„Sei aufrichtig; sei knapp; sei hartnäckig.“ – Franklin D. Roosevelt Analogos-Digitalis – Wandel in der Kommunikationsbranche Bildung bleibt der Schlüssel Der Übergang von der analogen in die digitale Welt verlief von vielen Menschen nahezu unbemerkt. Und auch die Begleitumstände, die mit den neuen Techniken einhergingen, wurden vielfach nur punktuell, ohne erkennbaren Bezug zur technologischen Revolution, wahrgenommen. Dass das aber ohne ein konsequent konstruiertes Zusammenspiel aus Technik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft nicht möglich gewesen wäre, macht der Wirtschaftsjournalist und Kommunikationsexperte Dr. Reinhard Schwarz von der Bielefelder Inforce GmbH am Beispiel der Kommunikationsbranche deutlich. 1 Detecon Management Report dmr • Special CRM 1 / 2016 Willkommen im digitalen Zeitalter! Ein langer Weg. So manches musste im Vorfeld erledigt werden, bis wir dort angekommen sind, wo wir heute stehen. Als in den 80er-Jahren der Startschuss fiel, diskutierte die Menschheit noch eifrig über den gläsernen Menschen, die Vernichtung von Arbeitsplätzen, das papierlose Büro. Derweil nahm die Entwicklung ungerührt ihren Lauf, auch wenn niemand verlässlich sagen konnte, wohin die Reise überhaupt gehen sollte. Die großen Technologiekonzerne witterten ihre Chance, forschten, entwickelten, boten an und verkauften. Es entstand allmählich eine völlig neue Infrastruktur, die rein dem Digitalen diente. Aus proprietären Computersystemen erwuchsen offene. Großrechneranlagen schrumpften auf PCGröße, analoge Netze aus dem „Telefonkoffer“ wandelten sich erst zum „Motorola-Knochen“, dann bald zu handlichen Mobiltelefonen. Lange Zeit unbemerkt von der Öffentlichkeit änderte sich die Arbeitswelt – auch diese Strukturen formierten sich neu. Ganze Branchen verschwanden sang- und klanglos. Man denke an Filmhersteller wie Agfa oder Kodak, die den digitalen Zug immer nur von hinten sahen, oder an die „lithografischen Anstalten“, wie sie sich vielerorts auch nach 2000 noch nannten. Am Anfang das große Sterben Eine besonders dramatische Entwicklung durchliefen die Berufe in der Kommunikationsbranche. Viele Agenturen nahmen jahre lang nicht wahr, dass sich eine kleine Revolution vollzogen hatte, sie wurstelten so weiter wie bisher. Die Folge: molochartige Agenturgebilde mit bis zu 120 Mitarbeitern schrumpften auf Normalgröße, das heißt zwischen 5 und 30 Mitarbeitern, oder sie verschwanden ganz. Was war passiert? Nicht nur in den Agenturen, auch im Privaten und in den Unternehmen freuten sich die Menschen über erschwingliche Text- und Grafiksoft wareprogramme, mit denen sich trefflich nicht nur Visitenkarten, sondern sogar Broschüren und ganze Bücher gestalten ließen. Jeder war plötzlich sein eigener Grafikdesigner, Texter und Druckvorstufenhersteller. Und es kostete nur einen Bruchteil dessen, was man vorher für vom Grafiker gestaltetes Briefpapier oder die Visitenkarte hinlegen musste. Sah zwar meist grauenhaft aus, aber warum auch eine mehrjährige Ausbildung dafür machen? Inzwischen waren auch die analogen Fotoapparate verschwunden, die Digitalisierung setzte ihren Siegeszug fort und kreierte den Allroundfotografen, der zum Nulltarif draufhielt und massenweise Bildmaterial lieferte. Das motivierte auch den Marketingmitarbeiter in den großen Unternehmen, seinen Teil zur Kosten dämpfung beizutragen. Unscharf? Egal! Und man stellte fest, dass das hochwertige Kundenmagazin nun keine hochpreisigen Lithos mehr brauchte, man nicht unbedingt einen Profifotografen einsetzen musste, man auch keinen Textprofi benötigte, denn „Deutsch haben wir ja alle in der Schule gelernt“, wie es ein mittelständischer Unternehmer bei der Ansprache an seine Marketingabteilung einmal formulierte. Das Wissen der Kommu nikationsspezialisten wanderte über die Entwicklung von leistungsfähigen Softwareprogrammen direkt in die Marketingabteilungen, die die Devise ausgaben: „Lieber nicht perfekt, dafür aber kostengünstig von eigenen Leuten hergestellt.“ Denn Perfektion von außen zugekauft ist teuer. Agentursterben war die Folge. Europäische Wissenschaftstradition: Immer im Mittelpunkt – und so im Wege! Derweil tat sich im Bildungsbereich vieles, was den neuen Kurs stützte. Die Digitalisierung forderte die Vereinfachung. 1996 drückte man dem Volk eine Rechtschreibreform mit ebendiesem Ziel aufs Auge. Im Auge befand sich aber offensichtlich das sprachliche Mittelmaß, denn viele Schreibungen und lästige Regeln wie die Kommaregeln wurden durch andere, teils unsinnigere ersetzt: So blieb zwar die „Grenze“ die „Grenze“, der „Stengel“ indessen mutierte wundersam zum „Stängel“, was immer noch zu allerlei Gequengel führt, das aber bloß nicht Gequängel geschrieben werden durfte. Und schließlich ging man dem gesamten europäischen Bildungs system an den Kragen. Ende der 90er-Jahre stießen europäische Bildungsexperten den schon länger geplanten „Bologna-Prozess“ an, der einen homogenen europäischen Bildungsraum mit einheitlichen, verkürzten Studienabschlüssen realisieren sollte. Gefördert werden sollten die Mobilität der Studierenden, Lehrkräfte und Wissenschaftler, die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigungsfähigkeit. Gefragt war und ist fortan der „Brotstudent“, der seinen „Bachelor“ innerhalb von sechs Semestern berufs qualifizierend abschließt. Die Fixierung der Studiengänge auf gängige Berufsbilder sollte die gewünschte „Employability“ sichern mit dem Ergebnis, dass die klassische Bildung auf dem Altar der beruflichen Ausbildung im Dienste einer hoch technisierten Wissensgesellschaft geopfert wurde. Die Chefs der Kommunikationsagenturen stellten indessen fest, dass die Ausbildung zum Volontär nun plötzlich ergänzt werden musste mit Grundlagenwissen, an dem es hinten und vorne mangelte. 2 Detecon Management Report dmr • Special CRM 1 / 2016 Digitalisierung revolutioniert die Kommunikation Siegeszug der digitalen Technik So griff eins ins andere. Freie Fahrt für die Digitalisierung in alle Lebensbereiche! Die Technik forderte und bekam, was die Universitäten und privaten Fachhochschulen produzierten: den auf ein Ziel hin fokussierten, zumeist auf Tagesaktualität hin abonnierten Geistesminimalisten, der digitale Technik intuitiv begreift und in der Lage ist, die Themen des gesellschaftlichen Lebens ganz unbefangen verkürzt auf die Displays der digitalen Welt zu projizieren. Was nun Standard war, ergriff die große Welt der Kommunikation. Wo früher ganze Archive in Ordnern gepflegt wurden, reicht heute bereits ein Smartphone, welches fast unbeschränkten Zugang zur Recherche gibt, zu Datenbanken, Wissensportalen und Medien. Wo im Fachzeitschriftenjournalismus früher noch die tagelange Recherche mit ausführlichen Fachbeiträgen und Interviews von Experten gepflegt wurde, läuft heute die rasche Recherche im Internet, das schnelle Skype-Interview oder der kostenfrei ins Haus gelieferte PRBeitrag, der massenhaft die Redaktionen überflutet. Und nichts kann diesen kontinuierlichen Abonnentenschwund aufhalten, solange Verleger und altvordere Chefredakteure nicht einsehen wollen, dass der digital verwöhnte Kunde das für die digitale Zeit adäquate Medium haben will: strategisch geplant, gekonnt moderiert, möglichst in Echtzeit, mit kurzen, knappen Inhalten, plakativ, illustriert, unterstützt von Podcasts und schnellen Responsemöglichkeiten durch Blogs und Fachforen. Und natürlich eng verknüpft mit der Social-Media-Welt. Da zeigt die Digitalisierung ihr Können. Tatsächlich bringt sie Kurzlebigkeit und Oberflächlichkeit mit sich. Was aber kein Gesetz ist, sondern nur denen entgegenkommt, die das rezipieren wollen. Wer tiefer in die Materie eindringen will, kann das besser und variantenreicher, als es in der analogen Welt jemals möglich war. Er muss nur in der Lage sein, zahlreiche Wissensinseln durch eigenes Know-how und Kombinationsfähigkeit blitzschnell zu verknüpfen und daraus folgerichtige Schlüsse zu ziehen. Das aktuelle Bildungssystem fördert oder unterstützt diese Fähigkeiten aber nicht mehr. Nicht aber gelitten haben die Auflagen. Nie gab es so viele Fachzeitschriftentitel wie heute, hier ist Print absolut „in“. Nicht mehr ganz so sexy sind die klassischen Tageszeitungen, die schwer unter der gewollten Oberflächlichkeit der Rezipienten zu leiden haben. Sie haben zum großen Teil die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, verschlafen und schlimmer noch: Viele haben bis heute nicht die Notwendigkeit erkannt, ihre Marketingbudgets umzustellen zugunsten der digitalen Kommunikation. Sie denken immer noch analog und bilden ihre Zeitung eins zu eins im Netz ab. Leider falsch gedacht – und deswegen laufen die Abonnenten in Scharen davon. 3 Detecon Management Report dmr • Special CRM 1 / 2016 So bleibt es einer relativ kleinen Bildungselite vorbehalten, die Chancen und Segnungen der digitalen Welt nutzbringend und durchaus genussvoll für sich und ihre Klientel einzusetzen. Für Unternehmen und beratende PR-Spezialisten eine Herausforderung, die allerdings auch große Chancen mit sich bringt: Dies könnte die Zukunft der vielfach bedrohten Kommunikationsbranche sichern! Die gesellschaftliche Kommunikation entwick elt sich in Richtung Direktkommunikation, auch zwischen Unternehmen und Kunden. Wer in der Lage ist, aufgrund seines speziellen Wissens mit Social Media so arbeiten zu können, dass er Produkte, Lösungen und Leistungen eines Unternehmens authentisch, geschickt und sympathisch, ohne den Umweg über Medien nehmen zu müssen, platzieren kann, hat die digitale Herausforderung begriffen und wird sie souverän meistern. Bildung als Dienstleistung – ob klassisch, breit gefächert, spezialisiert oder auch virtuell – ist der Schlüssel dazu. Das Zeitalter der schlichten Kommunikation, der Verkürzung und Verflachung von Inhalten macht es uns einfach, die Stromschnellen des Mainstreams zu umschiffen. Das ist das erfreuliche Erbe der analogen Welt. AUTOR Dr. Reinhard Schwarz Jahrgang 1952, hat nach seinem Studium der Germanistik, Geschichte und einem Aufbaustudium der Kommunikations wissenschaften und Journalistik an den Universitäten Tübingen und Stuttgart-Hohenheim zunächst mehrere Jahre als freier Journalist und Autor gearbeitet. Seit 1987 ist er Inhaber und Geschäftsführer der Inforce GmbH, Agentur für Public Relations und Fachpresse arbeit in Bielefeld. Als Kommunikationsexperte berät er Mittelständler und Großunternehmen aller Branchen sowie Bildungseinrichtungen. Sein besonderer Fokus gilt dem Wissenschaftsjournalismus mit Spezialgebieten wie Wirtschaftswissenschaften, IT/TK und medizinische Grund lagenforschung/Pharmaforschung. 4 Detecon Management Report dmr • Special CRM 1 / 2016
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