1 Manuskript SENDUNG: 17.07.2015 9.05 Uhr / B2 AUFNAHME: STUDIO: NaTe Ab 8. Schuljahr TITEL: Smart cities Eine Zeitreise in die intelligente Stadt der Zukunft AUTOR: Lukas Grasberger REDAKTION: Nicole Ruchlak REGIE: Susi Weichselbaumer PERSONEN: Sprecher 1 (weiblich) Sprecher 2 (männlich): Andreas Neumann Zitator Overvoice (männlich) GESPRÄCHSPARTNER: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 2 Beginn mit Zukunftsmusik, darüber SPR 1 (Sprecherin) Die Nacht zum 11. Juli 2030 war stürmisch. Fabian Futuro hat nicht gut geschlafen, eine kalte Dusche würde ihn wachmachen. Die Regenwassertanks auf dem Dach sind dank des Gewitters gut gefüllt, der Regen wird automatisch gefiltert. Seit Jahren schon versorgt sich das Wohnhaus selbst mit Wasser. Ein Warnsignal hält Fabian kurz ab vom morgendlichen kalten Nass: Zu hoher Blutdruck, und an Gewicht hat er auch zugelegt – das zumindest haben die Sensoren in seinem Schlafzimmer berechnet. Atmo Zukunftsmusik ein paar Sekunden hoch Der Zentralrechner der Zukunftsstadt rät Fabian Futuro, mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren – der Gesundheit wegen. Die Radroute ist heute ohnehin die schnellste, meldet das digitale Verkehrsleitsystem an Fabians Tablet. Nach einem kurzen Kaffee macht er sich auf den Weg – nicht ohne vorher den Bio-Müll runterzubringen. Dazu reicht ein Knopfdruck: Schon jagt der Unrat dank Unterdruck in der Entsorgungsröhre zum benachbarten Biogaskraftwerk. Klimaschonend versorgt es seit ein paar Jahren das ganze Viertel mit Strom. Atmo Zukunftsmusik kurz, dann SPR 2 (Sprecher) Die Geschichte von Fabian Futuro ist nur noch zum Teil eine Zukunftsvision: Mit Hochdruck arbeiten Stadtplaner, Elektronikkonzerne und Politiker bereits an der intelligenten Metropole von morgen. Im Wüstensand von Abu Dhabi oder im Süden der koreanischen Hauptstadt Seoul wird sie aktuell vom Reißbrett gebaut. Seit Kurzem sind so genannte Smart Cities auch in Europa groß im Kommen. 2012 startete die EU ihre „Innovationspartnerschaft für intelligente Städte und Gemeinschaften“. Dreistellige Millionenbeträge steckt die Kommission seitdem in Leuchtturmprojekte. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 3 Die Bundesregierung setzt bei ihrer High-Tech-Strategie 2020 auf die nachhaltige, lebenswerte und wandlungsfähige „Morgenstadt“. Werbeclip „Morgenstadt“, Fraunhofer FOKUS „Was wäre, wenn jedes Haus ein kleines Kraftwerk ist, das Energie produziert, speichert – und mit anderen teilt? Wenn Fassaden multifunktional sind, und je nach Bedarf die Luft reinigen? Wenn sich die Menschen untereinander – und mit der Stadt vernetzen, und aktiv Entscheidungen mitgestalten? SPR 2 Ein Werbeclip für die „Morgenstadt“, an der ein Dutzend Fraunhofer-Institute forschen - gemeinsam mit Kommunen und Konzernen- tüfteln. Die InformatikProfessorin Ina Schieferdecker baut an dieser „Smart City“ mit. O-Ton 1 Prof. Ina Schieferdecker, Fraunhofer FOKUS (44‘‘) „Smart City ist eine Vision, wo es darum geht, dass Informations- und Kommunikationstechnologien die Arbeits- und Lebensqualität in der Stadt verbessern. (…)Zu wissen: Wie steht‘s eigentlich mit der Verkehrsauslastung, mit der Umweltbelastung, mit der Beteiligung in der Stadt – was auch immer. Das neue Momentum dabei ist das der Informations- und Kommunikationstechnologien, was erlaubt a) alle Akteure zusammenzubringen und b) viel zeitnaher und dynamisierter zu agieren.“ SPR 2 Durch einen ständigen Informationsaustausch zwischen den Akteuren- etwa zwischen Autofahrern mit einer Verkehrszentrale – Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 4 können Staus verhindert, aber auch Energie und Wasser gespart oder die Sicherheit verbessert werden. Was die Berliner Informatik-Professorin Schieferdecker nüchtern formuliert, klingt in den Ohren von Urbanisten verheißungsvoll: Denn die drängendsten Herausforderungen der Zukunft werden Städte lösen müssen: Bereits heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, 2050 sollen es nach Schätzungen der Vereinten Nationen 80 Prozent sein. Besonders die in Schwellenländern boomenden Mega-Cities hoffen auf technische Lösungen ihrer schier überbordenden Probleme: Staus und Smog, Energieknappheit und Entsorgungsprobleme, Armut und soziale Ausgrenzung. ZWISCHENÜBERSCHRIFT Zitator: „Smart Cities – Die Euphorie der Technologien“ SPR 2 Mit den neuen Möglichkeiten, selbst riesige Datenmengen zu verarbeiten, scheinen große Städte nun das passende Werkzeug für ihre Probleme an die Hand zu bekommen. Vor allem Elektronikkonzerne entwickeln daher Smart-City-Konzepte – sie wittern ein Riesengeschäft: Das Forschungsinstitut der Deutschen Bank schätzt, dass bis 2030 weltweit 40 Billionen Dollar in Smart-City-Technologien investiert werden müssten, um Städte zukunftsfähig zu machen. Die erste schlüsselfertige Smart City vom Reißbrett wächst derzeit im japanischen Fujisawa aus dem Boden. Vom Leitungsnetz über die Straßenlaternen, vom Haus bis zur Mikrowelle – alles stammt von Panasonic. Der Konzern verheißt nichts weniger als die Lösung der Energieprobleme auf lokaler Ebene. O-Ton 2 Hans-Rainer Schwattal, Panasonic Umweltchef Wenn das alles erledigt ist, soll diese Stadt wirklich autark für sich sein. Alle Wohnhäuser werden aus eigen gewonnener Energie betrieben. Wir haben hier unsere Photovoltaik-Zellen (…)Von hier oben wird die Sonnenenergie aufgefangen und geht in die Akkublocks rein. Diese Akkublocks können in einer solchen Menge Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 5 zusammengeschaltet werden, dass sie ganze Einkaufszentren versorgen können. Das ist enorm, was da gespeichert werden kann. SPR 2 Wer sich virtuell durch Fujisawa bewegt, dem fällt der scharfe Kontrast zwischen Schwarz und Weiß ins Auge: Das Weiß der Akkublocks, die sich – ein wenig wie Kühlschränke – an die baugleichen Einfamilienhäuser schmiegen. In den blütenweißen Wänden stecken gut dämmende Vakuumplatten, die bisher Kühlschränke isolierten. Die Dächer dominiert dagegen das Schwarz der Solarzellen, sie verstecken sich teils hinter Büschen oder im akkurat abgezirkelten, öffentlichen Beet. ((Um die Stadtmitte gruppieren sich die Retortenhäuser im Kreis: Was in der Schwarz-Weiß-Kombination ein wenig an das Symbol von Yin und Yang erinnert. Vielleicht kein schlechtes Bild – denn um das Prinzip der Kreisläufe geht es auch bei Fujisawa. Die intelligente Vernetzung von innen und außen – das ist das Neue an der smarten Retorten-Stadt.)) Sharing-Programme für Elektroautos und Fahrräder sind an die Infrastruktur angepasst, Häuser, Garagen, öffentliche Parkplätze und Einrichtungen sind so entworfen, dass sie eine komfortable, gemeinschaftliche Nutzung von Elektrofahrzeugen sowie ein einfaches Aufladen der Batterien erlauben. O-Ton 3 Schwattal „Es sind diese Geräte alle vernetzt, und der Strom wird so abgerufen, wie man ihn halt wirklich benötigt. Es kann also eingestellt werden, wann das Auto geladen werden soll, sie können das Auto in die Garage stellen morgens, und sagen: Ok, ich will aber nur nachts den Strom haben, das macht alles dieses System. Das gute an diesem System ist, es muss nicht in die Wände verlegt werden, weil es kein Kabel gibt. Das geht alles über Funk.“ Atmo Zukunftsmusik, dann Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Atmo Zukunftsmusik kurz SPR 2 Die Anforderungen an die smarte Stadt der Zukunft sind im „alten Europa“ ganz andere als in den rapide wachsenden Metropolen von Asien, Afrika oder Lateinamerika. In Europa überaltert die Bevölkerung eher, barrierefreie Wege durch die Stadt stehen daher auf der Agenda. Sensortechnik könnte Gehbehinderten hier den Weg weisen. Kleine Eingriffe also, die die Stadt schlau machen - statt dem großen Wurf. Ina Schieferdecker vom Fraunhofer-Zentrum für Smart Cities spricht hier von einem „Brownfield“-Ansatz, der auf dem alten Kontinent dominiert. Im Gegensatz zu „Greenfield“, der smarten Stadt, die in Asien auf die grüne Wiese oder in den Sandboden - gesetzt wird. SPR 2 Eines der größten Projekte smarter Stadterneuerung in Europa ist derzeit im französischen Lyon im Gange. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung gestaltet Toshiba das vernachlässigte Industrie- und Hafengebiet Confluence zu einem CO2freien Viertel um. Mit Absicht sind kaum Parkplätze geplant, damit Bewohner wie Besucher sich Elektro-Fahrräder und –Autos teilen. Wald und Wiesen statt Parks sollen Wildtiere ins Viertel locken. Vor allem aber ist Lyon Confluence erst einmal ein Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 7 lebendes Labor, in dem Daten erhoben werden, um die Bedürfnisse in der Stadt besser zu kennen. O-Ton 5 Alain Kergoat, Toshiba France, OV (34’’) „Ein zentraler Baustein von Lyon Confluence ist es, der Stadtverwaltung neue Werkzeuge an die Hand zu geben, um nachhaltige Zukunftsplanung betreiben zu können. ((Bevor man dafür politische Maßnahmen trifft, braucht man einen Überblick. Derzeit gibt es niemanden, der diesen Gesamtüberblick hat.)) Wir entwickeln ein Energiemanagement-System auf kommunaler Ebene, das allen Beteiligten vor Ort mitteilt, wo wie viel Energie verbraucht wird. Nun können sie mit einem Blick auf ein Armaturenbrett überwachen, was in ihrem Viertel passiert. SPR 2 Kommunale Verantwortliche sollen so lernen können, wie sich Treibhausgase einsparen lassen, sagt Alain Kergoat von Toshiba Frankreich. Um zu wissen, wo Fassaden neu gedämmt werden müssen, wird schon in einzelnen älteren Gebäuden ein Energie-Überwachungssystem installiert, wie etwa bei knapp 300 Sozialwohnungen des Viertels. Jeder einzelne Bewohner kann seinen Strom, Wasser oder Gas-Verbrauch auf einem Bildschirm in Echtzeit nachvollziehen – und, wenn etwa ein Trockner besonders viel Strom saugt - die Wäsche lieber in die Sonne hängen. Alain Kergoat: O-Ton 6 Kergoat OV „Wir wollen dass die Leute ihren Verbrauch kennen - und sie in die Pflicht nehmen, ihr Verhalten zu ändern“ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 8 SPR 2 Doch wo wird die Erziehung zum Energiesparen zur sozialen Gängelung? Wie steht es mit dem Datenschutz? Wie lebenswert und vor allem wie lebensnah ist überhaupt eine smarte Stadt? Zitator: Verwundbarkeit und Fremdbestimmung: Kritische Blicke auf die Smart City SPR 2 Schon der Aufbau einer smarten Stadt birgt große Tücken, sagt der Berliner Experte für Cyber-Sicherheit, Sandro Gaycken. Gaycken warnt vor Schwachstellen, die bereits in die Software der Smart Cities eingebaut werden. O-Ton 11 Gaycken „Ein riesiges Problem sind auch die Innentäter, gerade in den Entwicklerteams. Wir wissen auch bei diesen ganzen Riesenkonzernen, die haben ja tausende Entwickler, die sind natürlich alle nicht sicherheitsüberprüft. Da gab es schon mehrfach Fälle, wo man Hintertüren oder Fehler bewusst eingebaut hat, von Leuten, die nachher vom organisierten Verbrechen oder von Nachrichtendiensten bezahlt waren.“ SPR 2 Das größte Geschäft mit intelligenten Städten winkt Elektronikkonzernen ohnehin in einem Land, das selber seit langem wegen Cyber-Spionage Schlagzeilen macht. Ein Land, in dem Datenschutz und Bürgerrechte zweitranging sind: China. Mehr als 20 Smart Cities will allein die chinesische Regierung neu errichten. Auch in einem anderen Schwellenland locken lukrative Geschäfte. Der neue indische Premier Narendra Modi hat angekündigt 100 neue smarte Städte zu bauen. Mit im Boot dabei ist Siemens, das bereits mehrere Städte in Indien mit smarten Stromnetzen ausgerüstet hat. Aber was ist von dieser Goldgräberstimmung bei Konzernen zu Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 9 halten, die mit smarten Megacities in Schwellenländern das große Geschäft wittern? Schließlich haben diese Länder oft viel grundsätzlichere Probleme als nur die Optimierung einer Infrastruktur: schlechte Straßennetze, instabile Energienetze, mangelnde Wasserversorgung. Der Berliner Informatiker Sandro Gaycken ist noch aus einem anderen Grund skeptisch: O-Ton 8 Sando Gaycken, IT-Sicherheitsexperte, FU Berlin „Gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern ist es sehr viel schwieriger mit diesen Strukturen, weil die noch sehr viel weniger Expertise haben als wir, um diese Systeme auch sicher zu betreiben – und zu warten! ((Das zu gewährleisten, ist bei uns schon eine riesige Aufgabe mit erheblichen Personalproblemen – und wir sind eine High-Tech-Nation. Ob das Schwellen- und Entwicklungsländer so leisten können? Da bin ich sehr skeptisch.)) Die kaufen sich da wahrscheinlich einen riesigen Berg an Folgeaufträgen ein, den sie jetzt noch gar nicht so richtig erkennen.“ SPR 2 Ohnehin ist in jüngster Zeit an Stelle der Smart-City-Euphorie eine gewisse Ernüchterung getreten: Megalomanische Pilot-Projekte wie Songdo oder Masdar stagnieren: Die arabische Vorzeige-Stadt Masdar hat noch immer mit den Folgen der Finanzkrise zu kämpfen. Das erhoffte Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ist ausgeblieben, Investoren haben sich zurückgezogen. Das koreanische Songdo erreicht 15 Jahre nach Baustart gerade einmal gut ein Viertel der erhofften 250.000 Einwohner – zu steril scheint vielen Koreanern die Retortenstadt. SPR 2 Den Diskurs prägen nicht mehr nur die fortschrittsgläubigen Technologie-Apologeten, sondern auch kritischere Stimmen. Sind smarte Städte überhaupt lebenswert? Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Diese Urteilsfähigkeit wird uns nun von der Technologie abgenommen. Wir sind in der Gefahr, Technik auf eine Weise einzusetzen, die die Bevölkerung betäubt und verdummt“ SPR 2 „Technologie ist die Antwort. Aber was ist überhaupt die Frage?“ fragt dazu der britische Urbanist Dan Hill. Dahinter steht die Sorge, dass smarte Planung und Betrieb von Städten Probleme ignorieren könnten, die sich nicht technisch lösen lassen - wie etwa Armut und soziale Ausgrenzung. Je mehr Städte intelligente Infrastrukturen von Konzernen betreiben lassen, um so mehr geraten Aufgaben der öffentlichen Verwaltung in private Hände, warnt der Stadtplaner Anthony Townsend von der New York University. Trenner „Zukunftsmusik“ s.o. SPR 2 Townsend spricht von „De-Facto-Gesetzen“, die in Algorithmen einprogrammiert werden, die die smarte Städte steuern. Sie seien öffentlicher Kontrolle durch die Bürger entzogen. Wenn Städte zentrale, intelligente Infrastruktur einkaufen, kann dies zudem über Jahrzehnte die Bahnen vorbestimmen, in denen sich das städtische Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 11 Leben entwickelt. Das Konzept eines „Zentral-Gehirns“, das wie Big Brother jedes noch so kleine Problem seiner Bürger zu lösen versucht, sieht der Berliner IT-Experte Sandro Gaycken noch aus einem anderen Grund skeptisch. O-Ton 10 Gaycken „Zentralität ist immer interessant für potenzielle Angreifer oder auch für Unfälle. Wenn ich also alles zentral von einer Stelle abhängig mache, zentrale Netzwerke aufbaue, dann brauche ich eben nur diesen einen zentralen Punkt angreifen oder der muss ausfallen - und es fällt alles aus. Im schlimmsten Fall könnte man mit einem Klick eine ganze Smart City ausschalten.“ SPR 2 Sieht Gaycken eine Lösung für diese Sicherheitsprobleme? Nein, denn sowohl die hochsichere IT, die Smart Cities verwenden müssten, als auch die umfassenden Konzepte dazu steckten weltweit erst in der Entwicklungsphase. Sensible Bereiche dürfe man ohnehin gar nicht ans Netz zu nehmen. Das aktuelle Fazit des Wissenschaftlers fällt vernichtend aus. O-Ton 12 Gaycken „Ich halte Smart Cities im Moment für Unfug“ „Smart City zum Selbermachen: Bauen mündige Bürger schlauere Städte? SPR 2 Ob in den alten Industrienationen oder aufstrebenden Schwellenländern - intelligente Städte müssten mit Augenmaß – und vor allemgemeinsam mit den Bürgern entwickelt werden, mahnt Ina Schieferdecker. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 12 O-Ton 13 Schieferdecker "Ich bin fest überzeugt davon, dass man die Lösung für eine Stadt der Zukunft eigentlich aus den Städten heraus entwickeln muss. Das geht nur durch ein Miteinander, und nicht durch ein Überstülpen.“ SPR 2 Für Berlin arbeitet Schieferdecker an der City Data Cloud: Smart wird die Stadt nach dieser Idee nicht durch ein Herrschaftswissen, das sich unzugänglich in Algorithmen intelligenter Prestigebauten versteckt. Sondern durch möglichst viel frei fließende Information, auf die Bürger, Firmen, Verkehrsbetreiber und Energieversorger zugreifen können. Offene Daten aus der Verwaltung liefern diese Informationen, wie etwa Kartenmaterial. Aber auch Sensoren. Heute zeigt etwa eine fest montierte Kamera eine starre Momentaufnahme bei einem Großereignis. Zukünftig liefern kleine sensorische Helferlein ein Echtzeit-Lagebild, das sich ständig aktualisiert. So können sich Polizei, Rettungsdienste oder Nahverkehr viel effizienter koordinieren. O-Ton 14 Schieferdecker (26‘‘) Je mehr Informationen für die anderen zur Verfügung stehen, desto besser kann der eigene Dienst erbracht werden. Es ist immer so, dass verschiedene Akteure beitragen und durch die Überlagerung der verschiedenen Informationen Mehrwertdienste entstehen können: Also die Einsatzkräfte viel passgenauer und zeitnaher reagieren können, auch besser die Bevölkerung informieren können. Trenner Zukunftsmusik - Szenerie Fußball… SPR 1 Es ist Abend geworden in der Zukunftsstadt. Fabian Futuro ist mit seinem Vater auf der Fanmeile – Deutschland spielt zur WM 2030. Ein Fußballkrimi, die Nationalmannschaft führt. Doch die ausgelassene Stimmung kippt: In der Ecke der Futuros wird extrem viel Alkohol getrunken. Dies verraten die schlauen Sensoren in Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 13 den Mülleimern, die eigentlich nur für eine rechtzeitige Leerung sorgen sollten. Der nächsten Toilettenwagen meldet, dass sich hier binnen Kurzem viele Männer erleichtern. Korreliert ergibt das ein Muster, das Ärger erwarten lässt. Den Futuros ist der Spaß vergangen, sie machen sich auf den Heimweg. Sie gelangen reibungslos nach Hause - dank der Wheelmap, einer digitalen Karte, auf die ehrenamtliche Nutzer behindertengerechte U-Bahn-Stationen eingetragen haben. SPR 2 Die Wheelmap beweise, dass das Wissen der Masse mindestens so wichtig für eine menschenfreundliche Zukunfts-Stadt ist wie etwa Sensoren, sagt Ina Schieferdecker. Die Menschen vor Ort wüssten, was dort funktioniere – und was nicht. Um wirkliche Transparenz und Beteiligung in Städten hervorzubringen, seien daher offene Datenplattformen wichtig. Digitale Bürgerbeteiligung erprobt Fraunhofer FOKUS damit etwa in Dortmund. Die Technologie soll dabei den Menschen dienen - nicht ihn beherrschen, betont Schieferdecker. O-Ton 15 Schieferdecker (58‘‘) Indem man zum Beispiel mit einem Fix-my-city-Ansatz herangeht: Und Vorschläge, Eingaben, Meldungen aus der Bevölkerung aufnimmt. (…) Das ist das berühmte Schlagloch, aber auch die Dreckecke, oder der kaputte Mülleimer oder einer Ampel, die permanent in die eine Richtung staut und in der anderen viel zu gut freigeschaltet ist. All das wird reingegeben in die Verwaltung, wird verfolgbar für den Bürger, und jetzt kann man überlegen, wie die Bürger auch selber beteiligt werden, vielleicht das eine oder andere auch selber zu lösen. Das ist ein neues Verständnis des Miteinanders. Nicht: Der Bürger meckert gegenüber der Verwaltung, sondern man ist gemeinsam bemüht, sich a) zu informieren b) die Abläufe nachvollziehbar zu gestalten und c) am Ende zu einer besseren Situation in der Stadt zu kommen. SPR 2 Bürger können dank offener Daten und neuer technischer Werkzeuge wie Smartphone-Apps vom Informationsempfänger, vom bloßen Nutzer zum Gestalter Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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SPR 2 „Vom Smart Phone zur Smart City zur Open City“ – so nannte Altenburg programmatisch ein Vortrag, den er unlängst mit seinem Kollegen Stefan Höffken bei der „New Thinking“-Konferenz in Berlin gehalten hat. Altenburg O-Ton 17 Wenn man von einer Smart City redet, denkt man oft vor allem an technologischen Innovationen – vom Smart Phone über die Sensoren. Das ist aber nur der halbe Gedanke dabei. Denn eine Stadt funktioniert nicht ohne diesen Zusammenhalt zwischen Menschen, zwischen verschiedenen Netzwerken oder den so genannten kleinen Milieugruppen in einer Stadt. SPR 2 Mit smarten Werkzeugen kreative Milieus fördern will etwa der Leerstandsmelder. Auf dieser digitalen Karte können Nutzer per Smartphone oder Internet-PC ungenutzte Ladenlokale eintragen - und so Möglichkeitsräume schaffen für eine Stadtentwicklung von unten.)) Aktive Bürger könnten so – Mosaikstein für digitalen Mosaikstein – an ihrer „Morgenstadt“ bauen, statt zu passiven Konsumenten einer dominierenden Technologie werden. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 15 Am Ende stünde dann kein Konzern, der eine zentral gesteuerte, gut geölte SmartCity-Maschine in den Sand setzt. Sondern das Wissen der Masse, die sich selber eine lebenskluge Stadt nach Menschenmaß schafft. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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