Rechtsjournal | April 2016 Obliegenheitsverletzungen im Versicherungsrecht Inhalt Erholungsurlaub auch noch nach Elternzeit? Seite 2 Streit um Kosten für Rettungsflug Seite 3 Wohnung unbrauchbar: Miete um 100 Prozent gemindert Seite 4 Bitte beachten Sie, dass die rechtlichen Sachverhalte aus den Beiträgen nicht ohne weiteres auf den Einzelfall übertragen werden können. Zu konkreten Rechtsfragen kontaktieren Sie unbedingt Ihren Rechtsanwalt. Pflichtverstöße bei alten Versicherungspolicen folgenlos In Versicherungsverträgen hat der Versicherungsnehmer sogenannte Obliegenheiten zu beachten. Das sind Verhaltenspflichten, die Gefahren vorbeugen und Versicherungsfälle verhindern oder zumindest mindern sollen. Tritt ein Versicherungsfall ein, versuchen Versicherungen manchmal die Zahlung zu vermeiden, indem sie dem Versicherungsnehmer vorhalten, er habe z.B. gegen seine Anzeigepflicht, Auskunftspflicht oder Mitwirkungspflicht verstoßen. Bis 31.12. 2007 galt das vormalige Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Danach war es auch so, dass der Versicherer die Leistungen ganz verweigern konnte, wenn der Versicherungsnehmer gegen eine Obliegenheit grob fahrlässig verstoßen hatte. Es galt also das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Seit dem 1. 1. 2008 mit der Einführung des neuen VVG hatte der Gesetzgeber die damit einhergehende Ungerechtigkeiten aufheben wollen. Er hat daher geregelt, dass je nach Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers ein entsprechender Betrag von der zu zahlenden Versicherungsleistung abgezogen werden kann. Doch die Versicherungsunternehmen haben die alten Verträge nicht an das neue Versicherungsrecht angepasst. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei Entscheidungen (zuletzt: Urteil vom 2.4.2014, Az. IV ZR 124/13) geklärt, dass das aktuelle Recht auf solche Altverträge grundsätzlich anwendbar ist. Bei nicht oder nicht ordnungsgemäß angepassten Versicherungsbedingungen gelten auch die Regelungen des neuen VVG. So führt der BGH dazu aus, dass dann aber die Rechtsfolgen ausweislich der alten Bedingungen aufgrund Unwirksamkeit ersatzlos wegfallen. Dies bedeutet, dass bei einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers eines Altvertrages diese folgenlos bleibt und er selbst dann die volle Versicherungsleistung fordern kann. Wegen einer Übergangsregelung gilt das nur für Versicherungsfälle, die nach dem 31.12.2008 eingetreten sind. Aber auch hiervon gibt es wiederum Ausnahmefälle, die stets zuvor von einem Fachanwalt für Versicherungsrecht geprüft werden sollten. Rechtsanwalt und u.a. Fachanwalt für Versicherungsrecht Dr. Eberhard Frohnecke, Osnabrück 1 Rechtsjournal | April 2016 Bundesarbeitsgericht entscheidet über bisher ungeklärte Frage Erholungsurlaub auch noch nach Elternzeit? Laut Elternzeitgesetz (BEEG, § 17 II) ist der Urlaub auf das Kalenderjahr nach dem Ende der Elternzeit befristet. Nicht geklärt war bislang die Frage, ob zusätzlich auch der Übertragungszeitraum des § 7 III Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) anwendbar ist – danach kann der Urlaub auf das folgende Kalenderjahr übertragen werden, wenn dringende Gründe vorliegen. Und das gilt auch, wenn es sich um „alten Urlaub“ aus der Zeit vor der Elternzeit handelt, hat das BAG jetzt klargestellt. Diese Ansprüche seien kein „Urlaub 2. Klasse“, so das Gericht, das außerdem darauf hinweist, dies müsse auch für ähnlich gelagerte Fälle mit Arbeitnehmerinnen im Mutterschutz gelten. Im vorliegenden Fall unterlag die Arbeitnehmerin ab April 2011 aufgrund ihrer Schwangerschaft einem Beschäftigungsverbot. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie im Jahr 2011 auch keinen Erholungsurlaub genommen. Nach der Geburt des Kindes beanspruchte die Arbeitnehmerin eine Elternzeit, die am 10.12.2012 endete. Im Anschluss Foto: Caroline Oporto Geht ein Arbeitnehmer in Elternzeit, bleibt sein alter Urlaubsanspruch bestehen – und überträgt sich auf das Jahr nach der Elternzeit. Das urteilte jetzt das Bundesarbeitsgericht. daran war sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 8.1.2014 krankgeschrieben. Vor Gericht machte die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage aus dem Jahr 2011 geltend. Doch das BAG hielt die Klage für begründet. Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2011 war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder vollständig noch teilweise verfallen. Die Arbeitnehmerin habe den Urlaub zunächst wegen des Beschäftigungsverbots nicht nehmen können (§ 17 Satz 2 MuSchG). Mit dem Antritt der Elternzeit unmittelbar im Anschluss an das Beschäftigungsverbot war dies ebenfalls nicht möglich. Damit hatte die Arbeitnehmerin ihren nicht genommenen Urlaub aus dem Jahr 2011 im gesam- ten Jahr des Ablaufs der Elternzeit, mithin im Jahr 2013, beanspruchen können. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass solche Urlaubsansprüche nicht durch ein zwischenzeitliches Beschäftigungsverbot oder Elternzeit verfallen, vielmehr nach Rückkehr aus der Elternzeit zusätzlich beansprucht werden können. Eine wirksame Möglichkeit, sich vor weiteren Ansprüchen einer solchen Arbeitnehmerin zu schützen, wäre, dieser mitzuteilen, dass im Anschluss an die Elternzeit der Urlaubsanspruch im Rahmen einer zwischenzeitlich erklärten Kündigung mit Freistellung angerechnet wird. Diese Mitteilung muss dann aber nicht nur schriftlich erfolgen, sondern idealerweise auch per Einschreiben. Rechtsanwältin Dr. Stefanie Frohnecke, Osnabrück 2 Rechtsjournal | April 2016 Muss die Auslandskrankenversicherung Flugkosten zur Notoperation übernehmen? Streit um Rettungsflug aus dem Ausland Geklagt hatte eine Frau, die auf einer Portugalreise mit einer schweren Infektion in ein Krankenhaus in Lissabon eingeliefert worden war. Dort hatte man sie zwar untersucht, ein dringend erforderlicher operativer Eingriff unterblieb jedoch. Am nächsten Morgen hatte sich die Klägerin von Lissabon nach Düsseldorf fliegen lassen. Dort wurde sie in einer Klinik noch am gleichen Tag operiert. Denn sie litt an einer schweren Bauchfellentzündung mit Sepsis, beginnendem Multiorganversagen und Entgleisungen von Blutsalzen - es bestand akute Lebensgefahr. Die Kosten für den Rücktransport in Höhe von insgesamt 21.500 Euro reichte sie bei ihrer privaten Krankenversicherung ein. Doch die weigerte sich, den Betrag zu erstatten. Das Versicherungsunternehmen hielt den Rücktransport medizinisch nicht für notwendig und argumentierte, die Klägerin hätte sich auch in Portugal weiter behandeln lassen können. Falls dort eine medizinisch notwendige Behandlung aufgrund des Behandlungsfehlers unterblieben sei, Foto: Wesley Wilson Zahlt eine Auslandskrankenversicherung den Rücktransport nach Deutschland, wenn der Versicherte auf Reisen lebensbedrohlich erkrankt? Über diese Frage hatte das Oberlandesgericht Hamm zu entscheiden. könnte dies nicht zulasten des Versicherers gehen. Die Klägerin hatte eine sogenannte langfristige Auslandskrankenversicherung unterhalten. Nach den dortigen Versicherungsbedingungen hat der Versicherer die für einen medizinisch notwendigen Rücktransport aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland entstehenden Kosten auch dann zu erstatten, wenn sie den üblichen Reisepreis übersteigen. Die Klage war erfolgreich. Das OLG Hamm entschied (Urteil vom 30.10.2015, Az. 20 U 190/13), dass der Versicherer die Transportkosten umfassend ausgleichen muss. Nach Ansicht des Gerichts war der Rücktransport medizinisch notwendig. Denn nach den objek- tiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen sei es vertretbar gewesen, den Rücktransport am Morgen nach der stationären Einlieferung zu veranlassen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme habe festgestanden, dass die gebotene operative Behandlung der Klägerin in Lissabon nicht gewährleistet gewesen sei. Ein möglicher Behandlungsfehler der dortigen Ärzte stelle die Leistungspflicht der beklagten Versicherung nicht infrage. Auch in diesem Fall hat sich gezeigt, dass es gerade in versicherungsrechtlichen Auseinandersetzungen eines exakten Sachvortrags nebst Beweisangeboten durch einen Fachanwalt für Versicherungsrecht bedarf. Rechtsanwalt und u.a. Fachanwalt für Versicherungsrecht Dr. Eberhard Frohnecke, Osnabrück 3 Rechtsjournal | April 2016 Schimmel, Feuchtigkeit, kaputter Fußboden – und dann kam auch noch der Lärm Foto: Ellinor Fischer Wohnungsmiete um 100 Prozent gemindert Schimmel, feuchte Wände und ein aufgebrochener Fußboden – das sind Mängel, die ein Mieter nicht hinnehmen muss. Er kann die Miete mindern. Doch wieviel ist angemessen? Das sollten betroffene Mieter nicht ohne anwaltlichen Rat enscheiden. Grundsätzlich ist der Vermieter verpflichtet, eine zu Wohnzwecken überlassene Mietsache mangelfrei und zur Nutzung nach dem üblichen Gebrauch zur Verfügung zu stellen. Kommt es – wie im vorliegenden Fall aus Berlin – zu Schimmelbildung im Bad, zum Aufbrechen des Laminats aufgrund der Feuchtigkeit in der Wohnung und sind dazu noch die Balkonfliesen schadhaft, rechtfertigt dies eine Minderung des Kaltmietzinses von 33 Prozent, so entschied das Amtsgericht Schöneberg (Az. 109 C 256/07). Doch der Rechtsstreit ging noch weiter. Denn Grund für die Mängel war eine defekte Wasseruhr in der Wohnung. Der dadurch entstandene Wasserschaden konnte nur durch Einsatz von Trocknungsgeräten behoben werden. Diese verursachten über längere Zeit erheblichen Lärm, weshalb der Mieter die Kaltmiete weiter minderte. In Bezug auf die Schimmelbildung im Bad hatte das Amtsgericht eine Mietminderung von 10 % für angemessen erachtet. Wegen der teilweise fehlenden Fliesen auf dem Balkon war eine Mietminderung von 3 % zugesprochen worden – und aufgrund des aufgebrochenen und welligen Laminats war eine Minderungsquote von 20 Prozent zugesagt. Die lauten Trocknungsgeräte haben aber die Minderungsquote schließlich auf 100 % ansteigen lassen, befand das Gericht. Denn der dauerhafte Geräuschpegel von mehr als 50 dB (A) machte nach Ansicht des Gerichts die Nutzung der Wohnung insgesamt unzumutbar. Denn man könne bei einem solch dauerhaften Lärmpegel weder schlafen noch sich anderweitig erholen. Darüber hinaus hatte der Mieter nach Ansicht des Amtsgerichts einen Anspruch auf Ersatz der Stromkosten, die ihm durch die Trocknungsanlage entstanden waren. Vor einer Mietminderung ist der Vermieter aber stets schriftlich und unter Fristsetzung aufzufordern, die möglichst genau zu bezeichnenden Mietmängel zu beheben bzw. fachgerecht beheben zu lassen. Erst wenn der Vermieter dem nicht oder nicht umfassend nachkommt, kann die Miete gemindert werden. Auch hier ist Vorsicht geboten. Denn eine zu hohe Mietminderung kann dazu führen, dass in einem Rechtsstreit Kosten für den Mieter entstehen. Eine vorherige anwaltliche Beratung ist daher immer geboten. Rechtsanwalt und u.a. Fachanwalt für Versicherungsrecht Dr. Eberhard Frohnecke, Osnabrück Impressum: Punkt & Company – Agentur für Kommunikation V.i.S.d.P.: Ulrich Damm - Rienziplatz 4 - 81927 München - Telefon: +49 89 99 67 98 15 - Fax: +49 89 99 67 98 17 E-Mail: [email protected] – www.punktundcompany.de 4
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