Manuskript Katholische Welt „Monsignora“ Hermine Speier: Eine deutsche Jüdin im Vatikan Autor/in: Antje Dechert Redaktion: Wolfgang Küpper / Religion und Kirche Sendedatum: Sonntag, 28. Juni 2015 / 08.05 - 08.30 Uhr www.br.de/bayern2/religion Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 1 Sprecher Rom 1928: Der Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts, Ludwig Curtius, unterbreitet seiner Schülerin, der promovierten Archäologin Hermine Speier, folgendes Angebot: 01 Zitator Eine kleine Hülfsstelle an unserem römischen Institut, ohne Beamteneigenschaft, jederzeit kündbar, kein Dauerposten. Sprecher Nach einem Traumjob klingt das freilich nicht gerade. Aber für Hermine Speier war es genau das. Rom, das Arkadien der Archäologie. Und sie, eine ehrgeizige, junge Wissenschaftlerin mitten drin. Kurz zuvor hatte Hermine Speier ihren 30. Geburtstag gefeiert. Während ihres Studiums in Heidelberg war sie in Kontakt mit dem Dichterkreis um den Lyriker Stefan George gekommen. Sie war gut vernetzt, wie man neudeutsch sagen würde, außerdem Tochter aus gutem Hause, einer begüterten, alteingesessenen Frankfurter Familie, die dem säkularen Judentum angehörte. Und nun, nun war „Spinni“ – wie ihre Freunde sie nannten – auch noch Teil des elitären Grüppchens der Romdeutschen. Eine schillernde Zukunft lag vor ihr. Eine Fotografie zeigt die glückliche Hermine im hellen Sommerkleid, die dunklen Haare zum Dutt nach hinten gebunden, kurz nach ihrer Ankunft in Rom. In ihr Tagebuch notiert sie: 01 Zitatorin Nun bin ich also schon eine Woche hier und fühle mich so vertraut und heimisch, als sei ich schon immer hier gewesen. Es ist ja ein solches Glück, sich all der Fülle ganz hinzugeben und alles, was einem zuvor so schwer und wichtig schien, von sich abfallen zu spüren. Sprecher Hermine Speier ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wohin sie ihr römisches Abenteuer führt, dass sie in den Dienst der Päpste eintreten wird – als Frau und Jüdin. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 2 OT Gudrun Sailer Wir sind auf dem Weg zur Arbeitsstätte von Hermine Speier, nämlich die vatikanischen Museen. Und wir gehen die innervatikanische Route: Hier haben wir, wenn wir schauen, die große Kuppel des Petersdoms, gleich daneben die Sixtinische Kapelle, die man wahrscheinlich von außen gar nicht so erkennen würde, und hier hinten dann der langestreckte Flügel bis zum Hintereingang der Museen. Sprecher Die Journalistin Gudrun Sailer führt durch den Vatikan auf den Spuren von Hermine Speier. Gerade hat sie eine Biographie über die jüdische Archäologin verfasst. 1 OT Gudrun Sailer Hermine Speier war 36 als sie diese Stelle bekommen hat. 1934 und 1933 kam Hitler in Deutschland an die Macht und kurze Zeit später wurde dieses Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums veröffentlich mit dem berüchtigten Arierparagraphen, der es ermöglicht hat Juden und andere missliebige aus dem Staatsdienst zu entfernen….Und Hermine Speier arbeitet damals in Rom am Deutschen Archäologischen Institut, das eine Einrichtung Deutschlands gewesen ist. Und da hat ihr Direktor, Ludwig Curtius, noch versucht sie zu halten, aber es ging einfach nicht mehr. Er musste sie 1934 kündigen, obwohl er eigentlich alles versucht hat um das zu vermeiden. Und dann stand die arme Hermine Speier ohne Job da 1934. Musiktrenner Sprecher Die nationalsozialistische Wende in Deutschland macht sich nun auch in Rom bemerkbar. Hermine Speier kann nicht fassen, was sich in ihrer Heimat abspielt. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 3 02 Zitatorin Ich kann nicht glauben, dass die Erfüllung so aussehe: so bar aller wahren Würde, und so voller erschreckender Hybris. Ich hörte Hitlers Rede vom 1. Mai im Radio und war lange verstört davon. Sprecher Auch die deutsche Bohème und Gelehrtengesellschaft in Rom teilt sich fortan an einer braunen Linie. Hermines Freundin, Märit Furtwängler-Scheler, bittet sie, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Die junge Archäologin steht ziemlich alleine da. Doch ihr Doktorvater und ehemaliger Chef, Ludwig Curtius, hat einen Plan. Ein guter Freund von ihm ist der Direktor der Vatikanischen Museen, der Archäologe Bartolomeo Nogara. Curtius kennt ihn von seiner Arbeit an der Päpstlichen Akademie für Archäologie. 2 OT Gudrun Sailer Und bei einem Nachhauseweg von einer Sitzung hat der Curtius den Nogara auf seine tüchtige Mitarbeiterin Hermine Speier angesprochen und gesagt er muss sie entlassen und ob es vielleicht nicht auch an der Zeit wäre, in den Vatikanischen Museen eine Fotothek einzurichten. Das kam der Hermine Speier sehr zugute. Denn sie war nämlich höchstqualifiziert. Und die Fotothek des DAI war die bedeutendste Fotothek einer kunsthistorischen Einrichtung auf italienischem Boden. Und die hat sie aufgebaut seit 1928 in Rom. 3 OT Reporterin / Gudrun Sailer Reporterin: Jetzt sind wir quasi hinter den Kulissen des touristischen Trubels. Gudrun Sailer: Ganz genau, nachdem wir alle möglichen japanischen Reisegruppen hier beiseitegeschoben haben, sind wir jetzt auf dem Weg in die Fotothek. Und das war tatsächlich der Arbeitsweg damals von Hermine Speier herauf in den 3. Stock der Pinakothek der Vatikanischen Museen. Sprecher Dort arbeitet heute die Museumsarchivarin Marta Bezzini. Sie hat die Personalakten von Hermine Speier archiviert und weiß über die Karriere der deutschen Archäologin Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 4 an den Museen bestens Bescheid. Sie sagt: Hermine Speier war 1934 die richtige Frau am richtigen Ort. 4 OT Marta Bezzini Sicuramente c’era l’esigenza di incaricare una persona competente e la Speier lo era… OV: Die Museen suchten damals wissenschaftlich qualifiziertes Personal und Hermine Speier war genau das. Sie hatte am Deutschen Archäologischen Institut gearbeitet und eine unglaubliche Kompetenz bei der Archivierung von Fotonegativen und Bildmaterial. In den Dokumenten über ihre Arbeit wird ihre Sachkenntnis immer wieder gelobt. ….viene sempre sottolineata la sua competenza la serietà della Speier Sprecher Mit dem damaligen Direktor Bartolomeo Nogara, erzählt Marta Bezzini, begann an den Vatikanischen Museen ein neuer wissenschaftlicher Geist zu wehen. Alle Direktoren vor ihm waren Künstler. Der Archäologe Nogara will die enorme Kunst- und Antikensammlung der Päpste zu einem modernen Museum und einer wissenschaftlichen Forschungsstätte umbauen. 5 OT Marta Bezzini Verwissenschaftlichung Percui è proprio una fase ricchissima per i musei… OV: Es ist eine sehr fruchtbare Phase für die Museen, mit der Eröffnung der neuen Pinakothek. Nogara organisiert die Ausstellungen neu, er lässt die Restaurierungswerkstätten auf Vordermann bringen. Restaurierungsarbeiten sollen künftig sorgfältig geplant und nicht erst dann gemacht werden, wenn es für die Kunstwerke schon fast zu spät ist…. non solo un pronto intervento, insomma. Sprecher Insbesondere für die von Nogara geplante Renovierung der Sixtinischen Kapelle, war der Aufbau eines Fotoarchivs von unschätzbarem Wert. Konnte mit den Fotos doch der Istzustand der Fresken festgehalten werden. Für die Archivierung aller vorhandenen Fotografien und ihrer Negative war fortan Hermine Speier zuständig, eine Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 5 Frau. Im Vatikan damals noch etwas sehr ungewöhnliches. Nogara muss ihre Einstellung beim Staatssekretariat rechtfertigen. 6 OT Gudrun Sailer Er verweist darauf, dass sie ein sehr anständiges Auftreten hat, also immer kollegial ist. Klammer auf: Das ist keine, die einem Priester hier dumm entgegentritt. Sie kommt immer hochgeschlossen, das schreibt er jetzt nicht, aber man kann es indirekt seinen Worten entnehmen Sprecher Dabei war Hermine Speier nicht die erste Frau, die im Vatikan arbeitete. 1915, also genau vor 100 Jahren wurde die erste Frau als Hilfsarbeiterin in der päpstlichen „Floreria“ angestellt – einer Abteilung, die sich um die Ausstattung päpstlicher Zeremonien kümmerte. Seit 1925 waren an den Vatikanischen Museen Ordensfrauen beschäftigt, die in einer Werkstatt Teppiche restaurierten. Und um 1930 arbeiteten aushilfsweise einige Frauen in der Vatikanbibliothek. Doch diese Frauen wirkten eher auf unsichtbare Weise hinter den Vatikanmauern. Hermine Speier dagegen war die erste Frau in einer sichtbaren und verantwortungsvollen Position im Vatikan. 7 OT Gudrun Sailer Hermine Speier war es offensichtlich gewohnt in einem Männerladen zu wirken oder von Männern umgeben zu sein. Schon dass sie das Abitur damals macht 1919 ist ja herausragend. Sie war nicht die allererste, aber es bedurfte doch eines gewissen Kopfes und eines deutlichen Beharrungsvermögens um 1919 als Frau in Preußen Abitur zu machen. Sie hat es geschafft. Dann ist sie an die Universität gegangen – nicht dass da so viele Frauen gewesen wären. Sie war die einzige Frau, die bei Curtius promoviert hat, die anderen hat er alle herausgeekelt. Sie nahm das alles mit Humor. Sie hat sich die Frage nach dem Frausein in Männerumgebungen eigentlich nicht gestellt. Sie hat sie einfach gelebt. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 6 Sprecher Hermine Speier weiß, wie viel Glück sie hat mit der Stelle im Vatikan. Zugleich ist sie etwas wehmütig. Sie vermisst die anspruchsvollere Arbeit am Deutschen Archäologischen Institut, den Austausch mit Kollegen. Musiktrenner Sprecher Auch wenn sie es selbst zunächst nicht so sieht: Das kleine Schicksal der Vatikanmitarbeiterin Hermine Speier ist in den folgenden Jahren aufs engste verwoben mit dem großen Ganzen, den Vorgängen im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien. An einer Reihe von Ereignissen in den Jahren 1938/39 wird dies besonders deutlich. Vor allem eine Episode verstört Hermine nachhaltig. 04 Zitatorin Im April 1938 wurde ich anlässlich des Besuchs von Hitler in das römische Gefängnis gebracht. Sprecher Es ist der einzige Staatsbesuch, den Adolf Hitler als Reichskanzler überhaupt unternimmt: Die Visite beim Duce, Benito Mussolini, in Rom. Das faschistische Italien ist entsprechend bemüht, den Gast aus Berlin gebührend zu empfangen. Die Polizeikontrollen auf den Straßen der italienischen Hauptstadt werden verschärft, schon Wochen vor Hitlers Ankunft am 3. Mai. Besonders im Visier der Behörden: polizeibekannte Antifaschisten, Ausländer, besonders Deutsche und Juden. In einem mit antisemitischen Klischees gespickten Erlass des Innenministeriums an die zuständigen Polizeistellen heißt es: 03 Zitator Juden, die sich momentan in Italien als einfache Touristen aufhalten, hetzen im Verein mit anderen gegen den Führer, den sie als Grund für ihren finanziellen Ruin sehen. Konzentriert auf die Städte, in denen Hitler sich aufhalten wird, sollen ohne Ausnahme Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 7 alle Juden festgehalten werden, wenn man ein Unglück verhindern will. Der Erfolg hängt von der Geschwindigkeit und der raschen Verfügbarkeit vieler Personen ab, ehe der Feind Stellung bezieht. 8 OT Gudrun Sailer Da klopften also am 21. April 1938 an Hermine Speiers Wohnungstür faschistische Polizisten, die sie mitgenommen haben und in Schutzhaft genommen haben. Hermine Speier blieb eine Nacht lang in einem Frauengefängnis und hat den Schock fürs Leben davongetragen. Sprecher Zu Hermines Glück ist der Spuk nach kurzer Zeit vorbei. Nach 24 Stunden wird sie aus der so genannten „Schutzhaft“ entlassen. Dank ihres italienischen Verlobten, Umberto Nobile. Der General und Luftschiffpionier war ein bekannter Mann. Zwar wegen einer missglückten Nordpolexpedition bei Mussolini in Ungnade gefallen. Doch hatte Nobile immer noch gute Kontakte in die Politik. Unter der Auflage, dass Hermine Speier während des Hitlerbesuches in die Schweiz ausreist, kann Nobile die Freilassung seiner Verlobten bewirken. Musiktrenner Sprecher Nur wenige Monate später, im September 1938 dann der nächste Schlag: Mussolini führt – nach nationalsozialistischem Vorbild – antijüdische Rassengesetze ein. Binnen kürzester Zeit wird die jüdische Bevölkerung Italiens ihrer zivilen und politischen Rechte beraubt. Ausländischen Juden ist es nun verboten, in Italien zu wohnen. Sie werden aufgefordert binnen sechs Monaten das Land zu verlassen. Tausende Juden sind betroffen. Gelehrte und Wissenschaftler wie Hermine Speier, aber auch viele, die vor den Nazis nach Italien geflüchtet waren. Im Oktober 1938 schreibt Hermine Speier an eine Freundin: Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 8 05 Zitatorin Von mir ist es schwer, zu berichten, da noch alles unentschieden ist. Aber so sehr groß ist die Hoffnung zu bleiben nicht. Sprecher Zwar hat Hermine Speier inzwischen einen Vatikan-Ausweis. Dieser gibt ihr eine gewisse Sicherheit. Aber sie wohnt in Italien. Und für den italienischen Staat ist Hermine Speier immer noch deutsche Staatsbürgerin und Jüdin. Erneut ist es ihr Chef, der Direktor der Vatikanischen Museen, Bartolomeo Nogara, der sich schützend vor sie stellt. Über das Kardinalstaatssekretariat interveniert Nogara beim Botschafter des Papstes in Italien und bittet um eine Ausnahmeregelung für Hermine Speier. 04 Zitator Man könnte sie nicht ersetzen ohne großen Schaden für die Arbeit, die noch mindestens drei Jahre dauern wird. Ich wäre sehr froh, wenn Fräulein Speier von den Vorkehrungen gegen die nach 1919 eingewanderten Juden ausgenommen werden könnte, die auch sie im kommenden März treffen würden. Sprecher Hermine Speier ist nicht die einzige Jüdin, der durch ein ungewöhnliches Beschäftigungsverhältnis im Vatikan geholfen wird. Archivdokumente zeugen von weiteren zwei bis drei Dutzend verfolgten Wissenschaftlern, die durch eine Anstellung beim Papst Unterschlupf fanden. Darunter Juden und Kommunisten aus Italien und Deutschland. Der Historiker Paolo Vian schreibt: 05 Zitator Eine Eingliederung in den regulären Stellenplan war oft nicht möglich, weil fast nie Stellen frei wurden. Was also geschah? Man beschäftigte diese Leute als „wissenschaftliche Mitarbeiter“ im Vatikan. Sie gehörten nicht zum regulär angestellten Personal, sondern waren an der Vatikan-Bibliothek jeweils mit einem bestimmten Auftrag beschäftigt. Dafür gab es einen kleinen Geldbetrag und vor allen Dingen einen Ausweis, der ihn – oder sie – gegenüber den italienischen Autoritäten schützte. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 9 Sprecher In dieser Zeit erhält Hermine viele Briefe von Freunden aus Deutschland, die besorgt fragen, wie es in Rom für sie weiter geht. Darunter eine Nachricht des Lyrikers Robert Boehringer. 06 Zitator Was dort vorgeht, wird sich hoffentlich zum Guten für Sie wenden, weil es vielleicht Entschlüsse beschleunigt. …Sie wissen wozu ich riet und rate. Das eine können Sie von sich aus tun. Zum anderen brauchts den Anderen. 9 OT Gudrun Sailer Damit meint Robert Boehringer, dass sie sich taufen lassen soll und zum anderen, dass sie Umberto Nobile, ihren katholischen Verlobten heiraten soll, dass sie dann damit sozusagen aus dem Schneider wäre. Sprecher Tatsächlich beginnt Hermine Speier schon im Herbst 1938 mit der Taufvorbereitung und lässt sich im Mai 1939 taufen. Die Konversion einer Jüdin im Nationalsozialismus – ein politisch heikles Thema: 10 OT Gudrun Sailer Das Ganze ist bis heute ein so großer Streitpunkt zwischen dem Vatikan, der Diözese Rom und dem Judentum, dass bis heute die Taufregister von Juden aus dieser Zeit gesperrt sind. Ich habe das Taufregister von Hermine Speier nicht einsehen können. Ich habe aber die Bestätigung aus dem Vikariat bekommen: Hermine Speier ist konvertiert am 13. Mai 1939 in der Benediktinerkirche auf dem Aventin. Sprecher Hinwendung zum Katholizismus aus Opportunismus? Die Speier-Biographin Gudrun Sailer glaubt nicht daran. Aus einem Briefwechsel zwischen Hermine Speier und ihrer besten Freundin Lise Selin gehe hervor, dass die Archäologin sich seit ihrer Jugend zum Katholizismus hingezogen fühlte. Schon Ende der 20er Jahre besuchte Hermine regelmäßig Messen in den römischen Kirchen. Kontakt zur jüdischen Gemeinde hatte Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 10 sie keinen. Dennoch: Die geschichtlichen Rahmenbedingungen lassen sich nicht wegdiskutieren. Gudrun Sailer glaubt, die historischen Umstände hätten Hermines Beschluss beschleunigt. Und dann war da ja noch die Sache mit ihrem Verlobten. 11 OT Gudrun Sailer Den Luftschiffpionier, den Witwer Umberto Nobile, den wollte sie heiraten. Und sie dachte, Umberto Nobile, der es im Faschismus so schwer hat, der verfemt ist, den Mussolini auszubooten versucht, der soll jetzt nicht auch noch eine Jüdin heiraten müssen, also werde ich jetzt Katholikin, damit es ihm leichter fällt mich zu heiraten. Umberto Nobile war mitsamt seiner Tochter bei der Taufe dabei, war vielleicht sogar Taufpate und ging ins Exil nach Amerika, ohne sie geheiratet zu haben. Musiktrenner Sprecher Durch ihre Stelle an den Vatikanischen Museen und auch durch ihre Taufe ist Hermine Speier in Rom wieder relativ sicher. Die Betonung liegt auf relativ, denn Feinde hat sie als so genannte „Nichtarierin“ auch im Vatikan selbst. An Hermine Speiers Biographie lässt sich die widersprüchliche Haltung der Katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Faschismus deutlich erkennen. Einerseits ist Pius XI. und hohen Kirchenvertretern die Rassenpolitik Hitlers und Mussolinis zuwider. Der Papst verurteilt sie in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Mit keinem Wort aber geißelt er die Judenverfolgung durch die Nazis. Zudem sind da die tief im Katholizismus verwurzelten antijüdischen Ressentiments, die Sympathien für die antikommunistische Stoßrichtung der deutschen und italienischen Diktatur. Sympathien, die etwa auch der italienische Kurienkardinal Nicola Canali hegt. Mitte 1939 erkundigt er sich bei Museumsdirektor Nogara, nach dessen Mitarbeiterin „Erminia Speier“. Nogara antwortet mit einem Brief: 12 OT Gudrun Sailer Und dieser Brief von Nogara ist also wirklich das Schlüsseldokument, wo er versucht, ein für alle Mal, alle Einwände, die man erheben kann gegen die Beschäftigung einer Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 11 Frau und Jüdin an den Vatikanischen Museen, die zu entkräften. Also er schreibt zuerst Mal: Sie kam 1934 mit dem Nulla Osta von Papst Pius XI.. Das heißt, wenn ein Papst ihre Anstellung gut hieß, dann wird ein Kardinal sie nicht mehr wegschicken. Und das Königsargument spielt er am Schluss aus: Nun, vor einem Monat hat Hermine Speier die Taufe empfangen. Das heißt, das wichtigste Argument, dass gegen ihre Beschäftigung spricht, nämlich, dass sie Jüdin ist, ist aus der Welt. Sie ist getauft und eine getaufte Jüdin gilt innerhalb der Katholischen Kirche zu 100 Prozent als Katholikin. Sprecher Hermine Speier arbeitet weiter unermüdlich am Aufbau der Fotothek in den Vatikanischen Museen. Die Tätigkeit gibt ihr Halt. Trotzdem denkt sie immer wieder über eine Emigration nach, in die USA, wo ihre Mutter und Geschwister inzwischen leben oder nach Brasilien. Mit den Jahren hat sich auch ihr römischer Freundeskreis entlang der braunen Bruchlinie ausgedünnt. Und seit dem Erlass der italienischen Rassengesetze, empfinde sie einen „Hauch von Bitterkeit“, schreibt sie in einem Brief. Aber da ist auch immer wieder die Schönheit Roms, die sie für all das zu entschädigen scheint. Pius XI. verstirbt im Februar 1939. Hermine Speier notiert in ihrem Tagebuch: 06 Zitatorin Die Ewigkeit der Stadt und ihre einzigartige geschichtliche Mächtigkeit ist jetzt in diesen Tagen durch den Tod des Papstes mit allen Sinnen zu spüren. Da hört der Tod auf Tod zu sein. So ists halt hier und so ist mir auch der leise Hauch von Bitterkeit, den ich seit dem Herbst doch hatte – selbst gegen die Stadt – wieder ganz geschwunden. Sprecher Doch im September 1943 überschlagen sich die Ereignisse. Mussolini wird von den Faschisten abgesetzt und auf Anordnung des italienischen Königs verhaftet. Italien schließt einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Damit bricht die Achse Rom-Berlin. Hitler ist außer sich. Nur zwei Tage später besetzen Wehrmachtstruppen Rom. Am 16. Oktober 1943 folgt eine Großrazzia der SS, bei der rund 1300 Juden verhaftet werden. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 12 Fast alle werden später nach Auschwitz deportiert. Verzweifelte Bürger bitten indessen Pius XII. um Hilfe. Aber der Papst unternimmt nichts – vorerst. Erst einige Tage später wird Pius im Stillen aktiv. Er bestimmt allgemeines Kirchenasyl für alle flüchtigen und untergetauchten Juden im besetzten Italien. Bis zur Befreiung Roms am 4. Juni 1944 verstecken sich allein in Rom rund 4500 Juden in Klöstern und Pfarreien. ATMO vor Katakomben Sprecher Gudrun Sailer führt zu einer weiteren wichtigen Station in Hermine Speiers bewegter Biographie: Der Benediktinerinnen-Konvent an den Priscilla-Katakomben. Hier versteckt sie sich während der neunmonatigen deutschen Besatzung. An der Kasse zum Eingang des Katakomben-Museums sitzt heute die 91-jährige Schwester Benedetta. Sie hat Hermine Speier damals als junge Novizin kennengelernt. 13 OT Schwester Benedetta Io dal 1944, il 25 gennaio sono entrata in Communità, aveva appena compiuto 21 anni. OV: Ich bin 1944, am 25 Januar hier in unsere Gemeinschaft eingetreten. Ich war gerade 21 Jahre alt. Hier haben sich mehrere Leute versteckt. Da war die jüdische Familie Camerino mit einer kleinen Tochter, dann Signorina Speier, die immer nett und trotz allem so heiter war und noch zwei andere Familien, ein Herr Visconti aus Mailand, er war ein politisch Verfolgter. Es war sehr gefährlich, aber die Signorina Speier ging trotzdem zum Vatikan arbeiten. Die anderen hielten sich eher versteckt, sie hatten große Angst.... Avevano piu paura... 18 OT Gudrun Sailer Man fragt sich natürlich wie kann denn das? Die ist jeden zweiten Tag hier raus. Die ist zu ihrer Arbeit gegangen, zu ihrer Wohnung auf dem Gianicolo nach dem Rechten sehen, obwohl sie sich da auch manchmal bei Gefahr im Verzug verstecken musste, deutsche Soldaten in Sichtweite, da musste sie sofort untertauchen. Ja, hat sie nicht realisiert, dass sie in Lebensgefahr war? Am 16. Oktober 1943 haben die Nazis hier Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 13 eine Judendeportation im großen Maßstab durchgeführt, mehr als tausend Juden sind direkt nach Auschwitz gegangen Es ist ausgeschlossen, dass sie das sie nicht wusste. Ganz Rom wusste davon und hatte Angst, dass so etwas noch einmal passiert. Es kamen in den verbleibenden neun Monaten immer wieder Juden weg, die wurden dann denunziert und ebenfalls deportiert. Sie muss es gewusst haben, hat sich dieser Gefahr ausgesetzt. Warum? Ich weiß es nicht. Musiktrenner Im Juni 1944 ist für Rom der Weltkrieg endlich zu Ende. Hermine Speier kann ihr Versteck bei den Benediktinerinnen verlassen. Sie wird ihren Wohltäterinnen ein Leben lang freundschaftlich verbunden bleiben. In einem Brief an den befreundeten Archäologen Ernst Langlotz spricht Hermineeuphorisch darüber, noch einmal heil davongekommen zu sein. 07 Zitatorin Ich blicke über die so gut wie unversehrte ‚urbs‘ und lass mich dann doch voller Rührung von der Wohligkeit, die doch auch jetzt noch ihrer aeternitas entströmt, anhauchen. Und dass ich selbst es hier immer noch so haben darf, nehme ich nicht als Genuss, sondern als Aufgabe, da ich doch mit dem erhalten Gebliebenen auch erhalten bin. Glaub mir, ich mein es nicht überheblich. Sprecher Mit dem Kriegsende stellt sich für die deutsche Archäologin einmal mehr die Frage: Wie geht es weiter? Im Zuge der Wiedergutmachung hätte sie das Recht gehabt, ihre ursprüngliche römische Arbeitsstelle am Deutschen Archäologischen Institut wieder zu erhalten. Zumal ihr das eigene Forschen sehr fehlte und der Job am Institut besser bezahlt war als der im Vatikan. Gudrun Sailer: 14 OT Gudrun Sailer Es war ein sehr persönlicher Grund: Sie hat gesagt, wenn man auf so außergewöhnliche Art und Weise wie ich eine „Serva Sancti Petri“ geworden ist, eine Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 14 Dienerin des Heiligen Petrus, des Papstes dann sollte man nicht einfach davongehen. Das heißt gewissermaßen: Sie hat es den Päpsten so hoch angerechnet, dass sie sie in einem wirklich schwierigen Moment geschützt haben, gegen nationalsozialistische Nachstellungen, so dass sie aus Dankbarkeit an den Vatikanischen Museen geblieben ist. Sprecher So viel Treue – die musste sich schließlich auch für die Wissenschaftlerin Hermine Speier auszahlen. 1946 macht sie bei Aufräumarbeiten im Depot der Vatikanischen Museen einen sensationellen Fund: Sie findet die antike Skulptur eines Pferdekopfes und stellt nach eingehender Untersuchung fest: Die Statue zierte einst den Westgiebel des berühmten Parthenons auf der Athener Akropolis. 15 OT Gudrun Sailer Das man 1946 so einen Megafund überhaupt noch machen kann, ist da schon sehr bemerkenswert. Und Hermine Speier ist unter Archäologen bis heute für diesen Fund bekannt. Sprecher Damit wird die Fotothekarin Hermine Speier wieder Archäologin und schließlich auch befördert. Bis zur ihrer Pensionierung 1967 ist sie in den Vatikanischen Museen für die Antikensammlung zuständig – die bedeutendste ihrer Art weltweit. Eine Frau, die im Vatikan etwas zu sagen hat – das ist für viele bis heute offenbar unglaublich. In einem aktuellen Reiseführer über die Vatikanischen Museen ist aus H. Speier dann auch ein Mann geworden… Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 15
© Copyright 2024 ExpyDoc