Monsignora - Bayerischer Rundfunk

Manuskript
Katholische Welt
„Monsignora“
Hermine Speier: Eine deutsche Jüdin im Vatikan
Autor/in:
Antje Dechert
Redaktion:
Wolfgang Küpper / Religion und Kirche
Sendedatum:
Sonntag, 28. Juni 2015 / 08.05 - 08.30 Uhr
www.br.de/bayern2/religion
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Bayerischer Rundfunk 2015
Seite 1
Sprecher
Rom 1928: Der Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts, Ludwig Curtius,
unterbreitet seiner Schülerin, der promovierten Archäologin Hermine Speier, folgendes
Angebot:
01 Zitator
Eine kleine Hülfsstelle an unserem römischen Institut, ohne Beamteneigenschaft,
jederzeit kündbar, kein Dauerposten.
Sprecher
Nach einem Traumjob klingt das freilich nicht gerade. Aber für Hermine Speier war es
genau das. Rom, das Arkadien der Archäologie. Und sie, eine ehrgeizige, junge
Wissenschaftlerin mitten drin. Kurz zuvor hatte Hermine Speier ihren 30. Geburtstag
gefeiert. Während ihres Studiums in Heidelberg war sie in Kontakt mit dem Dichterkreis
um den Lyriker Stefan George gekommen. Sie war gut vernetzt, wie man neudeutsch
sagen würde, außerdem Tochter aus gutem Hause, einer begüterten,
alteingesessenen Frankfurter Familie, die dem säkularen Judentum angehörte. Und
nun, nun war „Spinni“ – wie ihre Freunde sie nannten – auch noch Teil des elitären
Grüppchens der Romdeutschen. Eine schillernde Zukunft lag vor ihr. Eine Fotografie
zeigt die glückliche Hermine im hellen Sommerkleid, die dunklen Haare zum Dutt nach
hinten gebunden, kurz nach ihrer Ankunft in Rom. In ihr Tagebuch notiert sie:
01 Zitatorin
Nun bin ich also schon eine Woche hier und fühle mich so vertraut und heimisch, als
sei ich schon immer hier gewesen. Es ist ja ein solches Glück, sich all der Fülle ganz
hinzugeben und alles, was einem zuvor so schwer und wichtig schien, von sich
abfallen zu spüren.
Sprecher
Hermine Speier ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wohin sie ihr römisches
Abenteuer führt, dass sie in den Dienst der Päpste eintreten wird – als Frau und Jüdin.
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Seite 2
OT Gudrun Sailer
Wir sind auf dem Weg zur Arbeitsstätte von Hermine Speier, nämlich die vatikanischen
Museen. Und wir gehen die innervatikanische Route: Hier haben wir, wenn wir
schauen, die große Kuppel des Petersdoms, gleich daneben die Sixtinische Kapelle,
die man wahrscheinlich von außen gar nicht so erkennen würde, und hier hinten dann
der langestreckte Flügel bis zum Hintereingang der Museen.
Sprecher
Die Journalistin Gudrun Sailer führt durch den Vatikan auf den Spuren von Hermine
Speier. Gerade hat sie eine Biographie über die jüdische Archäologin verfasst.
1 OT Gudrun Sailer
Hermine Speier war 36 als sie diese Stelle bekommen hat. 1934 und 1933 kam Hitler
in Deutschland an die Macht und kurze Zeit später wurde dieses Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums veröffentlich mit dem berüchtigten
Arierparagraphen, der es ermöglicht hat Juden und andere missliebige aus dem
Staatsdienst zu entfernen….Und Hermine Speier arbeitet damals in Rom am
Deutschen Archäologischen Institut, das eine Einrichtung Deutschlands gewesen ist.
Und da hat ihr Direktor, Ludwig Curtius, noch versucht sie zu halten, aber es ging
einfach nicht mehr. Er musste sie 1934 kündigen, obwohl er eigentlich alles versucht
hat um das zu vermeiden. Und dann stand die arme Hermine Speier ohne Job da
1934.
Musiktrenner
Sprecher
Die nationalsozialistische Wende in Deutschland macht sich nun auch in Rom
bemerkbar. Hermine Speier kann nicht fassen, was sich in ihrer Heimat abspielt.
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Seite 3
02 Zitatorin
Ich kann nicht glauben, dass die Erfüllung so aussehe: so bar aller wahren Würde, und
so voller erschreckender Hybris. Ich hörte Hitlers Rede vom 1. Mai im Radio und war
lange verstört davon.
Sprecher
Auch die deutsche Bohème und Gelehrtengesellschaft in Rom teilt sich fortan an einer
braunen Linie. Hermines Freundin, Märit Furtwängler-Scheler, bittet sie, aus der
gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Die junge Archäologin steht ziemlich alleine da.
Doch ihr Doktorvater und ehemaliger Chef, Ludwig Curtius, hat einen Plan. Ein guter
Freund von ihm ist der Direktor der Vatikanischen Museen, der Archäologe Bartolomeo
Nogara. Curtius kennt ihn von seiner Arbeit an der Päpstlichen Akademie für
Archäologie.
2 OT Gudrun Sailer
Und bei einem Nachhauseweg von einer Sitzung hat der Curtius den Nogara auf seine
tüchtige Mitarbeiterin Hermine Speier angesprochen und gesagt er muss sie entlassen
und ob es vielleicht nicht auch an der Zeit wäre, in den Vatikanischen Museen eine
Fotothek einzurichten. Das kam der Hermine Speier sehr zugute. Denn sie war
nämlich höchstqualifiziert. Und die Fotothek des DAI war die bedeutendste Fotothek
einer kunsthistorischen Einrichtung auf italienischem Boden. Und die hat sie aufgebaut
seit 1928 in Rom.
3 OT Reporterin / Gudrun Sailer
Reporterin: Jetzt sind wir quasi hinter den Kulissen des touristischen Trubels.
Gudrun Sailer: Ganz genau, nachdem wir alle möglichen japanischen Reisegruppen
hier beiseitegeschoben haben, sind wir jetzt auf dem Weg in die Fotothek. Und das
war tatsächlich der Arbeitsweg damals von Hermine Speier herauf in den 3. Stock der
Pinakothek der Vatikanischen Museen.
Sprecher
Dort arbeitet heute die Museumsarchivarin Marta Bezzini. Sie hat die Personalakten
von Hermine Speier archiviert und weiß über die Karriere der deutschen Archäologin
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Seite 4
an den Museen bestens Bescheid. Sie sagt: Hermine Speier war 1934 die richtige Frau
am richtigen Ort.
4 OT Marta Bezzini
Sicuramente c’era l’esigenza di incaricare una persona competente e la Speier lo
era… OV: Die Museen suchten damals wissenschaftlich qualifiziertes Personal und
Hermine Speier war genau das. Sie hatte am Deutschen Archäologischen Institut
gearbeitet und eine unglaubliche Kompetenz bei der Archivierung von Fotonegativen
und Bildmaterial. In den Dokumenten über ihre Arbeit wird ihre Sachkenntnis immer
wieder gelobt. ….viene sempre sottolineata la sua competenza la serietà della
Speier
Sprecher
Mit dem damaligen Direktor Bartolomeo Nogara, erzählt Marta Bezzini, begann an den
Vatikanischen Museen ein neuer wissenschaftlicher Geist zu wehen. Alle Direktoren
vor ihm waren Künstler. Der Archäologe Nogara will die enorme Kunst- und
Antikensammlung der Päpste zu einem modernen Museum und einer
wissenschaftlichen Forschungsstätte umbauen.
5 OT Marta Bezzini Verwissenschaftlichung
Percui è proprio una fase ricchissima per i musei… OV: Es ist eine sehr fruchtbare
Phase für die Museen, mit der Eröffnung der neuen Pinakothek. Nogara organisiert die
Ausstellungen neu, er lässt die Restaurierungswerkstätten auf Vordermann bringen.
Restaurierungsarbeiten sollen künftig sorgfältig geplant und nicht erst dann gemacht
werden, wenn es für die Kunstwerke schon fast zu spät ist…. non solo un pronto
intervento, insomma.
Sprecher
Insbesondere für die von Nogara geplante Renovierung der Sixtinischen Kapelle, war
der Aufbau eines Fotoarchivs von unschätzbarem Wert. Konnte mit den Fotos doch
der Istzustand der Fresken festgehalten werden. Für die Archivierung aller
vorhandenen Fotografien und ihrer Negative war fortan Hermine Speier zuständig, eine
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Seite 5
Frau. Im Vatikan damals noch etwas sehr ungewöhnliches. Nogara muss ihre
Einstellung beim Staatssekretariat rechtfertigen.
6 OT Gudrun Sailer
Er verweist darauf, dass sie ein sehr anständiges Auftreten hat, also immer kollegial
ist. Klammer auf: Das ist keine, die einem Priester hier dumm entgegentritt. Sie kommt
immer hochgeschlossen, das schreibt er jetzt nicht, aber man kann es indirekt seinen
Worten entnehmen
Sprecher
Dabei war Hermine Speier nicht die erste Frau, die im Vatikan arbeitete. 1915, also
genau vor 100 Jahren wurde die erste Frau als Hilfsarbeiterin in der päpstlichen
„Floreria“ angestellt – einer Abteilung, die sich um die Ausstattung päpstlicher
Zeremonien kümmerte. Seit 1925 waren an den Vatikanischen Museen Ordensfrauen
beschäftigt, die in einer Werkstatt Teppiche restaurierten. Und um 1930 arbeiteten
aushilfsweise einige Frauen in der Vatikanbibliothek. Doch diese Frauen wirkten eher
auf unsichtbare Weise hinter den Vatikanmauern. Hermine Speier dagegen war die
erste Frau in einer sichtbaren und verantwortungsvollen Position im Vatikan.
7 OT Gudrun Sailer
Hermine Speier war es offensichtlich gewohnt in einem Männerladen zu wirken oder
von Männern umgeben zu sein. Schon dass sie das Abitur damals macht 1919 ist ja
herausragend. Sie war nicht die allererste, aber es bedurfte doch eines gewissen
Kopfes und eines deutlichen Beharrungsvermögens um 1919 als Frau in Preußen
Abitur zu machen. Sie hat es geschafft. Dann ist sie an die Universität gegangen –
nicht dass da so viele Frauen gewesen wären. Sie war die einzige Frau, die bei Curtius
promoviert hat, die anderen hat er alle herausgeekelt. Sie nahm das alles mit Humor.
Sie hat sich die Frage nach dem Frausein in Männerumgebungen eigentlich nicht
gestellt. Sie hat sie einfach gelebt.
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Seite 6
Sprecher
Hermine Speier weiß, wie viel Glück sie hat mit der Stelle im Vatikan. Zugleich ist sie
etwas wehmütig. Sie vermisst die anspruchsvollere Arbeit am Deutschen
Archäologischen Institut, den Austausch mit Kollegen.
Musiktrenner
Sprecher
Auch wenn sie es selbst zunächst nicht so sieht: Das kleine Schicksal der
Vatikanmitarbeiterin Hermine Speier ist in den folgenden Jahren aufs engste verwoben
mit dem großen Ganzen, den Vorgängen im nationalsozialistischen Deutschland und
im faschistischen Italien. An einer Reihe von Ereignissen in den Jahren 1938/39 wird
dies besonders deutlich. Vor allem eine Episode verstört Hermine nachhaltig.
04 Zitatorin
Im April 1938 wurde ich anlässlich des Besuchs von Hitler in das römische Gefängnis
gebracht.
Sprecher
Es ist der einzige Staatsbesuch, den Adolf Hitler als Reichskanzler überhaupt
unternimmt: Die Visite beim Duce, Benito Mussolini, in Rom. Das faschistische Italien
ist entsprechend bemüht, den Gast aus Berlin gebührend zu empfangen. Die
Polizeikontrollen auf den Straßen der italienischen Hauptstadt werden verschärft,
schon Wochen vor Hitlers Ankunft am 3. Mai. Besonders im Visier der Behörden:
polizeibekannte Antifaschisten, Ausländer, besonders Deutsche und Juden. In einem
mit antisemitischen Klischees gespickten Erlass des Innenministeriums an die
zuständigen Polizeistellen heißt es:
03 Zitator
Juden, die sich momentan in Italien als einfache Touristen aufhalten, hetzen im Verein
mit anderen gegen den Führer, den sie als Grund für ihren finanziellen Ruin sehen.
Konzentriert auf die Städte, in denen Hitler sich aufhalten wird, sollen ohne Ausnahme
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Seite 7
alle Juden festgehalten werden, wenn man ein Unglück verhindern will. Der Erfolg
hängt von der Geschwindigkeit und der raschen Verfügbarkeit vieler Personen ab, ehe
der Feind Stellung bezieht.
8 OT Gudrun Sailer
Da klopften also am 21. April 1938 an Hermine Speiers Wohnungstür faschistische
Polizisten, die sie mitgenommen haben und in Schutzhaft genommen haben. Hermine
Speier blieb eine Nacht lang in einem Frauengefängnis und hat den Schock fürs Leben
davongetragen.
Sprecher
Zu Hermines Glück ist der Spuk nach kurzer Zeit vorbei. Nach 24 Stunden wird sie aus
der so genannten „Schutzhaft“ entlassen. Dank ihres italienischen Verlobten, Umberto
Nobile. Der General und Luftschiffpionier war ein bekannter Mann. Zwar wegen einer
missglückten Nordpolexpedition bei Mussolini in Ungnade gefallen. Doch hatte Nobile
immer noch gute Kontakte in die Politik. Unter der Auflage, dass Hermine Speier
während des Hitlerbesuches in die Schweiz ausreist, kann Nobile die Freilassung
seiner Verlobten bewirken.
Musiktrenner
Sprecher
Nur wenige Monate später, im September 1938 dann der nächste Schlag: Mussolini
führt – nach nationalsozialistischem Vorbild – antijüdische Rassengesetze ein. Binnen
kürzester Zeit wird die jüdische Bevölkerung Italiens ihrer zivilen und politischen
Rechte beraubt. Ausländischen Juden ist es nun verboten, in Italien zu wohnen. Sie
werden aufgefordert binnen sechs Monaten das Land zu verlassen. Tausende Juden
sind betroffen. Gelehrte und Wissenschaftler wie Hermine Speier, aber auch viele, die
vor den Nazis nach Italien geflüchtet waren. Im Oktober 1938 schreibt Hermine Speier
an eine Freundin:
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Seite 8
05 Zitatorin
Von mir ist es schwer, zu berichten, da noch alles unentschieden ist. Aber so sehr groß
ist die Hoffnung zu bleiben nicht.
Sprecher
Zwar hat Hermine Speier inzwischen einen Vatikan-Ausweis. Dieser gibt ihr eine
gewisse Sicherheit. Aber sie wohnt in Italien. Und für den italienischen Staat ist
Hermine Speier immer noch deutsche Staatsbürgerin und Jüdin. Erneut ist es ihr Chef,
der Direktor der Vatikanischen Museen, Bartolomeo Nogara, der sich schützend vor
sie stellt. Über das Kardinalstaatssekretariat interveniert Nogara beim Botschafter des
Papstes in Italien und bittet um eine Ausnahmeregelung für Hermine Speier.
04 Zitator
Man könnte sie nicht ersetzen ohne großen Schaden für die Arbeit, die noch
mindestens drei Jahre dauern wird. Ich wäre sehr froh, wenn Fräulein Speier von den
Vorkehrungen gegen die nach 1919 eingewanderten Juden ausgenommen werden
könnte, die auch sie im kommenden März treffen würden.
Sprecher
Hermine Speier ist nicht die einzige Jüdin, der durch ein ungewöhnliches
Beschäftigungsverhältnis im Vatikan geholfen wird. Archivdokumente zeugen von
weiteren zwei bis drei Dutzend verfolgten Wissenschaftlern, die durch eine Anstellung
beim Papst Unterschlupf fanden. Darunter Juden und Kommunisten aus Italien und
Deutschland. Der Historiker Paolo Vian schreibt:
05 Zitator
Eine Eingliederung in den regulären Stellenplan war oft nicht möglich, weil fast nie
Stellen frei wurden. Was also geschah? Man beschäftigte diese Leute als
„wissenschaftliche Mitarbeiter“ im Vatikan. Sie gehörten nicht zum regulär angestellten
Personal, sondern waren an der Vatikan-Bibliothek jeweils mit einem bestimmten
Auftrag beschäftigt. Dafür gab es einen kleinen Geldbetrag und vor allen Dingen einen
Ausweis, der ihn – oder sie – gegenüber den italienischen Autoritäten schützte.
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Seite 9
Sprecher
In dieser Zeit erhält Hermine viele Briefe von Freunden aus Deutschland, die besorgt
fragen, wie es in Rom für sie weiter geht. Darunter eine Nachricht des Lyrikers Robert
Boehringer.
06 Zitator
Was dort vorgeht, wird sich hoffentlich zum Guten für Sie wenden, weil es vielleicht
Entschlüsse beschleunigt. …Sie wissen wozu ich riet und rate. Das eine können Sie
von sich aus tun. Zum anderen brauchts den Anderen.
9 OT Gudrun Sailer
Damit meint Robert Boehringer, dass sie sich taufen lassen soll und zum anderen,
dass sie Umberto Nobile, ihren katholischen Verlobten heiraten soll, dass sie dann
damit sozusagen aus dem Schneider wäre.
Sprecher
Tatsächlich beginnt Hermine Speier schon im Herbst 1938 mit der Taufvorbereitung
und lässt sich im Mai 1939 taufen. Die Konversion einer Jüdin im Nationalsozialismus
– ein politisch heikles Thema:
10 OT Gudrun Sailer
Das Ganze ist bis heute ein so großer Streitpunkt zwischen dem Vatikan, der Diözese
Rom und dem Judentum, dass bis heute die Taufregister von Juden aus dieser Zeit
gesperrt sind. Ich habe das Taufregister von Hermine Speier nicht einsehen können.
Ich habe aber die Bestätigung aus dem Vikariat bekommen: Hermine Speier ist
konvertiert am 13. Mai 1939 in der Benediktinerkirche auf dem Aventin.
Sprecher
Hinwendung zum Katholizismus aus Opportunismus? Die Speier-Biographin Gudrun
Sailer glaubt nicht daran. Aus einem Briefwechsel zwischen Hermine Speier und ihrer
besten Freundin Lise Selin gehe hervor, dass die Archäologin sich seit ihrer Jugend
zum Katholizismus hingezogen fühlte. Schon Ende der 20er Jahre besuchte Hermine
regelmäßig Messen in den römischen Kirchen. Kontakt zur jüdischen Gemeinde hatte
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Seite 10
sie keinen. Dennoch: Die geschichtlichen Rahmenbedingungen lassen sich nicht
wegdiskutieren. Gudrun Sailer glaubt, die historischen Umstände hätten Hermines
Beschluss beschleunigt. Und dann war da ja noch die Sache mit ihrem Verlobten.
11 OT Gudrun Sailer
Den Luftschiffpionier, den Witwer Umberto Nobile, den wollte sie heiraten. Und sie
dachte, Umberto Nobile, der es im Faschismus so schwer hat, der verfemt ist, den
Mussolini auszubooten versucht, der soll jetzt nicht auch noch eine Jüdin heiraten
müssen, also werde ich jetzt Katholikin, damit es ihm leichter fällt mich zu heiraten.
Umberto Nobile war mitsamt seiner Tochter bei der Taufe dabei, war vielleicht sogar
Taufpate und ging ins Exil nach Amerika, ohne sie geheiratet zu haben.
Musiktrenner
Sprecher
Durch ihre Stelle an den Vatikanischen Museen und auch durch ihre Taufe ist Hermine
Speier in Rom wieder relativ sicher. Die Betonung liegt auf relativ, denn Feinde hat sie
als so genannte „Nichtarierin“ auch im Vatikan selbst. An Hermine Speiers Biographie
lässt sich die widersprüchliche Haltung der Katholischen Kirche gegenüber dem
Nationalsozialismus und dem Faschismus deutlich erkennen. Einerseits ist Pius XI.
und hohen Kirchenvertretern die Rassenpolitik Hitlers und Mussolinis zuwider. Der
Papst verurteilt sie in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Mit keinem Wort aber
geißelt er die Judenverfolgung durch die Nazis. Zudem sind da die tief im
Katholizismus verwurzelten antijüdischen Ressentiments, die Sympathien für die
antikommunistische Stoßrichtung der deutschen und italienischen Diktatur.
Sympathien, die etwa auch der italienische Kurienkardinal Nicola Canali hegt. Mitte
1939 erkundigt er sich bei Museumsdirektor Nogara, nach dessen Mitarbeiterin
„Erminia Speier“. Nogara antwortet mit einem Brief:
12 OT Gudrun Sailer
Und dieser Brief von Nogara ist also wirklich das Schlüsseldokument, wo er versucht,
ein für alle Mal, alle Einwände, die man erheben kann gegen die Beschäftigung einer
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Seite 11
Frau und Jüdin an den Vatikanischen Museen, die zu entkräften. Also er schreibt
zuerst Mal: Sie kam 1934 mit dem Nulla Osta von Papst Pius XI.. Das heißt, wenn ein
Papst ihre Anstellung gut hieß, dann wird ein Kardinal sie nicht mehr wegschicken.
Und das Königsargument spielt er am Schluss aus: Nun, vor einem Monat hat Hermine
Speier die Taufe empfangen. Das heißt, das wichtigste Argument, dass gegen ihre
Beschäftigung spricht, nämlich, dass sie Jüdin ist, ist aus der Welt. Sie ist getauft und
eine getaufte Jüdin gilt innerhalb der Katholischen Kirche zu 100 Prozent als
Katholikin.
Sprecher
Hermine Speier arbeitet weiter unermüdlich am Aufbau der Fotothek in den
Vatikanischen Museen. Die Tätigkeit gibt ihr Halt. Trotzdem denkt sie immer wieder
über eine Emigration nach, in die USA, wo ihre Mutter und Geschwister inzwischen
leben oder nach Brasilien. Mit den Jahren hat sich auch ihr römischer Freundeskreis
entlang der braunen Bruchlinie ausgedünnt. Und seit dem Erlass der italienischen
Rassengesetze, empfinde sie einen „Hauch von Bitterkeit“, schreibt sie in einem Brief.
Aber da ist auch immer wieder die Schönheit Roms, die sie für all das zu entschädigen
scheint.
Pius XI. verstirbt im Februar 1939. Hermine Speier notiert in ihrem Tagebuch:
06 Zitatorin
Die Ewigkeit der Stadt und ihre einzigartige geschichtliche Mächtigkeit ist jetzt in
diesen Tagen durch den Tod des Papstes mit allen Sinnen zu spüren. Da hört der Tod
auf Tod zu sein. So ists halt hier und so ist mir auch der leise Hauch von Bitterkeit, den
ich seit dem Herbst doch hatte – selbst gegen die Stadt – wieder ganz geschwunden.
Sprecher
Doch im September 1943 überschlagen sich die Ereignisse. Mussolini wird von den
Faschisten abgesetzt und auf Anordnung des italienischen Königs verhaftet. Italien
schließt einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Damit bricht die Achse Rom-Berlin.
Hitler ist außer sich. Nur zwei Tage später besetzen Wehrmachtstruppen Rom. Am 16.
Oktober 1943 folgt eine Großrazzia der SS, bei der rund 1300 Juden verhaftet werden.
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Seite 12
Fast alle werden später nach Auschwitz deportiert. Verzweifelte Bürger bitten indessen
Pius XII. um Hilfe. Aber der Papst unternimmt nichts – vorerst. Erst einige Tage später
wird Pius im Stillen aktiv. Er bestimmt allgemeines Kirchenasyl für alle flüchtigen und
untergetauchten Juden im besetzten Italien. Bis zur Befreiung Roms am 4. Juni 1944
verstecken sich allein in Rom rund 4500 Juden in Klöstern und Pfarreien.
ATMO vor Katakomben
Sprecher
Gudrun Sailer führt zu einer weiteren wichtigen Station in Hermine Speiers bewegter
Biographie: Der Benediktinerinnen-Konvent an den Priscilla-Katakomben. Hier
versteckt sie sich während der neunmonatigen deutschen Besatzung.
An der Kasse zum Eingang des Katakomben-Museums sitzt heute die 91-jährige
Schwester Benedetta. Sie hat Hermine Speier damals als junge Novizin
kennengelernt.
13 OT Schwester Benedetta
Io dal 1944, il 25 gennaio sono entrata in Communità, aveva appena compiuto 21
anni. OV: Ich bin 1944, am 25 Januar hier in unsere Gemeinschaft eingetreten. Ich war
gerade 21 Jahre alt. Hier haben sich mehrere Leute versteckt. Da war die jüdische
Familie Camerino mit einer kleinen Tochter, dann Signorina Speier, die immer nett und
trotz allem so heiter war und noch zwei andere Familien, ein Herr Visconti aus Mailand,
er war ein politisch Verfolgter. Es war sehr gefährlich, aber die Signorina Speier ging
trotzdem zum Vatikan arbeiten. Die anderen hielten sich eher versteckt, sie hatten
große Angst.... Avevano piu paura...
18 OT Gudrun Sailer
Man fragt sich natürlich wie kann denn das? Die ist jeden zweiten Tag hier raus. Die ist
zu ihrer Arbeit gegangen, zu ihrer Wohnung auf dem Gianicolo nach dem Rechten
sehen, obwohl sie sich da auch manchmal bei Gefahr im Verzug verstecken musste,
deutsche Soldaten in Sichtweite, da musste sie sofort untertauchen. Ja, hat sie nicht
realisiert, dass sie in Lebensgefahr war? Am 16. Oktober 1943 haben die Nazis hier
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Seite 13
eine Judendeportation im großen Maßstab durchgeführt, mehr als tausend Juden sind
direkt nach Auschwitz gegangen Es ist ausgeschlossen, dass sie das sie nicht wusste.
Ganz Rom wusste davon und hatte Angst, dass so etwas noch einmal passiert. Es
kamen in den verbleibenden neun Monaten immer wieder Juden weg, die wurden dann
denunziert und ebenfalls deportiert. Sie muss es gewusst haben, hat sich dieser
Gefahr ausgesetzt. Warum? Ich weiß es nicht.
Musiktrenner
Im Juni 1944 ist für Rom der Weltkrieg endlich zu Ende. Hermine Speier kann ihr
Versteck bei den Benediktinerinnen verlassen. Sie wird ihren Wohltäterinnen ein Leben
lang freundschaftlich verbunden bleiben. In einem Brief an den befreundeten
Archäologen Ernst Langlotz spricht Hermineeuphorisch darüber, noch einmal heil
davongekommen zu sein.
07 Zitatorin
Ich blicke über die so gut wie unversehrte ‚urbs‘ und lass mich dann doch voller
Rührung von der Wohligkeit, die doch auch jetzt noch ihrer aeternitas entströmt,
anhauchen. Und dass ich selbst es hier immer noch so haben darf, nehme ich nicht als
Genuss, sondern als Aufgabe, da ich doch mit dem erhalten Gebliebenen auch
erhalten bin. Glaub mir, ich mein es nicht überheblich.
Sprecher
Mit dem Kriegsende stellt sich für die deutsche Archäologin einmal mehr die Frage:
Wie geht es weiter? Im Zuge der Wiedergutmachung hätte sie das Recht gehabt, ihre
ursprüngliche römische Arbeitsstelle am Deutschen Archäologischen Institut wieder zu
erhalten. Zumal ihr das eigene Forschen sehr fehlte und der Job am Institut besser
bezahlt war als der im Vatikan. Gudrun Sailer:
14 OT Gudrun Sailer
Es war ein sehr persönlicher Grund: Sie hat gesagt, wenn man auf so
außergewöhnliche Art und Weise wie ich eine „Serva Sancti Petri“ geworden ist, eine
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Bayerischer Rundfunk 2015
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Dienerin des Heiligen Petrus, des Papstes dann sollte man nicht einfach davongehen.
Das heißt gewissermaßen: Sie hat es den Päpsten so hoch angerechnet, dass sie sie
in einem wirklich schwierigen Moment geschützt haben, gegen nationalsozialistische
Nachstellungen, so dass sie aus Dankbarkeit an den Vatikanischen Museen geblieben
ist.
Sprecher
So viel Treue – die musste sich schließlich auch für die Wissenschaftlerin Hermine
Speier auszahlen. 1946 macht sie bei Aufräumarbeiten im Depot der Vatikanischen
Museen einen sensationellen Fund: Sie findet die antike Skulptur eines Pferdekopfes
und stellt nach eingehender Untersuchung fest: Die Statue zierte einst den Westgiebel
des berühmten Parthenons auf der Athener Akropolis.
15 OT Gudrun Sailer
Das man 1946 so einen Megafund überhaupt noch machen kann, ist da schon sehr
bemerkenswert. Und Hermine Speier ist unter Archäologen bis heute für diesen Fund
bekannt.
Sprecher
Damit wird die Fotothekarin Hermine Speier wieder Archäologin und schließlich auch
befördert. Bis zur ihrer Pensionierung 1967 ist sie in den Vatikanischen Museen für die
Antikensammlung zuständig – die bedeutendste ihrer Art weltweit. Eine Frau, die im
Vatikan etwas zu sagen hat – das ist für viele bis heute offenbar unglaublich. In einem
aktuellen Reiseführer über die Vatikanischen Museen ist aus H. Speier dann auch ein
Mann geworden…
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