Manuskript radioWissen SENDUNG: 09.11.2015 9.05 Uhr/B2 AUFNAHME: STUDIO: Geschichte Ab 8. Schuljahr TITEL: Jugendbewegungen in der Weimarer Republik Romantik und Rebellion AUTOR: Markus Mähner REDAKTION: Thomas Morawetz REGIE: Frank Halbach TECHNIK: Roland Böhm SPRECHER-ROLLEN: Sprecher Thomas Loibl INTERVIEWPARTNER: Barbara Stambolis, Archiv der Deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein Besondere Anmerkungen: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 2 Marschieren, Menge jubelt, Marschmusik „Preußens Gloria“ SPRECHER Es ist der 18. Oktober 1913, in Leipzig feiert das Wilhelminische Kaiserreich sich selbst. Das Völkerschlachtdenkmal wird eingeweiht. Krieger-, Sänger- Turn- und Schützenvereine aus dem ganzen Reich versammeln sich dort, wo 100 Jahre zuvor Napoleon seine größte Schlacht verlor. Gut 100.000 Menschen stehen stramm, als Kaiser Wilhelm II. das Festgelände erreicht. GERÄUSCH und MUSIK fade out SPRECHER: Genau eine Woche vorher, gut 200 Kilometer entfernt, auf einer Bergkuppe östlich von Kassel: ZUS Lagerfeuer, Wind ZUS MUSIK „Wir wollen zu Land ausfahren“ (entfernt)] STAMBOLIS 1: (8:42-9:32) (über Musik und Geräusch) [...] Es trafen da 2.000-3.000 junge Menschen zusammen, die genau das, was man damals in Jugend sah, auch verkörperten: Sie sangen, sie tanzten, sie umkreisten das Feuer, sie waren sehr locker im Umgang miteinander... SPRECHER: (über Musik und Geräusch) Hier ist kein Strammstehen angesagt. Schon mit ihrer lockeren, weiten und bequemen Kleidung unterscheiden sich die Jugendlichen bewusst von der Uniformiertheit in Leipzig. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 3 Das lockere Treffen auf dem Hohen Meißner wird zum Gründungsmythos der Deutschen Jugendbewegung; denn das Zusammentreffen auf der Bergkuppe gilt heute als erstes Treffen der sogenannten „Freideutschen Jugend“, als Kulminations- und Wendepunkt einer Bewegung, die um 1900 entstanden ist. Barbara Stambolis vom Archiv der Deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein: MUSIK und GERÄUSCH hoch und aus STAMBOLIS 2: (10:11-10:55) (über Musik und Geräusch) Die Anzahl der Jugendlichen, die von dieser Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg erfasst worden sind, ist sicherlich nicht größer als 10-15.000. Aber die Wirkung war immens, weil dieses Fest, das im Oktober 1913 auf dieser Bergkuppe bei Kassel stattfand, wie eine Art Gegenfest zu den Festen anlässlich 100 Jahre Völkerschlacht[denkmal] in Leipzig veranstaltet wurden, wo die Deutsche Gesellschaft sehr sichtbar auf den [Ersten Welt]krieg hinsteuerte. Und da sollte dieses Meißnerfest ein Gegenfest sein, ein Fest einer Freien Jugend unter einem freien Himmel. SPRECHER: Das waren schon hohe und für die Zeit keineswegs alltägliche Ziele: Eine Freie Jugend; denn um die Jahrhundertwende, als die ersten Jugendlichen aus dem strengen Korsett des Elternhauses und der militärischen Schulerziehung ausbrachen, gab es so etwas wie "Jugend" noch gar nicht. Der Gedanke, dass die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter mehr ist, als eine Übergangszeit mit dem Ziel, zu einem guten Untertan heranzuwachsen, kommt tatsächlich jetzt erst auf: STAMBOLIS 3: (6:30-7:30) Zum Einen begann man um 1900, sich sehr intensiv in den Wissenschaften mit Kindheit und Jugend zu beschäftigen, das heißt die Psychologie, die Pädagogik ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 4 vor allem Reformpädagogik - entwickelte einen neuen Blick auf die Jugend. Und zwar eine Jugend, die nicht irgendwie nur ein Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein sein sollte, sondern eine Lebensphase mit ganz eigenem Wert, in der sich das Selbst entwickelt, in der Menschen auch geschützt werden sollen, in einen Raum aufwachsen, wo sie auch gute Bedingungen haben, um erwachsen zu werden. Und das war in der damaligen Gesellschaft durchaus nicht der Fall. Sigmund Freud hat sich z.B. auf einem Kongress den damals grassierenden Schülerselbstmorden gewidmet: Es waren viele junge Leute auf den Schulen sehr stark unter psychischem Druck - auch die gesellschaftlichen Anforderungen waren sehr hoch - und dann setzte die Bewegung an, wo man sagte: Jugend muss ein Schutzraum sein. SPRECHER Den Schutzraum suchen sich die Jugendlichen außerhalb der Gesellschaft - und außerhalb der schnell wachsenden Städte, die sie mehr und mehr als lebensfeindlichen Raum ansehen: MUSIK „Aus grauer Städte Mauern“ STAMBOLIS 4 (0:20Fast zeitgleich entwickelte sich in den Städten unter höheren Schülern so eine Art Wanderbewegung. Das heißt, junge Leute, die auf dem Gymnasium waren, entwickelten das Bedürfnis, in die freie Natur zu ziehen am Wochenende - auch mal den Eltern zu entfliehen, vor allem aber dem Drill und der Gehorsamserziehung, der sie in der Schule ausgesetzt waren. Und sie organisierten sich in gewisser Weise auch selbst, das heißt, sie wollten nicht unter Anleitung von Erwachsenen wandern. Sie haben Fahrten unternommen, unterwegs gesungen und in Scheunen übernachtet. (0:50) MUSIK ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 5 STAMBOLIS 5 (1:08-1:34) ...und das hat auch Mädchen angesprochen. Zuerst waren auch Mädchen dabei. Das war für sie wahrscheinlich eine besonders ausgeprägte Form der Befreiung. [...] Wenn man Berichte von Frauen die dabei waren liest: Das muss eine unglaubliche Befreiung gewesen sein, ohne Korsett einen weiten Rock und Wanderschuhe anzuziehen und mit Jungen unterwegs zu sein. SPRECHER Diese „Wandervögel“ - so der Name, den die Jugendlichen sich damals selber geben und bis heute behalten haben - setzen den Werten ihrer Elterngeneration bewusst konträre Werte entgegen: den grauen Städten das bewusste Erleben der Natur. Ihr „sinnvolles Wandern“ soll kein bloßes Marschieren sein. Dem Hurra-Patriotismus des Wilhelminischen Kaiserreichs begegnen sie mit Internationalismus: Bewusst erwandern sie auch fremde Länder. ZUS MUSIK „Auf auf Du junger Wandersmann“) SPRECHER (darüber): Immer mit im Gepäck: Eine Gitarre und ein Liederbuch - auch das Ausdruck des jugendlichen Aufbegehrens: Bewusst setzen die Jugendlichen gegen die Musik ihres Elternhauses - damals meist Kunstmusik, an einem Klavier oder Flügel in städtischen Salons dargeboten - die Lagerfeuergeklampfe. Gesungen werden hauptsächlich Volkslieder, die bereits 100 Jahre zuvor die Gemüter bewegten. Denn auch mit dem blinden Fortschrittsglauben ihrer technisierten Zeit wollen die „Wandervögel“ nichts zu tun haben. Sie besinnen sich auf die Romantik zurück. Daher wohl auch der Name „Wandervögel“. Barbara Stambolis: STAMBOLIS 6: (3:05-3:35) Erstmals erwähnt ist es sicherlich schon bei Eichendorf – das heißt es geht auf so ne romantische Aufbruchsstimmung 100 Jahre früher zurück. Belegt ist es tatsächlich in verschiedenen Liedern und es gehört dann auch in ein Lied der ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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So entstehen zeitgleich etliche andere Reformbewegungen: Der Maler Karl Wilhelm Diefenbach etwa praktiziert mit seiner Landkommune „Himmelhof“ die Freikörperkultur und die vegane Ernährung. Der Schweizer Arzt Maximilian Bircher entwickelt die Rohkost-Diät, bekannt geworden als „Bircher-Müsli“. Eine weltweite Abstinenzbewegung verteufelt den Alkohol als erbgutschädigend. STAMBOLIS 7a+b (2:04-2:37 Man kann natürlich fragen: Wo kommt das her? Marschieren Schüler einfach los? Und da fügt sich das tatsächlich ein in Lebensreform und Kleidungsreform - es hat sich eingefügt in eine recht breite Aufbruchsstimmung, in der die Jugendlichen auch bald Aufmerksamkeit fanden und an die Spitze der Bewegung kamen und gleich ein Label hatten, mit dem sie dann und bis heute etikettiert wurden: Nämlich dieses Label „Wandervögel“. (7:42Das heißt, Jugend wurde auch mit vielen Konnotationen belegt wie Zukunftsträchtigkeit, Aufbruch, Hoffnung, Licht, Freude. Und in den Reformbewegungen findet sich dann auch immer wieder bildlich-ikonographisch ein Ausdruck dafür. (7:57) Es gibt zum Beispiel kurz vor dem 1.Weltkrieg ein Bild, das heißt „Lichtgebet“. Da ist ein junger Mensch drauf und der reckt die Hände zur Sonne, wie n Sonnengruß bei Yoga würde man heute sagen, und das ist ein junger Mensch, der sich der Zukunft entgegenstreckt. (8:20) ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Nicht einmal ein Jahr später und viele „Krieger des Lichts“ finden sich in einem Erdloch in Flandern wieder. Schier zahllose sind bereits gefallen - Zehntausende allein auf dem Schlachtfeld von Langemarck im November 1914. Zehntausende, die noch einige Monate zuvor jubelnd in einen Krieg gezogen waren, den sie sich vorstellt hatten als einen schnellen heroischen Kampf unter stolzen Kriegern. STAMBOLIS 9: (12:58Diese Illusion ist ihnen schnell abhandengekommen, weil der Krieg ein anderer war, als alle anderen davor - mit den Massenschlachten - Langemarck ist zum Symbol dieser freiwilligen Jugend geworden, die für diesen Krieg geopfert wurde oder sich opfern ließ und enttäuscht war. MUSIK „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ instrumental ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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(13:53) MUSIK „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ gesungen SPRECHER: (MUSIK instrumental darunter) Der Krieg wird zum einschneidenden Erlebnis für eine ganze Generation Jugendlicher, die zuvor noch singend durch die Wälder gezogen war und als „Lichtgestalten“ glorifiziert wurde. Davon ist nach den Ereignissen 1914-18 nicht mehr viel übrig: Jeder vierte Wandervogel kommt aus dem Krieg nicht zurück, zahllose andere sind kriegsversehrt und desillusioniert. MUSIK raus SPRECHER: So ändert sich auch die Jugendbewegung nach dem Krieg rasch: Zwar gibt es noch einige Wandervögel, die bohèmehafte, freie Züge haben. Die sogenannte „Neue Schar“ des Vegetariers Friedrich Muck-Lamberty zum Beispiel: Sie zieht durch die Städte Frankens und Thüringens und feiert dort rauschende Tanzfeste. Doch nur kurz: Schon bald wird Muck Lamberty der „freien Liebe“ angeklagt, die er mit seinen meist weiblichen Anhängern genießt, und dem vagantenhaften Herumziehen der Blumenkinder wird ein Ende gesetzt. Doch die breite neue Jugendbewegung ist ganz anders. Barbara Stambolis: STAMBOLIS 11: (15:20Es bildet sich die „Bündische Zeit“ heraus, die sehr stark männerbündisch orientiert ist und im Gegensatz zur Zeit davor hierarchische Gruppen kennt, ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Man wollte sich selbst gewählten Führern zuwenden, die charismatisch waren und überzeugend wirkten. (16:20) SPRECHER: Der wohl charismatischste von ihnen heißt Eberhard Koebel, kurz „Tusk“ genannt - den Beinamen hat er auf seinen berühmt gewordenen Skandinavienfahrten erhalten. Diese Fahrten, besonders die Lapplandfahrt im Jahr 1929, werden zum wohl bedeutendsten Einfluss auf die deutsche Jugendbewegung und zeigen noch heute Wirkung. Der schon zu Lebzeiten zur Legende gewordene Tusk bringt von dort nicht nur die Kohte mit - das Zelt der Lappen mit einem Rauchabzug für die Feuerstelle in der Mitte - sondern auch Berichte und philosophische Gedanken, mit denen er in seinen zahlreichen Publikationen ein großes Publikum gewinnt. GERÄUSCH Gitarrenklänge SPRECHER: In der Folge wird die „Fahrt“ zum zentralen Erlebnis der jugendlichen Männerbünde, die sich auch gerne mal gegenseitig Schlachten liefern, um dem anderen Bund die Fahne zu stehlen. Und ein „nach Hause schicken der dreckigen Wäsche“ wie das noch 1910 den Wandervögeln in einem Buch geraten wurde, ist für Tusk, seine Jungs und ähnliche Bündler undenkbar. Wandern ist jetzt nicht mehr das vergnügliche Herumspazieren in Gottes herrlicher Natur. Es bekommt Expeditionscharakter. Die Bünde sind militärischer organisiert - und somit eigentlich auch autonomer - als die Wandervögel vor dem Krieg. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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SPRECHER: Doch im Gegensatz zu den Pfadfindern sind die Bünde keine internationale Großorganisation sondern zerfallen in unzählige sehr unterschiedliche Einzelgruppen. STAMBOLIS 13: (16:30Die Bünde haben so 25.000 Leute umfasst, Bünde die aus der Jugendbewegung kamen. Es gab Linke und Rechte und immer wieder neue Aufspaltungen. [...] SPRECHER: Zudem sind die Bünde selbstorganisiert, während die Pfadfinder Erwachsene als quasi-militärische Offiziere besitzen, die die Regeln machen. STAMBOLIS 14: (20:20-20:35 Man hat sehr stark unterschieden zwischen Jugendpflege und Jugendbewegung, und die Pfadfinder wurden immer in die Jugendpflegeecke mittransportiert. Das ist wahrscheinlich ein maßgeblicher Unterschied.. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Ein Erlebnis, das das Leben der daran teilnehmenden Jugendlichen meist für alle Zeit beeinflussen sollte: STAMBOLIS 15: (25:45-26:50 Auf Fahrt gehen heißt zum einen sicherlich: Aufbrechen, aus den Verhältnissen lösen, in denen man gefangen ist - Elternhaus und Schule. Vielleicht ist es auch vergleichbar mit dem Pilgern, das heute so populär ist. Damit lehn ich mich etwas weit aus dem Fenster, ich glaub allerdings schon: Es hat etwas mit Horizonterweiterung, mit Erprobung zu tun und ich denke, dass diejenigen die schon in den 20er-Jahren im Ausland gewesen sind - in Frankreich etwa und Franzosen kennengelernt haben (was damals etwas sehr besonderes war), vielleicht auch die Gräber der Soldaten des Ersten Weltkriegs besucht haben und nicht wussten, was sie unterwegs erwartet - dann über sich hinausgewachsen sind. MUSIK „Die grauen Nebel“ (Die grauen Nebel hat das Licht durchdrungen, und die düstern Tage sind dahin. Wir sehen eine frohe Schar von Jungen an der lauten Stadt vorüberziehn...) ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 12 SPRECHER: „Die grauen Nebel“ - Wie bei den Wandervögeln ist bei den Bünden noch immer das Naturerlebnis als Lebensalternative zur grauen, lärmenden Stadt ein wichtiges Ziel.. Doch der Anspruch an die Jugend ist nun ein anderer geworden. Das Wandern ist nicht mehr Selbstzweck, sondern Selbsterprobung. Und aus ihr soll eine neue, bessere Gesellschaft erwachsen. MUSIK „Die grauen Nebel“ (Sie lassen alles in der Tiefe liegen, bringen nur sich selbst hinauf zum Licht. Sie wollen in den klaren Höhen siegen, einen Weg nach unten gibt es nicht...) SPRECHER: Immer öfter fällt der Begriff des neuen Reiches, eines „Jugendreiches“. Er spielt eine schon fast mythische Rolle - auch als klare Opposition zur Republik, denn die Weimarer Republik mit ihrer unsicheren Demokratie war für die meisten Bündler nur ein aufoktroiertes Übel. MUSIK „Die grauen Nebel“ cont (Sie werden Männer, die ihr Reich erringen, die es schützen vor dem großen Feind. Die Augen strahlen, und die Lieder klingen, und die Herzen sind im Kampf vereint...) SPRECHER: Hitlers Machtübernahme 1933 macht aus dem Reich zunächst eine gespaltene Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in den Bünden wider: Während viele Bünde sich in die neue „Jugendbewegung“, die Hitlerjugend, integrieren, so sehen sich viele in klarer Opposition zu dieser Vereinigung. Denn die HJ ist im Bündischen Sinn gar keine Jugendgemeinschaft. Mit „innerer Wahrhaftigkeit, freier und selbstbestimmter Jugend“, wie dies 1913 auf dem Hohen Meißner postuliert wurde, hat die HJ nämlich gar nichts am Hut. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 13 STAMBOLIS 16: (22:33Die [...] bündische Szene hat zum Teil versucht, in der Hitlerjugend zu wirken und hatte die Illusion, sie könnte da irgendwie Einfluss ausüben. Das hat natürlich nicht geklappt. Es gab Gruppen, die sind auf eine Art inneren, lebensweltlichen Widerstand gegangen. Sie sind auf Fahrt gegangen, sie haben ihre Lieder gesungen, um noch etwas miteinander zu unternehmen. Und einige [...] sind dann verfolgt worden von der Gestapo. (23:20) SPRECHER: So steht in klarer Opposition zu Hitler der legendäre Jugendführer Eberhard Koebel, „Tusk“. Er wird wegen „kommunistischer Zersetzung“ verhaftet, geht nach seiner Haftentlassung 1934 ins Exil nach Schweden und England und schreibt glühende Pamphlete gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Er war es, der einige Jahre zuvor unter den Jugendlichen eine Uniform eingeführt hatte, die ausgerechnet Hitlers „Jungvolk“ übernehmen sollte; und er war es, der noch vor kurzem mit seiner Gruppe ein neues Reich besungen hatte, im Lied „Die grauen Nebel“: MUSIK „Die grauen Nebel“ (Sie werden Männer, die ihr Reich erringen, die es schützen vor dem großen Feind. Die Augen strahlen, und die Lieder klingen, und die Herzen sind im Kampf vereint. Komm komm, lockt ihr Schritt, komm Kamerad wir ziehen mit! Komm komm, lockt ihr Schritt, komm, wir marschieren mit!) & Geräusch Marschieren & Atmo NS SPRECHER (darüber): Am 17. Juni 1933 wird Baldur von Schirach Reichsjugendführer. Am selben Tag werden die Bünde aufgelöst. Die Zeit der Selbstbestimmung ist vorbei. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
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