1 Manuskript radioWissen SENDUNG: 16.11.2015 09.05 Uhr / B 2 AUFNAHME: STUDIO: GESCHICHTE Ab . Schuljahr TITEL: Geschichte des Gefängnisses – Vom Loch zum Hochsicherheitstrakt AUTOR/IN: Dorit Kreissl REDAKTION: Thomas Morawetz REGIE: Dorit Kreissl TECHNIK: Andreas Lucke PERSONEN: Erzähler Detlef Kügow Zitator: Wolfgang Pregler Erzählerin und 1 x Zitatorin: Rahel Comtesse Sprecher: Benedikt Schregle (PS) Zuspielungen: Ernst Graßy, Förderverein Altes Gefängnis Freising Besondere Anmerkungen: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 2 ATMO: Gefängnistür O-Ton 1 Wenn man sich das mal vor Augen führt: ein Kind, ein Bub, der 13,14,15 Jahre alt war, über längere Zeiträume gefoltert wird und der dann als Einzelperson immer wieder in diese Einzelzelle gesperrt wird, das allein ist schon Folter genug. MUSIK Prison 1 Z9383218018 ZITATORIN: "In dunklen schaurigen Räumen sitzen die Häftlinge an Ketten geschmiedet oder in Stöcken, geschlossen, an den Händen, am Fuß gefesselt oder an den Gliedmaßen in Holzblöcken, in denen Arme und Beine eingeschlossen werden. In Halsbändern, dicht an die Wand gefesselt, können die Gefangenen nur zwischen Hocken, Kauern und Sitzen ihre Lage wechseln." ERZÄHLER: Barbarische Gefängnisse, in denen Kinder gefoltert werden und Menschen langsam verfaulen. Ein Schicksal, das auch Casanova bestimmt war: MUSIK: Fellini's Casanova MR012430 315 SPRECHER: Berühmte Gefängnisse - 1: die Bleikammern von Venedig ERZÄHLERIN: Unter dem bleigedeckten Dach des Dogenpalastes von Venedig befinden sich winzige, finstere Haftzellen für politische Gefangene. Im Sommer werden sie extrem heiß und im Winter extrem kalt. 1755 sperrte die Inquisition Giacomo Casanova in die Bleikammern. Sie gelten als absolut ausbruchsicher. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 3 Dennoch gelingt Casanova nach einem Jahr die Flucht aus seinem abscheulichen Kerker, in dem er fast wahnsinnig geworden wäre. In seinen Erinnerungen hält er fest: ZITATOR: Casanova "Ein Mensch der allein eingesperrt ist, hat keine Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Wenn man an einem dunklen Ort allein ist, wo man nicht sehen kann, wohin nur einmal am Tage der Mann kommt, der das Essen bringt, wo man nur in gebückter Haltung herumgehen kann, dann ist man der allerunglücklichste Mensch. Man wünscht sich, wenn man daran glaubt, in die Hölle, nur um Gesellschaft zu haben. Dieses Gefühl ist so gebieterisch, dass ich schließlich mir sogar einen Mörder, einen Pestkranken, einen Bären als Kerkergenossen wünschte." MUSIK Isolation M0022152 Z00 ERZÄHLER: In der Frühzeit steckte man Übeltäter vermutlich in Erdlöcher, wo sie entweder starben oder als Opfergaben herhalten mussten. Patriarchen im alten Rom bestraften Sklaven oder unliebsame Angehörige mit Hausarrest. Musik aus Schuldner übereigneten Gläubigern ihren Körper als Pfand; sie konnten in Haft genommen oder zur Sklavenarbeit gezwungen werden. Die Kirchen unterhielten eigene Gefängnisse in ihren Klöstern: Barmherzig ging es hier nicht zu: ZITATOR: Schubert "In den Klöstern ist schon seit der Spätantike die Freiheitsstrafe für die Mönche bekannt. Klosterhaft gab es auch in den Nonnenkonventen, wie eine Nachricht Gregor von Tours lehrt: König Gunthram wies Theudichilde, die Witwe König Chariberts, in ein Kloster ein. Sie wollte fliehen, aber ihre Flucht wurde entdeckt. Die Äbtissin ließ sie hart geißeln und in den Kerker werfen, in dem sie bis zum Ende ihres zeitlichen Lebens nicht geringe Leiden zu ertragen hatte." Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 4 ERZÄHLER: erzählt der Historiker Ernst Schubert in seinem Buch "Räuber, Henker, Arme Sünder". In den Klosterverliesen sollten Mönche und Nonnen ihre Sünden bereuen und diszipliniert werden. MUSIK: Escape from the tower Z9499303 105 SPRECHER: Berühmte Gefängnisse - Nummer 2: der Tower von London ERZÄHLERIN: Seit dem 14. Jahrhundert das Gefängnis der Könige: Heinrich VI., Eduard V. und der Herzog von York warteten hier auf ihre Hinrichtung, ebenso Sir Walter Raleigh, dem Hochverrat vorgeworfen wurde, bevor ihn der Henker köpfte. Dasselbe Schicksal erlitten drei der Frauen Heinrich VIII. Dieser ließ auch seinen Kanzler Thomas Morus in den Tower werfen und köpfen. Die prominenten Häftlinge waren mitunter durchaus standesgemäß untergebracht, darbten nicht bei Wasser und Brot. Der letzte Todeskandidat war ein deutscher Spion; 1941 erschoss ihn ein Hinrichtungskommando. Heute gehört der Tower zum Weltkulturerbe Musik aus und ist ein touristisches Highlight, das sich unter anderem mit den britischen Kronjuwelen schmückt. ERZÄHLER: Das Gefängnis, wie wir es kennen, als Mittel der Rechtspflege mit systematischen Freiheitsstrafen, existiert erst seit Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts. Bis über das Mittelalter hinaus dominierten Todes- und Leibstrafen. Vierteilen, Rädern, Verstümmeln, Handabhacken, Blenden, Folterungen waren nur einige der Grausamkeiten eines Strafsystems, das vorwiegend auf den Körper zielte. Die Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 5 brutalen Hinrichtungen waren öffentliche Schauspiele, Inszenierungen des Leidens. Der Körper diente als Objekt der Rache und der Abschreckung. MUSIK Notwo C1437020 019 ERZÄHLER: Im Spätmittelalter richteten Städte kommunale Gefängnisse ein, bevorzugt in den Türmen der Stadtmauern. Frevler, Ehebrecher, Trunkenbolde, Kuppler oder Berufsspieler fanden hier ein schauriges Quartier, bis sie der Stadt verwiesen wurden, ihre Geldbuße zahlen konnten oder zur Hinrichtung geführt wurden. Größere Städte wie Nürnberg, Frankfurt oder Mainz hatten Lochgefängnisse. Wer hier "eingelocht" wurde, fand noch schlimmere Haftbedingungen vor als in den feuchten Verliesen der Stadttürme, wie Ernst Schubert in seinem Werk über Verbrechen und Strafe im Mittelalter berichtet: Musik aus ZITATOR: Schubert S. 139 "Es handelt sich um neu ausgebaute Kellerräume im Rathaus, kammerartig abgeteilt, in Nürnberg ein ganzes Labyrinth von 70 Türen in sich schließend, das nur durch eine vierfach eisenbeschlagene Pforte zugänglich war. Für die Gebärenden gibt es hier ein Kinderbettstüblein. Der Stockwärter, der Büttel, der in diesem unterirdischen Reich herrschte, hatte meistens seine Lohnwärter für die unangenehmsten Aufgaben. Eine obrigkeitliche Kontrolle der Wärter fand nicht statt. Unzucht der Gefangenenwärter mit Insassinnen gab es. Die Wärter üben Gewalt über die Gefangenen aus." MUSIK Mandela Z9384181 203 Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 6 SPRECHER: Berühmte Gefängnisse Nummer 3: Robben Island ERZÄHLERIN: 1964 wurde Nelson Mandela auf die berüchtigte südafrikanische Gefängnisinsel Robben Island gebracht, die schon seit dem 16. Jahrhundert Sträflingskolonie war: Aussätzige, Lepra-Kranke, psychisch Kranke und Schwerkriminelle setzte man hier aus. Das Apartheid-Regime internierte später seine politischen Gegner auf der Insel. Die weißen Wärter schikanierten die schwarzen Häftlinge auf das Grausamste, prügelten und demütigten sie. Nelson Mandela und andere Führer des ANC waren auf der Isolierstation untergebracht, auf der jeglicher Kontakt untereinander verboten war, ebenso Zeitung lesen oder Radio hören. Dennoch kämpfte Mandela für die Rechte der Gefangenen und setzte Verbesserungen durch. 18 Jahre blieb er auf Robben Island eingesperrt. Seine winzige Zelle ist seit 1997 eine Touristenattraktion - aus dem Knast wurde ein Museum. MUSIK aus ERZÄHLER: Der Vorläufer des heutigen Gefängnisses ist Bridewell, ursprünglich eine Residenz Heinrichs VIII. in London, bevor sie 1556 zur Haftanstalt für Bettler, Landstreicher und Prostituierte umgebaut wurde. Es herrschte Arbeitszwang und so mutierte das Gefängnis zum Arbeitshaus. Das galt auch für das Amsterdamer Zuchthaus von 1595, das nicht nur Bettler, Obdachlose und Straftäter aufnahm, sondern auch psychisch Kranke, die von ihren Familien in die Anstalt abgeschoben wurden. Ab 1612 übernahmen Bremen, Lübeck, Hamburg und Danzig das Amsterdamer Vorbild. Das Zuchthaus war eine Demonstration des staatlichen Gewaltmonopols, eine üble Stätte, schreibt der Historiker Ernst Schubert. ZITATOR: Schubert … "In diesen überfüllten Anstalten, Heimstätten aller Arten von Ungeziefer, herrschten schlimme hygienische Zustände. Eine Krankenversorgung gab es nicht. Skorbut, Krätze und Tuberkulose verbreiteten sich ungehemmt. Die Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Schon zehnjährige "ungeratene" Buben und Mädchen sollten in den neuen Anstalten erzogen und diszipliniert werden. Kinder wurden in Gefängnissen nicht nur diszipliniert, es geschah ihnen noch viel schlimmeres. Ein besonders düsteres Kapitel schrieben die Domherren zu Freising. MUSIK - Atmos Tür - Ketten O-Ton 3 a Graßy Wir befinden uns jetzt in einer dieser Zellen im Hexenturm: Hier in diesen Zellen waren die sogenannten Zauberbuben und diesen Zauberbuben wurde der Prozess gemacht von 1715 bis 1723 und das waren Buben im Alter zwischen 13 und 18 Jahren. ERZÄHLER: Ernst Graßy führt durch das Alte Gefängnis Freising, das im 17. Jahrhundert erbaut wurde. Graßy ist Mitglied des Fördervereins, der Teile des denkmalgeschützten Gefängnisses restauriert hat und so erlebt man die bittere Geschichte der Zauberbuben am Originalschauplatz: O-Ton 3 b Graßy Denen hat man irgendwelche Geschichten angedichtet, weil der André, der Drudenfänger - so hat man ihn genannt - hat sich bei seinen Altersgenossen hier in der Stadt wichtig gemacht. Er selbst war ja Waisenkind, hat gesagt, er könnte Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 8 Mäuse machen und er könnte Ferkel machen und überhaupt könnte er zaubern. Aber, irgendwann war es halt so, dass das in die falschen Ohren gekommen ist, nämlich bei den Domherren. Die haben dann gesagt, das kann doch nicht sein, dass da unten in der Stadt einer räumläuft - der kann zaubern, das geht ja gar nicht, den müsst ihr inhaftieren. ERZÄHLER: 14 Buben wurden im Hexenturm eingesperrt, jeder in Einzelhaft. Die längste dauerte eineinhalb Jahre. Hier warteten sie auf ihre Hinrichtung durch das Schwert, zu dem sie das Gericht allesamt verurteilt hatte. Die bettelnden Waisenkinder waren unerwünschte Elemente in der fürstbischöflichen Stadt gewesen. Man dichtete ihnen Unzucht mit dem Teufel an und verhörte sie mehrfach notpeinlich. Türknarzen ERZÄHLER: Die Folter begann immer wieder von neuen im Freisinger Gefängnis; denn die Henker erhielten Stücklohn für jeden Hieb, für jedes Festbinden, erzählt Ernst Graßy, der in die Folterkammer führt: Geräusch aus O-Ton 4 Graßy Zunächst sehen wir hier einen Tisch, der gespickt ist mit sehr spitzen Holzdornen. Da wurden die zum Verhör Geführten auf diesen Tisch gebunden. Dann hat der Scharfrichter mit Weiden oder sonstigen Ruten auf den nackten Körper eingeschlagen. ERZÄHLER: Der Drudenfänger Andre hielt die Tortur nicht mehr aus. Er erhängte sich in seiner Zelle mit der Kette, mit der er an die Wand gefesselt war. Ein Bub erhielt einen sogenannten Gnaden-Tod, weil er zu jung für die Hinrichtung war. Ernst Graßy: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 9 O-Ton 5 Den hat man in eine Wanne mit warmen Wasser gesetzt, hat ihm die Adern eröffnet und hat ihn ausbluten lassen, damit er den Streich mit dem Schwert nicht mehr spürt. ERZÄHLER: Die barbarischen Urteile stießen im Magistrat und in Teilen der Bevölkerung auf Widerstand. Allerdings setzte sich der fürstbischöfliche Hofrat über die Einwände hinweg und bestätigte alle Todesurteile. Auf der anderen Seite, und das darf auch nicht vergessen werden, sagt Ernst Graßy, befriedigten die Hinrichtungen auch die Sensationslust der Leute: O-Ton 6 Graßy Drei Tage vorher wurde in Freising kundgetan, dass wieder ein zum Tode Verurteilter auf den Marienplatz gebracht wird, um das Todesurteil in Empfang zu nehmen. Dann war natürlich der gesamte Marienplatz gefüllt mit Leuten, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Es war sogar gewünscht, dass ganze Schulklassen bei diesen Enthauptungen zugegen waren. ERZÄHLER: Der letzte Hexenprozess fand in Deutschland 1775 statt. Das Todesurteil wurde allerdings nicht vollstreckt. Es brachen neue Zeiten an: MUSIK: Liana's death C1419660011 ZITATOR: Foucault - 15, 25 "Binnen weniger Jahrzehnte ist der gemarterte, zerstückelte, verstümmelte, an Gesicht oder Schulter gebrandmarkte, lebendig oder tot ausgestellte, zum Spektakel dargebotene Körper verschwunden. Verschwunden ist der Körper als Hauptzielscheibe der strafenden Repression. Da es nicht mehr der Körper ist, ist es die Seele. Der Sühne, die dem Körper rasende Schmerzen zufügt, muss eine Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 10 Strafe folgen, die in der Tiefe auf das Herz, das Denken, den Willen, die Anlagen wirkt." Musik aus ERZÄHLER: Der französische Philosoph Michel Foucault in seinem Standardwerk "Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses". Im Verbrecher wurde also der Mensch entdeckt, die Marter als Barbarei verurteilt. Aufklärung und Reformation, die Industrielle Revolution, Umbrüche in Gesellschaft, Ökonomie und im Rechtssystem beendeten das "Theater des Schreckens". Hinzu kam, so Foucault, dass Ende des 17. Jahrhunderts die Blutverbrechen ab- und die Eigentumsdelikte zunahmen. Die milderen Verbrechen führten zu milderen Strafen. Die Haftstrafe löste die Körperstrafe ab und dafür wurden große Anstalten für die massenhafte Unterbringung von Kriminellen errichtet. Dabei wurde auch eine spektakuläre Idee des englischen Juristen und Philosophen Jeremy Bentham in die Tat umgesetzt - sein panoptisches Gefängnis, eine architektonische Lösung für das permanente, lautlose Überwachen von Straftätern, die zudem effektiv und kostengünstig war: ERZÄHLERIN: Im Mittelpunkt eines transparenten, kreisrunden Baus steht ein Überwachungsturm, von dem sternenförmig die einzelnen Zelltrakte abgehen. Die Zellen selbst sind transparent, denn von beiden Seiten fällt Licht ein. So kann der Aufseher im Turm - und es genügt einer - jede Bewegung der Gefangenen registrieren, während er selbst im Dunkeln bleibt. Der Gefangene steht unter permanentem Druck, denn er weiß nie, wann er überwacht wird. ZITATOR: Foucault S. 257 "Das Prinzip des Kerkers wird umgekehrt, genauer gesagt: von seinen drei Funktionen - einsperren, verdunkeln und verbergen - wird nur die erstere aufrecht erhalten, die beiden anderen fallen weg. Die Sichtbarkeit ist eine Falle. Der Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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MUSIK Isolation M0022152 Z00 ERZÄHLER: Auf strenge Isolationshaft setzte die Religionsgemeinschaft der Quäker in Pittsburgh, in der von ihnen errichteten Haftanstalt, dem vorhin erwähnten Eastern State Penitentiary. Die Gefangen lebten in strikter Einzelhaft, Tag und Nacht. Sie durften nicht arbeiten, einzige erlaubte Lektüre war die Bibel. Das sollte sie zu innerer Einkehr führen und zu besseren Menschen machen. Der englische Schriftsteller Charles Dickens besuchte 1842 das Bußhaus und gewann ganz andere Eindrücke. In seinen amerikanischen Notizen urteilte er: Musik aus ZITATOR Dickens Das hier angewendete System ist in seinen Wirkungen grausam und ungerecht. Ich glaube, nur wenige haben einen Begriff von der Tortur und der Seelenangst, welche diese entsetzliche Strafe, wenn sie einige Jahre dauert, über die Duldenden verhängt. ((Nach meinem Ermessen, nach dem, was ich in ihren Zügen geschrieben sah, und nach dem, was in ihrem Innern, wie ich überzeugt bin, vorgehen muss, liegt in dieser Strafe eine Hölle, deren ganze schreckliche Tiefe nur die Unglücklichen selbst ergründen können; eine Qual, die kein Mensch das Recht hat seinem Nächsten anzutun.)) Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 12 MUSIK: San Quentin you've been living hell to me" Z9419405 014 SPRECHER: Berühmte Gefängnisse Nummer 4: San Quentin ERZÄHLERIN: "San Quentin you've been living hell to me". Johnny Cash musste dieses Lied gleich mehrfach singen, bei seinem Auftritt 1969 im ältesten Knast von Kalifornien mit mehr als 4.000 Insassen. 1852 wurde er eingeweiht und bald war er berüchtigt. Im chronisch überfüllten San Quentin saßen die brutalsten Verbrecher ein. Bis 1937 wurden 215 gehängt, 196 in der Gaskammer hingerichtet. Durch die Giftspritze endeten elf Gefangene. MUSIK Nr. 3: Walzer ATI: Waltz 76217560 003 mit Iconography Z9344178 002 ZITATOR: Auf dem Meere tanzt die Welle nach der Freiheit Windmusik. Raum zum Tanz hat meine Zelle siebzehn Meter im Kubik. Aus den blauen Himmeln zittert Sehnsucht, die die Herzen stillt. Meine Luke ist vergittert und ihr dickes Glas gerillt. Tausend Rätsel, tausend Fragen machen manchen Menschen dumm. Ich hab eine nur zu tragen: Warum sitz ich hier? Warum? Musiken aus Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Jetzt dominierten wieder Sühne und Abschreckung. Erst nach 1945 entwickelte sich der Resozialisierungsgedanke. Er wird im Strafvollzugsgesetz von 1977 als Ziel festgeschrieben. Erstmals regeln nicht Verwaltungsvorschriften sondern ein Gesetz den Strafvollzug in Deutschland. Es unterscheidet zwei Arten von Justizvollzugsanstalten: die geschlossene, sichere Unterbringung und die offene Anstalt. In letzterer ist der Häftling Freigänger, der tagsüber außerhalb des Gefängnisses zur Arbeit geht und abends in die Zelle zurückkehrt. MUSIK: Shahbesuch Z9337375 002 SPRECHER: Berühmte Gefängnisse Nummer 5 - Stuttgart-Stammheim ERZÄHLERIN: Für die Terroristen der R.A.F. wurden Teile des Gefängnisses 1975 zum Hochsicherheitstrakt ausgebaut und direkt daneben ein eigenes GerichtsGebäude errichtet, das mit Stahlnetzen überspannt war. Man fürchtete Befreiungsversuche aus der Luft. Stuttgart-Stammheim galt als sicherstes Gefängnis der Welt. Dennoch fand man am Morgen des 18. Oktober 1977 Andreas Bader und Jan-Carl Raspe erschossen auf dem Boden ihrer Zellen. Neben den Leichen lagen die Pistolen. Gudrun Ensslin wurde erhängt am Fenster Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 14 ihrer Zelle gefunden. Selbstmord lautete das Untersuchungsergebnis der Behörden, das von einigen bis heute angezweifelt wird. ERZÄHLER: "Der Vollzug der Freiheitsstrafe soll den Willen und die Fähigkeit des Gefangenen wecken und stärken, künftig ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu führen". So steht es im Gesetz. Aber, macht das Gefängnis die Menschen wirklich besser? Der Philosoph und Psychologe Michel Foucault beantwortete die Frage so: MUSIK aus ZITATOR: Foucault 340 f und S. 295 Die Haft fördert den Rückfall; aus dem Gefängnis entlassen, hat man mehr Chance als vorher, wieder dahin zu kommen. Das Gefängnis kann gar nicht anders, als Delinquenten zu fabrizieren. Es tut das durch die Existenzweise, die es den Häftlingen aufzwingt. Und dennoch sieht man nicht, wodurch es ersetzt werden könnte. Es ist die verabscheuungswürdige Lösung, um die man nicht herumkommt." stopp LITERATUR - Michel Foucault: "Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses", Suhrkamp Taschenbuch Verlag Wissenschaft, Frankfurt 1977, Übersetzung: Walter Seitter - Ernst Schubert "Räuber, Henker, Arme Sünder - Verbrechen und Strafe im Mittelalter", Wissenschaftliche Buchgemeinschaft Darmstadt 2007 - Erich Mühsam: "Erich M - Mein Gefängnis" - aus Projekt-Gutenberg DE -Giacomo Casanova: "Erinnerungen" - aus Projekt-Gutenberg DE Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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