Die Weide - Bayerischer Rundfunk

Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 28.05.2015
9.05 Uhr/B2
AUFNAHME:
STUDIO:
Biologie
Ab 9. Schuljahr
TITEL:
Die Weide - Baum der Korbflechter
AUTORIN:
Claudia Steiner
REDAKTION:
Dr. Gerda Kuhn
REGIE:
Martin Trauner
PERSONEN:
SPRECHERIN
Christiane Bachschmidt
VERSCHIEDENE SPR. (Pleschinski, Buck, Sonja Freisler
(Schülerpraktikantin))
GESPRÄCHSPARTNER (O-TÖNE)
Jörg Ewald, Professor für Wald- und Forstwirtschaft an der Hochschule
Weihenstephan-Triesdorf
Korbmacherin Susanne Thiemann
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
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MUSIK (z. B. Ausschnitt aus Erlkönig-Ballade/Schubert, z. B. gesungen von Dietrich
Fischer-Dieskau) CD237790 006
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.
SPRECHERIN
In der Ballade „Erlkönig“ von Johann Wolfgang von Goethe fürchtet sich der Knabe
im Arm seines Vaters vor den gespenstischen Umrissen der Weidenbäume.
MUSIK (Klavierelement aus Erlkönig-Ballade hochkommen lassen und aus)
Atmo/Musik More than Honey –The Spraying
SPRECHERIN
Tatsächlich muten die mächtigen Bäume oft wie Hexen oder Geister an, wenn sie in
Flussauen im Nebel stehen. Weiden gelten seit Jahrhunderten als Symbol für Gefahr
und Tod. Der germanische Totengott Widar lebte der Sage nach in der Unterwelt im
Weidengebüsch. Junge Hexen sollen unter Weidenbäumen – der Heimstätte des
Teufels – Gott abgeschworen und Satan ihre Seele versprochen haben.
Musik aus
MUSIK M0022221 004
SPRECHERIN
Weiden gelten aber auch als Frühlingsboten und als Schutz vor dem Bösen. In der
katholischen Kirche weiht man am Palmsonntag die Palmkätzchen der Salweide –
als Symbol für Palmzweige – und hängt die geweihten Zweige hinter Wandkreuze,
ins Herrgottseck oder zum Schutz der Tiere im Stall auf. In Mittel- und
Ostdeutschland gibt es zu Ostern ein Ritual, bei dem junge Burschen Mädchen mit
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Weidenruten schlagen. In Wirklichkeit sind es natürlich nur angedeutete Schläge.
Dieser Brauch heißt Schmackostern – er soll die Fruchtbarkeit der jungen Frauen
steigern.
Musik aus
SPRECHERIN
Markante Weidenbäume an Brücken oder einfach das häufige Vorkommen der
Bäume haben vielen Orten ihren Namen gegeben. So gehen die Ortsnamen Weiden
in der Oberpfalz und Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen auf die Bäume zurück. Der
Ortsname Weidach – oft gebräuchlich für Weiler – kommt in Bayern mehr als ein
Dutzend Mal vor.
Musik More than Honey – Harvest
VERSCHIEDENE SPRECHER
Aschweide, Spießweide, Korbweide, Salweide, Kriechweide, Schwarzweide,
Purpurweide, Silberweide, Krautweide, Moorweide, Sandweide, Trauerweide,
Lorbeerweide, Mandelweide …
SPRECHERIN
Weiden – auf lateinisch Salix – sind eng mit Pappeln verwandt. Sie sind in der
nördlichen gemäßigten Klimazone bis zur Arktis verbreitet. Einige Arten gedeihen
auch an den Küsten tropischer Regionen und in der südlichen gemäßigten Zone. Wie
viele Weidenarten es gibt, ist nicht ganz sicher, in der Fachliteratur sprechen
Experten von 350 bis 400 Arten. Jörg Ewald, Professor für Wald- und Forstwirtschaft
an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf:
Musik aus
O-TON 1
Es gibt weltweit Hunderte von Weidenarten. In Deutschland, Mitteleuropa sind es so
rund 40, das ist also auch bemerkenswert. Es gibt keine andere Baumgattung, die so
viele Arten hat. Jetzt muss man allerdings sagen, dass ein erklecklicher Teil
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Sträucher sind und davon noch mal ein Teil ausgesprochene Zwergsträucher. Es gibt
zum Beispiel die Krautweide, das ist eine alpine Pflanze, die über der Waldgrenze
wächst und gerade mal als Bodendecker am Boden kriecht. Die Größe von Weiden
ist also extrem variabel, dem stehen dann hohe Bäume wie die Silberweide, die über
30 Meter hoch werden können, gegenüber.
SPRECHERIN
Nicht nur das Erscheinungsbild dieser Laubgehölze ist sehr unterschiedlich, ebenso
sind es die Standorte. So wächst die Aschweide, ein bis zu sechs Meter hoher
Strauch, gerne an Tümpeln oder in Moorwiesen. Die bis zu 50 Zentimeter hohe
Kriechweide gedeiht dagegen eher auf Streuwiesen und in Niedermooren. Und die
Purpurweide wird bis zu sechs Meter hoch und schlägt bevorzugt auf nassen und oft
überschwemmten Kiesbänken aus. Auch weisen die Blätter der Weiden je nach Art
ein sehr unterschiedliches Aussehen auf. Die niedrigen Kriechweiden haben winzige
Blätter, asiatische Arten können dagegen bis zu 20 Zentimeter lange Blätter haben.
So unterschiedlich die Weiden auch sein mögen, gemeinsam haben sie ein ganz
besonderes Fortpflanzungssystem. Professor Ewald:
O-TON 2
Sie sind mit ganz wenigen Ausnahmen zweihäusig, das heißt, es gibt streng getrennt
männliche und weibliche Bäume. Das ist bei Bäumen nicht die Regel. Denken Sie an
einen Apfelbaum, bei dem in jeder Blüte schon Staubblätter und Fruchtblätter
zusammenstehen. Bei Weiden ist es strikt getrennt, das heißt, die legen größten
Wert darauf, sich sexuell fortzupflanzen, dass immer Mann und Frau unterschiedliche
Individuen sind.
Musik More than Honey Harvest ATMO (Bienensummen aus dem Archiv)
SPRECHERIN
Weiden locken Bienen an, die die Bestäubung übernehmen, aber nicht mithilfe von
auffälligen Farben oder besonderen Formen, wie man es von anderen Pflanzen
kennt, sondern mit einem ganz speziellen Duft.
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O-TON 3
Man hat rausgefunden, dass jede Weidenart spezifische Düfte hat und dass es sogar
Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen gibt, die dazu führen, dass die
Bienen in der optimalen Reihenfolge zuerst zum Männchen fliegen, sich dort mit
Pollen bepudern und diese Pollen dann auf die weiblichen Blüten tragen. Also das ist
ein perfekt ausgeklügeltes System.
Musik C147961 006(Bienensummen aus dem Archiv)
SPRECHERIN
Auf diese Weise kommt es gelegentlich zu Bastarden, also zu natürlichen
Kreuzungen. Wenn unterschiedliche Weidenarten gleichzeitig blühen, fliegen Bienen
manchmal zu den männlichen Kätzchen einer Art, und danach zu den weiblichen
Bäumen einer anderen Weidenart.
Imker schätzen Weiden übrigens sehr, denn die Pflanzen blühen extrem früh – die
Salweide zum Beispiel bereits ab März. Sie sind somit ein wichtiger Nektarlieferant
für Bienen. Bei blühenden Weiden können die Insekten die ersten Pollen für die
junge Brut sammeln. Eine andere Besonderheit von Weiden ist, dass sie sich leichter
als jede andere Baumart klonen lassen. Doch wie vermehrt man überhaupt Bäume?
Musik aus
O-TON 4
Hört sich jetzt vielleicht ein bisschen seltsam an, aber durch Abschneiden von
Zweigen. Die kann man ganz einfach in den Boden stecken oder in ein Wassergefäß,
und die bewurzeln sich ganz schnell und da können Sie dasselbe Individuum beliebig
vermehren. Die Weiden selber haben diese leichte Klonbarkeit, die Bildung von
Stecklingen, wohl entwickelt, um in den Auen neben dieser Samenausbreitung noch
eine zweite Art der Vermehrung zu haben, um eben sich länger an Standorten halten
zu können.
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Musik More than Honey - Perception ATMO (rauschender Gebirgsbach aus
Archiv, dann darüber)
SPRECHERIN
Diese Art der Verbreitung passiert auch auf natürliche Weise. Oft werden
Weidenzweige bei Hochwasser abgerissen und von der Strömung weg geschwemmt.
Wenn sie irgendwo am Ufer landen, bekommen sie Wurzeln und treiben erneut aus.
Oder die Samen sorgen für neue Pflanzen: Weidensamen sind sehr klein – nur etwa
1,5 Millimeter lang und sehr leicht. Sie sind mit zahlreichen winzigen Haaren besetzt.
Die Samen können vom Wind kilometerweit getragen werden. Im Mai, Juni, wenn die
Weiden fruchten, sind Milliarden von Samen in der Luft.
Sie können aber auch gut im Wasser schwimmen, bis sie irgendwo ans Ufer gespült
werden.
Musik aus
O-TON 5
Die sind überall, keimen aber nur an ganz speziellen Stellen, also immer nur an den
Stellen, wo der Boden frisch aufgekratzt worden ist, wo offener Sand, offene Steine
herumliegen.
SPRECHERIN
An diesen Stellen sind die Samen nämlich vor anderen konkurrierenden Pflanzen
sicher und bekommen viel Licht. Die Samen sind allerdings nur für kurze Zeit
keimfähig, da sie kein Nährgewebe enthalten. Um zu überleben, müssen die
Keimlinge daher schon kurz nach der Landung auf dem Boden Photosynthese
betreiben. Heute werden Weiden oft als Uferbefestigung angepflanzt. Eine
besondere Eigenschaft der Bäume ist, dass sie lange Überflutungszeiten ertragen
und sich nach Beschädigungen durch Hochwasser schnell regenerieren können.
Früher dagegen wurden Weiden richtig angebaut.
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O-TON 6
Hier in Freising wurde zum Beispiel ein ganzes Dorf, das Dorf Oberberghausen,
ausgesiedelt im 19. Jahrhundert, um ein staatliches Weidenkulturinstitut zu gründen,
und dann hat man dort auf einigen Hektar ausschließlich Weiden angebaut. Das
wirtschaftliche Interesse an Weiden liegt darin, dass es eigentlich die
schnellwüchsigsten Baumarten sind, das heißt, wenn man sehr schnell Holz
produzieren will, als Brennholz zum Beispiel, dann ist die Weide eine der
leistungsfähigsten Pflanzen. / Wenn die Wasserversorgung und die
Nährsalzversorgung im Boden passt, dann kann eine Weide ohne Weiteres zwei
Meter Höhe im Jahr zulegen, sodass Kurzumtriebsplantagen mit solchen
leistungsfähigen Weidenklonen dann alle sechs, sieben Jahre wieder geerntet
werden können.
SPRECHERIN
Die Ernte, also das Abschneiden der Zweige, erfolgt zwischen November und
Februar. Das Holz der Weide ist leicht und wenig widerstandsfähig. Daher wird
Weidenholz oft für Obstkisten, Spanplatten oder als Brennmaterial für
Hackschnitzelheizungen verwendet.
MUSIK M0022221 004
SPRECHERIN
Das Wort „Weide“ stammt übrigens vom althochdeutschen Wort „wîda“ ab – es
bedeutet „die Biegsame“. Dies weist auf eine andere Verwendung hin. Seit
Jahrhunderten werden aus Weidenzweigen Körbe geflochten. Die Münchner
Korbflechterin und Künstlerin Susanne Thiemann arbeitet seit Jahren mit dem
natürlichen Material.
O-TON 7
Die Weide ist sicherlich das wichtigste Flechtmaterial für den europäischen
Korbmacher,
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Musik aus
weil sie einfach hier überall wächst an Flussläufen. Früher gab es ja diese ganzen
Weidenbäume mit dem dicken Kopf oben drauf, da wurden die Weiden wirklich
jährlich geschnitten für die Flechter. Das ist leider vorbei, also die verwildern alle,
diese Bäume, aber letztendlich wächst die Weide eben hier, und deshalb wird hier
damit auch geflochten.
SPRECHERIN
Ende des 19. Jahrhunderts sollen alleine in Oberfranken 25.000 Arbeiter Korbwaren
hergestellt haben.
O-TON 8
Am Anfang meiner Berufstätigkeit kannte ich tatsächlich noch Korbmacher in
Oberfranken, die selber Weiden geschnitten haben, auch selbst angebaut haben. Da
bin ich oft hingefahren und hab mir welche gekauft. Heutzutage gibt’s kaum noch
jemanden. Es gibt ein paar versprengte Korbmacher, die es noch machen, die eher
so aus der alternativen Welle kommen, natürlich ganz toll, die wunderschöne Weiden
anbauen. In Frankreich, Belgien, auch hier in Süddeutschland in der Nähe von
Stuttgart gibt’s jemand, generell gibt es zwei, drei Händler in Oberfranken, weil da die
Korbfachschule ist in Lichtenfels, da wuchsen und wachsen natürlich auch viele
Weiden. Nur heute kommen die alle entweder aus Polen, Jugoslawien, Frankreich,
also hier in Deutschland baut keiner mehr Weiden an, professionell nicht, für einzelne
Zwecke schon, aber nicht zur Ernte.
Musik More than Honey - Generations
SPRECHERIN
Die berühmten Kopfweiden entstehen, wenn die Kronen und die Seitenäste
regelmäßig zurückgeschnitten werden. Dazu verwendet man unter anderem
Silberweiden und Korbweiden. An den Schnittstellen treibt der Baum wieder aus, so
dass eine buschige Krone entsteht, die tatsächlich wie ein Kopf mit verwuschelten
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Haaren aussieht. Kopfweiden sind also keine eigene Art, sondern nur eine
Bezeichnung für das besondere Aussehen. Korbmacher verwenden die Ruten von
verschiedenen Weidenarten. Je nach Weidenart sehen die Körbe dann auch
unterschiedlich aus. Susanne Thiemann:
Musik aus
O-TON 9
Das sind die verschiedenen Weiden, die grüne Weide ist die Steinweide, die braune
ist die Amerikanerweide und die graue ist die Purpurweide. Die geschälten Weiden
sind hier die hellen, hier ist überall Rinde dran. Deshalb kann man da mit den Weiden
wunderbar farblich so ein Spiel in die Körbe reinbringen, bräunlich, grünlich, schwarz.
SPRECHERIN
Teilweise werden die Zweige mit Rinde verwendet, teilweise ohne. Früher wurden die
Ruten noch per Hand geschält, inzwischen existieren Maschinen, die diese Arbeit
übernehmen. Damit Korbmacher mit dem Material arbeiten und es flechten können,
müssen die Zweige eingeweicht werden. Korbflechterin Susanne Thiemann:
O-TON 10
Wenn man sie ein bis zwei Stunden eingeweicht hat, wird sie eben sehr biegsam und
ist trotzdem sehr, sehr stabiles Material. Also wenn sie getrocknet ist, kann man sie
ja kaum verformen, und wenn man mit ungeschälter Weide flechtet, muss sie
wesentlich länger weichen, ein bis zwei Wochen.
SPRECHERIN
Für Wäschetruhen werden vor allem geschälte Weiden verwendet, damit keine Rinde
auf die saubere Wäsche bröckelt. Für landwirtschaftliche Körbe oder Holzkörbe wird
dagegen ungeschälte Weide genommen. Wenn die Korbmacher eine bestimmte rotbraune Färbung möchten, dann verarbeiten sie sogenannte gesottene Weide. Dabei
werden die Ruten vor dem Schälen gekocht. Die Rotfärbung entsteht beim Sieden
durch die in der Rinde enthaltenen Gerbstoffe. Aus Weidenruten werden nicht nur
Körbe geflochten, sondern auch Möbel und Zäune.
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Und auch in den wunderschönen alten Fachwerkhäusern bildet ein Weidengeflecht
das Tragegerüst für die Lehmwände zwischen den Balken. Dieses Tragegerüst aus
Weidenruten wurde dann verputzt. Eine ganz besondere Verwendung der Weide
findet in England statt Dort werden aus dem Holz einer bestimmten Silberweidenart
traditionell Cricket-Schläger hergestellt.
MUSIK M0022221 004
Früher haben Kinder aus Weidenzweigen Pfeifen geschnitzt. Der Zweig wurde
geklopft, bis sich die Rinde löste, dann wurde das Holz wieder in die Rindenhülle
gesteckt und auf der Mundseite ein Schallloch geschnitzt.
ATMO (Pfeifen)
SPRECHERIN
Design-Säuglingsbetten und moderne Kinderwägen werden auch heute noch aus
Weiden geflochten. Kinderbetten aus geflochtener Weide haben eine alte Tradition.
Man denke nur an den Ausdruck „Husch, husch ins Körbchen“, wenn man Kinder
schnell ins Bett bringen will, oder an Mose im Weidenkorb.
Musik aus
Der Erzählung nach wurde der Prophet Mose als Kind jüdischer Eltern in Ägypten
geboren. Da der Pharao befahl, dass alle Söhne der Hebräer getötet werden sollten,
legte ihn seine Mutter in einen Weidenkorb und versteckte den Korb mit dem Kind
am Nil. Doch der Korb wurde weggespült. Die Tochter des Pharao entdeckte den
schwimmenden Korb mit dem Baby und zog Mose als ihren eigenen Sohn auf.
ATMO (Hämmern)
SPRECHERIN
Korbmacher arbeiten mit Hammer, Bohrmaschine und Schraubenzieher, aber auch
mit ganz speziellen Werkzeugen.
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O-TON 11
Typisches Korbmacherwerkzeug ist das sogenannte Schlageisen, (Hämmern)also
gerade für die Weidenflechterei ist das erfunden worden. Das ist so ein längeres
Eisen, so vielleicht 30, 40 Zentimeter lang, früher noch Hand geschmiedet, ich hab
auch noch ein handgeschmiedetes, das relativ schwer ist, und wenn man fünf bis
sechs Zentimeter geflochten hat, schlägt man quasi in jeden Zwischenraum einmal
rein, damit das Geflecht richtig schön dicht wird. Dann gibt es den Pfriemen, das ist
wie so eine Aale, mit der man ins Geflecht reingehen kann, wenn man mal Griffe
draufsetzten will, dann natürlich die Scheren und das allerwichtigste Werkzeug, (…)
ist und bleibt die Hand – bis heute.
SPRECHERIN
Schon früh wussten die Menschen, dass Weiden nicht nur für Körbe verwendet
werden können. Bereits der berühmte Arzt des Altertums, Hippokrates, soll
Weidenrinde als Medizin eingesetzt haben. Aufgrund der entzündungshemmenden
Eigenschaft wurden junge Zweige früher auch zur Reinigung der Zähne verwendet.
Die Rinde der Pflanze enthält einen ganz besonderen Stoff: Salicylsäure. Diese hat
dieselbe Wirkung wie Acetylsalicylsäure – bekannt als Aspirin. Es ist also ein
Schmerzmittel aus der Natur. Nach alten Rezepturen wurde zerriebene Rinde mit
heißem Wasser übergossen und als Tee gegen Fieber getrunken. WeidenrindenAufgüsse wurden früher auch bei Mandelentzündungen zum Gurgeln verwendet.
Allerdings ist Salicylsäure an sich nicht sehr gut bekömmlich. Wer zu viel davon zu
sich nimmt, bekommt Magen-Darm-Probleme. Jedoch gibt es Konsumenten von
Weidenrinde, die die Salicylsäure so verarbeiten können, dass für Menschen ein gut
verträgliches Schmerzmittel entsteht: die Biber. Sie nagen das weiche Holz von
Weidenbäumen an, bis die Bäume umstürzen, und fressen dann die Zweige samt
Rinde. Professor Ewald:
O-TON 12
Damit nehmen sie sehr, sehr viel Weidensäure auch auf, und diese Weidensäure
müssen sie dann auch irgendwie loswerden, und statt sie nur auszuscheiden, haben
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die eine Drüse entwickelt, die sogenannte Geildrüse, wo diese Weidensäure mit Urin
gemischt wird. Und dann entsteht ein fettiger Stoff, den sie sich ins Fell schmieren,
(…) und den nennt man Bibergeil. Und dieses Bibergeil, eine ölige Substanz, hat
man früher im Mittelalter gesammelt, und spätere Untersuchungen haben ergeben,
dass da wirklich ein Stoff drin ist, der dem Aspirin extrem nah ist. Das heißt, der Biber
hat dieses Acetyl an die Weidensäure dranhängen können biochemisch, und damit
ist eigentlich die Naturform vom Aspirin entstanden. Also durch den Biber veredelt,
sozusagen. Große Mengen Weidensäure und dieses Biberöl galt dann auch als
Wundermittel im Mittelalter und wurde mit Gold aufgewogen.
SPRECHERIN
Die Drüse sitzt bei den Bibern zwischen After und den äußeren Geschlechtsorganen.
Sie wurde getöteten Tieren mitsamt dem Sekret entnommen. Bibergeil wurde lange
gegen verschiedenste Schmerzen, aber auch gegen Krämpfe und Nervosität
eingesetzt. Dem Stoff wird außerdem eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt,
deshalb wurde es einst auch als Zusatz in Parfüms verwendet, und in der
Homöopathie kommen Weiden unter anderem bei Nervosität zum Einsatz.
Musik More than Honey – Harvest
SPRECHERIN
Weiden haben auch einen ökologischen Nutzen. Das Laub zersetzt sich leicht und
fördert so die Humusbildung. Außerdem sind Weiden Wirtspflanzen für viele
Schmetterlingsarten wie den Großen Schillerfalter. In überhängenden Wurzeln und
Wurzelgeflechten im Wasser finden Insekten und Fische Schutz. Dem Wiedehopf,
aber auch anderen Vögeln, dienen alte Weiden oftmals als Brutbäume. Auf alten
Weidenstöcken können aber auch andere Pflanzen wie die Vogelbeeren oder die
Schwarze Johannisbeeren wachsen.
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SPRECHERIN
Die Tatsache, dass Weiden schnell Wurzeln schlagen und auch zusammen mit
anderen Pflanzen wachsen und verwachsen können, nutzen viele Gärtner.
Korbmacherin Susanne Thiemann:
Musik aus
O-TON 13
Was ich bei der Weide sehr faszinierend finde, dass man eigentlich sich unglaublich
viel ausdenken kann, also ich kenn Kollegen und ich hab’s selber auch schon
gemacht, dass man eben sogenannte lebende Weidenobjekte macht.
SPRECHERIN
Dafür wird zum Beispiel ein Stahlgestell gebaut, das mit Weiden ausgeflochten wird:
Wenn man die Enden der Ruten im Garten in die Erde steckt, bilden sie neue
Wurzeln und wachsen an. So können zum Beispiel lebende Objekte und Skulpturen,
Zäune, ein Weiden-Tunnel, ein Weidentipi oder sogar eine Weidenkirche gebaut
werden. Die erste Weidenkirche in Deutschland wurde auf der Internationalen
Gartenausstellung 2003 in Rostock als so genannter Weidendom gebaut. In diesem
lebenden Gebäude werden tatsächlich auch Gottesdienste abgehalten und Konzerte
veranstaltet. Mit einer Kuppelhöhe von 15 Metern und einer Länge von 52 Metern ist
der Weidendom das weltgrößte lebende Bauwerk.
Musik More than Honey – Harvest
SPRECHERIN
Stabil, biegsam, schnell wachsend – Weiden sind auch heute noch faszinierende
Bäume, sagenumworben, mit großem ökologischen Nutzen und einfach
wunderschön.
Musik aus
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