Wende vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister gibt

New Mobility Services
Wende vom Autobauer
zum Mobilitätsdienstleister
gibt neue Impulse für CRM
Insbesondere für die junge Generation ist der Besitz eines eigenen Autos
nicht mehr wichtig. Wohl aber eine komfortable Mobilität. Wenn
Automobilhersteller jetzt umdenken, können sie die Chancen neuer
Mobilitätskonzepte für das Kundenbeziehungsmanagement nutzen.
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Erwartungen und Ansprüche an die persönliche Mobilität sind
im Wandel. Die Ursachen liegen zum einen in den großen
Ballungs­räumen und Megacitys, deren Infrastrukturen an Grenzen
stoßen. Bereits heute äußert sich dies in einer hohen Umwelt­
belastung, für den Einzelnen direkt spürbar sind aber vor allem
Parkplatzmangel und innerstädtische Staus. Weltmetropolen
wie Peking, Paris oder London reagieren darauf mit Maßnahmen
wie Umweltplaketten, „Congestion Fees” oder „Ban Days”, die
für Autofahrer immer eine Einschränkung bedeuten. Das Gefühl
der Bequemlichkeit, mit dem Auto unterwegs sein zu können,
schwindet.
Zum anderen nimmt die Wichtigkeit des Autobesitzes, seine
Bedeutung als Statussymbol, in den jungen Generationen
deutlich ab. Generation Y und Digital Natives brauchen das
Auto nicht, um mobil zu sein. Sie suchen komfortable Mobilitäts­
konzepte und maximale Flexibilität ohne Verpflichtungen – und
greifen deshalb bevorzugt auf neue Mobilitätsangebote wie
Carsharing und Transport-Apps für die intermodale Mobilität
zurück. Der Wunsch nach Connectivity – sich in Netzwerken
organisieren, über das Internet der Dinge verbunden sein – und
Convenience – alles immer und überall verfügbar haben,
Produkte und Services auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden –
verstärkt diesen gesellschaftlichen Trend.
Mobilitätskonzepte auf digitaler Basis schaffen Kundennähe
Keine guten Nachrichten für Automobilhersteller? Weit gefehlt!
Zwar titelte das renommierte Magazin Fast Company in diesem
Jahr „Millennials Don‘t Care About Owning Cars, And Car
Makers Can‘t Figure Out Why”. Doch noch sind Carsharing
und intermodale Mobilitätskonzepte als Ergänzung der Urban
Mobility zu sehen und keine Kannibalisierung der traditionellen
Geschäftssparte der OEMs, des Verkaufs von Fahrzeugen.
Bislang sieht nur ein Drittel der Autofahrer Carsharing als vollständiges Substitut zum eigenen Auto (Aral 2015: Trends beim
Autokauf 2015). Noch ist also Zeit für OEMs, sich selbst auf
den Wandel einzulassen und neue Mobilitätskonzepte zu ent­
wickeln. Für den klassischen Automobilhersteller bedeutet dies
den Mindshift hin zum Mobilitäts- und Servicedienstleister und
zur Nutzung der Digitalisierung für den intensiven Kunden­
austausch und eine stärkere Kundenbindung. Denn in der
­Vergangenheit haben sich OEMs fast ausschließlich um die
Entwicklung und Herstellung von Autos gekümmert. Heute
kommen IT-Unterstützung für Apps, Konnektivität und Backend,
Supportprozesse wie Flottenmanagement und -disposition und
vor allem – hier liegt die große Chance – das User Interface für
die Endkunden mit Fokus auf Apps und Portale sowie Usability
und User Experience dazu. Der Kunde auf dem (digitalen)
Präsentierteller, wenn man so will.
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Der direkte Zugang zu Kunden schafft viele Ansatzpunkte für
die Kundeninteraktion, die für Kunden und Unternehmen
einen Mehrwert bieten. Mit einer Mobility Card oder Nutzer-ID
könnten Kunden zum Beispiel mit einer ID verschiedene Arten
der Mobilität nutzen. So ist vorstellbar, dass über eine Karte
oder eine App Carsharingfahrzeuge, Taxis oder Tickets für den
Fernverkehr gebucht, genutzt und abgerechnet werden können.
Auch für das eigene Auto können Kraftstoffe und Parkgebühren
hiermit beglichen werden. Die Total Cost of Mobility werden
dem Endkunden transparent in einer Kostenübersicht dargestellt. Abhängig vom Mobilitätsbedarf sind gegebenenfalls
verschiedene Mobilitätstarife oder Flatrates analog zu Mobilfunktarifen buchbar.
OEMs als Anbieter einer solchen Karte gewinnen Transparenz
über das Mobilitätsverhalten ihrer Kunden und können auf
dieser Basis maßgeschneiderte Mobilität für bestimmte Kundengruppen anbieten. Dies bindet Nutzer langfristig über den reinen
Verkauf von Fahrzeugen hinaus. Mobilitätsdaten können weiterhin genutzt werden, um zielgerichtet neue Services und Mobilitätsdienstleistungen zu entwickeln und anzubieten. Der Aufbau
von Mobilitätsnetzen mit Vorteilen für die eigenen Kunden
hinsichtlich der intermodalen Mobilität würde die Lock-inEffekte für Kunden weiter erhöhen.
Das Mobile Device ist der neue „Point of Sale“
„Personalized – unique – just for you”, das ist der Weg, den
OEMs im Kundenbeziehungsmanagement einschlagen müssen.
Produkte, Kundenservice und relevante Marketingkampagnen
müssen individuell auf den einzelnen Nutzer zugeschnitten
werden. Gleichzeitig wird der Nutzer über die Crowd Intelligence
zum Co-Creator und somit Teil des Produkts – er wird in
die Produktentwicklung integriert. Viele erfolgreiche digitale
Geschäftsmodelle ziehen ihren Erfolg aus genau dieser
Vorgehensweise.
Klassisches CRM legt den Fokus auf die internen Kundenschnittstellen und Prozesse. Die Aktivitäten im automobilen CRM
konzentrieren sich noch heute hauptsächlich auf Lead-Generierungsmaßnahmen im Salesprozess und begleitende Dialogmarketingkampagnen beim Modelllaunch. Ergänzend finden eher
halbherzig umgesetzte Saleskampagnen im Aftersales statt, um
den Kunden proaktiv an den Servicepartner zu binden. Der tatsächliche Kundenkontakt findet nicht beim OEM, sondern
maximal beim Importeur, meistens jedoch beim Händler statt.
Bereits heute müssten aber tatsächlich der Kunde und das Gestalten
des Kundenerlebnisses im Mittelpunkt stehen. Und so ziehen die
Veränderungen im Mobilitätsverhalten veränderte Anforderungen,
aber auch Möglichkeiten für das Kundenbeziehungs- und das
Kundenerwartungsmanagement nach sich.
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Andere Branchen, deren Digitalisierungsgrad bereits weiter
fortgeschritten ist, bieten bereits differenziertere Ansätze, um
ein nachhaltiges Kundenerlebnis zu kreieren und die Kunden an
sich zu binden. App-basierte Geschäftsmodelle nutzen die
Crowd Intelligence intensiv und binden den Kunden als
Co-Creator über strukturierte Feedbackkanäle ein. Auf diese
Weise kann ein Produkt in schnellen und agilen Entwicklungszyklen im Livebetrieb ständig weiterentwickelt werden. Aus der
aktiven Mitgestaltung des Kunden an „seinem“ Produkt wächst
eine enge Kundenbindung.
Im Kundenservice ergänzen soziale Medien den klassischen
Servicekanal. Die Herausforderung für Unternehmen liegt in
der schnellen Beantwortung der Anfragen oder Beschwerden.
Etwa ein Drittel der Nutzer von Social Media erwartet eine
Antwort innerhalb von maximal einer Stunde. Der Nutzen für
Unternehmen liegt deshalb darin, schnell und zielgerichtet auf
Unzufriedenheit reagieren zu können. Mit intelligenten
­Network-Mapping-Methoden können hier zusätzlich die Social
Influencer identifiziert und kommunikativ entsprechend bearbeitet werden. Dies erhöht die Chance, Meinungsmacher im
Netz zu positivem Engagement im Sinne des Unternehmens zu
animieren, was zur Verbreitung von positiven Firmenmessages
beiträgt.
Das wichtigste Element in der Interaktion mit dem Kunden
und für die Schaffung von positiven Kundenerlebnissen ist die
direkte Schnittstelle zum Kunden – das User Interface. Um dem
tät
Wunsch nach ständiger Konnektivität bei hoher Mobili­
nachzukommen, muss diese Schnittstelle „Mobile First“
designt werden. Das heißt, Kundenanwendungen werden zunächst für die Nutzung auf dem Smartphone oder Tablet gestaltet, erst danach für Laptop oder PC. Daher müssen sich Apps
oder Software intuitiv anwenden lassen, eine hohe Performance
nachweisen und im ungünstigen Fall, in dem ein Kunde nicht
weiterkommt, eine schnelle Problemlösung anbieten. Nur so
kann ein einwandfreies Kundenerlebnis geschaffen und darüber
eine Bindung zur Marke zu aufgebaut werden. Das Marken­
image und positive Kundenerlebnis rund ums Auto werden in
die digitale Welt übertragen.
IT und Organisation müssen CRM-tauglich werden
Digitale Geschäftsmodelle zur Mobilität beinhalten für OEMs
die Chance des direkten Zugangs zu ihren Kunden und somit
zu den Kundendaten. Die Herausforderung besteht nun darin,
diese auch prozessieren und verarbeiten zu können. Heute noch
ist in vielen Unternehmen die komplette Infrastruktur unzureichend, um dies zufriedenstellend abzubilden. Es fehlen
beispielsweise integrierte performante Datenbanken, CRM­
Systeme sind nur rudimentär vorhanden und nicht auf digitale
Servicedienstleistungen ausgelegt, die interne Organisationsstruktur ist nicht dienstleisterorientiert, die entsprechenden
Prozesse fehlen. Performantes Kundendatenmanagement ist
aber das Backbone, das neue digitale Mobilitätsdienstleistungen
erst ermöglicht und darüber hinaus ein positives Kundenerlebnis
wie auch langfristige Kundenzufriedenheit sicherstellt.
„Für Facebook ist das Auto nur ein weiteres Mobile Device.“
(Zitat Christoph Stadeler, Facebook, auf dem Automotive Allstars Event 2015.) Facebook hat erkannt, dass es in der Digitalisierung der Automobilbranche nicht darum geht, das Auto zu
vernetzen, sondern sich als Unternehmen im Sinne des Relation­
ship Building mit dem Fahrer zu vernetzen. OEMs müssen hier
gleichziehen, um in der Zukunft nicht die Position als reiner
Hersteller von austauschbaren „Endgeräten“ einnehmen zu
müssen. Dazu müssen die Business Capabilities im Customer
Relationship Management sukzessive ausgebaut und vor allem
die organisatorischen und IT-technischen Voraussetzungen
geschaffen werden. Nur so kann der Wandel vom Hersteller
hin zum Anbieter von (neuer) Mobilität gelingen und die volle
Wertschöpfungskette kommerzialisiert werden.
Vorreiter in diesem Bereich sind Ansätze wie moovel, Daimler AG,
und Qixxit, Deutsche Bahn AG. Hier werden gezielt Geschäftsbereiche aufgebaut, die sich intermodalen Mobilitätskonzepten
widmen. Noch steckt dieses Geschäftsfeld allerdings in den
Kinderschuhen.
AUTOREN
Jörg Recktenwald
ist als Managing Consultant im Cluster Automotive
tätig. Er berät in- und ausländische Firmen zu Themen
der Digitalisierung, schwerpunktmäßig zu neuen
Mobilitätskonzepten und digitalen Geschäftsmodellen.
Recktenwald hat drei Jahre in Peking gelebt und
dort ein B2B-Carsharingkonzept für einen großen
deutschen OEM erfolgreich mit aufgebaut.
Yujin Schmidt
ist Management Consultant und verfügt über mehrjährige Projekterfahrung in den Branchen Automotive
und Telekommunikation. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich Neue Mobilität und
Connected Car sowie bei den Themen Customer
Relationship Management, Customer Experience
Management und digitale Geschäftsmodelle.
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