Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Patti Smith: M Train. Erinnerungen
Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit
Verlag Kiepenheuer und Witsch
17,99 Euro
Rezension von Claudia Fuchs
Dienstag, 10.05.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Von Claudia Fuchs
Der erste Teil von Patti Smiths Autobiografie "Just Kids" wurde 2010 in den USA mit dem
National Book Award im Bereich Sachbuch ausgezeichnet. Jetzt hat die amerikanische
Sängerin und Dichterin Patti Smith, die mit ihrem Album "Horses" und ihrer "Patti Smith
Group" ab 1975 Kultstatus erlangte, einen weiteren autobiografischen Band vorgelegt.
Das "M" im Titel "M Train" steht für "mind", für "Gedanken". Patti Smith möchte die Leser
zu den Stationen ihres "Gedankenzugs" mitnehmen.
Manche Buchtitel sind trügerisch. "Erinnerungen" ist der Untertitel von Patti Smiths
Text-Sammlung "M Train", aber die Rock-Ikone der siebziger Jahre legt hier eben nicht
den zweiten Teil ihrer Autobiografie vor. Nach dem Erfolg von "Just Kids", in dem sich
Patti Smith an ihre frühen Jahre in der New Yorker Underground-Szene erinnert, mäandert
die einst gefeierte Urmutter des Punk jetzt in achtzehn Kapiteln, die sie "Haltestellen"
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nennt, wild durch sämtliche Textsorten. In einer Mischung aus Alltagsprotokollen,
Reiseberichten und Traumsequenzen folgen wir der 68jährigen Patti Smith beim Versuch,
als Legende würdevoll zu altern. Als Leser schwankt man dabei zwischen Schrecken und
Mitleid. Natürlich ist es leichter, über hoffnungsvolle Anfänge zu schreiben, als über die
Verluste, die das Alter mit sich bringt. Aber Autorinnen wie der Amerikanerin Joan Didion
gelang es, ihre Verlusterfahrungen durch selbsterkundende Reflexion in gewinnbringende
Erkenntnisse zu verwandeln. Patti Smith macht einfach weiter. Sie habe aufgeschrieben,
was immer ihr in den Sinn gekommen sei, sagt sie über die Texte in "M Train". Ohne
Entwurf und Bearbeitung habe sie einfach immer weiter geschrieben.
Das Rohe, Direkte und Expressive, das ihren Musik-Performances einen mitreißenden
Charakter verlieh, nutzt sich aber ab, wenn man es auf über dreihundert Buchseiten
ausdehnt. Ihre assoziativen Gedankensplitter zum Kubrick-Film "Eyes Wide Shut" oder zu
Silvia Plaths Gedichtsammlung "Ariel" sind leider weder anregend noch neu. Die Routine
des morgendlichen Cafébesuchs strukturiert die Tage der freiberuflichen Autorin, die
alleine mit ihren Katzen lebt und sich von Vollkorntoast und Spaghetti ernährt.
Was beim Leser dennoch wächst, ist der Respekt vor einer Frau, die sich als Autodidaktin
durch den unbedingten Willen zur Kunst selbst neu erschaffen hat. Patti Smith, bekannt
auch als Ex-Freundin des skandalumwitterten Fotografen Robert Mapplethorpe, hat wenig
formale Bildung. Um so begieriger saugt die College-Abbrecherin Literatur mit Hilfe selbst
erstellter Leselisten auf und man ist angerührt von ihrem grenzenlosen Bildungshunger.
Bis heute ist sie eine Getriebene, ruhelos zwischen London, Tokio und Berlin unterwegs,
inneren Frieden findet sie nur stundenweise in ihrem New Yorker Stammcafé. Patti Smith
ist eine eifrige Pilgerin zu den Gräbern und Gedenkstätten ihrer Vorbilder Rimbaud, Genet,
Frida Kahlo und Mishima, die sie auf Polaroid-Fotos festhält. Smith hat eine intensive
Beziehung zu Dingen, trauert um den Verlust einer Kamera und eines geschenkten
Mantels. Kaum ist allerdings in diesem Buch von ihren beiden erwachsenen Kindern die
Rede oder ihren beiden Schwestern. Auch Freunde tauchen nur sporadisch auf.
Um so intensiver bewegen Patti Smith, die viele ihrer früheren Künstlergefährten überlebt
hat, die Erinnerungen an die Toten. Der Ehemann Fred "Sonic" Smith, Gitarrist der
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Gruppe MC5, starb 1994, ihr Bruder und Tourmanager einen Monat später. Ihre
Jugendliebe Robert Mapplethorpe verlor sie schon 1989 durch seine AIDS-Erkrankung.
Patti Smith ist eine einsame, aber keine unzufriedene Frau, der die eigene Künstleridentität immer sehr wichtig war. Jetzt hat sie sich auf das literarische Feld gewagt, ihren
fiktiven Texten in "M Train" merkt man das mühsame Ringen um literarisches Schreiben
an. Smiths Bilder sind romantisch-verrätselt, ihre Texte oft pseudo-philosophisch, wenn
der dichtende Protagonist sich bedeutungsschwanger fragt: "Wann sind wir wir selbst?"
und "in seinem vom Mondlicht erhellten Mantel über schneebedeckte Ufer stapft." Das ist
eher lustig als literarisch. Wenn Smith in stilisierten Bildern von "langen Pelzen" schreibt,
"gefüttert mit schwerer Seide von der Farbe alten Pergaments", wächst der Verdacht, dass
die Arbeitertochter aus Philadelphia literarische Kunst imitiert, aber keine Kunst schafft.
Die fast einhellige Begeisterung der amerikanischen Kritiker über diese nachgeschobene
Autobiografie ist aus deutscher Sicht wenig nachvollziehbar. Brigitte Jakobeits
Übersetzung orientiert sich an der klaren, einfach strukturierten Sprache des Originals.
Aber: Patti Smith verkörpert perfekt den amerikanischen Mythos des "self-made man" in
weiblicher Form und ist wohl deshalb inzwischen zur unangreifbaren Ikone erstarrt.
Patti Smith: M Train. Erinnerungen. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte
Jakobeit. Verlag Kiepenheuer und Witsch, 17,99 Euro
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