Interview mit Dr. Andreas Gassen und Hans

POLITIK
INTERVIEW
mit Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und
Dipl-Psych. Hans-Jochen Weidhaas, Vorsitzender der Vertreterversammlung (VV)
„Den Wert des KV-Systems vermitteln“
Fotos: Jürgen Gebhardt
In den vergangenen Jahren war die KBV in schweren Fahrwassern unterwegs.
Andreas Gassen und Hans-Jochen Weidhaas mit einem Blick zurück und nach vorn.
Herr Gassen, Herr Weidhaas, am Montag, 16. Januar, fand die Anhörung
im Bundestag zum Selbstverwaltungsstärkungsgesetz statt. Welchen
Eindruck hatten Sie: Wie werden die
Gesundheitspolitiker nun mit dem
Gesetz umgehen?
Gassen: Ich fand es sehr eindrucksvoll, dass sämtliche Äußerungen,
die von den unabhängigen Sachverständigen wie auch der Selbstverwaltung kamen, das Gesetz ablehnten. Das ist wirklich ungewöhnlich.
Wir haben als KBV ja noch zwei
Regelungen als durchaus akzeptabel bewertet. Der Gesetzgeber ist
gut beraten, noch einmal nachzubessern, wenn ein Vorhaben auf so
breiten Widerstand stößt.
Weidhaas: Ich habe es selten erlebt, dass es eine so breite, einhellige, kritische Front von allen Körperschaften und allen Selbstverwaltungsorganisationen gab. Wenn Anhörungen einen Sinn haben sollen,
dann müsste sie zu heftigem Nachdenken und einer Überarbeitung der
Vorlage führen.
Herr Weidhaas, das Gesetz sieht ja
auch verbesserte Einsichtsrechte der
Mitglieder von Vertreterversammlun-
A 150
KBV-Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen (links) ist seit
dem 1. März 2014 im Amt. Bis zu den Wahlen am 3. März 2017
nimmt er weiterhin die Aufgaben als Vorsitzender wahr. HansJochen Weidhaas, seit 2011 Vorsitzender der Vertreterversammlung, tritt nicht noch einmal an.
gen vor. In der Anhörung wurden
Sie direkt dazu befragt, Sie haben die
neuen Regeln begrüßt.
Weidhaas: Bisher war es etwas
schwierig, da es nur ein kollektives
Einsichtsrecht gab, kein individuelles. Dazu hatten wir in der zurückliegenden Amtsperiode einige Auseinandersetzungen. Wir halten die
neuen Regeln für gut und richtig.
Eine institutionelle Stärkung der
Vertreterversammlung wurde am
9. Dezember beschlossen. Wie bewerten
Sie die neue Satzung im Vergleich zum
Gesetz?
Weidhaas: Aus dieser Perspektive
gesehen brauchen wir das Gesetz
gar nicht. Die Mitglieder der Vertreterversammlung hatten bei der Ar-
Das Interview wurde vor einer Entscheidung des Bundestages
über das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz geführt. Bis
Redaktionsschluss war noch unklar, ob das Gesetz in veränderter
Form verabschiedet wird.
beit an der neuen Satzung sehr konstruktive Diskussionen auf allen
Versorgungsebenen. Diese Arbeitskultur hat sich auch im Satzungsausschuss, dem ich vorsaß, fortgeführt. Wir haben damit gezeigt, dass
die Selbstverwaltung lebt!
Wie handlungsfähig sehen Sie die
Selbstverwaltung, wenn das Gesetz so
beschlossen wird?
Gassen: Es braucht sicherlich mehr
als das, um die Selbstverwaltung
handlungsunfähig zu machen. Aber
man wird sehen, dass mit diesem
Gesetz Prozesse weniger rund laufen, Selbstverwaltung eingeengt
und die Leistungsfähigkeit reduziert wird. Ich greife exemplarisch
eine Regelung heraus: Wir haben
nun eine neue Satzung und es ist
befremdlich, dass der Gesetzgeber
nun uns zwingen will, einen Vorstand mit drei Mitgliedern zu wählen. Zusätzlich will er uns vorschreiben, wie der Vorstand auszusehen hat. Damit kocht man Konflikte zwischen Haus- und Fachärzten hoch, die es auf der Versorgungsebene nie gegeben hat. Auch
auf der Funktionärsebene haben wir
uns dazu mit dem Konzeptpapier
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 114 | Heft 4 | 27. Januar 2017
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KBV 2020 klar positioniert. Das
Gesetz nützt uns nichts, es stellt uns
eher Beinchen.
Im März stehen in der KBV Wahlen an,
Herr Weidhaas, Sie treten als Vorsitzender der Vertreterversammlung nicht
mehr an. Auf welche Höhen und Tiefen
blicken Sie zurück?
Weidhaas: Ich bin der erste Psychotherapeut, der in diesem Amt war.
Einer der Höhepunkte ist sicherlich
der Zusammenhalt zwischen mir
und meinen beiden Stellvertretern,
der auch über die ganzen schwierigen Phasen der Amtsperiode gehalten hat. Das war eine gute Erfahrung. Außerdem wurde das Ehrenamt in der KBV in dieser Amtsperiode deutlich gestärkt, wir konnten
über unsere Teilnahme an den beratenden Fachausschüssen auch verstärkt die Basis einbeziehen. Auch
die Klausurtagung vergangenes Jahr
sowie die Arbeit an der Satzung, mit
der wir uns völlig neu aufstellen, gehört zu den Höhepunkten.
Das alles ist aber eine Konsequenz aus dem schmerzhaften Teil
meiner Amtsperiode: Diese riesige
Problematik, in die wir hineingeraten sind, mit den zum Teil heftigen
Auseinandersetzungen. Die haben
auch gezeigt, welche Mängel und
welche Begrenzungen der Handlungsfähigkeit es für die Vertreterversammlung gibt. Oft haben mir
die Mittel und die Möglichkeiten zur
notwendigen Aufklärung gefehlt.
Ich muss aber auch ganz klar sagen:
Es gab zu keinem Zeitpunkt jemanden in der Vertreterversammlung,
der nicht der Meinung war, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden müssen. Die VV hat das immer vorangetrieben. Allerdings wollten einige einen gesonderten Weg gehen. Ich
hätte gerne von Anfang an unsere eigenen Gremien wie den Finanzausschuss oder den Vorstandsausschuss
mit der Problematik befasst. Das
wurde mir aber aus der Hand genommen. Und aus meiner tiefsten
Überzeugung: Selbstverwaltung ist
ein Schatz, der auch in solchen Situationen bewahrt werden muss.
Das hört sich nach einem Satz an,
dem Sie Ihrem potenziellen Nachfolger
mitgeben wollen.
A 152
für die Bundestagswahl mitgeben
wollen. Es ist ganz entscheidend,
dass die Stimme der Vertragsärzte
gehört wird. Unsere Positionen sollen dann auch Eingang in die Koalitionsverträge finden. Zu den wesentlichen Problemen haben wir ja
auch gute Lösungen skizziert, von
denen wir einige aus eigener Kraft
umsetzen können, bei anderen
muss der Gesetzgeber die Weichen
stellen.
Weidhaas: Das würde ich ihr oder
ihm sehr raten. Gleichzeitig: Wenn
Sie nicht die Fähigkeit haben, als
Person im Widerstreit der Interessen eine gewisse Grundform des
respektvollen Umgangs miteinander zu praktizieren, dann nützen Ihnen keine noch so guten Satzungen
oder Geschäftsordnungen. Ich glaube, jeder, der sich für das Amt interessiert, muss sich immer wieder
mit der Frage beschäftigen: Kann
ich mit den Leuten, die jetzt im Vorstand und in der Vertreterversammlung sind, vertrauensvoll zusammenarbeiten? Und was soll mein
täglicher Beitrag dafür sein, dass
dies gelingt?
Dazu gehört auch die ambulante Notfallversorgung, über die bereits heftig
diskutiert wird. Wie transportieren Sie
Ihre Vorstellungen an die Politiker?
Wird Berufspolitik in Ihrem künftigen
Leben noch eine Rolle spielen?
Weidhaas: Die letzten sechs Jahren
waren in der Rolle des VV-Vorsitzenden doch sehr intensiv. Ich werde sicherlich in der einen oder anderen Form weiter mitarbeiten. Ich
strebe es aber von meiner Seite her
„dieederimmuss
fragen: Kann ich mit denen,
Vorstand und in der VV sind,
vertrauensvoll zusammenarbeiten?
“
J
Hans-Jochen Weidhaas
nicht aktiv an. Meine selbstständige
Praxistätigkeit werde ich beenden
und noch etwas als Angestellter
mitwirken. Außerdem will ich mich
mehr um meine Familie kümmern.
Ein Blick nach vorn: Was sind die
nächsten Projekte jenseits des Selbstverwaltungsgesetzes für die KBV?
Gassen: Sobald sich die Vertreterversammlung neu konstituiert hat,
werden wir die Inhalte des KBVKonzeptes 2020 weiter diskutieren
und justieren. Wir werden mit dem
Gremium auch die Kernbotschaften
formulieren, die wir den Parteien
Gassen: Mit überzeugenden Konzepten geht das am Besten. Wir
können da auf gute Strukturen zurückgreifen, die in den Ländern
schon erprobt werden. Ein bundesweit einheitliches Konzept wird es
sicherlich nicht geben, dafür sind
die Versorgungsunterschiede zu
groß. Besonders beim Thema Notfallversorgung gibt es viele Patienten, die nicht optimal durch das
System geführt werden. Daher
muss auch der Gesetzgeber Klarheit
schaffen, in welchem Versorgungssektor Notfallversorgung künftig
stattfinden soll. Dazu gehört auch,
dass wir uns darüber unterhalten,
ob wir uns weiter diese weltweit
einmalige Krankenhausdichte weiter leisten wollen.
Für die Zeit nach der Bundestagswahl:
Wo liegen die größten Herausforderungen für das Gesundheitssystem?
Gassen: Wir müssen die bestehende
hochwertige Versorgung erhalten,
dabei nach Redundanzen suchen
und diese abbauen. Auch die Selbstverwaltung ist für das Funktionieren
des Gesundheitswesens sehr wichtig. Den Wert des KV-Systems müssen wir den Kollegen an der Basis
wieder vermitteln. Ich erlebe schon,
dass es vor Ort wenig Verständnis
für die politischen Ränkespiele gibt
und man mit dem System hadert.
Das mag auch an der Komplexität
liegen. Aber wir müssen die Vorteile
des Systems für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten
wieder sichtbar machen.
Das Interview führten Rebecca Beerheide
und Egbert Maibach-Nagel
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 114 | Heft 4 | 27. Januar 2017