Weinvariationen zu

 Weinvariationen zu:
Hummer!
Der Hummer kann einem in unseren Breitengraden richtig leidtun, wird
er doch immer ganz hoch aufs Podest gestellt, als elitär, teuer und die
grosse Ausnahme in der Küche. Dabei kann er so ein netter Kumpel sein,
vergnüglich und gesellig – besonders auch zum Wein. Deshalb unser
Plädoyer: Holt den Hummer vom Sockel. Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug
H
ummer zu teuer und elitär? Das kommt im
wahrsten Sinne des Wortes auf den Standpunkt an: An der Küste im Nordosten Nordamerikas gibt er sich zur richtigen Jahreszeit in den
Lobster Shacks, den Hummerbuden am Strand, ebenso
volkstümlich wie St. Galler und Bürli, Käsekrainer oder
Currywurst – zum Bier. Hierzulande sind zugegebenermassen gewisse Mindestinvestitionen notwendig und
sinnvoll für entsprechenden Genuss. Wer etwa, wenn
die kurze Fangsaison für die Oosterscheldekreeft, die
Hummer aus Zeeland im Süden der Niederlande, am
1. April beginnt, eines der grossartigen Tiere ergattert,
sollte zu gewissen pekuniären Opfern bereit sein. Aber
dann: entspannt geniessen, gerne auch hemdsärmelig –
mit Wein.
Die Klassiker haben natürlich ihre Berechtigung.
Hummercocktail mit einem Tupfer feintomatiger, mit
Meerrettich und Cognac abgeschmeckter Sauce und
dazu Champagner der würzig-fruchtigen Art? Unbedingt. Hummer warm, mit zerlassener Butter ohne
viel Drum und Dran und im Glas Puligny-Montrachet?
Jederzeit. Hummer Thermidor, also das halbierte Tier
überbacken mit einer sahnigen, eigelbgebundenen und
mit Senf und Cognac aromatisierten Sauce (gelegentlich auch Käse)? Auch das, und in dem Fall bitte noch
kräftigeren Weisswein aus dem Burgund oder einen
entsprechenden Chardonnay aus einer der vielen anderen Gegenden, die heute längst ebenso exklusive Weine
liefern. Doch dann ist es auch genug mit dem klassisch
Frankophilen, der weissen Tischdecke und dem Silberkühler für die teure Flasche.
Hummer kann grossen Spass machen. Zum Beispiel
mit richtig viel rosa Cocktailsauce zum Stippen und Dippen, wozu bestens ein mindestens halbtrockener, nicht
zu schlanker, aber charaktervoller Riesling passt, etwa
aus der Pfalz. In gereifter, trockener Form gibt Riesling
auch eine grandios gute Figur zum Thermidor ab – dessen Name natürlich auf die französischen Revoluzzer
zurückgeht; allerdings erst rund hundert Jahre nach
dem Blutvergiessen in bereits historisch verarbeiteter
Theaterform, als das öffentliche Hummeressen wieder politisch korrekt war. Die eisenmineralisch geprägten Rotliegenden-Böden entlang der rheinhessischen
Rheinfront, wie in der grossartigen Lage Ölberg, liefern
eine verhalten leuchtende, üppig tiefe Kraft, die mit der
Cremigkeit hervorragend korrespondiert, ohne uns am
Ende überfüllt und ermattet in die K.-o.-Ecke der Völlerei sinken zu lassen.
Oder: Italien. Klingt gar nicht nach Hummer? Weit gefehlt. In einer wahren Hummer-Sternstunde servierte
dort vor Jahren ein junger, sehr ehrgeiziger (und seitdem zu Recht längst doppelt besternter) Koch in einem
winzigen Fischerort bei Neapel ein Riesenexemplar als
rustikales Tomatengericht, die Hummerstücke darin
wie in einem Gulasch. Die Tomatensauce war deutlich
pikant und damit ein fantastischer Gegensatz zum
leicht süsslichen Hummerfleisch. Selbstredend kam
dazu Fiano ins Glas, der lokale Weisswein.
Raus aus der Langweiler-Luxuszwangsjacke!
Was soll der Wein dazu mitbringen, um grösstmögliches Genussvergnügen zu garantieren? Charakter,
ganz klar, um es mit einem so kräftig gewappneten, gut
bewehrten Gegenpart aufzunehmen. Doch der kann
viele Formen annehmen: Extrakt, wenn es ums pure,
dichte und besonders in den Scheren geradezu liebliche
Hummerfleisch geht. Restsüsse, wenn dazu ein entsprechendes ergänzendes Element wie die Cocktailsauce
ins Spiel kommt. Eine gewisse Menge Alkohol schadet
nicht; im Gegensatz zu Garnelen ist das Hummerfleisch
konzentriert genug, um es damit aufzunehmen. Die
Südtiroler Traminer der modernen Art, etwa von der
Kellerei Tramin, den Terlaner Genossen oder Hofstätter tanzen mit ihren Grapefruit­aromen mit unserem
Freund höchst beschwingt, wenn wir ihnen zitronige
Mayonnaise oder einen asiatisch inspirierten Sud mit
Kokosmilch, Limonenblättern, einem Hauch Chili und
einem Spritzer Fischsauce mit auf den Weg geben. Südliche, mineralische Würze und Säure passen auch ins
Glas, wenn Tomaten auf dem Teller den Ton angeben
– gerne in Kombination mit noch betonterer Süsse, wie
unser Beispiel vom Neusiedlersee zeigt. Und Rotwein?
Ja. Und zwar mit reifen Gerbstoffen. Das kann eher leise, helle Formen annehmen, wie hier aus Portugal, oder
aber im Gegenteil üppige, etwa mit einem prototypischen australischen Shiraz.
Nur eins geht gar nicht als Wein zum Hummer: dünn
und/oder langweilig oder sogar beides. Doch das gilt eigentlich generell, ob zum Essen oder einfach so. Denn
dazu ist das Leben einfach zu kurz.
VINUM
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Kulinarik
Die Weine
Kràtos 2014
Luigi Maffini
Paestum, Castellabate (I)
13 Vol.-% | 2016 bis 2020
Fiano-Weisswein aus einer alten
und weitgehend unverdorbenen
Kulturlandschaft am Golf von
Salerno bei Paestum, das von der
UNESCO zum Weltkulturerbe
erklärt worden ist. Angenehm
herbe Zitrustöne und gelbe Würze,
getragen von reifer Säure: Luigi Maffini gehört zu den Pionieren, die für
die lokalen Weine neue Qualitätsmassstäbe gesetzt haben.
Bastardo 2014
Conceito
Vila Nova de Foz Côa, Douro (P)
13,5 Vol.-% | 2016 bis 2022
Auffallend hellrot im Glas, mit
seidig-rauchig-roten Noten, die an
Preiselbeeren und Rote-Bete-Chips
erinnern. Am Gaumen weich und
gerbstofffest zugleich, nicht auf-,
aber eindringlich. Bastardo ist das
portugiesische Synonym für den
Trousseau des Jura und in seiner
hellen, feinfruchtigen Art das diametrale Gegenteil zu den üblichen
Rotweinen des Douro.
Spätlese 2013
Heidi Schröck
Rust, Burgenland (A)
12 Vol.-% | 2016 bis 2033
Welschriesling und Weissburgunder mit gut 50 Gramm Restsüsse
vereint – die unermüdliche
Heidi Schröck ist überzeugt, dass
Süssweine dieser Art viel häufiger
als üblich zu herzhaftem Essen
serviert werden sollten, und wir
können ihr nur zustimmen. So
viel selbstbewusste, balsamische
Kremigkeit, die dennoch so frisch
endet, das kann nur guttun.
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VINUM
Bastardo: freut sich über
das «Fleisch» auf dem
Teller – der Überraschende.
Kràtos: heute Pasta,
morgen Hummer – der
Mineralisch-Erfrischende.
Spätlese: die Süsse des
Hummers, die Säure der Tomate – der Wein, der daraus
ein Festessen macht.
VINUM
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Kulinarik
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Ursula Heinzelman
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Hummer in
leicht pikanter
Tomatensauce
Rezept für 2 Portionen
1 Hummer (etwa 600 g)
1 Dose gehackte Tomaten (netto 400 g)
2 frische Tomaten
4 El Olivenöl
1 frische Peperoncino-Schote oder 2 kleine
getrocknete scharfe Chilischoten
1 El Kapern in Salz
1 El Tomatenmark
30 g Butter
2 Knoblauchzehen
40 g dunkle Oliven in Salzlake
Meersalz
Frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
1.) Zuerst den Hummer vorbereiten: Wer die
Mühe scheut, lässt ihn sich vielleicht von einem
befreundeten Koch töten, kochen und ausbrechen. Oder kauft ihn bereits in dieser Form
in einem Fisch- oder Delikatessengeschäft
(wo er allerdings tendenziell zu lange gekocht
worden ist).
2.) Ansonsten: kopfüber in reichlich stark
kochendes Salzwasser werfen, Deckel darauf,
einmal aufkochen, vom Feuer ziehen und zehn
Minuten ziehen lassen. Hummer herausnehmen,
etwas abkühlen lassen. Den Schwanz vom
Körper drehen und den Panzer durch Zusammendrücken aufbrechen oder mit einer Schere
an der weicheren Unterseite aufschneiden und
das Fleisch herausschälen. Den Schwanz an der
Oberseite aufschlitzen und den Darm entfernen. Die Zangen mit gezielten Schlägen eines
grossen Messers (zur Not auch eines Hammers)
knacken (darauf gefasst sein, dass die Küche
danach komplett geputzt werden muss – das
Opfer lohnt sich, aber wenn man die Scheren
dabei mit einem Tuch abdeckt, lässt sich der
Schaden begrenzen). Das Fleisch der Scheren
ganz lassen, den Schwanz in dicke Scheiben
schneiden.
3.) Die Tomaten häuten, entkernen und in
Würfel schneiden. Peperoncino entkernen und
in feine Streifen schneiden (oder getrocknete
Chili entkernen und zerbröseln), Knoblauchzehen schälen und halbieren. Die Oliven
entsteinen und halbieren, die Kapern in einem
Sieb unter fliessendem Wasser abspülen und
abtropfen lassen.
4.) Die gehackten Tomaten aus der Dose mit
1 El Olivenöl 10 Minuten unter gelegentlichem
Rühren kräftig einkochen (das spritzt, daher
Deckel halb auflegen).
5.) Peperoncino bzw. Chili, Kapern, Knoblauchzehen und Tomatenmark mit der Butter und
dem restlichen Olivenöl in einer Pfanne unter
Rühren anschwitzen, bis sich alles zu einer Masse verbindet. Oliven und eingekochte Tomaten
dazugeben, und einmal unter Rühren durchkochen. Bis zu diesem Punkt lässt sich alles
bestens vorbereiten und auch über Nacht kühl
stellen – dann einfach wieder erwärmen.
6.) Die restlichen Tomaten zur Sauce geben, mit
Salz und Pfeffer abschmecken. Aber Vorsicht:
Durch Kapern und Oliven ist das vielleicht gar
nicht nötig. Den Hummer in der Sauce warm
werden lassen – auf keinen Fall kochen! Mit breiten, flachen Nudeln, gedünstetem Schwarzkohl
oder hellem Brot servieren – und Wein.
Tipp
Wir wissen, dass die wenigsten
Leser in nächster Zukunft an die
amerikanische Ostküste oder die
Oosterschelde fahren werden.
Doch die nächste Einkaufsquelle für Hummer erkunden, das
ist sicher möglich. Sollte die
ausschliesslich gefrorene Ware
bieten, am besten ganze und bevorzugt noch rohe Tiere kaufen,
die durch ein besonders schonendes Hochdruckverfahren getötet
werden. Denn je weiter zerlegt
und verarbeitet, desto mehr geht
von dem feinen Eigengeschmack
verloren. Immer gilt jedoch:
das Fleisch nach dem Töten auf
keinen Fall mehr kochen, sondern
vorsichtig und möglichst kurz
erhitzen – sonst bringt auch der
vergnüglichste Wein nichts.
VINUM
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