randwertproblems
−∆u∞ = R0 − u2∞
in Ω,
∂u∞
= 0 auf ∂Ω
∂ν
√
ist konstant und lautet u∞ = R0 . Die
√ Monotonie der rechten Seite impliziert sofort die
eindeutige Lösbarkeit, also ist u∞ = R0 die eindeutige Lösung. Aus Satz 3.17 folgt
p
ku(t) − R0 kL∞ (Ω) → 0 für t → ∞.
Wir haben bewiesen, daß die Konzentration gegen die konstante stationäre Konzentration
konvergiert.
3.4
Quasilineare Gleichungen
Unser Ziel ist die Untersuchung von quasilinearen Gleichungen der Form
ut − div(a(u)∇u) = 0.
Derartige Gleichungen beschreiben beispielsweise die Evolution einer Konzentration u mit
dichteabhängigem Diffusionskoeffizienten a(u). Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, daß
a(u) strikt positiv ist. Den Fall a(u) ≥ 0 behandeln wir für das Beispiel a(u) = um in Abschnitt 3.5. Tatsächlich können wir wesentlich allgemeinere Gleichungen behandeln, indem
wir das Anfangsrandwertproblem abstrakt formulieren. Im folgenden gehen wir ähnlich wie
Showalter [19, Abschnitt III.4] vor.
Sei V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel, d.h., V ist ein separabler, reflexiver Banachraum und H ein separabler Hilbertraum mit stetiger und dichter Einbettung V ֒→ H
59
(siehe Definition 3.3). Sei ferner A : V → V ′ ein Operator. Wir suchen eine Lösung
u ∈ W 1,p (0, T ; V, H) des abstrakten Cauchy-Problems
ut (t) + A(u(t)) = f (t),
t > 0,
u(0) = u0 ,
(3.48)
wobei 1 < p < ∞. Die Funktion f ∈ X ′ sei gegeben, wobei wir X = Lp (0, T ; V ) und X ′ =
Lq (0, T ; V ′ ), 1/p + 1/q = 1, setzen. Nach Proposition 3.4 bettet der Raum W 1,p (0, T ; V, H)
stetig in C 0 ([0, T ]; H) ein, so daß der Anfangswert u(0) = u0 im Sinne von H angenommen
wird. Beachte, daß die Randbedingungen im Raum V formuliert sind.
Beispiel 3.21. (i) Ein typisches Beispiel ist V = H01 (Ω), H = L2 (Ω) und A = −∆. Das
Cauchy-Problem lautet dann
ut − ∆u = f (t) in Ω, t > 0,
u(0) = u0 ,
(3.49)
und u erfüllt homogene Dirichlet-Randbedingungen, u = 0 auf ∂Ω. Dieses Beispiel kann
verallgemeinert werden: Der Operator A, definiert durch u 7→ −div(a(u)∇u), bildet V =
H01 (Ω) auf V ′ = H −1 (Ω) ab, denn, falls 0 ≤ a(u) ≤ a∗ für alle u ∈ R,
Z
kA(u)kV ′ = sup |hA(u), viV ′ | = sup a(u)∇u · ∇vdx
kvkV ≤1
≤a
∗
kvkV ≤1
Ω
∗
sup kukV kvkV ≤ a kukV .
kvkV ≤1
(ii) Ein anderes Beispiel ist der Operator A : V → V ′ mit V = W01,p (Ω), definiert durch
A(u) = −div(|∇u|p−2 ∇u), p ≥ 2. Dies führt auf die sogenannte p-Laplace-Gleichung
ut − div(|∇u|p−2 ∇u) = 0,
die eine andere Verallgemeinerung der Wärmeleitungsgleichung (3.49) ist. Wir erhalten
(3.49), wenn wir p = 2 wählen. Wir zeigen, daß A wohldefiniert ist. Seien u, v ∈ V . Mit
der Hölder-Ungleichung und 1/p + 1/q = 1 folgt
Z
Z
1/q Z
1/p
p−2
(p−1)q
hA(u), viV ′ =
|∇u| ∇u · ∇vdx ≤
|∇u|
dx
|∇v|p dx
Ω
Ω
Ω
p
= k∇ukp−1
Lp (Ω) k∇vkL (Ω) .
Das Supremum über alle v ∈ W01,p (Ω) mit kvkV ≤ 1 ergibt
p−1
kA(u)kV ′ ≤ k∇ukp−1
Lp (Ω) ≤ kukV .
Daher ist A : V → V ′ .
Wir können das abstrakte Cauchy-Problem auf zweierlei Art interpretieren. Die schwache Formulierung lautet
hut (t), viV ′ + hA(u(t)), viV ′ = hf (t), viV ′
60
für v ∈ V, t > 0,
u(0) = u0 .
Damit diese Formulierung Sinn macht, sollte f (t) ∈ V ′ gelten. In dieser Formulierung wird
die Zeitabhängigkeit explizit vermerkt. Geben wir f ∈ X ′ = Lq (0, T ; V ′ ) vor, so können
wir die Gleichung (3.48) auch als die Operatorgleichung
u′ + A(u) = f
in X ′ ,
u(0) = u0 ,
formulieren. Hier interpretieren wir A als einen Operator A : X → X ′ , d.h., die Zeitabhängigkeit steckt in der Definition der Räume X und X ′ . Wir unterscheiden also die Operatoren
A : V → V ′ und A : X → X ′ .
Im folgenden führen wir einige Begriffe ein, die für die Existenz von Lösungen des
abstrakten Cauchy-Problems benötigt werden. Wir erinnern, daß ein Operator A : V → V ′
beschränkt ist, wenn er beschränkte Mengen in V auf beschränkte Mengen in V ′ abbildet.
Die in Beispiel 3.21 definierten Operatoren sind beschränkt.
Definition 3.22. Seien V ein reflexiver Banachraum und A : V → V ′ ein Operator.
(i) A heißt demistetig, wenn für alle (uk ) ⊂ V mit uk → u in V folgt A(uk ) ⇀ A(u) in
V ′ für k → ∞.
(ii) A heißt hemistetig, wenn für alle u, v, w ∈ V die reellwertige Funktion t 7→
hA(u + tv), wiV ′ , t ∈ [0, 1], stetig ist.
(iii) A heißt vom Typ M, wenn für alle (uk ) ⊂ V mit den Eigenschaften
uk ⇀ u in V,
A(uk ) ⇀ f in V ′
und
lim suphA(uk ), uk iV ′ ≤ hf, uiV ′
k→∞
folgt, daß A(u) = f .
(iv) A heißt koerziv, wenn für alle u ∈ V gilt:
hA(u), uiV ′
→ ∞,
kukV
wenn kukV → ∞.
(v) A heißt monoton, wenn für alle u, v ∈ V gilt
hA(u) − A(v), u − viV ′ ≥ 0.
Die Typ-M-Eigenschaft wird benutzt, um bei nur schwach konvergenten Folgen uk ⇀ u
und A(uk ) ⇀ f den Grenzwert f = A(u) bei nichtlinearen Problemen identifizieren zu
können.
Beispiel 3.23. Wir betrachten die Operatoren aus Beispiel 3.21.
(i) Seien V = H01 (Ω) und A(u) = −div(a(u)∇u), wobei a ∈ C 0 (R) ∩ L∞ (R) mit
a(u) ≥ a∗ > 0 sei. Wir behaupten, daß A hemistetig und koerziv ist. Die Koerzivität ist
schnell bewiesen: Mit u ∈ V und der Poincaré-Ungleichung folgt
Z
1
hA(u), uiV ′
=
a(u)|∇u|2 dx ≥ a∗ CkukV → ∞ für kukV → ∞.
kukV
kukV Ω
61
Für den Nachweis der Hemistetigkeit betrachten wir für gegebene u, v, w ∈ V die Abbildung
Z
Z
F (t) = hA(u + tv), wiV ′ =
a(u + tv)∇u · ∇wdx + t a(u + tv)∇v · ∇wdx.
Ω
Ω
Sei t0 ∈ [0, 1]. Nach dem Satz über die majorisierte Konvergenz gilt
Z
Z
a(u + tv)∇u · ∇wdx =
a(u + t0 v)∇u · ∇wdx.
lim
t→t0
Ω
Ω
Dies impliziert F (t) → F (t0 ) für t → t0 .
Der Operator A ist im allgemeinen nicht monoton (aber vom Typ M).
(ii) Seien V = W01,p (Ω) mit p ≥ 2 und A = −div(|∇u|p−2 ∇u). Dann ist A koerziv,
monoton und demistetig. Seien nämlich u, v ∈ V . Die Koerzivität ist eine Konsequenz von
Z
hA(u), uiV ′
1
1
=
k∇ukpLp (Ω) ≥ Ckukp−1
|∇u|p−2 ∇u · ∇udx =
V .
kukV
kukV Ω
kukV
Für den Nachweis der Monotonie bemerken wir, daß die Funktion x 7→ p1 |x|p , x ∈ Rn ,
konvex, also gemäß Beispiel 2.19 die Abbildung x 7→ ∇ p1 |x|p = |x|p−2 x monoton ist:
(|x|p−2 x − |y|p−2 y) · (x − y) ≥ 0 für alle x, y ∈ Rn .
Daher erhalten wir
hA(u) − A(v), u − viV ′ =
Z
Ω
(|∇u|p−2 ∇u − |∇v|p−2 ∇v) · (∇u − ∇v)dx ≥ 0.
Dies zeigt die Monotonie von A. Sei nun uk → u in V . Dann konvergiert
|∇uk |p−2 ∇uk → |∇u|p−2 ∇u in Lp/(p−1) (Ω).
Dies impliziert wegen ∇v ∈ Lp (Ω)
Z
Z
p−2
hA(uk ), viV ′ =
|∇uk | ∇uk · ∇vdx →
|∇u|p−2 ∇u · ∇vdx.
Ω
Ω
Also ist A(uk ) ⇀ A(u) in V ′ und A ist demistetig.
Zwischen den obigen Begriffen bestehen folgende Zusammenhänge.
Lemma 3.24. Sei A : V → V ′ ein Operator. Dann gilt:
(i) Wenn A hemistetig und monoton ist, dann ist A vom Typ M.
(ii) Wenn A beschränkt und vom Typ M ist, dann ist A demistetig.
(iii) Wenn A demistetig ist, dann auch hemistetig.
62
stetig
demistetig
Zeidler, Prop. 26.4
Zeidler, Prop. 26.4
linear monoton
hemistetig monoton
+b
Lemma (iii)
hemistetig
esc
Lem hränk
t
ma
(ii)
+ monoton
Lemma (i)
Lemma (i)
vom Typ M
Abbildung 3.2: Beziehungen zwischen Eigenschaften von Operatoren.
Der Beweis dieses Lemmas ist eine Übungsaufgabe. Die verschiedenen Beziehungen sind
in Abbildung 3.2 illustriert. Jeder Pfeil bedeutet eine Implikation. Der Beweis, daß lineare,
monotone Operatoren stetig und hemistetige, monotone Operatoren demistetig sind, ist in
Zeidler [23, Prop. 26.4] zu finden. Stetige Operatoren sind klarerweise demistetig, da nach
Proposition 1.12 (i) aus starker Konvergenz die schwache Konvergenz folgt.
Das Hauptresultat ist im folgenden Satz enthalten.
Satz 3.25 (Existenz für das abstrakte Cauchy-Problem). Seien V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel, 1 < p < ∞, X = Lp (0, T ; V ) und A : X → X ′ ein beschränkter, koerziver
Operator vom Typ M mit
hA(u), uiX ′ ≥ αkukpX
für alle u ∈ X,
(3.50)
für ein α > 0. Seien ferner u0 ∈ H und f ∈ X ′ . Dann existiert eine schwache Lösung
u ∈ W 1,p (0, T ; V, H) von (3.48).
Beweis. Wir verwenden die Galerkin-Methode, um eine Lösung zu konstruieren.
Schritt 1: Lösung eines endlichdimensionalen Problems. Da V ein separabler Banachraum ist, existiert nach Zeidler [23, Prop. 21.49, p. 272] eine Basis (vk ) von V in dem Sinne,
daß (v1 , . . . , vm ) linear unabhängig und der Abschluß von ∪m span{v1 , . . . , vm } gleich V ist.
Definiere den endlichdimensionalen Raum Vm = span{v1 , . . . , vm }. Wir betrachten die folgenden Galerkin-Gleichungen: Finde um (t) ∈ V , so daß
hu′m (t), vk iV ′ + hA(um (t)), vk iV ′ = hf (t), vk iV ′ ,
k = 1, . . . , m,
(3.51)
mit dem Anfangswert um (0) = u0m , wobei u0m die Orthogonalprojektion in Vm von u0 ist.
Dann gilt u0m → u0 in H für m → ∞. Die obigen Gleichungen stellen ein nichtlineares System gewöhnlicher Differentialgleichungen dar. Nach dem Satz von Peano ist das
System lösbar, wenn die Nichtlinearität stetig ist. Wir müssen also nachweisen, daß die
Einschränkung A : Vm → Vm′ stetig ist.
63
Nach Lemma 3.24 (ii) ist A : X → X ′ demistetig. Wir behaupten, daß dann auch
A : V → V ′ demistetig ist. Wähle (uk ) ⊂ V mit uk → u in V . Da (uk ) konstant in der
Zeit ist, gilt sogar uk → u in X = Lp (0, T ; V ). Daraus folgt A(uk ) ⇀ A(u) in X ′ . Da uk
nicht von der Zeit abhängt, ergibt sich sofort A(uk ) ⇀ A(u) in V ′ , d.h., A : V → V ′ ist
demistetig. Es folgt, daß die Einschränkung A : Vm → Vm′ stetig ist, denn
lim kA(uk ) − A(u)kVm′ = lim sup hA(uk ) − A(u), vi
k→∞
k→∞ kvk ≤1
Vm
= sup lim hA(uk ) − A(u), vi = 0,
kvkVm ≤1 k→∞
und wir können den Grenzwert und die Supremumsbildung vertauschen, weil der Raum
Vm′ endlichdimensional ist.
also eine Lösung um : [0, Tm ] → Vm von (3.51), die
PEs existiert
m
wir in der Form um (t) = m
d
(t)v
schreiben
können.
k
k=1 k
Theoretisch könnte Tm → 0 für m → ∞ gelten, so daß wir im Grenzwert m → ∞ keine
sinnvolle Lösung erhalten würden. Wir behaupten aber, daß wir Tm = T wählen, also
das Existenzintervall maximal ausweiten können. Um dies zu zeigen, leiten wir A-prioriAbschätzungen her. Wir multiplizieren (3.51) mit dm
k und summieren über alle k = 1 . . . , m:
hu′m , um iV ′ + hA(um ), um iV ′ = hf, um iV ′ .
(3.52)
Der erste Term kann nach Proposition 3.4 als die Zeitableitung von 21 kum k2H geschrieben
werden. Für den zweiten Term nutzen wir die Voraussetzung (3.50) an A aus, und der
Term auf der rechten Seite wird mit Hilfe der Norm von f in V ′ abgeschätzt. Dies ergibt
1 d
kum k2H + hA(um ), um iV ′ ≤ kf kV ′ kum kV ,
2 dt
0 ≤ t ≤ Tm .
Integration über (0, t), Verwendung der Koerzivitätsungleichung (3.50) und Anwendung
von Proposition 3.4 (iv) liefert
Z t
Z
Z
1
α t
α t
1 0 2
p
2
kf (s)kV ′ kum (s)kV ds −
kum (t)kH +
kum kV ds ≤ kum kH +
kum kpV ds
2
2 0
2
2
0
Z 0t
α
1
kf (s)kV ′ kum (s)kV ds − kum kpX . (3.53)
≤ ku0 k2H +
2
2
0
Wegen p > 1 ist die rechte Seite beschränkt bezüglich m, und wir erhalten
kum (t)kH ≤ C(u0 , T, f ),
0 ≤ t ≤ Tm .
(3.54)
Wir können also die Lösung um (t) fortsetzen bis t = T . Dies impliziert Tm = T .
Schritt 2: A-priori-Abschätzungen und Grenzwert m → ∞. Die Abschätzung (3.53)
zeigt, daß (um ) in L∞ (0, T ; H) und X = Lp (0, T ; V ) beschränkt ist. Daraus folgt die
Existenz einer Teilfolge (um′ ) mit
um′ ⇀ u in X,
um′ (T ) ⇀ u∗
64
in H.
(3.55)
Wir erinnern, daß W 1,p (0, T ; V, H) stetig in C 0 ([0, T ]; H) einbettet, also um (T ) ∈ H definiert ist. Da A beschränkt ist, ist auch die Folge (A(um )) in X ′ beschränkt und es existiert
eine Teilfolge mit
A(um′ ) ⇀ b in X ′ ,
(3.56)
wobei die beiden Teilfolgen in (3.55) und (3.56) ohne Einschränkung übereinstimmen
mögen (ansonsten wählen wir eine Teilfolge von (um′ ) aus (3.55); für diese Teilfolge gilt
(3.55) und (3.56)).
Multipliziere die Galerkin-Gleichungen (3.51) mit φ ∈ C 1 ([0, T ]), integriere über (0, T )
und integriere partiell bezüglich t:
Z T
Z T
′
hA(um (s)) − f (s), φ(s)vk iV ′ ds
(um (s), φ (s)vk )H ds +
−
0
0
= (um (0), φ(0)vk )H − (um (T ), φ(T )vk )H ,
k = 1, . . . , m.
Wegen (3.55) und (3.56) können wir den Grenzwert m′ → ∞ in dieser Gleichung durchführen und erhalten
Z T
Z T
′
hb(s) − f (s), φ(s)vk iV ′ ds
(u(s), φ (s)vk )H ds +
−
0
0
= (u(0), φ(0)vk )H − (u∗ , φ(T )vk )H ,
k ∈ N.
Da (vk ) eine Basis von V und C 1 ([0, T ]) dicht in Lp (0, T ) ist, ist die Menge aller Funktionen
von der Form φvk (oder deren Linearkombinationen) mit φ ∈ C 1 ([0, T ]) dicht in X =
Lp (0, T ; V ). Dies bedeutet
−
Z
T
0
hu, vt iV ′ ds +
Z
T
hb − f, viV ′ ds = (u0 , v(0))H − (u∗ , v(T ))H
0
für alle v ∈ W 1,p (0, T ; V, H). Dies ist die schwache Formulierung der Operatorgleichung
ut + b = f
in X ′ ,
u(0) = u0 ,
u(T ) = u∗ .
(3.57)
Es bleibt b = A(u) zu zeigen.
Schritt 3: Identifikation des Grenzwerts. Für die Identifikation von b = A(u) benutzen
wir die Typ-M-Eigenschaft von A. Wir integrieren die spezielle Galerkin-Gleichung (3.52)
über (0, T ) und verwenden Proposition 3.4:
Z
T
0
Der Ausdruck
hA(um ), um iV ′ ds −
RT
0
Z
T
0
1
1
hf, um iV ′ ds = kum (0)k2H − kum (T )k2H .
2
2
h·, ·iV ′ ds ist gleich h·, ·iX ′ , so daß wir
1
1
2
2
hA(um ), um iX ′ = hf, um iX ′ + kum
0 kH − kum (T )kH
2
2
65
schreiben können. Wir wenden auf beiden Seiten den Limsup an:
1 0 2
1
2
lim suphA(um′ ), um′ iX ′ = lim sup hf, um′ iX ′ + kum′ kH − kum′ (T )kH .
2
2
m′ →∞
m′ →∞
(3.58)
Da um′ schwach in X gegen u konvergiert, ist der erste Term auf der rechten Seite gleich
lim suphf, um′ iX ′ = hf, uiX ′ .
m′ →∞
Die Folge (u0m′ ) konvergiert stark in H gegen u0 , so daß
lim sup ku0m′ k2H = ku0 k2H .
m′ →∞
Die Folge (um′ (T )) konvergiert schwach in H gegen u∗ = u(T ) (siehe (3.55)). Die Norm
kum′ (T )kH konvergiert im allgemeinen nicht, aber es gilt:
ku(T )k2H ≤ lim
inf kum′ (T )k2H
′
m →∞
oder nach Multiplikation mit −1:
lim sup(−kum′ (T )k2H ) ≤ −ku(T )k2H .
m′ →∞
Daher folgt aus (3.58)
1
1
lim suphA(um′ ), um′ iX ′ ≤ hf, uiX ′ + ku0 k2H − ku(T )k2H .
2
2
m′ →∞
(3.59)
Nach Proposition 3.4 (iv) und (3.57) folgt
Z T
Z T
1
1
2
2
ku(T )kH − ku0 kH =
hut , uiV ′ dt =
hf − b, uiV ′ dt = hf − b, uiX ′ .
2
2
0
0
Setzen wir dies in (3.59) ein, so ergibt sich
lim suphA(um′ ), um′ iX ′ ≤ hf, uiX ′ − hf − b, uiX ′ = hb, uiX ′ .
m′ →∞
Wir haben folgende Eigenschaften gezeigt:
um′ ⇀ u in X,
A(um′ ) ⇀ b in X ′
und
lim suphA(um′ ), um′ iX ′ ≤ hb, uiX ′ .
m′ →∞
Da A vom Typ M ist, erhalten wir A(u) = b. Dies zeigt, daß u die Operatorgleichung
ut + A(u) = f in X ′ mit u(0) = u0 in H löst.
Die Voraussetzungen von Satz 3.25 beziehen sich auf den Orts-Zeit-Operator A : X →
X . Im allgemeinen werden wir nur den Ortsoperator A : V → V ′ vorzuliegen haben
(siehe etwa Beispiel 3.21). Es ist also zu klären, welche Voraussetzungen A : V → V ′
erfüllen muß, damit der Existenzsatz 3.25 angewendet werden kann. Hierfür zeigen wir das
folgende Lemma.
′
66
Lemma 3.26. Sei A : V → V ′ ein hemistetiger und monotoner Operator, der im folgenden
Sinne beschränkt und koerziv ist:
kA(u)kV ′ ≤ Ckukp−1
V ,
hA(u), uiV ′ ≥ αkukpV
für alle u ∈ V,
wobei 1 < p < ∞. Dann ist der Orts-Zeit-Operator A : X → X ′ monoton, vom Typ M,
beschränkt und koerziv mit
kA(u)kX ′ ≤ Ckukp−1
X ,
hA(u), uiX ′ ≥ αkukpX
für alle u ∈ X.
Beweis. Die Beschränktheit von A : X → X ′ ergibt sich mit der Hölder-Ungleichung wegen
X ′ = Lq (0, T ; V ′ ) und q(p − 1) = p aus
kA(u)k
X′
=
Z
T
0
kA(u)kqV ′ dt
1/q
≤C
Z
T
0
q(p−1)
kukV
dt
1/q
= Ckukp−1
X .
Die Monotonie von A : V → V ′ überträgt sich sofort auf A : X → X ′ , ebenso die
Koerzivität. Wir zeigen nun, daß A : X → X ′ hemistetig ist. Dann folgt mit Lemma 3.24
(i), daß A vom Typ M ist. Seien tk → t und u, v, w ∈ X. Dann ist
hA(u + tk v), wiX ′ =
Z
T
0
hA(u + tk v), wiV ′ ds.
(3.60)
Da A : V → V ′ hemistetig ist, gilt hA(u + tk v), wiV ′ → hA(u + tv), wiV ′ . Die Beschränkheit
liefert
p−1
p−1
′
p−1
kA(u + tk v)kV ′ ≤ Cku + tk vkp−1
≤
C
kuk
+
|t
|
kvk
.
k
V
V
V
Nach dem Satz über die majorisierte Konvergenz können wir in (3.60) den Grenzwert
tk → t durchführen und erhalten die Hemistetigkeit von A : X → X ′ .
Satz 3.25 liefert nur die Existenz, aber nicht notwendigerweise die Eindeutigkeit einer
Lösung. Die Lösung ist eindeutig, wenn der Operator zusätzlich monoton ist.
Satz 3.27 (Eindeutigkeit für das abstrakte Cauchy-Problem). Es gelten die Voraussetzungen von Satz 3.25. Außerdem sei der Operator A : V → V ′ monoton. Dann existiert
genau eine schwache Lösung u ∈ W 1,p (0, T ; V, H) von (3.48).
Beweis. Seien u1 und u2 zwei schwache Lösungen. Verwenden wir u1 − u2 als Testfunktion
in der schwachen Formulierung für die Differenz der Gleichungen für u1 bzw. u2 , so erhalten
wir
1 d
k(u1 − u2 )(t)k2H = h(u1 − u2 )t (t), (u1 − u2 )(t)iV ′
2 dt
= −hA(u1 (t)) − A(u2 (t)), u1 (t) − u2 (t)iV ′ ≤ 0.
Wegen (u1 − u2 )(0) = 0 folgt (u1 − u2 )(t) = 0 für alle t ≥ 0, also Eindeutigkeit.
67
Beispiel 3.28. Wir betrachten die p-Laplace-Gleichung
ut − div(|∇u|p−2 ∇u) = 0 in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω,
(3.61)
wobei p ≥ 2. Wir haben bereits in Beispiel 3.23 gezeigt, daß der Operator A : V → V ′ ,
definiert durch A(u) = −div(|∇u|p−2 ∇u) und V = W01,p (Ω), monoton, demistetig und
koerziv mit
hA(u), uiV ′ ≥ CkukpV
ist. Aus der Demistetigkeit folgt mit Lemma 3.24 (iii) die Hemistetigkeit von A : V → V ′ .
Außerdem ist A beschränkt, denn aus der Hölder-Ungleichung erhalten wir
Z
p−1
′
p
|hA(u), viV | =
|∇u|p−2 ∇u · ∇vdx ≤ k∇ukp−1
Lp (Ω) k∇vkL (Ω) ≤ kukV kvkV ,
Ω
also kA(u)kV ′ ≤ kukp−1
V . Damit sind die Voraussetzungen von Lemma 3.26 erfüllt, und der
Operator A : X → X ′ ist beschränkt, koerziv und vom Typ M. Nach Satz 3.27 existiert
genau eine schwache Lösung u ∈ W 1,p (0, T ; V, H) (mit H = L2 (Ω)) von (3.61).
Der Existenz- und Eindeutigkeitssatz 3.27 ist leider auf das zweite Beispiel
ut − div(a(u)∇u) = 0
nicht anwendbar, da der Operator A(u) = −div(a(u)∇u), u ∈ V = H01 (Ω), zwar beschränkt und koerziv, aber im allgemeinen weder monoton noch vom Typ M ist (außer
a(u) ist monoton bzw. beschränkt). Die Techniken im Beweis von Satz 3.25 können zwar
verwendet, müssen aber modifiziert werden, um den Beweis auf die obige quasilineare
Gleichung anzupassen. Diese Situation ist typisch für nichtlineare Gleichungen: Es gibt
keinen allgemeinen Existenzsatz, der alle nichtlinearen Gleichungen umfaßt, und meistens
muß die Existenz von Lösungen eines gegebenen nichtlinearen Problems neu bewiesen
werden. Hierfür können allerdings die vorgestellten Techniken, wie Maximumprinzipien,
Fixpunktsätze, Monotonieeigenschaften usw., verwendet werden.
Satz 3.29 (Existenz und Eindeutigkeit für quasilineare Diffusionsgleichungen). Seien a ∈
C 0 (R) mit 0 < a∗ ≤ a(u) ≤ a∗ für alle u ∈ R und u0 ∈ L2 (Ω). Dann existiert genau eine
schwache Lösung u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) von
ut − div(a(u)∇u) = 0
in Ω, t > 0,
u=0
auf ∂Ω,
u(·, 0) = u0
in Ω,
(3.62)
wobei V = H01 (Ω) und H = L2 (Ω).
Beweis. Der Beweis ist eine Modifikation des Beweises von Satz 3.25.
Schritt 1: Lösung der Galerkin-Gleichungen.
Sei (vk ) eine Orthonormalbasis von H, die
R
bezüglich des Skalarprodukts (u, v)V = Ω ∇u · ∇vdx orthogonal ist. Eine derartige Basis
kann aus den Eigenfunktionen von −∆ in H01 (Ω) konstruiert werden. Die Eigenfunktionen
bilden nämlich eine Orthonormalbasis von L2 (Ω), und sie erfüllen
Z
Z
Z
(vj , vk )V =
∇vj · ∇vk dx = − ∆vj vk dx = λj
vj vk dx = λj δjk .
Ω
Ω
68
Ω
Wir betrachten die Galerkin-Gleichungen
(u′m (t), vk )H + hA(um (t)), vk iV ′ = 0, k = 1, . . . , m,
P
m
wobei A(u) = −div(a(u)∇u), und suchen um (t) = m
k=1 dk (t)vk im Raum Vm = span{v1 ,
0
. . . , vm }. Die Anfangswerte lauten um (0) = um , wobei u0m → u0 in H. Die GalerkinGleichungen bilden ein System nichtlinearer gewöhnlicher Differentialgleichungen für die
Koeffizienten dm
k . Da der Operator A stetig ist, folgt die Existenz einer lokalen Lösung in
[0, Tm ].
Schritt 2: A-priori-Abschätzungen. Multiplizieren wir die Galerkin-Gleichungen mit dm
k
und summieren über k = 1, . . . , m, so folgt
0 = (u′m (t), um (t))H + hA(um (t)), um (t)iV ′
Z
1 d
2
=
kum (t)kH + a(um (t))∇um (t) · ∇um (t)dx
2 dt
Ω
Z
1 d
2
kum (t)kH + a∗ |∇um (t)|2 dx.
≥
2 dt
Ω
Integrieren wir diese Ungleichung über (0, t), so ergibt sich
kum (t)k2H + 2a∗ kum k2X ≤ kum (0)k2H ≤ ku0 k2H ,
(3.63)
wobei X = L2 (0, T ; H01 (Ω)). Aus dieser Abschätzung können wir die schwache Konvergenz
einer Teilfolge von (um ) gegen u schließen. Um zum Grenzwert m → ∞ in den GalerkinGleichungen gehen zu können, müssen wir zeigen, daß a(um ) gegen a(u) konvergiert. Da
(um ) nur schwach konvergiert, können wir dies nicht ohne weiteres folgern. Im Beweis von
Satz 3.25 hatten wir zwar ein ähnliches Problem; dort hatten wir aber vorausgesetzt, daß
A vom Typ M ist, was die Identifikation des Grenzwerts der Nichtlinearität erlaubte. Hier
benötigen wir ein anderes Hilfsmittel. Dazu zeigen wir zunächst, daß auch (∂t um ) = (u′m )
beschränkt ist.
Sei v ∈ V mit v = v0 + v ⊥ und v0 ∈ Vm . Dann ist v ⊥ = v − v0 bezüglich H orthogonal
zu v0 . Aus
hu′m (t), viV ′ = (u′m (t), v)H = (u′m (t), v0 )H = −hA(um (t)), v0 iV ′
folgt
k∂t um (t)kV ′ = sup |hu′m (t), viV ′ | ≤ sup kA(um (t))kV ′ kv0 kV ≤ kA(um (t))kV ′ , (3.64)
kvkV ≤1
kvkV ≤1
denn kvkV ≤ 1 impliziert kv0 kV ≤ 1. Weiter erhalten wir
Z
hA(um (t)), viV ′ =
a(um (t))∇um (t) · ∇vdx ≤ a∗ kum (t)kV kvkV ,
Ω
69
so daß kA(um (t))kV ′ ≤ a∗ kum (t)kV . Daher liefert (3.64) nach Integration über (0, T )
Z T
Z T
∗ 2
2
2
k∂t um (t)kV ′ dt ≤ (a )
k∂t um kX ′ =
kum (t)k2V dt = (a∗ )2 kum k2X ≤ C,
(3.65)
0
0
wobei wir für die letzte Ungleichung (3.63) benutzt haben. Die obigen gleichmäßigen
Abschätzungen zeigen, daß es eine Teilfolge gibt mit
um′ ⇀ u in L2 (0, T ; V ),
∂t um′ ⇀ ∂t u in L2 (0, T ; V ′ ).
Schritt 3: Grenzwert m′ → ∞. Wir wollen in der Galerkin-Gleichung
Z TZ
Z T
a(um )∇um · ∇vdxdt = 0 für alle v ∈ Vm
h∂t um , viV ′ dt +
0
0
(3.66)
(3.67)
Ω
zum Grenzwert m′ → ∞ gehen. Dazu müssen wir zeigen, daß a(um′ ) konvergiert. Hierfür
verwenden wir das Lemma von Aubin (Satz 3.5). Dieses Lemma besagt, daß beschränkte
Folgen in W 1,2 (0, T ; V, H) eine stark konvergente Teilfolge in L2 (0, T ; H) besitzen. Daher
folgt aus (3.66) die Existenz einer Teilfolge, die wir wiederum mit (um′ ) bezeichnen, so daß
um′ → u in L2 (0, T ; H).
Da die Funktion a in R beschränkt ist, erhalten wir aus Lemma 3.14
a(um′ ) → a(u) in L2 (0, T ; H).
Wir können also in (3.67) den Grenzwert m′ → ∞ durchführen und erhalten
Z TZ
Z T
a(u)∇u · ∇vdxdt = 0 für alle v ∈ C0∞ (Ω × (0, T )).
h∂t u, viV ′ dt +
0
0
Ω
Diese Gleichung gilt aus Dichtheitsgründen auch für alle v ∈ X = L2 (0, T ; V ). Dies beweist
die Existenz einer schwachen Lösung von (3.62), wenn wir u(0) = u0 zeigen können. Nun
folgt aus der gleichmäßigen Abschätzung (3.65), daß (um ) in H 1 (0, T ; V ′ ) beschränkt ist.
Da in einer Raumdimension der Raum H 1 stetig in C 0 einbettet, ist (um ) in C 0 ([0, T ]; V ′ )
beschränkt und insbesondere ist (um (0)) in V ′ beschränkt. Daher existiert eine Teilfolge mit
um′ (0) ⇀ w in V ′ für ein w ∈ V ′ . Wir müssen zeigen, daß w = u(0). Der Beweis ist etwas
technisch; siehe den Beweis von Satz 6.26, Schritt 4 im Vorlesungsskript zur Vorlesung
“Partielle Differentialgleichungen”.
Schritt 4: Eindeutigkeit einer Lösung. Seien u1 , u2 ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) zwei schwache
Lösungen von (3.62). Dann erfüllt die Differenz die schwache Formulierung
Z t
Z tZ
a(u1 )∇u1 − a(u2 )∇u2 · ∇vdxds = 0.
h(u1 − u2 )t , viV ′ ds +
0
0
Ω
Verwenden wir die Testfunktion u1 − u2 , erhalten wir wegen (u1 − u2 )(0) = 0
Z
Z tZ
1
2
a(u1 )∇u1 − a(u2 )∇u2 · ∇(u1 − u2 )dxds = 0.
(u1 − u2 )(t) dx +
2 Ω
0
Ω
70
Das zweite Integral kann leider nicht ohne weiteres abgeschätzt werden. Wir verwenden
hier die sogenannte duale Methode
bzw. H −1 -Methode.
Ru
Definiere dafür b(u) = 0 a(s)ds, u ∈ R. Dann ist ∇b(u) = a(u)∇u, und die Differentialgleichung in (3.62) kann als
ut − ∆b(u) = 0
(3.68)
geschrieben werden. Sei für gegebenes t ∈ [0, T ] w(t) ∈ H01 (Ω) die eindeutige Lösung von
∆w(t) = (u1 − u2 )(t) ∈ L2 (Ω),
w(t) = 0 auf ∂Ω.
Da die rechte Seite eine L2 (0, T )-Funktion ist, ist w eine Funktion aus L2 (0, T ; H01 (Ω)).
Außerdem ist ∆wt = (u1 − u2 )t ∈ L2 (0, T ; V ′ ). Wir können also w als Testfunktion in der
Differenz der Gleichungen (3.68) für u1 und u2 verwenden:
Z tZ
Z t
∇(b(u1 ) − b(u2 )) · ∇wdxds = 0.
h∆wt , wiV ′ ds +
0
0
Ω
Wir integrieren in beiden Integralen partiell:
Z tZ
Z t
(b(u1 ) − b(u2 ))∆wdxds = 0.
(∇wt , ∇w)H ds +
0
0
Ω
Die Randintegrale verschwinden, da aus b(0) = 0 und u1 − u2 = 0 auf ∂Ω b(u1 ) − b(u2 ) = 0
auf ∂Ω folgt. Mit Proposition 3.4 ergibt sich
Z t
1
1
1
(∇wt , ∇w)H ds = k∇w(t)k2H − k∇w(0)k2H = k∇w(t)k2H ,
2
2
2
0
denn (u1 − u2 )(0) = 0 und daher w(0) = 0. Folglich ist
Z tZ
1
2
k∇w(t)kH = −
(b(u1 ) − b(u2 ))(u1 − u2 )dxds ≤ 0,
2
0
Ω
da die Funktion b monoton wachsend ist. Es folgt ∇w(t) = 0, also (u1 − u2 )(t) = 0 für fast
alle t ∈ (0, T ).
Bemerkung 3.30. Der obige Eindeutigkeitsbeweis wird die duale Methode genannt, da
das Randwertproblem ∆w = u1 − u2 in Ω, w = 0 auf ∂Ω das zu (3.68) duale Problem ist.
Der Name H −1 -Methode rührt daher, daß die Norm k∇wkH als die H −1 -Norm von u1 − u2
interpretiert werden kann. Die elliptische Abschätzung ergibt nämlich
k∇wkL2 (Ω) ≤ ku1 − u2 kH −1 (Ω) ,
wenn wir als H01 -Norm den Ausdruck k∇(·)kL2 (Ω) verwenden. Andererseits gilt
ku1 − u2 kH −1 (Ω) = k∆wkH −1 (Ω) =
sup
kvkH 1 (Ω) ≤1
|h∆w, viH −1 |
0
=
sup
kvkH 1 (Ω) ≤1
|(∇w, ∇v)L2 | ≤ k∇wkL2 (Ω) .
0
71
Beide Ungleichungen implizieren
k∇wkL2 (Ω) = ku1 − u2 kH −1 (Ω) ,
d.h. die Behauptung.
3.5
Die Poröse-Medien-Gleichung
Wir analysieren die quasilineare parabolische Gleichung
ut − ∆(um ) = 0 in Ω, t > 0,
um = 0 auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω,
(3.69)
wobei Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈ C 1 und m > 1 seien. Damit um für alle
m > 1 definiert ist, fordern wir, daß u0 ≥ 0. Dann erwarten wir nach dem Maximumprinzip,
daß u(t) ≥ 0 für alle t > 0. Die obige Gleichung ähnelt (3.62), wenn wir sie in der Form
ut − div(mum−1 ∇u) = 0
schreiben. Die Theorie aus Abschnitt 3.4 ist jedoch nicht anwendbar, da die Funktion
a(u) = mum−1 nicht nach unten durch eine positive Konstante beschränkt ist, sondern nur
a(u) ≥ 0 gilt. Man nennt (3.69) auch eine degeneriert parabolische Gleichung. Dennoch
ist es möglich, die Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen von (3.69) zu zeigen. Die
Degeneriertheit an der Stelle u = 0 führt allerdings dazu, daß wir den Lösungsbegriff
abschwächen müssen: Wir können nicht u(t) ∈ H 1 (Ω) erwarten, sondern nur u(t)m ∈
H 1 (Ω). Wir definieren daher:
Definition 3.31. Wir nennen eine Funktion u ≥ 0 eine schwache Lösung von (3.69),
wenn
um ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)), ut ∈ L2 (0, T ; H −1 (Ω)),
für alle v ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)) gilt
Z
T
0
hut , viH −1 dt +
Z
T
0
Z
Ω
∇(um ) · ∇vdxdt = 0
und u(0) = u0 im Sinne des H −1 (Ω).
Satz 3.32. Seien T > 0, m > 1 und u0 ∈ Lm+1 (Ω) mit u0 ≥ 0 in Ω. Dann existiert genau
eine schwache Lösung von (3.69) im Sinne der Definition 3.31.
Beweis. Schritt 1: Eindeutigkeit von Lösungen. Die Eindeutigkeit wird wie im Beweis von
Satz 3.29 bewiesen werden, indem wir dort b(u) = um setzen.
Schritt 2: Lösung eines approximativen Problems. Um die Degeneriertheit der Gleichung zu umgehen, regularisieren wir das Problem, d.h., wir führen einen Parameter ε > 0
ein, so daß der regularisierte Differentialoperator elliptisch wird. Wir erhalten eine Lösung
72
des ursprünglichen Problems, indem wir den Grenzwert ε → 0 durchführen. Diese Vorgehensweise ist typisch für nichtlineare Differentialgleichungen, die nicht mit Hilfe von
Standardresultaten gelöst werden können.
Wir regularisieren zweifach. Zum einen nehmen wir an, daß das Anfangsdatum beschränkt ist. Außerdem addieren wir zum Diffusionskoeffizienten die Zahl ε ∈ (0, 1) hinzu,
so daß er strikt positiv ist. Seien also u0 ∈ L∞ (Ω) mit u0 ≥ 0 und ε ∈ (0, 1). Wir betrachten
das regularisierte Problem
∂t uε − div(aε (uε )∇uε ) = 0 in Ω, t > 0,
uε = 0 auf ∂Ω,
uε (0) = u0
in Ω, (3.70)
m−1
wobei aε (u) = muM
+ε und uM = max{0, min{u, M }}. Dann erfüllt aε die Ungleichungen
0 < ε ≤ aε (u) ≤ mM m−1 +ε. Nach Satz 3.29 existiert also eine eindeutig bestimmte Lösung
uε ∈ W 1,2 (0, T ; V, H).
Wir beweisen im folgenden einige Abschätzungen für uε , die gleichmäßig in ε sind.
Verwenden wir (uε − M )+ ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)), wobei M = supΩ u0 , als Testfunktion in der
schwachen Formulierung von (3.70), so folgt
Z
Z tZ
1
+
2
aε (uε )|∇(uε − M )+ |2 dxds = 0.
(uε − M ) (t) dx +
2 Ω
0
Ω
Daher ist uε ≤ M . Auf ähnliche Weise können wir mit Hilfe der Testfunktion u−
ε zeigen,
−
daß uε ≥ 0 gilt. Hierfür benötigen wir die Eigenschaft u0 ≥ 0, damit uε (0) = 0 erfüllt
m−1
ist. Die Funktion uε ist also beschränkt. Daher ist ∇(um
∇uε eine Funktion
ε ) = muε
=
0
auf
∂Ω
im
schwachen
Sinne.
Also können wir
aus L2 . Außerdem gilt uε = 0 und um
ε
2
1
m
uε ∈ L (0, T ; H0 (Ω)) als Testfunktion verwenden und erhalten
Z tZ
Z t
2
m−1
m
|∇um
|∇uε |2 dxds = 0.
h∂t uε , uε iH −1 ds +
ε | + mεuε
0
0
Ω
Das erste Integral kann ähnlich wie in Lemma 3.11 umformuliert werden, so daß
Z tZ
Z
1
2
m−1
m+1
m+1
|∇um
|∇uε |2 dxds = 0.
dx +
uε (t)
− uε (0)
ε | + mεuε
m+1 Ω
0
Ω
Mit der Testfunktion uε folgt nach einer analogen Rechnung
Z tZ
Z
1
2
2
muεm−1 |∇uε |2 + ε|∇uε |2 dxds = 0.
uε (t) − uε (0) dx +
2 Ω
0
Ω
Wir erhalten die gleichmäßigen Abschätzungen
√
kuε kL∞ (0,T ;Lm+1 (Ω)) + kum
εkuε kL2 (0,T ;H 1 (Ω)) ≤ Cku0 kLm+1 (Ω) ,
(3.71)
ε kL2 (0,T ;H 1 (Ω)) +
√
Die Abschätzung für εuε wird unbrauchbar im Grenzwert ε → 0, ist aber nützlich bei der
Durchführung des Grenzwerts. Für die Zeitableitung können wir die folgende Abschätzung
73
herleiten:
k∂t uε kL2 (0,T ;H −1 (Ω)) = kdiv((muεm−1 + ε)∇uε )kL2 (0,T ;H −1 (Ω))
≤ kmuεm−1 ∇uε kL2 (0,T ;L2 (Ω)) + εk∇uε kL2 (0,T ;L2 (Ω))
= k∇um
ε kL2 (0,T ;L2 (Ω)) + εk∇uε kL2 (0,T ;L2 (Ω)) ≤ Cku0 kLm+1 (Ω) .
Schritt 3: Grenzwert ε → 0. Wegen (3.71) existiert eine Teilfolge, so daß für ε′ → 0
uε′ ⇀∗ u in L∞ (0, T ; Lm+1 (Ω)),
um
ε′ ⇀ z
in L2 (0, T ; H 1 (Ω)).
Die Einbettung H01 (Ω) ֒→ L2 (Ω) ist kompakt, daher ist auch die Einbettung der Dualräume
L2 (Ω) ֒→ H −1 (Ω) kompakt (siehe Zeidler [23, Prop. 21.35]). Die Beschränktheit von (uε )
in L2 (0, T ; L2 (Ω)) und von (∂t uε ) in L2 (0, T ; H −1 (Ω)) impliziert also gemäß dem Lemma
von Aubin, daß (uε ) kompakt in L2 (0, T ; H −1 (Ω)) ist. Es gilt also für eine Teilfolge:
uε′ → u in L2 (0, T ; H −1 (Ω)).
Wir müssen zeigen, daß z = um . Dies folgt, wenn wir zeigen können, daß (uε ) punktweise fast überall gegen u konvergiert. Leider können wir weder aus der schwachen Konvergenz in L2 noch aus der starken Konvergenz in H −1 die punktweise Konvergenz folgern.
Allerdings können wir die Identifikation z = um unter Zuhilfenahme der Monotonie der
Abbildung x 7→ xm beweisen. Hierfür verwenden wir wieder
den Trick von Browder und
R
m
Minty. Da das Produkt huε′ , uε′ iH −1 gegen hu, ziH −1 = Ω uzdx konvergiert, folgt für alle
v ∈ L2 (0, T ; C0∞ (Ω)) aus
0≤
Z
T
0
Z
Ω
(uε′ −
v)(um
ε′
m
− v )dxdt =
im Grenzwert ε′ → 0
Z T
Z
m
0≤
hu − v, z − v iH −1 dt =
0
Z
T
0
T
0
m
huε′ − v, um
ε′ − v iH −1 dt
Z
(u − v)(z − v m )dxdt.
Ω
Aus Dichtheitsgründen gilt diese Ungleichung auch für alle v ∈ L∞ (0, T ; L∞ (Ω)). Wählen
wir v = u ± λw mit λ > 0 und w ∈ L∞ (0, T ; L∞ (Ω)), so ergibt sich wie in den obigen
Abschnitten z = um .
Wir können nun den Grenzwert ε′ → 0 in der schwachen Formulierung
Z TZ
Z T
′
v ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)),
∇(um
h∂t uε′ , viH −1 dt +
ε′ + ε uε′ ) · ∇vdxdt = 0,
0
0
durchführen. Da nach (3.71)
Z
0
T
Z
√
ε∇uε in L2 (Ω × (0, T )) beschränkt ist, gilt
√ √
ε ∇u · ∇vdxdt ≤ ε′ k ε′ ∇uε′ kL2 (Ω×(0,T )) k∇vkL2 (Ω×(0,T )) → 0.
′
Ω
Ω
ε′
74
Wir erhalten
Z T
0
hut , viH −1 dt +
Z
T
0
Z
Ω
∇(um ) · ∇vdxdt = 0,
v ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)).
Die Randbedingung wird im schwachen Sinne um = 0 auf ∂Ω erfüllt, denn es gilt z(t) =
u(t)m ∈ H01 (Ω). Da uε ∈ H 1 (0, T ; H −1 (Ω)) ֒→ C 0 ([0, T ]; H −1 (Ω)), gilt die Anfangsbedingung im Sinne des H −1 (Ω).
Schritt 4: Allgemeine Anfangsdaten. Wir hatten angenommen, daß u0 ∈ L∞ (Ω). Wir
betrachten nun allgemeine Anfangsdaten u0 ∈ Lm+1 (Ω). Ist (u0,k ) ⊂ L∞ (Ω) eine Folge mit
u0,k → u0 in Lm+1 (Ω) für k → ∞, so existiert eine Lösungsfolge (uk ), die (3.69) mit uk (0) =
u0,k löst. Die Abschätzung (3.71) ist unabhängig von k, da (u0,k ) in Lm+1 (Ω) beschränkt
ist. Die Folge (uk ) ist nicht nach oben beschränkt, da diese Schranke von supΩ u0,k abhängt,
aber wir benötigen diese Schranke nicht, um den Grenzwert k → ∞ durchführen zu können.
Die Abschätzungen (3.71) sind ausreichend, um in der schwachen Formulierung
Z
T
0
h∂t uk , viH −1 dt +
Z
T
0
Z
Ω
∇(um
k ) · ∇vdxdt = 0,
v ∈ L2 (0, T ; H01 (Ω)),
zum Limes k → ∞ übergehen zu können.
Bemerkung 3.33. Der Existenzsatz für die Poröse-Medien-Gleichung kann in verschiedenerlei Hinsicht verallgemeinert werden.
(i) Die Bedingung u0 ∈ Lm+1 (Ω) kommt aus der Energieabschätzung (3.71). Sie kann
abgeschwächt werden. Nach Vazquez [22] genügt u0 ∈ L1 (Ω). In diesem Fall existiert
genau eine Lösung u von (3.69) mit u ∈ C 0 ([0, ∞); L1 (Ω)). Man kann zeigen, daß u sogar
unendlich oft stetig differenzierbar auf der Menge {(x, t) ∈ Ω × (0, ∞) : u(x, t) > 0} ist. In
der Nähe der Menge {u = 0} nimmt die Regularität allerdings ab.
Es ist außerdem möglich, Existenz und Eindeutigkeit schwacher Lösungen der allgemeineren Gleichung
ut − ∆f (u) = 0
mit entsprechenden Rand- und Anfangsbedingungen zu zeigen, wenn f streng monoton
wachsend ist, einer Wachstumsbedingung genügt und f (0) = 0 erfüllt. Der Beweis hiervon
ist nahezu identisch mit dem Beweis von Satz 3.32.
(ii) Die Poröse-Medien-Gleichung im Ganzraum besitzt eine explizite Lösung, nämlich
die Barenblatt-Funktion
m − 1 |x|2 1/(m−1)
−α
C −β
u(x, t) = t
, x ∈ Rn , t > 0,
2β
2m t
+
wobei z+ = max{0, z} den Positivteil von z bedeute,
α=
n
,
n(m − 1) + 2
β=
75
1
,
n(m − 1) + 2
und die Konstante
C wird
R
R durch das Anfangsdatum u0 vermittels der Massenerhaltungsgleichung u(x, t)dx = u0 (x)dx bestimmt. Die Barenblatt-Lösung hat die Gestalt eines
“umgedrehten Paraboloids”, das beim Nulldurchgang abgeschnitten ist. Mit zunehmender
Zeit wird das Paraboloid flacher und dehnt sich aus. Die Lösung besitzt interessanterweise
für alle t > 0 einen kompakten Träger. Dies bedeutet, daß ein freier Rand {u = 0} existiert
und sich der positive Teil der Lösung {u > 0} mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet. Dies steht im Kontrast zur unendlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit von Lösungen
gleichmäßig parabolischer Gleichungen und ist dadurch begründet, daß der Diffusionskoeffizient mum−1 für kleine Werte von u so klein wird, daß er die Ausbreitung hindert.
(iii) Anstelle der Regularisierung des Differentialoperators kann eine andere Regularisierung gewählt werden. Dazu wird die Poröse-Medien-Gleichung erst mit positiven Anfangsund Randdaten
uε = ε auf ∂Ω, uε (0) = u0 + ε in Ω
gelöst. Man kann zeigen, daß das so regularisierte Problem ein Vergleichsprinzip für glatte
Lösungen erfüllt, d.h., sind u1 und u2 zwei Lösungen von (3.70) mit u1 ≤ u2 auf ∂Ω und
u1 (0) ≤ u2 (0) in Ω, so folgt u1 ≤ u2 in Ω × (0, T ). Ist daher ε ≤ ε′ , so gilt für die Lösung uε
in Schritt 2 des obigen Beweises uε = ε ≤ ε′ = uε′ auf ∂Ω und uε (0) = u0 + ε ≤ u0 + ε′ =
uε′ (0), und wir schließen uε ≤ uε′ . Die Folge (uε ) ist also punktweise monoton fallend und
nach unten beschränkt (da nichtnegativ). Nach dem Satz über die monotone Konvergenz
2
existiert der punktweise Grenzwert u = limε→0 uε . Dann folgt aber aus um
ε ⇀ z in L wegen
m
der Eindeutigkeit des Grenzwerts, daß z = u . Ein vollständiger Beweis ist in Schweizer
[18, Abschnitt 11] zu finden.
Bemerkung 3.34. Es ist möglich, die starke Konvergenz der Folge (uε′ ) in L2 zu beweisen.
Dies liefert einen alternativen Beweis für die Identität z = um . Die Idee lautet zu zeigen,
daß (uε ) zwar nicht in H 1 , aber in einem Raum mit geringerer Regularität, der kompakt
in L2 einbettet, liegt. Hierzu benötigen wir etwas Theorie der Sobolev-Räume mit reellem
Index. Seien s > 0 und 1 < p < ∞. Wir definieren den Raum
W s,p (Ω) = {u ∈ W k,p (Ω) : s = k + θ, k ∈ N0 , θ ∈ [0, 1), kukW s,p (Ω) < ∞},
wobei
kukpW s,p (Ω)
=
kukpW k,p (Ω)
+
XZ
|α|≤k
Ω2
|Dα u(x) − Dα u(y)|p
dxdy.
|x − y|n+pθ
Diese Räume sind reflexive Banachräume. Wir schreiben H s (Ω) = W s,2 (Ω). Für s = 1
stimmt der Raum W s,p (Ω) mit dem in Abschnitt 1.2 definierten Sobolev-Raum W 1,p (Ω)
überein; siehe Adams [1, p. 204]. Wenn ∂Ω ∈ C 1 , so ist die Einbettung
W s,p (Ω) ֒→ Lr (Ω)
stetig, wenn p ≤ r ≤ np/(n − sp) (falls n > sp), p ≤ r < ∞ (falls n = sp) und p ≤ r ≤ ∞
(falls n < sp); siehe Adams [1, Thm. 7.57]. Ferner ist die Einbettung
′
W s,p (Ω) ֒→ W s ,p (Ω)
76
kompakt, wenn Ω beschränkt mit ∂Ω ∈ C 1 und s > s′ > 0 erfüllt ist (siehe Grisvard [12,
Thm. 1.4.3.2]).
Wir verwenden das folgende Lemma von Chavent-Jaffre, dessen Beweis eine Übungsaufgabe ist.
Lemma 3.35 (Chavent-Jaffre). Seien Ω ⊂ Rn eine offene Menge, 0 < s < 1 und 1 < p <
∞. Seien ferner f : R → R mit f (0) = 0 eine hölderstetige Funktion, d.h. |f (x) − f (y)| ≤
cH |x − y|θ für alle x, y ∈ R, wobei cH > 0 und θ ∈ (0, 1), und u ∈ W s,p (Ω). Dann gilt
kf (u)kW θs,p/θ (Ω) ≤ cH kukθW s,p (Ω) .
Wir wenden das Lemma auf f (x) = x1/m mit θ = 1/m und p = 2 an. Dann folgt
1/m
1/m
m
kuε kW s/m,2m (Ω) ≤ cH kum
ε kW s,2 (Ω) ≤ C0 kuε kW 1,2 (Ω) .
Mit (3.71) ergibt sich die Abschätzung
kuε k2m
L2m (0,T ;W s/m,2m (Ω))
=
Z
T
0
kuε k2m
W s/m,2m (Ω) dt
≤
C02m
Z
T
0
2
kum
ε kH 1 (Ω) dt ≤ C1 .
(3.72)
Aus den obigen Einbettungen folgt, daß für s′ < s die Einbettung
′
W s/m,2m (Ω) ֒→ W s /m,2m (Ω) ֒→ L2m (Ω)
kompakt ist. Wir können also das Lemma von Aubin anwenden und schließen, daß (uε )
relativ kompakt in L2 (Ω × (0, T )) ist:
uε′ → u in L2 (Ω × (0, T )).
m
Eine Teilfolge konvergiert punktweise fast überall gegen u, woraus um
punktweise
ε′ → u
m
fast überall folgt, also z = u .
77
4
Weitere nichtlineare Gleichungen
In diesem Kapitel stellen wir weitere nichtlineare Gleichungen vor, um die Vielfalt möglicher Nichtlinearitäten zu illustrieren. Wir beschränken uns auf einige Beispiele, die in den
Anwendungen eine gewisse Rolle spielen bzw. die die Anwendung bestimmter Techniken
gestatten. Wegen der Komplexität der Probleme und der Fragestellungen werden wir nicht
alle vorgestellten Resultate beweisen.
4.1
Stationäre Navier-Stokes-Gleichungen
In diesem Abschnitt analysieren wir die stationären inkompressible Navier-Stokes-Gleichungen
−∆u + (u · ∇)u + ∇p = f, div u = 0 in Ω, u = 0 auf ∂Ω,
(4.73)
wobei Ω ⊂ R3 ein beschränktes Gebiet mit ∂Ω ∈ C 1 sei. Die vektorwertige Funktion
u beschreibt die Geschwindigkeit einer Flüssigkeit, p den Druck, und f ist eine äußere
Kraft. Wir werden eine schwache Formulierung für dieses Problem herleiten und einen
Existenzsatz vorstellen. Dazu gehen wir wie in Ruzicka [17, Abschnitt 3.2] vor.
Die Schwierigkeit der Lösung von (4.73) besteht darin, daß sich in beiden Differentialgleichungen der entsprechende Term mit der höchsten Ableitung auf die Geschwindigkeit
u bezieht. Lösen wir also für gegebenes p die erste Gleichung in (4.73), so muß die Lösung
nicht notwendigerweise die zweite Gleichung erfüllen. Lösen wir die zweite Gleichung für u
und die erste Gleichung für p, so haben wir Schwierigkeiten, Kompaktheit zu zeigen, da der
Divergenzoperator die Differentiationsordnung nur um eins erhöht, der Laplace-Operator
die Differentiationsordnung jedoch um zwei erniedrigt. Die Idee lautet, den Druck in der
ersten Gleichung zu eliminieren. Multiplizieren wir die erste Gleichung in (4.73) mit einer vektorwertigen Testfunktion v (im Sinne eines Skalarprodukts) mit v = 0 auf ∂Ω,
integrieren über Ω und integrieren partiell, so erhalten wir
Z
Z
Z
Z
∇u : ∇vdx + (u · ∇)u · vdx − p div vdx =
f · vdx.
Ω
Ω
Ω
Ω
Hierbei ist ∇u die Ableitungsmatrix von u und
∇u : ∇v =
3
X
∂ui ∂vi
.
∂x
∂x
j
j
i,j=1
Der Ausdruck (u · ∇)u · v ist zu verstehen als die Summe
3
X
i,j=1
ui
∂uj
vj .
∂xi
Falls div v = 0, so verschwindet das Integral mit dem Druck, und es bleibt nur eine Gleichung für u zu lösen. Wir definieren also einen Raum mit genau dieser Eigenschaft:
X = {v ∈ H01 (Ω)3 : div v = 0 in Ω}.
78
Er wird versehen mit der Norm
kvk2X
=
k∇vk2L2 (Ω)3×3
3 X
∂vi 2
=
2 .
∂x
L (Ω)
j
i,j=1
Damit wird X ein reflexiver, separabler Banachraum (siehe Übungsaufgaben).
Wir leiten nun die schwache Formulierung her. Sei u eine klassische Lösung von (4.73).
Wir multiplizieren (4.73) mit v ∈ X, integrieren über Ω, verwenden div v = 0 und integrieren partiell:
Z
Z
Z
∇u : ∇vdx + (u · ∇)u · vdx =
f · vdx, v ∈ X.
(4.74)
Ω
Ω
Ω
Um das Randwertproblem als Operatorgleichung zu formulieren, definieren wir die folgenden Operatoren:
Z
′
A1 : X → X ,
hA1 u, viX ′ =
∇u : ∇vdx,
Ω
Z
′
′
A2 : X → X ,
hA2 u, viX = (u · ∇)u · vdx,
ZΩ
b ∈ X ′,
hb, viX ′ =
f · vdx.
Ω
Dann ist (4.74) äquivalent zur Operatorgleichung
A1 u + A2 u = b in X ′ .
(4.75)
Die Operatoren A1 und A2 erfüllen die folgenden Eigenschaften.
Lemma 4.1. Der Operator A1 ist linear, stetig, koerziv und monoton. Der Operator A2 ist
beschränkt und stark stetig (d.h. aus uk ⇀ u folgt A2 uk → A2 u). Die Summe A = A1 + A2
ist beschränkt, koerziv und vom Typ M.
Wir bemerken, daß stark stetige Operatoren auch kompakt sind. Ist der Operator linear,
so folgt aus der Kompaktheit auch die starke Stetigkeit (dies kann man direkt nachrechnen).
Beweis. Die Eigenschaften für A1 sind einfach zu beweisen, da A1 eine vektorwertige Variante von A = −∆ auf H01 (Ω) ist. Wir zeigen zuerst die Beschränktheit von A2 . Seien u,
v ∈ X. Dann ergibt die Hölder-Ungleichung
Z
|hA2 u, viX ′ | ≤
|u| |∇u| |v|dx ≤ kukL4 (Ω) k∇ukL2 (Ω) kvkL4 (Ω) .
Ω
Nun bettet H 1 (Ω) stetig in den Raum L4 (Ω) ein, sofern die Raumdimension n ≤ 4 ist (was
wir vorausgesetzt haben). Daher folgt
|hA2 u, viX ′ | ≤ Ckuk2H 1 (Ω) kvkH 1 (Ω) .
79
Wir erhalten kA2 ukX ′ ≤ Ckuk2X , d.h., A2 ist beschränkt.
Um die starke Stetigkeit zu zeigen, sei uk ⇀ u in X. Wegen der kompakten Einbettung
1
H (Ω) ֒→ L4 (Ω) existiert eine Teilfolge mit uk′ → u in L4 (Ω). Wir müssen zeigen, daß
A2 uk → A2 u in X ′ , also
kA2 uk − A2 ukX ′ = sup hA2 uk − A2 u, vi → 0 (k → ∞).
kvkX ≤1
Angenommen, dies gilt nicht. Dann existieren ε > 0 und eine Folge (vk ) ⊂ X mit kvk kX ≤
1, so daß für alle k ∈ N
hA2 uk − A2 u, vk i ≥ ε
(4.76)
erfüllt ist. Da (vk ) nach Konstruktion in X beschränkt ist, existiert eine Teilfolge mit
vk′ ⇀ v in X und vk′ → v in L4 (Ω). Wir schätzen folgendermaßen ab:
hA2 uk′ − A2 u, vk′ i
Z
= ((uk′ − u) · ∇)uk′ · vk′ + (u · ∇)(uk′ − u) · (vk′ − v) + (u · ∇)(uk′ − u) · v dx
Ω
≤ kuk′ − ukL4 (Ω) k∇uk′ kL2 (Ω) kvk′ kL4 (Ω) + kukL4 (Ω) k∇(uk′ − u)kL2 (Ω) kvk′ − vkL4 (Ω)
Z
+ (u · ∇)(uk′ − u) · vdx .
Ω
Der erste Summand konvergiert gegen null, da uk′ → u in L4 (Ω), der zweite, weil vk′ → v
in L4 (Ω), und der dritte, da ∇(uk′ − u) ⇀ 0 in L2 (Ω). Dies ist ein Widerspruch zu (4.76).
Also ist A2 stark stetig.
Die Beschränktheit von A ist klar, da beide Operatoren A1 und A2 beschränkt sind.
Für den Nachweis der Koerzivität sei u ∈ X. Dann ist div u = 0 und
Z X
Z
Z X
3
3
1
1
∂|u|2
∂ui
ui uj dx =
dx = −
(div u)|u|2 dx = 0.
uj
hA2 u, uiX ′ =
∂x
2
∂x
2
j
j
Ω j=1
Ω
Ω i,j=1
Aus der Koerzivität von A1 folgt daher hAu, uiX ′ = hA1 u, uiX ′ ≥ αkuk2X .
Es bleibt zu zeigen, daß A vom Typ M ist. Seien uk ⇀ u in X, Auk ⇀ b in X ′ und
lim supk→∞ hAuk , uk iX ′ ≤ hb, uiX ′ . Da A2 stark stetig ist, folgt A2 uk → A2 u in X ′ und
lim hA2 uk , uk iX ′ = hA2 u, uiX ′ .
k→∞
Daher ist
lim suphA1 uk , uk iX ′ ≤ hb − A2 u, uiX ′ .
k→∞
Nach Lemma 3.24 (i) ist A1 vom Typ M, so daß wir die Beziehung A1 u = b − A2 u erhalten.
Dies ergibt Au = (A1 + A2 )u = b. Also ist auch A vom Typ M.
Für beschränkte, koerzive Operatoren vom Typ M können wir ein Analogon von Satz
3.25 für abstrakte Operatorgleichungen zeigen.
80
Satz 4.2. Seien X ein reflexiver, separabler Hilbertraum, A1 : X → X ′ ein monotoner
und hemistetiger Operator und A2 : X → X ′ ein stark stetiger Operator. Die Summe
A = A1 + A2 sei beschränkt, koerziv und vom Typ M. Dann existiert zu jedem b ∈ X ′ eine
Lösung der Operatorgleichung
(A1 + A2 )(u) = b.
Beweis. Wir verwenden die
Sei (vk ) ⊂ X eine Orthonormalbasis. Wir
PGalerkin-Methode.
m
suchen eine Lösung um = m
d
v
des
Gleichungssystems
k=1 k k
0 = hAum − b, vk iX ′
m
D X
E
= A
dm
v
−
b,
v
k
j j
X′
j=1
=: gk (dm ),
k = 1, . . . , m,
m
wobei dm = (dm
1 , . . . , dm ). Zunächst müssen wir sicherstellen, daß dieses Gleichungssystem
lösbar ist. Dazu bemerken wir, daß wegen der starken Stetigkeit von A2 und der Hemistetigkeit und Monotonie von A1 gemäß Lemma 3.24 die Summe A = A1 + A2 demistetig ist.
Dies impliziert die Stetigkeit von g = (g1 , . . . , gm ) : Rm → Rm . Sei nun R = 2kbkX ′ /α.
Dann folgt für alle kum kX = |dm | = R wegen der Koerzivität von A:
m
m
g(d ) · d =
m
X
k=1
2
gk (dm )dm
k = hAum − b, um iX ′ ≥ αkum kX − kbkX ′ kum kX =
2
kbk2X ′ > 0,
α
wenn b 6= 0. Falls b = 0, ergibt sich ebenfalls g(dm ) · dm = αkum k2X > 0. Damit sind die
Voraussetzungen von Lemma 2.21, das eine Folgerung des Fixpunktsatzes von Brouwer
ist, erfüllt, und wir erhalten die Existenz von dm ∈ Rm mit g(dm ) = 0, und es gilt die
A-priori-Abschätzung
kum kX ≤ R.
Es existiert also eine Teilfolge mit um′ ⇀ u in X. Wir behaupten, daß u die Operatorgleichung Au = b löst.
Hierfür benutzen wir die Typ-M-Eigenschaft von A. Da A beschränkt ist, folgt aus
kum kX ≤ R die Ungleichung kA(um )kX ′ ≤ C(R), also existiert eine Teilfolge mit um′ ⇀ u
in X und A(um′ ) ⇀ z in X ′ . Aus den Galerkin-Gleichungen folgt dann
0 = lim
hA(um′ ) − b, viX ′ = hz − b, viX ′
′
m →∞
für alle v ∈ span{v1 , v2 , . . .}.
Daher ist z = b. Setzen wir v = um′ in die Galerkin-Gleichungen ein, so ergibt sich weiter
0 = lim
hA(um′ ) − b, um′ iX ′ ,
′
m →∞
also wegen der schwachen Konvergenz von (um′ )
lim hA(um′ ), um′ iX ′ = lim
hb, um′ iX ′ = hb, uiX ′ .
′
m′ →∞
m →∞
Wir haben gezeigt, daß
um′ ⇀ u in X,
A(um′ ) ⇀ b in X ′ ,
Da A vom Typ M ist, folgt Au = b.
lim hA(um′ ), um′ iX ′ = hb, uiX ′ .
m′ →∞
81
Wir können nun folgendes Existenzresultat zeigen.
Satz 4.3 (Existenz für die stationären Navier-Stokes-Gleichungen). Es gelten die Voraussetzungen zu Beginn dieses Abschnitts und es sei f ∈ L2 (Ω)3 . Dann existiert eine schwache
Lösung (u, p) ∈ X × L2 (Ω) von (4.73).
Beweis. Aus Lemma 4.1 und Satz 4.2 folgt die Existenz einer Funktion u, die die schwache
Formulierung (4.74) löst. Es bleibt zu zeigen, daß eine Funktion p existiert, so daß für alle
v ∈ H01 (Ω)3
Z
Z
Z
Z
∇u : ∇vdx + (u · ∇)u · vdx − p div vdx =
f · vdx
Ω
Ω
Ω
Ω
erfüllt ist. Dies ist im wesentlichen eine Konsequenz aus der Tatsache, daß differenzierbare
Vektorfelder als die direkte Summe eines divergenzfreien Vektorfeldes und eines Gradienten
geschrieben werden können, d.h., für alle v existieren Funktionen u und p, so daß
v = u + ∇p,
wobei div u = 0.
Mit anderen Worten: Ist ein Vektorfeld F orthogonal zum Raum X, so ist F ein Gradient,
d.h. F = −∇p für eine Funktion p. Diese Aussage wird in dem folgenden Satz, den wir
nicht beweisen, präzisiert.
Satz 4.4 (De Rham). Sei F ∈ (HR01 (Ω)3 )′ , so daß hF, vi = 0 für alle v ∈ X (X wie oben).
Dann existiert ein p ∈ L2 (Ω) mit Ω pdx = 0, so daß
Z
hF, vi =
p div vdx für alle v ∈ H01 (Ω)3 .
Ω
Wir wenden diesen Satz an auf das Funktional
Z
Z
Z
hF, vi =
∇u : ∇vdx + (u · ∇)u · vdx − f · vdx,
Ω
Ω
Ω
das nach Konstruktion des Raumes X die Voraussetzungen des Satzes von Rham erfüllt.
Dies endet den Beweis.
Bemerkung 4.5. Der Nachweis der Eindeutigkeit von schwachen Lösungen der stationären Navier-Stokes-Gleichungen ist erstaunlich delikat. Die Eindeutigkeit folgt, wenn
die Norm kf kX ′ hinreichend klein ist. Seien nämlich u und v zwei schwache Lösungen von
(4.74) und ziehe die beiden Gleichungen voneinander ab. Mit der Testfunktion u − v folgt
Z
Z
2
(u · ∇)u · (u − v) − (v · ∇)v · (u − v) dx
|∇(u − v)| dx = −
Ω
ZΩ
((u − v) · ∇)u · (u − v) + (v · ∇)(u − v) · (u − v) dx. (4.77)
=−
Ω
82
Das zweite Integral verschwindet, denn aus div(v) = 0 folgt
Z
Z
Z
1
1
2
(v · ∇)(u − v) · (u − v)dx =
(v · ∇)|u − v| dx = −
div(v)|u − v|2 dx = 0.
2 Ω
2 Ω
Ω
Für das erste Integral schätzen wir mit der Hölder-, Sobolev- und Poincaré-Ungleichung
folgendermaßen ab:
Z
− ((u − v) · ∇)u · (u − v)dx ≤ ku − vk2L4 (Ω) k∇ukL2 (Ω) ≤ Ck∇(u − v)k2L2 (Ω) k∇ukL2 (Ω) .
Ω
Mit der Testfunktion u in (4.74) folgt
Z
Z
2
|∇u| dx =
f · udx ≤ kf kX ′ kukX = kf kX ′ k∇ukL2 (Ω)
Ω
Ω
und damit k∇ukL2 (Ω) ≤ kf kX ′ . Daher ergibt sich aus (4.77), daß
k∇(u − v)k2L2 (Ω) ≤ Ck∇(u − v)k2L2 (Ω) k∇ukL2 (Ω) ≤ Ckf kX ′ k∇(u − v)k2L2 (Ω) ,
und falls Ckf kX ′ < 1, gilt k∇(u − v)k2L2 (Ω) ≤ 0 und folglich u = v in Ω. Die Eindeutigkeit
von schwachen Lösungen für beliebige Funktionen f ist ein offenes Problem.
4.2
Schrödinger-Gleichung
Wir betrachten ein quantenmechanisches Teilchen in einem beschränkten Gebiet Ω, dessen
Aufenthaltswahrscheinlichkeit auf dem Gebietsrand verschwindet (d.h., das Teilchen kann
den Rand nicht durchdringen). Dann kann das Teilchen durch die Schrödinger-Gleichung
iut + ∆u = 0 in Ω, t > 0,
u = 0 auf ∂Ω,
u(0) = u0
in Ω,
(4.78)
beschrieben werden. Diese Gleichung ist nicht vom parabolischen Typ. Sei u0 eine Eigenfunktion von
∆v = λv in Ω, v = 0 auf ∂Ω,
mit Eigenwert λ. Dann ist durch
u(x, t) = eiλt u0 (x)
eine spezielle Lösung von (4.78) gegeben. In der Lösungsformel sind die Orts- und Zeitabhängigkeiten separiert. Insbesondere zeigt die Lösung wegen des Ausdrucks eiλt ein Schwingungsverhalten mit Frequenz λ. Für allgemeinere Anfangsfunktionen ist die Lösung eine
Überlagerung von “Schwingungen” mit mehreren Frequenzen. In diesem Sinne besitzt die
Schrödinger-Gleichung einen Wellencharakter. Wir werden hierauf weiter unten noch genauer eingehen.
Zunächst werden wir einen Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die lineare Gleichung
beweisen. Wir betrachten ein etwas allgemeineres Problem. Wir gehen wie in Dautray und
83
Lions [7, Abschnitt 18.7] vor. Seien V ֒→ H ֒→ V ′ ein Evolutionstripel (mit komplexwertigen Hilberträumen) und a : V × V → C eine stetige sesquilineare Form, so daß
(i) für alle u, v ∈ V : a(u, v) = a(v, u),
(4.79)
2
2
(ii) es existieren λ ∈ R, α > 0, so daß für alle v ∈ V : a(v, v) + λkvkH ≥ αkvkV . (4.80)
Die erste Eigenschaft nennt man Schiefsymmetrie. Die zweite Eigenschaft ist eine verallgemeinerte Version der Koerzivität. Ein Beispiel für eine schiefsymmetrische und koerzive
Sesquilinearform ist gegeben durch
Z
a(u, v) =
∇u · ∇vdx, u, v ∈ V = H01 (Ω).
(4.81)
Ω
Mit H = L2 (Ω) ist nämlich a(u, u) + kuk2H = kuk2V . Wir lösen das folgende Problem:
hut (t), viV ′ + ia(u(t), v) = (f (·, t), v)H ,
t > 0,
u(0) = u0 ,
(4.82)
für alle v ∈ L2 (0, T ; V ).
Mit der obigen Sesquilinearform und f = 0 erhalten wir die Schrödinger-Gleichung
(4.78). Wir zeigen nun:
Satz 4.6 (Existenz und Eindeutigkeit für lineares abstraktes Schrödinger-Problem). Seien
f ∈ L2 (0, T ; H) mit ft ∈ L2 (0, T ; V ′ ) und u0 ∈ V . Dann existiert genau eine Lösung
u ∈ W 1,2 (0, T ; V, H) von (4.82). Sie erfüllt u ∈ L∞ (0, T ; V ) und ut ∈ L∞ (0, T ; V ′ ).
Beweis. Der Beweis der Eindeutigkeit ist eine Übungsaufgabe. Wir verwenden die Galerkin-Methode, um die Existenz einer Lösung zu zeigen. Sei (vk ) eine Basis von V und
definiere den endlich-dimensionalen Raum Vm = span{v1 , . . . , vm }. Es existiert eine Folge
(u0m ) mit u0m ∈ Vm , so daß u0m → u0 in V für m → ∞ und ku0m kV ≤ ku0 kV . Wir betrachten
die Galerkin-Gleichungen
(u′m (t), vk )H + ia(um (t), vk ) = (f (·, t), vk )H ,
t > 0, um (0) = u0m .
Pm m
Wir suchen eine Lösung im Raum Vm , d.h. um (t) =
k=1 dk (t)vk . Damit werden die
Galerkin-Gleichungen ein System linearer gewöhnlicher Differentialgleichungen für die Koeffizienten dm
k , das auf (0, T ) eindeutig lösbar ist. Das Ziel ist nun die Herleitung geeigneter
A-priori-Abschätzungen und der Grenzwert m → ∞.
Wir zeigen drei Abschätzungen. Multipliziere zuerst die Galerkin-Gleichungen mit dm
k
und summiere über k = 1, . . . , m:
(u′m (t), um (t))H + ia(um (t), um (t)) = (f (t), um (t))H .
Hierbei haben wir verwendet, daß das Skalarprodukt auf H sesquilinear ist. Addieren wir
zu dieser Gleichung die konjugiert komplexe, erhalten wir
1 d
kum (t)k2H = Re(f (t), um (t))H .
2 dt
84
Integrieren wir über t und verwenden die Young-Ungleichung, ergibt sich
Z t
Z t
Z t
2
2
2
kum (t)kH − kum (0)kH = 2
Re(f (s), um (s))H ds ≤
kf (s)kH ds +
kum (s)k2H ds,
0
0
0
und das Lemma von Gronwall impliziert
kum (t)k2H
Z
2
≤ e kum (0)kH +
T
t
0
kf (s)k2H ds
,
t ∈ [0, T ].
(4.83)
Dies liefert eine Abschätzung für um in L∞ (0, T ; H).
′
Im nächsten Schritt multiplizieren wir die Galerkin-Gleichungen mit (dm
k ) und summieren über k = 1, . . . , m:
ku′m (t)k2H + ia(um (t), u′m (t)) = (f (t), u′m (t))H .
Wir subtrahieren die konjugiert komplexe Gleichung:
ia(um (t), u′m (t)) + ia(um (t), u′m (t)) = (f (t), u′m (t))H − (f (t), u′m (t))H
= 2i Im(f (t), u′m (t))H ,
was wegen der Schiefsymmetrie von a gleichbedeutend ist mit
d
a(um (t), um (t)) = a(um (t), u′m (t)) + a(u′m (t), um (t)) = 2Im(f (t), u′m (t))H .
dt
Dies ergibt nach Integration über (0, t) und partieller Integration bezüglich t
Z t
Imhf (s), u′m (s)iV ′ ds
a(um (t),um (t)) − a(um (0), um (0)) = 2
0
Z t
= 2Imhf (t), um (t)iV ′ − 2Imhf (0), um (0)iV ′ − 2
Imhf ′ (s), um (s)iV ′ ds.
0
Die Koerzivität von a und die Young-Ungleichung liefern
αkum (t)k2V − a(um (0), um (0)) ≤ a(um (t), um (t)) + λkum (t)k2H − a(um (0), um (0))
≤ 2kf (t)kV ′ kum (t)kV + 2kf (0)kV ′ ku0m kV
Z t
kf ′ (s)kV ′ kum (s)kV ds + |λ| kum (t)k2H
+2
0
α
2
≤ kum (t)k2V + kf (t)kV ′ + 2kf (0)kV ′ ku0m kV
2Z
α
Z
t
t
+
0
kum (s)k2V ds +
0
kf ′ (s)k2V ′ ds + |λ| kum (t)k2H .
Der erste Term auf der rechten Seite kann von der linken Seite absorbiert werden. Nach
Voraussetzung liegt f im Raum H 1 (0, T ; V ′ ), der stetig in C 0 ([0, T ]; V ′ ) einbettet. Daher ist
85
der zweite Term kf (t)kV ′ auf der rechten Seite gleichmäßig bezüglich t ∈ (0, T ) beschränkt.
Dies ist auch der Fall für den dritten Term, da ku0m kV ≤ ku0 kV . Der fünfte Term ist
beschränkt, da wir f ′ ∈ L2 (0, T ; V ′ ) vorausgesetzt haben. Die Abschätzung (4.83) zeigt,
daß der letzte Term kum (t)kH gleichmäßig bezüglich t ∈ (0, T ) und m ∈ N beschränkt ist.
Wir können also das Lemma von Gronwall anwenden und erhalten
(4.84)
kum (t)k2V ≤ C(T ) ku0 k2V + kf k2L2 (0,T ;H) + kf ′ k2L2 (0,T ;V ′ ) , t ∈ (0, T ),
mit einer Konstanten C(T ) > 0, die nur von α und T abhängt. Wir haben gezeigt, daß
(um ) in L∞ (0, T ; V ) beschränkt ist.
Aus (4.84) folgt, daß (u′m ) in L∞ (0, T ; V ′ ) beschränkt ist, denn aus der Stetigkeit von
a folgt für alle v ∈ Vm
|hu′m (t), viV ′ | ≤ |a(um (t), v)| + |(f (t), v)H | ≤ Ckum (t)kV kvkV + kf (t)kV ′ kvkV
und ähnlich wie weiter oben folgt daraus wegen (4.84) und u′m ∈ Vm die Abschätzung
ku′m kL∞ (0,T ;V ′ ) = sup sup |hu′m , wi| = sup sup |(u′m , v)H | ≤ C,
(0,T ) kwkV =1
(4.85)
(0,T ) kwkV =1
wobei wir w = v + v ⊥ mit v ∈ Vm , v ⊥ ∈ Vm⊥ und Vm ⊕ Vm⊥ = H geschrieben und (u′m , w)H =
(u′m , v)H verwendet haben.
Die Abschätzungen (4.84) und (4.85) zeigen, daß eine Teilfolge existiert mit
um′ ⇀∗ u in L∞ (0, T ; V ),
u′m′ ⇀∗ u′
in L∞ (0, T ; V ′ ).
Wir können den Grenzwert m → ∞ in der Galerkin-Gleichung
Z T
Z T
Z T
′
(f, v)H χdt,
a(um , χv)dt =
hum , χviV ′ dt + i
0
0
0
v ∈ Vm ,
mit einer stückweise konstanten Funktion χ : (0, T ) → C durchführen (denn a ist linear)
und erhalten
Z T
Z T
Z T
′
(f, v)H χdt
a(u, χv)dt =
hu , χviV ′ dt + i
0
0
0
2
für alle
PNχ : (0, T ) → C und v ∈ V . Wir können jede Funktion in L (0, T ; V ) durch
vN = j=1 χj v approximieren und erhalten daher die Behauptung des Satzes nach einem
Dichtheitsargument.
Wir betrachten die Sesquilinearform (4.81) zur Schrödinger-Gleichung (4.78). Satz 4.6
liefert das folgende Korollar.
Korollar 4.7 (Existenz und Eindeutigkeit für die lineare Schrödinger-Gleichung). Seien
f ∈ L2 (Ω×(0, T )) mit ft ∈ L2 (0, T ; H −1 (Ω)) und u0 ∈ H01 (Ω). Dann existiert eine eindeutig
bestimmte Lösung u von (4.82) mit u ∈ L∞ (0, T ; H01 (Ω) und ut ∈ L∞ (0, T ; H −1 (Ω)).
86
Bemerkung 4.8. Der obige Existenzsatz für die Schrödinger-Gleichung kann verallgemeinert werden.
(i) Die Schrödinger-Gleichung ist nicht nur auf [0, ∞), sondern auf ganz R lösbar. Dies
können wir einsehen, indem wir die Zeit mittels t 7→ −t transformieren und die Gleichung
iut − ∆u = 0
untersuchen. Die abstrakte Formulierung lautet
−hut , viV ′ + ia(u, v) = 0.
Wir erkennen aus dem Beweis von Satz 4.6, daß das Vorzeichen von hut , viV ′ keine Rolle
spielt. Wir erhalten also auch eine Lösung auf dem Intervall (−∞, 0).
(ii) Es genügt, Anfangsdaten u0 ∈ L2 (Ω) vorauszusetzen. Dann existiert eine Lösung
u ∈ C 0 (R; L2 (Ω)) mit ut ∈ C 0 (R; D′ ) und D = H 2 (Ω) ∩ H01 (Ω). Für einen Beweis siehe
Cazenave [5, Prop. 3.1.1].
Die Schrödinger-Gleichung hat einige bemerkenswerte Eigenschaften. Wir haben bereits
gesehen, daß die Lösung auf ganz R definiert werden kann. Die Schrödinger-Gleichung ist
also keine Diffusionsgleichung; sie ähnelt vielmehr eher einer Wellengleichung. Um dies
genauer zu erörtern, betrachten wir die Schrödinger-Gleichung auf dem Ganzraum Rn :
iut + ∆u = 0 in Rn , t ∈ R,
u(0) = u0 .
(4.86)
Für glatte Anfangsdaten können wir dieses Problem explizit lösen.
Proposition 4.9. Sei u0 ∈ C0∞ (Rn ). Dann lautet die eindeutige Lösung von (4.86)
1 n/2 2 Z
2
u(x, t) =
ei|x| /4t
e−ix·y/2t ei|y| /4t u0 (y)dy,
4πit
Rn
und sie erfüllt die Ungleichung
ku(t)kL∞ (Rn ) ≤ (4π|t|)−n/2 ku0 kL1 (Rn ) .
Beweis. Die Proposition folgt durch Fourier-Transformation von (4.86). Wir erinnern, daß
die Fourier-Transformation einer Funktion f ∈ L1 (Rn ) definiert ist durch
Z
b
f (x)e−ik·x dx, k ∈ Rn .
f (k) =
Rn
c (k) = ik fb(k) und damit
Sie hat die Eigenschaft, daß ∇f
c (k) = −|k|2 fb(k)
∆f
gelten. Eine Rechnung zeigt, daß die Fouriertransformierte der Funktion
Kt (x) =
1
2
ei|x| /4t ,
n/2
(4πit)
87
x ∈ Rn ,
b t (k) = exp(−i|k|2 t).
gegeben ist durch K
Die Fourier-Transformierte der Schrödinger-Gleichung (4.86),
ib
ut − |k|2 u
b = 0,
kann explizit gelöst werden:
u
b(0) = u
b0 ,
2
u
b(k, t) = e−i|k| t u
b0 (k),
k ∈ Rn ,
k ∈ Rn .
Dies kann geschrieben werden als
btu
u
b(t) = K
b0 = K\
t ∗ u0 ,
wobei Kt ∗u0 die Faltung von Kt und u0 bezeichnet. Die Inverse der Fourier-Transformation
ergibt
Z
Z
1
2
Kt (x − y)u0 (y)dy =
u(x, t) = (Kt ∗ u0 )(x) =
ei|x−y| /4t u0 (y)dy,
n/2
(4πit)
Rn
Rn
was die erste Behauptung zeigt. Die Abschätzung ist eine Konsequenz aus
Z
1
|u(x, t)| ≤
|u0 (y)|dy.
(4π|t|)n/2 Rn
Damit ist die Proposition bewiesen.
Wir bemerken, daß die Lösung der Schrödinger-Gleichung (4.86) in der L2 -Norm nicht
abklingt, sondern erhalten bleibt:
ku(t)kL2 (Rn ) = ku0 kL2 (Rn )
für alle t ∈ R.
(Multipliziere (4.86) mit u und integriere; siehe auch den Beweis von Lemma 4.11.) Die
Lösung |u|2 erfüllt also eine Erhaltungsgleichung (ähnlich wie die Lösung der Wellengleichung), klingt aber in der L∞ -Norm exponentiell ab (ähnlich wie die Lösung der Wärmeleitungsgleichung). Die Erhaltungseigenschaft wird übrigens auch durch die formale Schreibweise u(t) = eit∆ u0 ausgedrückt, wobei der Operator A = eit∆ : D(A) → L2 (Rn ) ähnlich
wie der Operator e−t∆ für parabolische Gleichungen durch die Spektraldarstellung definiert
werden kann.
Die Lösung der Wellengleichung ist im allgemeinen nicht regulärer als der Anfangswert – im Gegensatz zur Lösung parabolischer Gleichungen, die sehr stark regularisieren.
Satz 4.6 zeigt, daß die Lösung u(t) ∈ V nur so regulär ist wie der Anfangswert u0 ∈ V .
In diesem Sinne ähnelt die Schrödinger-Gleichung der Wellengleichung. Allerdings besitzt
die Schrödinger-Gleichung eine bemerkenswerte Regularisierungseigenschaft, die durch die
sogenannten Strichartz-Ungleichungen ausgedrückt wird.
88
Satz 4.10 (Strichartz-Ungleichungen). Seien u0 ∈ L2 (Rn ) und u eine Lösung von (4.86).
Dann gilt
kukL2+4/n (R;L2+4/n (Rn )) ≤ C1 ku0 kL2 (Rn ) ,
kukLr (R;Lp (Rn )) ≤ C2 ku0 kL2 (Rn ) ,
wobei r = 4p/(n(p − 2)), 2 ≤ p < 2n/(n − 2) (wenn n ≤ 2, dann ist p ≤ ∞ erlaubt) und
C1 , C2 > 0.
Für einen Beweis verweisen wir auf Strauss [20], Reed/Simon, Band 2 [15] oder Cazenave
[5, Thm. 3.2.5]. Der Satz sagt aus, daß die Lösung für fast alle t ∈ R die Eigenschaft
u(t) ∈ Lp für gewisse p > 2 besitzt, obwohl u0 nur in L2 (Rn ) liegt. Allerdings gilt diese
Eigenschaft nur für fast alle t ∈ R; sie kann im allgemeinen nicht für alle t 6= 0 gelten. Die
1/2
Lösung besitzt sogar eine noch bessere Regularität. Ist u0 ∈ L2 (Rn ), so gilt u(t) ∈ Hloc (Rn )
für fast alle t ∈ R (siehe Cazenave [5, Rem. 3.4.7]). Wir gewinnen also für fast alle t ∈ R
lokal im Ort eine “halbe” Ableitung.
Die Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen kann auch für die semilineare Schrödinger-Gleichung unter gewissen Voraussetzungen an die Nichtlinearität bewiesen werden:
iut + ∆u − f (u) = 0 in Rn , t ∈ R,
u(0) = u0 .
(4.87)
In den physikalischen Anwendungen ist hauptsächlich der Fall
f (u) = g(|u|2 )u mit g : R → R
von Interesse. Die reellwertige Funktion g(|u|2 ) kann als eine Art Selbstinteraktionspotential interpretiert werden. Ein typisches Beispiel ist die kubische Funktion f (u) = ±|u|2 u.
Die Analysis von (4.87) basiert auf sogenannten Energie-Abschätzungen. Wir nennen
das Funktional
Z 1
1
E(u) =
|∇u|2 + F (u) dx, wobei F (u) = G(|u|2 ), G′ = g, G(0) = 0,
2
Rn 2
die Energie des Systems. Die Funktion F ist so definiert, daß F ′ (u) = g(|u|2 )u = f (u).
Im Falle f (u) = ±|u|2 u gilt F (u) = ± 41 |u|4 . Wir zeigen nun für glatte Lösungen, daß die
Energie konstant ist.
Lemma 4.11. Sei u eine klassische Lösung von (4.87). Dann gilt
ku(t)kL2 (Rn ) = ku0 kL2 (Rn ) ,
E(u(t)) = E(u0 )
für alle t ∈ R.
Beweis. Wir multiplizieren (4.87) mit u und die konjugiert komplexe Gleichung mit u:
iut u + ∆uu − g(|u|2 )|u|2 = 0,
−iut u + ∆uu − g(|u|2 )|u|2 = 0,
und ziehen die Gleichungen voneinander ab:
i∂t |u|2 + ∆uu − ∆uu = 0.
89
Nach Integration über Rn und partieller Integration folgt
Z
i∂t
|u|2 dx = 0,
Rn
also die erste Gleichung des Lemmas.
Für den Nachweis der zweiten Gleichung multiplizieren wir (4.87) mit ut und die konjugiert komplexe Gleichung mit ut :
iut ut + ∆uut − g(|u|2 )uut = 0,
−iut ut + ∆uut − g(|u|2 )uut = 0,
addieren beide Gleichungen und integrieren über Rn :
Z
−
∇u · ∇ut + ∇u · ∇ut + g(|u|2 )(uut + uut ) dx = 0.
Rn
Dies ergibt
Z
Rn
d
|∇u|2 dx +
dt
Z
g(|u|2 )
Rn
d 2
|u| dx = 0
dt
und wegen ∂t F (u) = 12 g(|u|2 )∂t |u|2 folgt
Z
Z
dE
d
2
F (u)dx = 2 (u).
|∇u| dx + 2
0=
dt Rn
dt
Rn
Dies zeigt die Behauptung.
Die Energiegleichung aus Lemma 4.11 liefert eine A-priori-Abschätzung, wenn F (u)
nichtnegativ ist oder zumindest geeignet abgeschätzt werden kann.
Lemma 4.12. Wir nehmen an, daß für alle u ∈ C
F (u) ≥ −C1 (|u|2 + |u|q ),
2≤q <2+
4
, C1 > 0,
n
(4.88)
erfüllt ist. Sei ferner u eine klassische Lösung von (4.87). Dann gilt
k∇ukL∞ (R;L2 (Rn )) ≤ C2 ,
wobei C2 > 0 von ku0 kH 1 (Rn ) und E(u0 ) abhängt.
Beweis. Wir benutzen den folgenden Spezialfall der Gagliardo-Nirenberg-Ungleichung:
kvkLr (Rn ) ≤ KkvkθL2 (Rn ) k∇vkL1−θ
2 (Rn ) ,
θ =1−
n(r − 2)
,
2r
v ∈ H 1 (Rn ),
und r ≥ 2 ist so, daß die Einbettung H 1 (Rn ) ֒→ Lr (Rn ) stetig ist (dies sichert 0 ≤ θ ≤ 1).
90
Aus Lemma 4.11, (4.88) und der obigen Ungleichung folgt mit r = q
Z
1
2
F (u(t))dx ≤ E(u0 ) + C1 ku(t)k2L2 (Rn ) + ku(t)kqLq (Rn )
k∇u(t)kL2 (Rn ) = E(u0 ) −
2
Rn
(1−θ)q
≤ E(u0 ) + C1 ku0 k2L2 (Rn ) + K q C1 ku0 kθq
L2 (Rn ) k∇u(t)kL2 (Rn ) .
Die Voraussetzung q < 2 + 4/n impliziert (1 − θ)q = n(q − 2)/2 < 2, so daß wir die
Young-Ungleichung anwenden können:
(1−θ)q
2
2
n
ku0 kθq
L2 (Rn ) k∇u(t)kL2 (Rn ) ≤ εk∇u(t)kL2 (Rn ) + C(ε, ku0 kL (R ) ).
Der erste Term auf der rechten Seite kann für hinreichend kleines ε > 0 absorbiert werden:
k∇u(t)k2L2 (Rn ) ≤ C3 (ε, ku0 kL2 (Rn ) ).
Definieren wir die rechte Seite als C2 , so folgt die Behauptung.
Mit Hilfe der Strichartz-Ungleichungen, dem Fixpunktsatz von Banach und Halbgruppentheorie kann der folgende Satz bewiesen werden (siehe Strauss [20]).
Satz 4.13 (Existenz und Eindeutigkeit für semilineare Schrödinger-Gleichungen). Es gelten die Voraussetzungen an F aus Lemma 4.12. Ferner sei f ∈ C 1 mit |f ′ (u)| ≤ C0 |u|p
für alle u ∈ C, wobei 0 < p < 4/(n − 2) (und 0 < p < ∞, falls n ≤ 2). Außerdem sei u0 ∈ H 1 (Rn ) mit E(u0 ) < ∞. Dann existiert eine eindeutig bestimmte Lösung
u ∈ C 0 (R; H 1 (Rn )) ∩ L∞ (R; H 1 (Rn )) von (4.87).
Beispiel 4.14. Wir prüfen anhand eines Beispiels, unter welchen Bedingungen die Voraussetzungen von Satz 4.13 erfüllt sind.
(i) Sei f (u) = |u|2 u. Dann ist F (u) = 41 |u|4 . Da F nichtnegativ ist, erfüllt F die
Ungleichung (4.88) für alle n ≥ 1. Dagegen ist die Ungleichung p = 2 < 4/(n − 2) genau
dann erfüllt, wenn n ≤ 3.
(ii) Sei f (u) = −|u|2 u. Dann ist F (u) = − 14 |u|4 und q = 4 in der Bedingung (4.88). Es
gilt 4 = q < 2 + 4/n genau dann, wenn n = 1.
Es bleibt die Frage offen, was geschieht, wenn die Voraussetzungen von Satz 4.13 verletzt
sind. Betrachte etwa den Fall f (u) = −|u|4/n u. Dann ist q = 2+4/n, was die Voraussetzung
(4.88) immer verletzt. Man kann zeigen, daß die Funktion
|x| −n/2 i|x|2 /(4(t∗ −t))
4πi(t∗ − t)
e
, x ∈ Rn , 0 ≤ t < t∗ ,
u(x, t) = v ∗
t −t
eine spezielle Lösung von (4.87) ist, wobei u0 (x) = v(|x|) und v ist eine Lösung von
−∆v − (4π)−2 |v|4/n v = 0 in Rn .
Es gilt natürlich Erhaltung in der L2 -Norm, ku(t)kL2 (Rn ) = ku0 kL2 (Rn ) , aber u(0, t∗ ) ist
unbeschränkt in der L∞ - und H 1 -Norm. Wir erwarten also, daß nicht für alle Nichtlinearitäten eine Lösung existieren kann. Tatsächlich gilt folgendes Resultat (siehe Cazenave [5,
Rem. 6.5.1]).
91
Satz 4.15 (Existenz und Nichtexistenz für nichtlineare Schrödinger-Gleichungen). Sei
f (u) = λ|u|α u mit λ ∈ R und 0 < α < 4/(n − 2) (und α < ∞, wenn n ≤ 2). Dann
gilt:
(i) Wenn λ > 0, so sind alle Lösungen von (4.87) global in der Zeit.
(ii) Wenn λ < 0 und α < 4/n, so sind alle Lösungen von (4.87) global.
(iii) Wenn λ < 0 und α ≥ 4/n, so sind die Lösungen von (4.87) nur dann global, wenn
ku0 kH 1 (Rn ) klein genug ist. Für hinreichend große ku0 kH 1 (Rn ) existieren die Lösungen nur
lokal in der Zeit.
Beachte, daß der Wert 4/n in (ii) und (iii) des satzes der Schranke q = 2 + 4/n für F (u)
entspricht.
4.3
Hamilton-Jacobi-Gleichungen
Um Hamilton-Jacobi-Gleichungen zu motivieren, betrachten wir die im ersten Kapitel vorgestellten Euler-Gleichungen
nt + div(nv) = 0,
(nv)t + div(nv ⊗ v) + ∇p = 0.
Wir erinnern, daß n die Teilchendichte, v die Geschwindigkeit und p der Druck der Flüssigkeit darstellen. Wir nehmen an, daß die Flüssigkeit homogen und inkompressibel, d.h.
n = const. = 1, und der Druck konstant ist, ∇p = 0. Außerdem betrachten wir eine laminare Strömung, d.h., die Geschwindigkeit kann als Gradient einer Funktion S geschrieben
werden, v = ∇S. Dann erhalten wir
0 = div(∇S) = ∆S,
0 = (∇S)t + div(∇S ⊗ ∇S).
Wir behaupten, daß div(∇S ⊗ ∇S) = 21 ∇|∇S|2 . Dies folgt aus
X ∂ ∂S ∂S X ∂ 2 S ∂S
∂S ∂ 2 S +
=
∂xj ∂xi ∂xj
∂xi ∂xj ∂xj ∂xi ∂x2j
j
j
1 ∂ X ∂S 2 ∂S
1
=
+
∆S = (∇|∇S|2 )i .
2 ∂xi j ∂xj
∂xi
2
div(∇S ⊗ ∇S)i =
Damit ist
1
∇ St + |∇S|2 = 0.
2
Das Geschwindigkeitspotential S ist also eine Lösung der Gleichung
1
St + |∇S|2 = const. in x.
2
Diese Gleichung ist eine spezielle Form der Hamilton-Jacobi-Gleichung
ut + H(x, ∇u) = 0,
x ∈ Rn , t > 0,
92
u(0) = u0 ,
(4.89)
wobei H : Rn × Rn → R stetig sei. Um diese Gleichungen zu lösen, könnte man zuerst nach
schwachen Lösungen, also Lösungen u ∈ L2 (0, T ; W 1,∞ (Rn )) von
Z T
Z TZ
H(x, ∇u)vdxdt = 0
hut , vidt +
0
0
Rn
für alle v ∈ C0∞ (Rn × (0, T )) mit u(0) = u0 in Rn , suchen. Wir verwenden Funktionen
aus W 1,∞ (Rn ) anstatt H 1 (Rn ) wie in den vorigen Kapiteln, damit H(∇u, x) definiert ist.
Die Problematik dieses Lösungsbegriffs ist jedoch, daß es im allgemeinen mehrere solcher
Lösungen gibt. Dazu betrachten wir folgendes Beispiel (siehe Evans [10]).
Beispiel 4.16. Die Hamilton-Jacobi-Gleichung
ut + u2x = 0 in R, t > 0,
u(0) = 0,
besitzt die Lösungen u1 = 0 und

: |x| ≥ t
 0
x−t
: 0≤x≤t
u2 (x, t) = min{0, |x| − t} =

−x − t : −t ≤ x ≤ 0.
Beide Lösungen sind lipschitzstetig und insbesondere aus L2 (0, T ; W 1,∞ (R)). Man kann
zeigen, daß es unendlich viele lipschitzstetige Lösungen gibt. Unser Lösungsbegriff ist also
so schwach, daß wir die Eindeutigkeit von Lösungen verlieren.
Im folgenden führen wir einen neuen Lösungsbegriff ein, sogenannte Viskositätslösungen, die die Eindeutigkeit von Lösungen garantieren. Wir gehen vor wie Evans [10, Kapitel
10]. Eine Idee, die Existenz von Lösungen der Hamilton-Jacobi-Gleichung (4.89) zu zeigen,
lautet, das Problem zu regularisieren:
∂t uε + H(x, ∇uε ) − ε∆uε = 0 in Rn , t > 0,
uε (0) = u0 .
(4.90)
Damit erhalten wir eine quasilineare parabolische Gleichung, die wir unter geeigneten Voraussetzungen an H lösen können. Können wir geeignete Abschätzungen für uε , die unabhängig von ε sind, herleiten, so können wir den Grenzwert ε → 0 durchführen und
erhalten im Grenzwert eine Lösung der Gleichung (4.89). Diese Technik wird die Methode
des Viskositätsgrenzwerts genannt.
Wir rechnen allerdings damit, daß wir nicht
√ ohne weiteres gleichmäßige Abschätzungen
für ∇uε finden werden (sondern allenfalls für ε∇uε ). Unsere Hoffnung lautet, wenigstens
gleichmäßige Abschätzungen für uε in L∞ zu gewinnen. Ist dann diese Folge außerdem
gleichstetig, so können wir den Satz von Arzelà-Ascoli anwenden und die Konvergenz
uε′ → u gleichmäßig in K × (0, T )
für eine Teilfolge (uε′ ) von (uε ) schließen, wobei K ⊂ Rn eine kompakte Teilmenge sei.
Der Grenzwert u ∈ C 0 (Rn × [0, ∞)) ist ein Kandidat für eine Lösung von (4.89). Natürlich
93
müssen wir erklären, in welchem Sinne u diese Gleichung löst, da ∇u nicht definiert sein
muß. Hierfür verwenden wir im wesentlichen das Maximumprinzip. Dies führt auf den
Begriff der Viskositätslösung. Im folgenden motivieren wir diesen Begriff.
Seien u eine glatte Lösung von (4.89) und v ∈ C ∞ (Rn × (0, ∞)) eine Testfunktion mit
der Eigenschaft, daß u − v an der Stelle (x0 , t0 ) ein striktes lokales Maximum besitzt, d.h.,
in einer Umgebung von (x0 , t0 ) gilt
(u − v)(x0 , t0 ) > (u − v)(x, t) für alle (x, t) 6= (x0 , t0 ).
(4.91)
Wir nehmen an, wir haben eine Folge von Lösungen uε von (4.90) gefunden, so daß
uε → u lokal gleichmäßig in Rn × (0, ∞). Wir behaupten, daß es ein ε0 > 0 gibt, so daß
für alle 0 < ε < ε0 die Differenz uε − v ein lokales Maximum an einer Stelle (xε , tε ) besitzt
und daß (xε , tε ) → (x0 , t0 ) für ε → 0 gilt.
Um dies zu beweisen, bemerken wir, daß es wegen (4.91) eine Kugel B = Br (x0 , t0 )
gibt, so daß
max (u − v)(x, t) < (u − v)(x0 , t0 ).
(x,t)∈∂B
Wegen der lokal gleichmäßigen Konvergenz existiert ein ε0 > 0, so daß für alle 0 < ε < ε0
max (uε − v)(x, t) < (uε − v)(x0 , t0 ).
(x,t)∈∂B
Dies bedeutet, daß uε − v ein lokales Maximum an einem Punkt (xε , tε ) im Innern von B
annimmt. Ersetzen wir r durch eine Folge rε → 0, so erhalten wir die Behauptung.
Da nun uε − v ein lokales Maximum an einer Stelle (xε , tε ) besitzt, müssen die Gleichungen
∇uε (xε , tε ) = ∇v(xε , tε ), ∂t uε (xε , tε ) = ∂t v(xε , tε )
und die Ungleichung
−∆uε (xε , tε ) ≥ −∆v(xε , tε )
erfüllt sein. Damit ergibt sich für die regularisierte Hamilton-Jacobi-Gleichung (4.90)
∂t v(xε , tε ) + H(xε , ∇v(xε , tε )) = ∂t uε (xε , tε ) + H(xε , ∇uε (xε , tε ))
= ε∆uε (xε , tε ) ≤ ε∆v(xε , tε ).
Wir führen den Grenzwert ε → 0 durch und verwenden (xε , tε ) → (x0 , t0 ):
vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≤ 0.
(4.92)
Diese Ungleichung ist eine Konsequenz der Annahme, daß u − v an (x0 , t0 ) ein striktes lokales Maximum besitzt. Sollte dieses Maximum nicht strikt sein, betrachten wir die
Funktion
wδ (x, t) = v(x, t) + δ(|x − x0 |2 + |t − t0 |2 ), δ > 0.
Dann besitzt die Differenz u−wδ an (x0 , t0 ) ein striktes lokales Maximum, und wir schließen
wie oben ∂t wδ (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇wδ (x0 , t0 )) ≤ 0. Der Grenzwert δ → 0 liefert dann wieder
(4.92).
94
Wir haben gezeigt:
u − v besitzt ein lokales Maximum an (x0 , t0 ) ⇒ vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≤ 0.
Analog können wir beweisen:
u − v besitzt ein lokales Minimum an (x0 , t0 ) ⇒ vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≥ 0.
Dies motiviert die folgende Definition.
Definition 4.17. Eine beschränkte, gleichmäßig stetige Funktion u ist eine Viskositätslösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung (4.89), falls u(0) = u0 in Rn erfüllt ist und wenn für
alle v ∈ C ∞ (Rn × (0, ∞)) gilt:
(i) Wenn u − v ein lokales Maximum an (x0 , t0 ) ∈ Rn × (0, ∞) besitzt, dann
vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≤ 0;
(ii) Wenn u − v ein lokales Minimum an (x0 , t0 ) ∈ Rn × (0, ∞) besitzt, dann
vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≥ 0.
Bemerkung 4.18. In ähnlicher Weise können wir Viskositätslösungen von stationären
Gleichungen der Form
H(x, u, ∇u) = 0
definieren. Eine beschränkte, gleichmäßig stetige Funktion u ist eine Viskositätslösung dieser Gleichung, wenn für alle v ∈ C ∞ (Rn ) aus der Aussage, daß u − v ein lokales Maximum
(Minimum) an x0 besitzt, folgt, daß
H(x0 , u(x0 ), ∇v(x0 )) ≤ 0 (≥ 0).
In der Literatur wird zuweilen nur die Stetigkeit von u gefordert, siehe z.B. Bressan [3]. Die
Hamilton-Jacobi-Gleichung kann auch auf beschränkten Gebieten mit geeigneten Randbedingungen betrachtet werden; die Definition einer Viskositätslösung ist dann entsprechend.
Es ist sogar möglich, Viskositätslösungen für Gleichungen der Form
H(x, u, ∇u, D2 u) = 0
zu definieren, siehe die Arbeit von Crandall, Ishii und Lions [6].
Beispiel 4.19. Als Beispiel betrachten wir die Funktion H(x, p) = |p| − 1, also die Gleichung
|ux | − 1 = 0, x ∈ (−1, 1), u(−1) = u(1) = 0
(siehe Evans [10, Problem 10.4]). Wir behaupten, daß u(x) = 1 − |x| eine Viskositätslösung
ist. Für x0 6= 0 ist u stetig differenzierbar, und die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist exakt
erfüllt. Sei daher x0 = 0. Wir müssen zeigen, daß, falls u−v für eine Funktion v ∈ C ∞ (−1, 1)
ein Maximum (Minimum) an x0 = 0 besitzt, dann |vx (0)| − 1 ≤ 0 (≥ 0) erfüllt ist.
95
Falls u − v an x0 = 0 ein lokales Maximum hat, dann gilt für alle x aus einer Umgebung
von x0 = 0
1 − v(0) = (u − v)(0) ≥ (u − v)(x) = 1 − |x| − v(x).
Dies ist äquivalent zu
v(x) − v(0)
≥ −1.
|x|
Für x → 0, x > 0 folgt vx (0) ≥ −1; für x → 0, x < 0 erhalten wir vx (0) ≤ 1, also insgesamt
|vx (0)| ≤ 1.
Hat u − v an x0 = 0 ein lokales Minimum, so folgt für hinreichend kleines |x|
1 − v(0) = (u − v)(0) ≤ (u − v)(x) = 1 − |x| − v(x)
oder
v(x) − v(0)
≤ −1.
|x|
Im Grenzwert x → 0, x > 0 (bzw. x < 0) ergibt sich vx (0) ≤ −1 (bzw. vx (0) ≥ 1), also
|vx (0)| ≥ 1. Dies beweist unsere Behauptung.
Interessanterweise ist u(x) = |x| − 1 keine Viskositätslösung von |ux | − 1 = 0, denn sei
v(x) = −x2 + 1. Dann nimmt (u − v)(x) = |x| + x2 − 2 an x0 = 0 ein lokales Minimum an,
aber es ist |vx (x0 )| − 1 = 2|x0 | − 1 = −1, Widerspruch. Man kann zeigen, daß die Funktion
u(x) = |x| − 1 eine Viskositätslösung von 1 − |ux | = 0, x ∈ (−1, 1), ist.
Wenn die Lösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung gemäß der Methode des Viskositätsgrenzwerts gewonnen wurde, so ist sie wegen der obigen Betrachtungen eine Viskositätslösung. Allerdings können Viskositätslösungen auch mit anderen Techniken erhalten werden,
und in diesem Fall sind die Eigenschaften (i) und (ii) der Definition nachzuweisen.
Die obige Definition wirft einige Fragen auf:
• Sind klassische Lösungen der Hamilton-Jacobi-Gleichung Viskositätslösungen? Umgekehrt: Sind stetig differenzierbare Viskositätslösungen auch klassische Lösungen?
• Ist die Viskositätslösung eindeutig?
• Existiert eine Viskositätslösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung?
Die drei Fragen können unter geeigneten Voraussetzungen bejaht werden. Wir beweisen
dies für die ersten beiden Fragen; der Existenzbeweis ist sehr technisch, und wir verweisen
hierfür auf Evans [10, Abschnitt 10.3].
Wir beantworten zuerst die erste Frage. Sei u ∈ C 1 (Rn × [0, ∞)) eine klassische Lösung
von (4.89), die beschränkt und gleichmäßig stetig sei. Wir behaupten, daß u eine Viskositätslösung von (4.89) ist. Ist nämlich v eine glatte Funktion und nimmt u − v ein lokales
Maximum an (x0 , t0 ) an, so gilt
∇u(x0 , t0 ) = ∇v(x0 , t0 ),
96
ut (x0 , t0 ) = vt (x0 , t0 ).
Dann ist aber
vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) = ut (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇u(x0 , t0 )) = 0.
Eine ähnliche Argumentation gilt für lokale Minima. Damit ist bewiesen, daß klassische
Lösungen Viskositätslösungen sind. Für die umgekehrte Behauptung benötigen wir folgendes Lemma.
Lemma 4.20. Sei u ∈ C 0 (Rn ) an x0 ∈ Rn differenzierbar. Dann existiert eine Funktion
v ∈ C 1 (Rn ) mit den Eigenschaften
u(x0 ) = v(x0 ),
u − v besitzt ein striktes lokales Maximum an x0 .
Beweis. Der Beweis stammt von Evans [10, p. 544ff.]. Wir können ohne Einschränkung
voraussetzen, daß x0 = 0, u(0) = 0 und ∇u(0) = 0 gilt, da wir anderenfalls die Funktion
u
e(x) = u(x + x0 ) − u(x0 ) − ∇u(x0 ) · x anstatt u betrachten können, für die u
e(0) = 0 und
∇e
u(0) = 0 erfüllt ist. Eine Taylor-Entwicklung von u, u(x) = u(0) + ∇u(0) · x + o(|x|) =
o(|x|) für x → 0, zeigt, daß es eine stetige Funktion f : Rn → R gibt, so daß
u(x) = |x|f (x),
f (0) = 0.
Die Funktion
F (r) = max |f (x)|,
x∈Br (0)
r ≥ 0,
ist stetig (da f stetig ist), monoton wachsend (da die Kugeln Br (0) mit zunehmendem
Radius r größer werden), und es gilt F (0) = maxx=0 |f (x)| = |f (0)| = 0.
Mit dieser Funktion konstruieren wir nun die Testfunktion
Z 2|x|
v(x) =
F (r)dr + |x|2 , x ∈ Rn .
|x|
Wir behaupten, daß u−v ein striktes lokales Maximum an x0 = 0 hat. Wegen der Monotonie
von F können wir v abschätzen durch |v(x)| ≤ F (2|x|)(2|x| − |x|) + |x|2 . Daraus folgt zum
einen v(0) = 0, zum anderen wegen |v(x)|/|x| ≤ F (2|x|) + |x| auch ∇v(0) = 0. Aus
∇|x| = x/|x| ergibt sich
∇v(x) =
2x
x
F (2|x|) −
F (|x|) + 2x,
|x|
|x|
x 6= 0,
also ist v stetig differenzierbar auf Rn . Die gewünschte Eigenschaft folgt für x 6= 0 aus
Z 2|x|
Z 2|x|
2
u(x) − v(x) = |x|f (x) −
F (r)dr − |x| ≤ |x|F (|x|) −
F (r)dr −|x|2
|x|
|x|
{z
}
|
≤0, da F monoton wachsend
2
≤ −|x| < 0 = u(0) − v(0).
Dies bedeutet, daß u − v an 0 ein striktes lokales Maximum besitzt.
97
Der folgende Satz zeigt, daß differenzierbare Viskositätslösungen Lösungen im klassischen Sinn sind.
Satz 4.21. Sei u eine Viskositätslösung von (4.89), und sei u an der Stelle (x0 , t0 ) ∈
Rn × (0, ∞) differenzierbar. Dann gilt
ut (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇u(x0 , t0 )) = 0.
Beweis. Wir wenden das obige Lemma auf (x0 , t0 ) ∈ Rn+1 anstatt x0 ∈ Rn an: Es existiert
eine Funktion v ∈ C 1 (Rn+1 ), so daß u(x0 , t0 ) = v(x0 , t0 ) und u − v besitzt an (x0 , t0 ) ein
striktes lokales Maximum. Sei vε eine C ∞ -Regularisierung von v, so daß vε → v in C 1 (Rn+1 )
gleichmäßig in einer Umgebung von (x0 , t0 ). Dann hat u − vε ein lokales Maximum an einer
Stelle (xε , tε ) und (xε , tε ) → (x0 , t0 ) für ε → 0. Da u eine Viskositätslösung ist, folgt
∂t vε (xε , tε ) + H(xε , ∇v(xε , tε )) ≤ 0.
Wegen der gleichmäßigen Konvergenz von ∂t vε und ∇vε ergibt sich im Grenzwert ε → 0
vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≤ 0.
(4.93)
Da u − v ein lokales Maximum an (x0 , t0 ) hat und u nach Voraussetzung an dieser Stelle
differenzierbar ist, muß gelten:
∇u(x0 , t0 ) = ∇v(x0 , t0 ),
ut (x0 , t0 ) = vt (x0 , t0 ).
Setzen wir dies in (4.93) ein, so folgt
ut (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇u(x0 , t0 )) ≤ 0.
Schließlich wenden wir das obige Lemma auf −u an und erhalten die Existenz einer C 1 Funktion v, so daß u − v ein lokales Minimum an (x0 , t0 ) hat. Ähnlich wie oben folgt
dann
ut (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇u(x0 , t0 )) ≥ 0
und damit die Behauptung.
Für das Eindeutigkeitsresultat betrachten wir die Hamilton-Jacobi-Gleichung (4.89) auf
R ×(0, T ), also auf einem endlichen Zeitintervall. In der Definition von Viskositätslösungen
müssen wir dann das Intervall (0, ∞) durch (0, T ) ersetzen. Zuerst beweisen wir folgendes
Lemma.
n
Lemma 4.22. Sei u eine Viskositätslösung von (4.89) auf Rn × (0, T ). Es habe u − v ein
lokales Maximum (Minimum) an (x0 , t0 ) ∈ Rn × (0, T ]. Dann gilt
vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) ≤ 0
98
(≥ 0).
Beweis. Falls t0 < T , ist nichts zu beweisen, da die Ungleichung dann gerade der Definition
der Viskositätslösung entspricht. Sei also t0 = T , und es habe u − v an der Stelle (x0 , T )
ein striktes lokales Maximum. Wir definieren
w(x, t) = v(x, t) +
ε
,
T −t
x ∈ Rn , 0 < t < T.
Für hinreichend kleines ε > 0 besitzt u − w ein lokales Maximum an (xε , tε ) und (xε , tε ) →
(x0 , T ) für ε → 0, wobei 0 < tε < T . Weil u eine Viskositätslösung ist, folgt
wt (xε , tε ) + H(xε , ∇w(xε , tε )) ≤ 0.
Dies bedeutet
ε
+ H(xε , ∇v(xε , tε ))
(T − tε )2
= wt (xε , tε ) + H(xε , ∇w(xε , tε )) ≤ 0.
vt (xε , tε ) + H(xε , ∇v(xε , tε )) ≤ vt (xε , tε ) +
Im Grenzwert ε → 0 erhalten wir
vt (x0 , T ) + H(x0 , ∇v(x0 , T )) ≤ 0
und damit die Behauptung. Die Aussage mit einem lokalen Minimum impliziert die umgekehrte Ungleichung.
Der folgende Satz ist das Hauptergebnis unserer Untersuchungen.
Satz 4.23. Die Funktion H : Rn × Rn → R sei lipschitzstetig im folgenden Sinne: Es
existiere eine Konstante L ≥ 0, so daß für alle x, y, p, q ∈ Rn gelte
|H(x, p) − H(x, q)| ≤ L|p − q|,
|H(x, p) − H(y, p)| ≤ L(1 + |p|)|x − y|.
Dann existiert höchstens eine Viskositätslösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung (4.89).
Beweis. Der Beweis basiert auf der Methode der Variablendopplung, d.h. anstatt (x0 , t0 )
betrachten wir (x0 , y0 , t0 , s0 ). Seien u und w zwei verschiedene Viskositätslösungen von
(4.89) mit denselbem Anfangswert. Dann ist
σ=
sup
(x,t)∈Rn ×[0,T ]
(u − w)(x, t) > 0.
(Wir nehmen ohne Einschränkung an, daß σ > 0.) Wir definieren für ε, λ ∈ (0, 1)
f (x, y, t, s) = u(x, t) − w(y, s) − λ(t + s) − ε−2 |x − y|2 + |t − s|2 − ε |x|2 + |y|2 .
Das Ziel lautet, mit Hilfe der Lipschitzstetigkeit von H einen Widerspruch zur Voraussetzung λ > 0 herbeizuführen. Dazu benötigen wir eine Reihe technischer Abschätzungen.
99
1. Nach Definition sind Viskositätslösungen beschränkt; also existiert (x0 , y0 , t0 , s0 ) mit
f (x0 , y0 , t0 , s0 ) =
max
R2n ×[0,T ]2
f (x, y, t, s).
Wir können ε, λ ∈ (0, 1) so klein wählen, daß
f (x0 , y0 , t0 , s0 ) ≥ nmax f (x, x, t, t) ≥
R ×[0,T ]
σ
.
2
(4.94)
Insbesondere gilt f (0, 0, 0, 0) ≤ f (x0 , y0 , t0 , s0 ), was äquivalent ist zu
λ(t0 + s0 )+ε−2 |x0 − y0 |2 + |t0 − s0 |2 + ε |x0 |2 + |y0 |2
≤ u(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 ) − u(0, 0) − w(0, 0) .
Diese Ungleichung zeigt (wegen der Beschränktheit von u und w), daß
|x0 − y0 | + |t0 − s0 | ≤ Cε, ε |x0 |2 + |y0 |2 ≤ C
(4.95)
mit einer von ε unabhängigen Konstante C > 0. Die letztere Ungleichung impliziert mit
der Young-Ungleichung
(4.96)
ε |x0 | + |y0 | = ε1/4 ε3/4 |x0 | + |y0 | ≤ ε1/2 + Cε3/2 |x0 |2 + |y0 |2 ≤ Cε1/2 .
2. Nach Definition des Maximums haben wir f (x0 , y0 , t0 , s0 ) ≥ f (x0 , x0 , t0 , t0 ), was
äquivalent ist zu
u(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 )−λ(t0 + s0 ) − ε−2 |x0 − y0 |2 + |t0 − s0 |2 − ε |x0 |2 + |y0 |2
≥ u(x0 , t0 ) − w(x0 , t0 ) − 2λt0 − 2ε|x0 |2 .
Diese Ungleichung kann äquivalent formuliert werden als
ε−2 |x0 − y0 |2 + |t0 − s0 |2 ≤ w(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 ) − λ(t0 + s0 ) + 2λt0
− ε |x0 |2 + |y0 |2 − 2|x0 |2
= w(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 ) + λ(t0 − s0 ) + ε(x0 + y0 ) · (x0 − y0 ).
Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von w folgt
|w(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 )| ≤ ωw (|x0 − y0 | + |t0 − s0 |),
wobei ωw eine stetige Funktion mit ωw (r) → 0 für r → 0 sei. Wegen der Abschätzungen
(4.95) und (4.96) ergibt sich also
ε−2 |x0 − y0 |2 + |t0 − s0 |2 ≤ ωw (|x0 − y0 | + |t0 − s0 |),
und daher
|x0 − y0 | + |t0 − s0 | ≤ o(ε).
100
Dies verbessert die erste Abschätzung in (4.95).
3. Nun ist auch u gleichmäßig stetig, d.h.
|u(x0 , t0 ) − u(y0 , s0 )| ≤ ωu (|x0 − y0 | + |t0 − s0 |),
wobei ωu eine stetige Funktion mit ωu (r) → 0 für r → 0 sei. Nach (4.94) ist f (x0 , y0 , t0 , s0 )
≥ σ/2, also
σ
≤ f (x0 , y0 , t0 , s0 ) ≤ u(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 )
2
= u(x0 , t0 ) − u(x0 , 0) + u(x0 , 0) − w(x0 , 0) +w(x0 , 0) − w(x0 , t0 ) + w(x0 , t0 ) − w(y0 , s0 )
{z
}
|
=0
≤ ωu (t0 ) + ωw (t0 ) + ωw (|x0 − y0 | + |t0 − s0 |) .
|
{z
}
=ωw (o(ε))
Sei ε > 0 so klein, daß Obiges ωu (t0 ) + ωw (t0 ) ≥ σ/4 impliziert. Dann muß aber t0 ≥ t∗ > 0
für ein t∗ > 0 gelten. Analog können wir s0 ≥ t∗ > 0 zeigen.
4. Nach Definition nimmt f an (x0 , y0 , t0 , s0 ) ein Maximum an. Dann nimmt (x, t) 7→
f (x, y0 , t, s0 ) ein Maximum an (x0 , t0 ) an. Gemäß der Definition von f bedeutet dies, daß
u − v ein Maximum an (x0 , t0 ) annimmt, wobei
v(x, t) = w(y0 , s0 ) + λ(t + s0 ) + ε−2 |x − y0 |2 + |t − s0 |2 + ε |x|2 + |y0 |2 .
Nun ist u eine Viskositätslösung von (4.89); also gilt, ggf. unter Verwendung von Lemma
4.22,
0 ≥ vt (x0 , t0 ) + H(x0 , ∇v(x0 , t0 )) = λ + 2ε−2 (t0 − s0 ) + H x0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) + 2εx0 . (4.97)
Nach einem ähnlichen Argument wie oben besitzt (y, s) 7→ −f (x0 , y, t0 , s) ein Minimum
an (y0 , s0 ). Also hat w − v ein Minimum an (y0 , s0 ), wobei
v(y, s) = u(x0 , t0 ) − λ(t0 + s) − ε−2 |x0 − y|2 + |t0 − s|2 − ε |x0 |2 + |y|2 .
Auch w ist eine Viskositätslösung von (4.89), was
0 ≤ vs (y0 , s0 ) + H(y0 , ∇v(y0 , s0 )) = −λ + 2ε−2 (t0 − s0 ) + H y0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) − 2εy0
impliziert. Nehmen wir die Differenz von dieser Ungleichung und (4.97), so folgt
2λ ≤ H y0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) − 2εy0 − H x0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) + 2εx0 .
Nach Voraussetzung ist H lipschitzstetig (im Sinne der Voraussetzung des Satzes), so daß
wir
2λ ≤ H(y0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) − 2εy0 ) − H(y0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) + 2εx0 )
+ H(y0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) + 2εx0 ) − H(x0 , 2ε−2 (x0 − y0 ) + 2εx0 )
≤ 2εL|x0 + y0 | + L 1 + |2ε−2 (x0 − y0 ) + 2εx0 | |x0 − y0 |
≤ Cε(|x0 | + |y0 |) + C|x0 − y0 | 1 + ε−2 |x0 − y0 | + ε|x0 |
101
erhalten. Oben haben wir bewiesen, daß ε(|x0 |+|y0 |) ≤ Cε1/2 und |x0 −y0 |+|t0 −s0 | = o(ε)
gelten. Dann folgt ε−2 |x0 − y0 |2 = o(1) und der Grenzwert ε → 0 in der obigen Ungleichung
liefert |x0 − y0 | → 0 (ε → 0) und
λ ≤ 0,
was ein Widerspruch zu λ > 0 ist.
Die Frage der Existenz von Viskositätslösungen ist delikater. Sie führt auf Kontrollprobleme, da die Ungleichungen in der Definition der Viskositätslösung mit den Optimalitätsbedingungen der Kontrolltheorie zusammenhängen. Wir zitieren nur ein spezielles
Existenzresultat aus Evans [10, Abschnitt 10.3.4].
Satz 4.24. Sei H : Rn → R eine konvexe Funktion mit lim|p|→∞ H(p)/|p| = ∞ und sei
der Anfangswert u0 : Rn → R lipschitzstetig und beschränkt. Dann existiert eine eindeutige
Viskositätslösung von
ut + H(∇u) = 0
in Rn , t > 0,
u(·, 0) = u0
in Rn .
Interessanterweise ist diese Viskositätslösung explizit gegeben durch
x − y u(x, t) = minn tL
+ u0 (y) ,
y∈R
t
wobei L die sogenannte Legendre-Transformation von H ist:
L(q) = sup (p · q − H(p)),
p∈Rn
4.4
q ∈ Rn .
Eine logarithmische Gleichung vierter Ordnung
Wir stellen exemplarisch eine Gleichung vierter Ordnung vor, nämlich die Derrida-Lebowitz-Speer-Spohn-Gleichung (kurz: DLSS-Gleichung)
ut + (u(ln u)xx )xx = 0 in Ω, t > 0,
u(0) = u0 ,
(4.98)
in einem Intervall Ω = (0, 1), versehen mit den Randbedingungen
u(0, t) = u(1, t) = 1,
ux (0, t) = ux (1, t) = 0,
t > 0.
(4.99)
In gewisser Weise kann diese Gleichung als eine Verallgemeinerung der Wärmeleitungsgleichung auf höhere Ableitungen interpretiert werden, denn letztere Gleichung kann geschrieben werden als ut = uxx = (u(ln u)x )x . Die Gleichung (4.98) ist parabolisch, denn sie kann
formuliert werden als
u2 = 0,
ut + uxxxx − x
u xx
und der Hauptteil ut +uxxxx ist parabolisch. Die Gleichung (4.98) beschreibt den Grenzwert
einer gewissen Zufallsdichte, die im Zusammenhang mit Teilchensystemen mit Spin steht,
oder die Elektronendichte in einem speziellen Halbleitermaterial.
102
Die Gleichung (4.98) ist von besonderem Interesse, da die Lösungen für nichtnegative
Anfangswerte aus physikalischen Gründen ebenfalls nichtnegativ sein sollten. Bei Differentialgleichungen zweiter Ordnung kann diese Eigenschaft mit dem Maximumprinzip bewiesen werden. Dies ist bei Gleichungen höherer Ordnung im allgemeinen nicht möglich.
Man kann ein Gegenbeispiel für die Gleichung uxxxx = f mit geeigneten Randbedingungen
konstruieren (siehe Übungsaufgaben). Mit einer besonderen Technik ist es möglich, die
Nichtnegativität der Lösungen von (4.98) zu zeigen. Im allgemeinen existiert jedoch kein
Vergleichsprinzip.
Um die Existenz nichtnegativer Lösungen von (4.98)-(4.99) zu beweisen, stellen wir zwei
Techniken vor: exponentielle Variablentransformation und Semi-Diskretisierung in der Zeit.
Bei der ersten Technik schreiben wir u = ew mit einer neuen Funktion w und formulieren
(4.98) um als
(ew )t + (ew wxx )xx = 0.
In dieser Formulierung ist u = ew > 0, sofern w ∈ L∞ . Die Funktion w erfüllt die Randbedingungen w = 0 und wx = 0 auf ∂Ω = {0, 1}. Wir können also eine schwache Lösung
w ∈ H02 (Ω) suchen. Die zweite Technik bedeutet, daß wir eine semi-diskrete Gleichung
lösen:
1 wk
(e − ewk−1 ) = −(ewk (wk )xx )xx , k = 1, . . . , N,
τ
wobei τ N = T für gegebenes T > 0. Dies ist eine rekursive Gleichung: Für gegebenes
wk−1 suchen wir eine Lösung wk ∈ H02 (Ω). Der Vorteil ist, daß diese Gleichung elliptisch
ist und wir die zusätzliche Zeitabhängigkeit nicht zu betrachten brauchen. Die schwache
Formulierung lautet
Z 1
Z
1 1 wk
wk−1
ewk (wk )xx vxx dx für alle v ∈ H02 (Ω).
(e − e
(4.100)
)vdx = −
τ 0
0
Die rechte Seite definiert – für gegebenes ewk – eine Bilinearform und erlaubt die Anwendung des Lemmas von Lax-Milgram. Im folgenden gehen wir vor wie [14].
R
Proposition 4.25. Sei u0 ≥ 0 meßbar und Ω (u0 − ln u0 )dx endlich. Dann existiert eine
schwache Lösung wk ∈ H02 (Ω) von (4.100).
Beweis. Im folgenden nehmen wir an, daß wir u0 = ew0 für eine Funktion w0 ∈ L∞ (Ω)
schreiben können. Dies ist möglich, wenn u0 ∈ L∞ (Ω) strikt positiv ist. Allgemeinere Anfangswerte u0 erhalten wir in einem Approximationsargument, das wir hier nicht ausführen.
Wir benutzen den Fixpunktsatz von Leray-Schauder. Sei ewk−1 ∈ L1 (Ω). Seien ferner
w̄ ∈ H 1 (Ω) und σ ∈ [0, 1]. Sei w ∈ H02 (Ω) die eindeutig bestimmte Lösung des linearen
Problems
Z
Z
σ
w̄
e wxx vxx dx =
(ewk−1 − ew̄ )vdx, v ∈ H02 (Ω).
τ
Ω
Ω
Die linke Seite definiert eine stetige, koerzive Bilinearform a(w, v). Sie ist koerziv, da w̄
wegen der stetigen Einbettung von H 1 (Ω) nach L∞ (Ω) (nur in einer Raumdimension!)
103
punktweise essentiell beschränkt ist und damit
Z
Z
w̄ 2
2
a(w, w) =
e wxx dx ≥ exp(−kw̄kL∞ (Ω) ) wxx
dx.
Ω
Ω
Zweimaliges Anwenden der Poincaré-Ungleichung ergibt
kwk2H 2 (Ω) ≤ C1 kwxx k2L2 (Ω) ≤ C2 (w̄)a(w, w),
also die Koerzivität von a in H02 (Ω). Dies definiert den Fixpunktoperator S : H 1 (Ω) ×
[0, 1] → H 1 (Ω), S(w̄, σ) = w. Es gilt S(w̄, 0) = 0, denn mit σ = 0 ist nur das Problem
(ew̄ wxx )xx = 0 in Ω,
w = wx = 0 auf ∂Ω
zu lösen, und die eindeutige Lösung lautet w = 0. Die Stetigkeit von S kann mit den Methoden aus den Kapiteln 2 und 3 gezeigt werden. Aus der kompakten Einbettung H02 (Ω) ֒→
H 1 (Ω) folgt die Kompaktheit von S. Es bleibt also nur die gleichmäßige Abschätzung aller
Fixpunkte von S zu zeigen.
Sei w ∈ H02 (Ω) ein Fixpunkt von S. Dann löst w die Gleichung
Z
Z
σ
w
e wxx vxx dx = −
(ewk−1 − ew )vdx, v ∈ H02 (Ω).
τ Ω
Ω
Wir verwenden die geschickt gewählte Testfunktion v = 1 − e−w ∈ H02 (Ω) und erhalten
wegen (1 − e−w )xx = e−w (wxx − wx2 )
Z
Z
σ
w
wk−1
−w
(e − e
)(1 − e )dx + wxx (wxx − wx2 )dx = 0.
(4.101)
τ Ω
Ω
Die Ungleichung ex ≥ x + 1 für alle x ∈ R liefert
Z
Z
w
wk−1
−w
−w
(e − e
)(1 − e )dx = (ew − ewk−1 − 1 + |ewk−1
{z } )dx
Ω
Ω
≥wk−1 −w+1
Z
Z
≥ (ew − w)dx − (ewk−1 − wk−1 )dx.
Ω
Ω
Für das andere Integral in (4.101) verwenden wir die Randbedingungen:
Z
Z
Z
Z
1
1
3
2
2
2
(wx )x dx =
wxx
dx − (wx (1)3 − wx (0)3 )
wxx (wxx − wx )dx =
wxx dx −
3 Ω
3
Ω
Ω
ZΩ
2
=
wxx
dx,
Ω
denn wx (1) = wx (0) = 0. Damit folgt aus (4.101)
Z
Z
Z
σ
σ
w
2
(e − w)dx + wxx dx ≤
(ewk−1 − wk−1 )dx.
τ Ω
τ
Ω
Ω
(4.102)
Wir benutzen die Ungleichung ex − x ≥ 1, um zu schließen, daß kwxx kL2 (Ω) ≤ C(wk−1 ).
Mit der Poincaré-Ungleichung erhalten wir eine gleichmäßige Abschätzung für w in H 2 (Ω).
Nach dem Satz von Leray-Schauder erhalten wir die Existenz einer Lösung von (4.100). 104
Man kann zeigen, daß die Lösung von (4.100) sogar eindeutig ist (siehe [14]). Dieses
Ergebnis werden wir im folgenden jedoch nicht benötigen. Die Ungleichung (4.102) führt
unmittelbar auf eine Abschätzung, die gleichmäßig in k ist, indem wir die rekursive Ungleichung (4.102) auflösen:
Lemma 4.26. Seien w0 , . . . , wN Lösungen der rekursiven Gleichung (4.100). Dann gilt
für alle k = 1, . . . , N :
Z
Z
Z
wk
2
(e − wk )dx + τ (wk )xx dx ≤ (ew0 − w0 )dx.
Ω
Ω
Ω
Um eine Lösung der ursprünglichen Gleichung (4.98) zu erhalten, müssen wir den
Grenzwert τ → 0 durchführen. Da der Beweis verhältnismäßig aufwendig ist, skizzieren
wir nur die wesentlichen Ideen. Definiere die in der Zeit stückweise konstante Funktion
w(N ) (x, t) = wk (x),
x ∈ Ω, t ∈ ((k − 1)τ, kτ ], k = 1, . . . , N.
Lemma 4.26 zeigt, daß w(N ) (t) in H 2 (Ω) beschränkt ist. Integrieren wir über die Zeit
t ∈ (0, T ) (was wegen der stückweisen Konstanz eine Summe über k = 1, . . . , N ergibt), so
erhalten wir
kw(N ) kL2 (0,T ;H 2 (Ω)) ≤ C1 ,
(4.103)
und C1 > 0 ist unabhängig von N und τ . Die Hauptschwierigkeit ist die Herleitung einer
Abschätzung für die Zeitableitung von w(N ) , damit wir das Lemma von Aubin anwenden können. Leider existiert die Zeitableitung von w(N ) nicht (als Element eines SobolevRaumes), da die Funktion stückweise konstant bezüglich t ist. Außerdem haben wir nur
(N )
Informationen über eine diskrete Zeitableitung von ew , nicht von w(N ) . Das erste Problem
kann mit einer Verfeinerung des Lemmas von Aubin gelöst werden.
Satz 4.27 (Lemma von Aubin). Seien X, B und Y Banachräume, so daß die Einbettung
X ֒→ B kompakt und die Einbettung B ֒→ Y stetig ist. Weiter seien 1 ≤ p < ∞ und
στ : Lp (τ, T ; X) → Lp (0, T − τ ; X), (στ u)(t) = u(t − τ ), ein Shift-Operator. Sei (uτ ) eine
in t stückweise konstante Folge, die in Lp (0, T ; X) beschränkt ist und für die mit einer
Konstanten C > 0 gilt:
kuτ − στ uτ kL1 (τ,T ;Y ) ≤ Cτ
für alle τ > 0.
Dann ist (uτ ) relativ kompakt in Lp (0, T ; B).
(N )
Das zweite Problem kann gelöst werden, indem man eine Abschätzung für ew zusätzlich zu der Abschätzung (4.103) zeigt. Dazu benötigen wir die folgende Version der Gagliardo-Nirenberg-Ungleichung.
Lemma 4.28 (Gagliardo-Nirenberg-Ungleichung). Seien Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet
mit ∂Ω ∈ C 1 (n ≥ 1), 1 ≤ p, q ≤ ∞ und u ∈ H 2 (Ω) ∩ Lq (Ω). Dann gilt für eine von u
unabhängige Konstante C > 0:
k∇ukLp (Ω) ≤ CkukθH 2 (Ω) kukL1−θ
q (Ω) ,
105
wobei θ ∈ [0, 1] gegeben ist durch
n
n
n
1− =θ 2−
− (1 − θ) .
p
2
q
Wir zeigen folgende Abschätzungen für ew
(N )
.
Lemma 4.29. Es gilt für eine von N unabhängige Konstante C > 0:
1
(N )
(N )
(N )
kew kL5/2 (0,T ;W 1,1 (Ω)) + kew − στ ew kL10/9 (τ,T ;H −2 (Ω)) ≤ C2 .
τ
Beweis. 1. Zuerst bemerken wir, daß für x ≥ 0 gilt
(4.104)
x2
x2
−x=1+
≥x
2
2
(die letzte Ungleichung ist äquivalent zu (x − 1)2 + 1 ≥ 0); andererseits ist für x < 0
ex − x ≥ 1 + x +
ex − x ≥ −x = |x|.
Daher folgt aus der Abschätzung aus Lemma 4.26
Z
Z
Z
wk
C(w0 ) ≥ (e − wk )dx ≥
wk dx +
Ω
{wk ≥0}
für alle k ≥ 0. Dies impliziert
{wk <0}
|wk |dx =
Z
Ω
|wk |dx
kw(N ) kL∞ (0,T ;L1 (Ω)) ≤ C,
(4.105)
wobei C > 0 eine generische, von N unabhängige Konstante sei. Die gleiche Abschätzung
aus Lemma 4.26 zeigt, daß
(N )
kew kL∞ (0,T ;L1 (Ω)) ≤ C.
(4.106)
2. Wir wenden die Gagliardo-Nirenberg-Ungleichung für p = ∞ und q = 1 an:
Z T
Z T
5θ/2
5(1−θ)/2
(N ) 5/2
(N ) 5/2
kw(N ) kH 2 (Ω) kw(N ) kL1 (Ω) dt,
kwx kL∞ (Ω) dt ≤ C
kwx kL5/2 (0,T ;L∞ (Ω)) =
0
0
wobei 1 = θ(2 − 1/2) − (1 − θ) = 5θ/2 − 1, also θ = 4/5. Dies ergibt
Z T
(N ) 1/2
(N ) 5/2
kwx kL5/2 (0,T ;L∞ (Ω)) ≤ kw kL∞ (0,T ;L1 (Ω))
kw(N ) k2H 2 (Ω) dt ≤ C
0
wegen (4.103) und (4.105). Weiter erhalten wir
Z T Z
5/2
5/2
w(N )
w(N ) (N )
k(e
)x kL5/2 (0,T ;L1 (Ω)) =
|e
wx |dx
dt
0
Ω
Z T Z
5/2
(N )
5/2
≤
ew dx
kwx(N ) kL∞ (Ω) dt
0
Ω
Z
5/2 Z T
5/2
w(N )
≤ sup
e
dx
kwx(N ) kL∞ (Ω) dt
t∈(0,T )
≤
Ω
0
(N ) 5/2
5/2
kew kL∞ (0,T ;L1 (Ω)) kwx(N ) kL5/2 (0,T ;L∞ (Ω))
106
≤C
(N )
wegen (4.106) und der obigen Abschätzung für wx . Dies zeigt die erste Behauptung.
(N )
3. Wir schätzen die diskrete Zeitableitung von ew ab:
τ −1 kew
(N )
− στ e w
(N )
10/9
kL10/9 (τ,T ;H −2 (Ω)) = k(ew
(N )
(N )
10/9
(N )
wxx
)xx kL10/9 (τ,T ;H −2 (Ω))
10/9
(N )
≤ kew wxx
kL10/9 (0,T ;L2 (Ω))
Z T
(N ) 10/9
10/9
kew kL∞ (Ω) kw(N ) kH 2 (Ω) dt.
≤
0
Wenden wir die Hölder-Ungleichung mit p = 9/4 und p′ = 9/5 an, so folgt
Z T
4/9 Z T
5/9
−1 w(N )
w(N ) 10/9
w(N ) 5/2
τ ke
− στ e
kL10/9 (0,T ;H −2 (Ω)) ≤
ke
kL∞ (Ω) dt
kw(N ) k2H 2 (Ω) dt
=
0
0
w(N ) 4/9·2/5
(N ) 5/9·1/2
ke
kL5/2 (0,T ;L∞ (Ω)) kw kL2 (0,T ;H 2 (Ω))
≤C
wegen (4.103) und (4.106). Damit ist das Lemma bewiesen.
(N )
Wir können also das Lemma von Aubin anwenden auf ew
mit X = W 1,1 (Ω), B =
2
−2
1,1
L (Ω) und Y = H (Ω). Beachte, daß die Einbettung W (Ω) ֒→ L2 (Ω) in einer Raumdimension kompakt ist. Wir erhalten die Existenz einer Teilfolge mit
ew
(N ′ )
→ u in L5/2 (0, T ; L2 (Ω)) für N ′ → ∞.
Mit N ′ → ∞ gilt natürlich τ ′ = T /N ′ → 0. Wegen (4.103) gilt außerdem
′
w(N ) ⇀ w
in L2 (0, T ; H 2 (Ω)).
Aus (4.104) folgt
1 w(N )
(N ) ⇀ y in L10/9 (0, T ; H −2 (Ω)).
e
− στ e w
τ
Dann ist y = ut wegen der Eindeutigkeit der Grenzwerte.
(N ′ )
Wir behaupten, daß u = ew gilt. Wegen ew
→ u punktweise fast überall gilt auch
′
(N ′ )
w(N )
w
= ln e
→ ln u punktweise fast überall. Über die Integrierbarkeit von ln u ist
′
damit noch nichts ausgesagt. Allerdings ist w(N ) ⇀ w in L2 (0, T ; H 2 (Ω)), d.h., wir haben
ln u = w ∈ L2 (0, T ; H 2 (Ω)). Damit können wir u = ew fast überall in Ω × (0, T ) schreiben,
und es gilt ew ∈ L5/2 (0, T ; L2 (Ω)). Beachte, daß wir nicht u > 0 schließen können, da w nicht
notwendigerweise aus L∞ (Ω × (0, T )) sein muß (wir wissen nur, daß w ∈ L2 (0, T ; L∞ (Ω))).
Wir können nun in der schwachen Formulierung (4.100) den Grenzwert τ ′ → 0 durchführen und erhalten eine Lösung von (4.98)-(4.99). Die Lösung u ist nichtnegativ, denn aus
(N )
(N ′ )
ew > 0 erhalten wir u = limN ′ →∞ ew
≥ 0. Wir fassen zusammen:
SatzR 4.30 (Globale Existenz für die DLSS-Gleichung). Seien u0 ≥ 0 eine meßbare Funktion
mit Ω (u0 − ln u0 )dx < ∞ und T > 0. Dann existiert eine schwache Lösung u ≥ 0 von
(4.98)-(4.99) mit
u ∈ L5/2 (0, T ; W 1,1 (Ω)),
ut ∈ L10/9 (0, T ; H −2 (Ω)),
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ln u ∈ L2 (0, T ; H02 (Ω)).
Falls u0 ≥ C > 0 strikt positiv ist, könnte man vermuten, daß die schwache Lösung
u(t) > 0 ebenfalls positiv ist und nicht nur nichtnegativ. Dies kann für hinreichend kleine
und hinreichend große t > 0 bewiesen werden; der allgemeine Fall ist offen. Die Schwierigkeit ist, daß kein Maximumprinzip zur Verfügung steht. Wir haben dieses Problem für
(N )
den Beweis der Nichtnegativität vermittels der Transformation u(N ) = ew > 0 umgangen. Leider verlieren wir im Grenzwert N ′ → ∞ die strikte Ungleichung und erhalten nur
′
u = limN ′ →∞ u(N ) ≥ 0. Für weitere Ergebnisse dieser Gleichung verweisen wir auf [13].
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