Smart cities - Bayerischer Rundfunk

1
Manuskript
SENDUNG: 17.07.2015
9.05 Uhr / B2
AUFNAHME:
STUDIO:
NaTe
Ab 8. Schuljahr
TITEL:
Smart cities
Eine Zeitreise in die intelligente Stadt der Zukunft
AUTOR:
Lukas Grasberger
REDAKTION:
Nicole Ruchlak
REGIE:
Susi Weichselbaumer
PERSONEN:
Sprecher 1 (weiblich)
Sprecher 2 (männlich): Andreas Neumann
Zitator
Overvoice (männlich)
GESPRÄCHSPARTNER:
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Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
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2
Beginn mit Zukunftsmusik, darüber
SPR 1 (Sprecherin)
Die Nacht zum 11. Juli 2030 war stürmisch. Fabian Futuro hat nicht gut geschlafen,
eine kalte Dusche würde ihn wachmachen. Die Regenwassertanks auf dem Dach
sind dank des Gewitters gut gefüllt, der Regen wird automatisch gefiltert. Seit Jahren
schon versorgt sich das Wohnhaus selbst mit Wasser. Ein Warnsignal hält Fabian
kurz ab vom morgendlichen kalten Nass: Zu hoher Blutdruck, und an Gewicht hat er
auch zugelegt – das zumindest haben die Sensoren in seinem Schlafzimmer
berechnet.
Atmo Zukunftsmusik ein paar Sekunden hoch
Der Zentralrechner der Zukunftsstadt rät Fabian Futuro, mit dem Fahrrad ins Büro zu
fahren – der Gesundheit wegen. Die Radroute ist heute ohnehin die schnellste,
meldet das digitale Verkehrsleitsystem an Fabians Tablet. Nach einem kurzen Kaffee
macht er sich auf den Weg – nicht ohne vorher den Bio-Müll runterzubringen. Dazu
reicht ein Knopfdruck: Schon jagt der Unrat dank Unterdruck in der Entsorgungsröhre
zum benachbarten Biogaskraftwerk. Klimaschonend versorgt es seit ein paar Jahren
das ganze Viertel mit Strom.
Atmo Zukunftsmusik kurz, dann
SPR 2 (Sprecher)
Die Geschichte von Fabian Futuro ist nur noch zum Teil eine Zukunftsvision: Mit
Hochdruck arbeiten Stadtplaner, Elektronikkonzerne und Politiker bereits an der
intelligenten Metropole von morgen. Im Wüstensand von Abu Dhabi oder im Süden
der koreanischen Hauptstadt Seoul wird sie aktuell vom Reißbrett gebaut. Seit
Kurzem sind so genannte Smart Cities auch in Europa groß im Kommen. 2012
startete die EU ihre „Innovationspartnerschaft für intelligente Städte und
Gemeinschaften“. Dreistellige Millionenbeträge steckt die Kommission seitdem in
Leuchtturmprojekte.
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Die Bundesregierung setzt bei ihrer High-Tech-Strategie 2020 auf die nachhaltige,
lebenswerte und wandlungsfähige „Morgenstadt“.
Werbeclip „Morgenstadt“, Fraunhofer FOKUS
„Was wäre, wenn jedes Haus ein kleines Kraftwerk ist, das Energie produziert,
speichert – und mit anderen teilt? Wenn Fassaden multifunktional sind, und je nach
Bedarf die Luft reinigen? Wenn sich die Menschen untereinander – und mit der Stadt
vernetzen, und aktiv Entscheidungen mitgestalten?
SPR 2
Ein Werbeclip für die „Morgenstadt“, an der ein Dutzend Fraunhofer-Institute
forschen - gemeinsam mit Kommunen und Konzernen- tüfteln. Die InformatikProfessorin Ina Schieferdecker baut an dieser „Smart City“ mit.
O-Ton 1 Prof. Ina Schieferdecker, Fraunhofer FOKUS (44‘‘)
„Smart City ist eine Vision, wo es darum geht, dass Informations- und
Kommunikationstechnologien die Arbeits- und Lebensqualität in der Stadt
verbessern. (…)Zu wissen: Wie steht‘s eigentlich mit der Verkehrsauslastung, mit der
Umweltbelastung, mit der Beteiligung in der Stadt – was auch immer. Das neue
Momentum dabei ist das der Informations- und Kommunikationstechnologien, was
erlaubt a) alle Akteure zusammenzubringen und b) viel zeitnaher und dynamisierter
zu agieren.“
SPR 2
Durch einen ständigen Informationsaustausch zwischen den Akteuren- etwa
zwischen Autofahrern mit einer Verkehrszentrale –
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können Staus verhindert, aber auch Energie und Wasser gespart oder die Sicherheit
verbessert werden. Was die Berliner Informatik-Professorin Schieferdecker nüchtern
formuliert, klingt in den Ohren von Urbanisten verheißungsvoll: Denn die
drängendsten Herausforderungen der Zukunft werden Städte lösen müssen: Bereits
heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, 2050 sollen es nach
Schätzungen der Vereinten Nationen 80 Prozent sein. Besonders die in
Schwellenländern boomenden Mega-Cities hoffen auf technische Lösungen ihrer
schier überbordenden Probleme: Staus und Smog, Energieknappheit und
Entsorgungsprobleme, Armut und soziale Ausgrenzung.
ZWISCHENÜBERSCHRIFT
Zitator: „Smart Cities – Die Euphorie der Technologien“
SPR 2
Mit den neuen Möglichkeiten, selbst riesige Datenmengen zu verarbeiten, scheinen
große Städte nun das passende Werkzeug für ihre Probleme an die Hand zu
bekommen. Vor allem Elektronikkonzerne entwickeln daher Smart-City-Konzepte –
sie wittern ein Riesengeschäft: Das Forschungsinstitut der Deutschen Bank schätzt,
dass bis 2030 weltweit 40 Billionen Dollar in Smart-City-Technologien investiert
werden müssten, um Städte zukunftsfähig zu machen. Die erste schlüsselfertige
Smart City vom Reißbrett wächst derzeit im japanischen Fujisawa aus dem Boden.
Vom Leitungsnetz über die Straßenlaternen, vom Haus bis zur Mikrowelle – alles
stammt von Panasonic. Der Konzern verheißt nichts weniger als die Lösung der
Energieprobleme auf lokaler Ebene.
O-Ton 2 Hans-Rainer Schwattal, Panasonic Umweltchef
Wenn das alles erledigt ist, soll diese Stadt wirklich autark für sich sein. Alle
Wohnhäuser werden aus eigen gewonnener Energie betrieben. Wir haben hier
unsere Photovoltaik-Zellen (…)Von hier oben wird die Sonnenenergie aufgefangen
und geht in die Akkublocks rein. Diese Akkublocks können in einer solchen Menge
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zusammengeschaltet werden, dass sie ganze Einkaufszentren versorgen können.
Das ist enorm, was da gespeichert werden kann.
SPR 2
Wer sich virtuell durch Fujisawa bewegt, dem fällt der scharfe Kontrast zwischen
Schwarz und Weiß ins Auge: Das Weiß der Akkublocks, die sich – ein wenig wie
Kühlschränke – an die baugleichen Einfamilienhäuser schmiegen. In den
blütenweißen Wänden stecken gut dämmende Vakuumplatten, die bisher
Kühlschränke isolierten. Die Dächer dominiert dagegen das Schwarz der Solarzellen,
sie verstecken sich teils hinter Büschen oder im akkurat abgezirkelten, öffentlichen
Beet. ((Um die Stadtmitte gruppieren sich die Retortenhäuser im Kreis: Was in der
Schwarz-Weiß-Kombination ein wenig an das Symbol von Yin und Yang erinnert.
Vielleicht kein schlechtes Bild – denn um das Prinzip der Kreisläufe geht es auch bei
Fujisawa. Die intelligente Vernetzung von innen und außen – das ist das Neue an
der smarten Retorten-Stadt.)) Sharing-Programme für Elektroautos und Fahrräder
sind an die Infrastruktur angepasst, Häuser, Garagen, öffentliche Parkplätze und
Einrichtungen sind so entworfen, dass sie eine komfortable, gemeinschaftliche
Nutzung von Elektrofahrzeugen sowie ein einfaches Aufladen der Batterien erlauben.
O-Ton 3 Schwattal
„Es sind diese Geräte alle vernetzt, und der Strom wird so abgerufen, wie man ihn
halt wirklich benötigt. Es kann also eingestellt werden, wann das Auto geladen
werden soll, sie können das Auto in die Garage stellen morgens, und sagen: Ok, ich
will aber nur nachts den Strom haben, das macht alles dieses System. Das gute an
diesem System ist, es muss nicht in die Wände verlegt werden, weil es kein Kabel
gibt. Das geht alles über Funk.“
Atmo Zukunftsmusik, dann
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SPR 1
Fabian Futuro hat spontan beschlossen, in der Mittagspause nach Hause zu fahren.
Fabians Heimweg ist vertrackt: Er muss zwischendurch seinen alten Vater zum Arzt
bringen. Der digitale Verkehrsmanager auf seinem Mobilgerät berechnet dafür die
schnellste Route: Per Bahn geht es zum nächsten Car-Sharing-Fahrzeug, das
rollstuhlgerecht ist. Sein Vater kann kaum noch laufen, jeder Weg ist mühsam. Der
Diabetiker übermittelt seine Blutzuckermessungen daher elektronisch an den Doktor.
Heute sind die Werte besorgniserregend, per Video-Chat haben sich Patient und Arzt
für eine Sprechstunde „in echt“ verabredet.
Atmo Zukunftsmusik kurz
SPR 2
Die Anforderungen an die smarte Stadt der Zukunft sind im „alten Europa“ ganz
andere als in den rapide wachsenden Metropolen von Asien, Afrika oder
Lateinamerika. In Europa überaltert die Bevölkerung eher, barrierefreie Wege durch
die Stadt stehen daher auf der Agenda. Sensortechnik könnte Gehbehinderten hier
den Weg weisen. Kleine Eingriffe also, die die Stadt schlau machen - statt dem
großen Wurf. Ina Schieferdecker vom Fraunhofer-Zentrum für Smart Cities spricht
hier von einem „Brownfield“-Ansatz, der auf dem alten Kontinent dominiert. Im
Gegensatz zu „Greenfield“, der smarten Stadt, die in Asien auf die grüne Wiese oder in den Sandboden - gesetzt wird.
SPR 2
Eines der größten Projekte smarter Stadterneuerung in Europa ist derzeit im
französischen Lyon im Gange. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung gestaltet
Toshiba das vernachlässigte Industrie- und Hafengebiet Confluence zu einem CO2freien Viertel um. Mit Absicht sind kaum Parkplätze geplant, damit Bewohner wie
Besucher sich Elektro-Fahrräder und –Autos teilen. Wald und Wiesen statt Parks
sollen Wildtiere ins Viertel locken. Vor allem aber ist Lyon Confluence erst einmal ein
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lebendes Labor, in dem Daten erhoben werden, um die Bedürfnisse in der Stadt
besser zu kennen.
O-Ton 5 Alain Kergoat, Toshiba France, OV (34’’)
„Ein zentraler Baustein von Lyon Confluence ist es, der Stadtverwaltung neue
Werkzeuge an die Hand zu geben, um nachhaltige Zukunftsplanung betreiben zu
können. ((Bevor man dafür politische Maßnahmen trifft, braucht man einen Überblick.
Derzeit gibt es niemanden, der diesen Gesamtüberblick hat.)) Wir entwickeln ein
Energiemanagement-System auf kommunaler Ebene, das allen Beteiligten vor Ort
mitteilt, wo wie viel Energie verbraucht wird. Nun können sie mit einem Blick auf ein
Armaturenbrett überwachen, was in ihrem Viertel passiert.
SPR 2
Kommunale Verantwortliche sollen so lernen können, wie sich Treibhausgase
einsparen lassen, sagt Alain Kergoat von Toshiba Frankreich.
Um zu wissen, wo Fassaden neu gedämmt werden müssen, wird schon in einzelnen
älteren Gebäuden ein Energie-Überwachungssystem installiert, wie etwa bei knapp
300 Sozialwohnungen des Viertels. Jeder einzelne Bewohner kann seinen Strom,
Wasser oder Gas-Verbrauch auf einem Bildschirm in Echtzeit nachvollziehen – und,
wenn etwa ein Trockner besonders viel Strom saugt - die Wäsche lieber in die Sonne
hängen. Alain Kergoat:
O-Ton 6 Kergoat OV
„Wir wollen dass die Leute ihren Verbrauch kennen - und sie in die Pflicht nehmen,
ihr Verhalten zu ändern“
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SPR 2
Doch wo wird die Erziehung zum Energiesparen zur sozialen Gängelung? Wie steht
es mit dem Datenschutz? Wie lebenswert und vor allem wie lebensnah ist überhaupt
eine smarte Stadt?
Zitator:
Verwundbarkeit und Fremdbestimmung: Kritische Blicke auf die Smart City
SPR 2
Schon der Aufbau einer smarten Stadt birgt große Tücken, sagt der Berliner Experte
für Cyber-Sicherheit, Sandro Gaycken. Gaycken warnt vor Schwachstellen, die
bereits in die Software der Smart Cities eingebaut werden.
O-Ton 11 Gaycken
„Ein riesiges Problem sind auch die Innentäter, gerade in den Entwicklerteams. Wir
wissen auch bei diesen ganzen Riesenkonzernen, die haben ja tausende Entwickler,
die sind natürlich alle nicht sicherheitsüberprüft. Da gab es schon mehrfach Fälle, wo
man Hintertüren oder Fehler bewusst eingebaut hat, von Leuten, die nachher vom
organisierten Verbrechen oder von Nachrichtendiensten bezahlt waren.“
SPR 2
Das größte Geschäft mit intelligenten Städten winkt Elektronikkonzernen ohnehin in
einem Land, das selber seit langem wegen Cyber-Spionage Schlagzeilen macht. Ein
Land, in dem Datenschutz und Bürgerrechte zweitranging sind: China.
Mehr als 20
Smart Cities will allein die chinesische Regierung neu errichten. Auch in einem
anderen Schwellenland locken lukrative Geschäfte. Der neue indische Premier
Narendra Modi hat angekündigt 100 neue smarte Städte zu bauen. Mit im Boot dabei
ist Siemens, das bereits mehrere Städte in Indien mit smarten Stromnetzen
ausgerüstet hat. Aber was ist von dieser Goldgräberstimmung bei Konzernen zu
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halten, die mit smarten Megacities in Schwellenländern das große Geschäft wittern?
Schließlich haben diese Länder oft viel grundsätzlichere Probleme als nur die
Optimierung einer Infrastruktur: schlechte Straßennetze, instabile Energienetze,
mangelnde Wasserversorgung. Der Berliner Informatiker Sandro Gaycken ist noch
aus einem anderen Grund skeptisch:
O-Ton 8 Sando Gaycken, IT-Sicherheitsexperte, FU Berlin
„Gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern ist es sehr viel schwieriger mit
diesen Strukturen, weil die noch sehr viel weniger Expertise haben als wir, um diese
Systeme auch sicher zu betreiben – und zu warten! ((Das zu gewährleisten, ist bei
uns schon eine riesige Aufgabe mit erheblichen Personalproblemen – und wir sind
eine High-Tech-Nation. Ob das Schwellen- und Entwicklungsländer so leisten
können? Da bin ich sehr skeptisch.)) Die kaufen sich da wahrscheinlich einen
riesigen Berg an Folgeaufträgen ein, den sie jetzt noch gar nicht so richtig erkennen.“
SPR 2
Ohnehin ist in jüngster Zeit an Stelle der Smart-City-Euphorie eine gewisse
Ernüchterung getreten: Megalomanische Pilot-Projekte wie Songdo oder Masdar
stagnieren: Die arabische Vorzeige-Stadt Masdar hat noch immer mit den Folgen der
Finanzkrise zu kämpfen. Das erhoffte Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ist
ausgeblieben, Investoren haben sich zurückgezogen. Das koreanische Songdo
erreicht 15 Jahre nach Baustart gerade einmal gut ein Viertel der erhofften 250.000
Einwohner – zu steril scheint vielen Koreanern die Retortenstadt.
SPR 2
Den Diskurs prägen nicht mehr nur die fortschrittsgläubigen Technologie-Apologeten,
sondern auch kritischere Stimmen. Sind smarte Städte überhaupt lebenswert?
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10
Diese Frage stellte etwa der renommierte US-Soziologe Richard Sennett auf der
Urban-Age-Konferenz von Alfred-Herrhausen-Stiftung und der London School of
Economics 2012 in London.
O-Ton 9 Richard Sennett, US-Soziologe OV
„Konzepte wie Songdo oder Masdar rauben Städten den Genius, der aus Menschen
kompetente Bewohner macht. Sie benutzen Technologie, um Menschen der
Fähigkeit zu berauben, Komplexität zu überhaupt lernen: Mit Uneindeutigkeiten
umzugehen; es zu ertragen, wenn unsere Aktionen nur unvollständig gelingen; den
Unterton einer Aussage zu verstehen – das lernen wir in städtischen Interaktionen.
Diese Urteilsfähigkeit wird uns nun von der Technologie abgenommen. Wir sind in
der Gefahr, Technik auf eine Weise einzusetzen, die die Bevölkerung betäubt und
verdummt“
SPR 2
„Technologie ist die Antwort. Aber was ist überhaupt die Frage?“ fragt dazu der
britische Urbanist Dan Hill. Dahinter steht die Sorge, dass smarte Planung und
Betrieb von Städten Probleme ignorieren könnten, die sich nicht technisch lösen
lassen - wie etwa Armut und soziale Ausgrenzung. Je mehr Städte intelligente
Infrastrukturen von Konzernen betreiben lassen, um so mehr geraten Aufgaben der
öffentlichen Verwaltung in private Hände, warnt der Stadtplaner Anthony Townsend
von der New York University.
Trenner „Zukunftsmusik“ s.o.
SPR 2
Townsend spricht von „De-Facto-Gesetzen“, die in Algorithmen einprogrammiert
werden, die die smarte Städte steuern. Sie seien öffentlicher Kontrolle durch die
Bürger entzogen. Wenn Städte zentrale, intelligente Infrastruktur einkaufen, kann
dies zudem über Jahrzehnte die Bahnen vorbestimmen, in denen sich das städtische
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Leben entwickelt. Das Konzept eines „Zentral-Gehirns“, das wie Big Brother jedes
noch so kleine Problem seiner Bürger zu lösen versucht, sieht der Berliner IT-Experte
Sandro Gaycken noch aus einem anderen Grund skeptisch.
O-Ton 10 Gaycken
„Zentralität ist immer interessant für potenzielle Angreifer oder auch für Unfälle.
Wenn ich also alles zentral von einer Stelle abhängig mache, zentrale Netzwerke
aufbaue, dann brauche ich eben nur diesen einen zentralen Punkt angreifen oder der
muss ausfallen - und es fällt alles aus. Im schlimmsten Fall könnte man mit einem
Klick eine ganze Smart City ausschalten.“
SPR 2
Sieht Gaycken eine Lösung für diese Sicherheitsprobleme? Nein, denn sowohl die
hochsichere IT, die Smart Cities verwenden müssten, als auch die umfassenden
Konzepte dazu steckten weltweit erst in der Entwicklungsphase. Sensible Bereiche
dürfe man ohnehin gar nicht ans Netz zu nehmen. Das aktuelle Fazit des
Wissenschaftlers fällt vernichtend aus.
O-Ton 12 Gaycken
„Ich halte Smart Cities im Moment für Unfug“
„Smart City zum Selbermachen: Bauen mündige Bürger schlauere Städte?
SPR 2
Ob in den alten Industrienationen oder aufstrebenden Schwellenländern - intelligente
Städte müssten mit Augenmaß – und vor allemgemeinsam mit den Bürgern
entwickelt werden, mahnt Ina Schieferdecker.
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12
O-Ton 13 Schieferdecker
"Ich bin fest überzeugt davon, dass man die Lösung für eine Stadt der Zukunft
eigentlich aus den Städten heraus entwickeln muss. Das geht nur durch ein
Miteinander, und nicht durch ein Überstülpen.“
SPR 2
Für Berlin arbeitet Schieferdecker an der City Data Cloud: Smart wird die Stadt nach
dieser Idee nicht durch ein Herrschaftswissen, das sich unzugänglich in Algorithmen
intelligenter Prestigebauten versteckt. Sondern durch möglichst viel frei fließende
Information, auf die Bürger, Firmen, Verkehrsbetreiber und Energieversorger
zugreifen können. Offene Daten aus der Verwaltung liefern diese Informationen, wie
etwa Kartenmaterial.
Aber auch Sensoren. Heute zeigt etwa eine fest montierte Kamera eine starre
Momentaufnahme bei einem Großereignis. Zukünftig liefern kleine sensorische
Helferlein ein Echtzeit-Lagebild, das sich ständig aktualisiert. So können sich Polizei,
Rettungsdienste oder Nahverkehr viel effizienter koordinieren.
O-Ton 14 Schieferdecker (26‘‘)
Je mehr Informationen für die anderen zur Verfügung stehen, desto besser kann der
eigene Dienst erbracht werden. Es ist immer so, dass verschiedene Akteure
beitragen und durch die Überlagerung der verschiedenen Informationen
Mehrwertdienste entstehen können: Also die Einsatzkräfte viel passgenauer und
zeitnaher reagieren können, auch besser die Bevölkerung informieren können.
Trenner Zukunftsmusik - Szenerie Fußball…
SPR 1
Es ist Abend geworden in der Zukunftsstadt. Fabian Futuro ist mit seinem Vater auf
der Fanmeile – Deutschland spielt zur WM 2030. Ein Fußballkrimi, die
Nationalmannschaft führt. Doch die ausgelassene Stimmung kippt: In der Ecke der
Futuros wird extrem viel Alkohol getrunken. Dies verraten die schlauen Sensoren in
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den Mülleimern, die eigentlich nur für eine rechtzeitige Leerung sorgen sollten. Der
nächsten Toilettenwagen meldet, dass sich hier binnen Kurzem viele Männer
erleichtern. Korreliert ergibt das ein Muster, das Ärger erwarten lässt. Den Futuros ist
der Spaß vergangen, sie machen sich auf den Heimweg. Sie gelangen reibungslos
nach Hause - dank der Wheelmap, einer digitalen Karte, auf die ehrenamtliche
Nutzer behindertengerechte U-Bahn-Stationen eingetragen haben.
SPR 2
Die Wheelmap beweise, dass das Wissen der Masse mindestens so wichtig für eine
menschenfreundliche Zukunfts-Stadt ist wie etwa Sensoren, sagt Ina Schieferdecker.
Die Menschen vor Ort wüssten, was dort funktioniere – und was nicht. Um wirkliche
Transparenz und Beteiligung in Städten hervorzubringen, seien daher offene
Datenplattformen wichtig. Digitale Bürgerbeteiligung erprobt Fraunhofer FOKUS
damit etwa in Dortmund. Die Technologie soll dabei den Menschen dienen - nicht ihn
beherrschen, betont Schieferdecker.
O-Ton 15 Schieferdecker (58‘‘)
Indem man zum Beispiel mit einem Fix-my-city-Ansatz herangeht: Und Vorschläge,
Eingaben, Meldungen aus der Bevölkerung aufnimmt. (…) Das ist das berühmte
Schlagloch, aber auch die Dreckecke, oder der kaputte Mülleimer oder einer Ampel,
die permanent in die eine Richtung staut und in der anderen viel zu gut freigeschaltet
ist. All das wird reingegeben in die Verwaltung, wird verfolgbar für den Bürger, und
jetzt kann man überlegen, wie die Bürger auch selber beteiligt werden, vielleicht das
eine oder andere auch selber zu lösen. Das ist ein neues Verständnis des
Miteinanders. Nicht: Der Bürger meckert gegenüber der Verwaltung, sondern man ist
gemeinsam bemüht, sich a) zu informieren b) die Abläufe nachvollziehbar zu
gestalten und c) am Ende zu einer besseren Situation in der Stadt zu kommen.
SPR 2
Bürger können dank offener Daten und neuer technischer Werkzeuge wie
Smartphone-Apps vom Informationsempfänger, vom bloßen Nutzer zum Gestalter
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ihrer Städte werden, glaubt der Stadtplaner Marc Altenburg. Die Stadt wird so zum
lernenden System – dank des Inputs ihrer Bewohner.
O-Ton 16 Marc Altenburg, Stadtplaner und -forscher
Sie leben in den Stadtteilen, sie wissen, wo die Probleme sind, sie wissen, was dem
jeweiligen Stadtteil gut tun würde – oder dem Quartier. Dieses Wissen tragen die
Bewohner der Stadt in sich. Und das ist relevant anzuzapfen und abzuzweigen.
Deren Wissen aufzunehmen für eine weitere Stadtplanung. Dass die Menschen als
Sensoren fungieren können, die in der Stadt herumlaufen.
SPR 2
„Vom Smart Phone zur Smart City zur Open City“ – so nannte Altenburg
programmatisch ein Vortrag, den er unlängst mit seinem Kollegen Stefan Höffken bei
der „New Thinking“-Konferenz in Berlin gehalten hat.
Altenburg O-Ton 17
Wenn man von einer Smart City redet, denkt man oft vor allem an technologischen
Innovationen – vom Smart Phone über die Sensoren. Das ist aber nur der halbe
Gedanke dabei. Denn eine Stadt funktioniert nicht ohne diesen Zusammenhalt
zwischen Menschen, zwischen verschiedenen Netzwerken oder den so genannten
kleinen Milieugruppen in einer Stadt.
SPR 2
Mit smarten Werkzeugen kreative Milieus fördern will etwa der Leerstandsmelder.
Auf dieser digitalen Karte können Nutzer per Smartphone oder Internet-PC
ungenutzte Ladenlokale eintragen - und so Möglichkeitsräume schaffen für eine
Stadtentwicklung von unten.)) Aktive Bürger könnten so – Mosaikstein für digitalen
Mosaikstein – an ihrer „Morgenstadt“ bauen, statt zu passiven Konsumenten einer
dominierenden Technologie werden.
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Am Ende stünde dann kein Konzern, der eine zentral gesteuerte, gut geölte SmartCity-Maschine in den Sand setzt. Sondern das Wissen der Masse, die sich selber
eine lebenskluge Stadt nach Menschenmaß schafft.
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