Selbst regeln, nicht dienen

SEITE EINS
DEUTSCHER ÄRZTETAG
Selbst regeln, nicht dienen
Egbert Maibach-Nagel
oviel vorweg: Deutschlands Gesundheitsversorgung lebt gut mit der ärztlichen Selbstverwaltung. Grundsätzlich stellt das – egal ob Öffentlichkeit,
Politik, Jurisdiktion oder auch Patienten – niemand in
Frage. Nicht zu vergessen: Das auf Basis der Selbstverwaltung agierende Gesundheitswesen ist eines der besten auf dieser Erde.
Trotzdem hat das Bundesgesundheitsministerium
(BMG) vor Beginn des Deutschen Ärztetages in einem
Brief die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV) angemahnt, Monita der
staatlichen Aufsicht umzusetzen. Es geht um in der
Fachöffentlichkeit diskutierte zurückliegende Unregelmäßigkeiten bei gezahlten Geldern und Immobilienangelegenheiten, die geprüft wurden, an denen laut KBV
gearbeitet wurde und wird und über die, so der KBVVorstandsvorsitzende Dr. med. Andreas Gassen, in Teilen jetzt deutsche Gerichte zu entscheiden haben.
Weil bei Nichtabstellung der Beanstandungen die
Einsetzung eines Staatskommissars droht, hat sich die
Vertreterversammlung entschlossen, dem BMG durch
Beschlüsse zu signalisieren, dass der Kommissar nicht
nötig ist, in der Sache die Forderungen des BMG umgesetzt werden. Aus Sicht der Selbstverwaltung war
dieser Schritt das kleinere Übel, zumal entsprechende
Schritte ohnehin schon auf dem Plan standen. Die KBV
machte gegenüber der Aufsicht aber auch deutlich: Die
Einsetzung des Kommissars wäre ein Bärendienst für
Deutschlands Ärzteschaft, es wäre sogar, so Gassen,
Verrat an der Identität der deutschen Ärzteschaft.
Dieser Vorgang wirft aber auch Fragen nach Genese
und Umfeld auf, die der Deutsche Ärztetag in der Öffentlichkeit bewusst machen und auch diskutiert wissen
möchte. Es geht um den immer enger werdenden Handlungsrahmen ärztlicher Selbstverwaltung, es geht um
die immer frappantere Einmischung in ein Geschehen,
das qua Gesetz die Ärzteschaft selbst regeln soll und
auch regeln will. Nachteilig ist, dass der Gesetzgeber
durch fortdauernde Regulierung und Bürokratisierung
das eigentlich gute System zunehmend einschränkt.
S
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 21 | 27. Mai 2016
Das Ergebnis ist ein immer enger werdendes Korsett, das dem System die Luft abschnürt, die künftig
immer wichtigere Flexibilität und Handlungsfreiheit
der Selbstverwaltung verhindert. Den Rest erledigen
vom Gesetzgeber ins Spiel gebrachte Instrumente wie
Wettbewerb, Ökonomisierung oder auch die ständige
Ausweitung der Gruppe mitspracheberechtigter nichtärztlicher Berufe und Organisationen.
Trotzdem weisen die Vertragsärzte auf ihrer Vertreterversammlung neue Wege auf und stoßen Prozesse
an. Beispielsweise durch das jetzt beschlossene Konzept „KBV 2020“. Es präsentiert Ideen, wie die Gesellschaft ihr Gesundheitswesen an die anstehenden Herausforderungen anpassen kann. Und die Ärzteschaft
weist auf dem Deutschen Ärztetag mit Sorge auf die
zunehmende Übermacht von Ökonomisierung und
Fremdbestimmung hin.
Sicherlich trifft auch auf die Selbstverwaltung des
Gesundheitswesens zu, dass keiner „mit Steinen werfen
sollte, ...“. In diesem komplexen System kann es keine
wirklich „Unschuldigen“ mehr geben. Aber wer heute
Weichen stellen muss, braucht eine Zielbestimmung für
die Zukunft. Darüber muss gesprochen werden.
Die Ärzteschaft will hier Pflöcke einschlagen, damit
möglich bleibt, was das System so dringend braucht:
Selbstverwaltung, nicht willfährige Staatsdienerei.
Egbert Maibach-Nagel
Chefredakteur
A 1005