Es (V, · V )

8.3. ABLEITUNGEN
47
Definition 8.3.1.13 (Richtungsableitung)
Es (V, k · kV ) ein K–Banachraum und U ⊂ V sei offen, f : U → K sei eine
Abbildung. Es sei x0 ∈ U und a ∈ V . Wir betrachten die Abbildung
fx0 ,a : K → K : w 7→ f (x0 + wa).
Ist diese Funktion im Punkt w = 0 differenzierbar, so sagen wir, dass die
Richtungsableitung von f im Punkt x0 in Richtung a existiert und den Wert
fx0 0 ,a (0) hat. Wir bezeichnen diese mit ∂a f (x0 ).
Ist V = Kn , so werden die Richtungsableitungen in Richtung der Vektoren
der Standardbasis als partielle Ableitungen bezeichnet, als Symbol schreiben
wir
∂
f (x0 ) = ∂ei f (x0 ) ,
∂xi
dafür schreiben wir auch kurz ∂i f (x0 ). Existieren die partiellen Ableitungen
von f , so sagen wir, f ist partiell differenzierbar.
Sind alle partiellen Ableitungen stetig, so sprechen wir von einer stetig partiell
differenzierbaren Funktion.
Aus unserer bisherigen Diskussion folgt der Satz:
Satz 8.3.1.14 (Differenzierbarkeit und Darstellung der Ableitung)
Ist U ⊂ Kn offen, f : U → K in x0 differenzierbar, so ist f im Punkt x0
partiell differenzierbar und es existieren alle Richtungsableitungen und die
Linearisierung von f hat die Darstellung
n
X
∂
Df (x0 )(h) =
f (x0 )hi .
∂x
i
i=1
Damit hat man eine Strategie, die Ableitung einer Funktion f : Kn → K zu
bestimmen: Man bestimme alle partiellen Ableitungen im Punkt x0 und verifiziere
dann, ob die durch die damit gebildete 1 × n-Matrix definierte lineare Abbildung
die Bedingung an die Ableitung erfüllt.
Zunächst jedoch ein Beispiel an dem man erkennt, dass diese Strategie nicht
immer erfolgreich ist.
Beispiel 8.3.1.15 (Partielle Differenzierbarkeit und Differenzierbarkeit)
48
KAPITEL 8. DIFFERENTIALRECHNUNG
Es sei f : R2 → R definiert durch

x1
0


0, falls
=

x2
0
f (x1 , x2 ) =
2
x
x

2

 2 1 2 , sonst.
x1 + x2
a1
Ist 0 6= a =
∈ R2 , so ist mit f0,a (t) = f (ta)
a2
f (ta) − f (0) = f (ta) = t
a21 a2
= tf (a)
a21 + a22
und
1
lim (f (ta) − f (0) − f (a)t) = 0.
t→0 t
Also ist die Richtungsableitung in Richtung a durch f (a) gegeben. Da auf
den Koordinatenachsen die Funktion verschwindet, sind die beiden partiellen
Ableitungen 0. Als einzige lineare Abbildung kommt damit die Nullabbildung
als Ableitung in Frage. Damit ist, will man die Differenzierbarkeit von f in
0 nachprüfen, zu untersuchen
x21 x2
1 x21 x2
=
lim
.
x→0 kxk3
x→0 kxk kxk2
lim
Wählen wir nun eine Folge von Vektoren {xm }m∈N mit xm =
xm
xm
für
alle m ∈ N und xm → 0 für m → ∞. Dann ergibt sich
1
x3
(f (xm , xm ) − f (0) − 0) = lim √ m
6= 0.
xm →0 2 2|x |3
kxm k
m
Damit ist f nicht differenzierbar. Eine Veranschaulichung der Funktion f
zeigt die Abbildung 8.3.
Einer der zentralen Sätze der Theorie besagt nun, dass im Fall stetig partiell
differenzierbarer Funktionen die oben genannte Strategie erfolgreich ist.
Satz 8.3.1.16 (Stetige Partielle Differenzierbarkeit und Differenzierbarkeit)
Ist U ⊂ Rn offen und f : U → R im Punkt eine Abbildung, so dass auf einer
Umgebung W von x0 alle partiellen Ableitungen von f existieren und f im
Punkt x0 stetig partiell differenzierbar ist, so ist f im Punkt x0 differenzierbar.
8.3. ABLEITUNGEN
49
Abbildung 8.3: Eine partiell differenzierbare, nicht differenzierbare Funktion
Beweis. Sei h ∈ Rn , so dass x0 + h ∈ V ist und γ(t) sei der Polygonzug, der aus
Parallelen zu den Koordinatenachsen aufgebaut ist, d. h.
" n
#
i−1
i
i−1
i−1
X
X
X
X
X
γ : 0,
|hi | → Rn : (
|hj |,
|hj |) 3 t 7→ x0 +
hj ej +sgn(hi )(t−
|hj |)ei .
i=1
j=1
j=1
j=1
j=1
Setze für j ≥ 1: xj = xj−1 + hj ej . Dies sind genau die Eckpunkte des Polygonzuges. Das Prinzip der vorgestellten Konstruktion wird vielleicht aus der Abbildung
8.4 deutlich. Dann ist
f (x0 + h) − f (x0 ) =
n
X
(f (xj ) − f (xj−1 )) .
j=1
Längs des Geradenstücks zwischen je zwei solchen Punkten betrachten wir für
i = 0, . . . , n − 1 die Funktion aus Definition 8.3.1.13
fxi ,ei+1 : R → R.
Es gilt f (xi ) = fxi ,ei+1 (0) und f (xi+1 ) = fxi ,ei+1 (hi+1 ). Dann ist (Mittelwertsatz)
für i = 0, . . . , n − 1
f (xi+1 ) − f (xi ) = fx0 i ,ei+1 (ξi )hi+1
= ∂ei+1 f (xi + ξi ei+1 )hi+1 .
50
KAPITEL 8. DIFFERENTIALRECHNUNG
e3
x 3 = x 0+h
h 3e 3
h
x2
h 2e 2
1
x0
h1e
x1
e2
e1
Abbildung 8.4: Der verbindende Polygonzug und die wesentlichen Punkte.
Nun schreiben wir
f (x0 + h) − f (x0 ) =
n−1
X
∂ei+1 f (xi + ξi ei+1 )hi+1 .
i=0
Dann ist
f (x0 +h)−f (x0 ) =
n−1
X
(∂ei+1 f (xi + ξi e
i+1
n−1
X
) − ∂ei+1 f (x0 ) hi+1 +
∂ei+1 f (x0 )hi+1 .
i=0
i=0
Wir bezeichnen mit
R(h) =
n−1
X
(∂ei+1 f (xi + ξi ei+1 ) − ∂ei+1 f (x0 ) hi+1 .
i=0
Nun gilt wegen der Stetigkeit der partiellen Ableitungen und der Tatsache, dass
hi
für h → 0 beschränkt ist, dass
khk2
lim
h→0
R(h)
= 0.
kh||2
8.3. ABLEITUNGEN
51
Satz 8.3.1.17 (Ableitung und Richtungsableitung)
Sei (V, k · kV ) ein Banachraum, U ⊂ V offen, f : U → R im Punkt x0 ∈ U
differenzierbar. Dann existiert für alle a ∈ V die Richtungsableitung ∂a f (x0 )
und es gilt
∂a f (x0 ) = Df (x0 )(a).
Beweis. Folgt sofort aus der Definition.
8.3.2
Hilberträume und Gradienten
Satz 8.3.2.1 (Parallelogrammgleichung)
Eine Norm k · kV auf einem Banachraum V wird genau dann von einem
Skalarprodukt induziert, wenn die Norm der sogenannten Parallelogrammgleichung
kx + yk2V + kx − yk2V = 2kxk2V + 2kyk2V
genügt.
Beweis. Gegeben sei ein Skalarprodukt mit zugehöriger Norm auf V . Dann ist
kx + yk2V + kx − yk2V
= hx + y, x + yiV + hx − y, x − yiV
= 2hx, xiV + 2hy, yiV
= 2kxk2V + 2kyk2V .
Für die Umkehrung setzen wir (in einem komplexen Banachraum)
hx, yiV =
1
4
kx + yk2V − kx − yk2V + i kx + iyk2V − kx − iyk2V .
Dann kann man alle Eigenschaften eines Skalarproduktes nachprüfen.
Satz 8.3.2.2 (Orthogonales Komplement)
Es sei (V, h·, ·iV ) ein Hilbertraum und U ⊂ V ein abgeschlossener, linearer
Unterraum von V , d. h. U ist ein linearer Unterraum und Ū = U . Dann gibt
es einen abgeschlossenen, linearen Unterraum W ⊂ V mit
U ⊕W =V
und für alle u ∈ U und alle w ∈ W gilt
hu, wiV = 0
oder auch in Kurzform W = U ⊥ .
52
KAPITEL 8. DIFFERENTIALRECHNUNG
Beweis. Sei U ein abgeschlossener Unterraum und
n
o
U ⊥ = x ∈ V hu, xiV = 0 für alle u ∈ U .
Dann ist
U⊥ =
o
\n
x ∈ V hu, xiV = 0 .
u∈U
n
o
Jede der Mengen x ∈ V hu, xiV = 0 ist abgeschlossen, der Schnitt also abgeschlossen. Jede dieser Mengen ist offenkundig ein Unterraum, daher gilt dies
auch für den Schnitt. Wir wollen noch zeigen, dass U ⊥ ein Komplementärraum
zu U ist. Offenkundig ist U ∩ U ⊥ = {0}, denn für ū ∈ U ∩ U ⊥ ist hū, ūiV = 0
und daher ū = 0. Wir müssen noch zeigen, dass U + U ⊥ = V ist.
Ist x0 ∈ V , betrachte
d = inf kx0 − ykV .
y∈U
Dazu gibt es ein y0 ∈ U mit
kx0 − y0 kV = d.
Um die Existenz zu zeigen, betrachten mir eine minimierende Folge
{yn } ⊂ U mit lim kx0 − yn kV = d.
n→∞
Diese Folge ist eine Cauchyfolge, denn betrachten wir die Parallelogrammgleichung mit
x = x0 − y n , y = x0 − ym
und erhalten
2
1
4 x0 − (yn + ym )
+ kym − yn k2V = 2 kx0 − yn k2V + kx0 − ym k2V .
2
V
Mit n, m → ∞ konvergiert die rechte Seite gegen 4d2 , also auch die linke Seite.
Da 12 (yn + ym ) ∈ U ist der erste Ausdruck größer oder gleich 4d2 und der zweite
Ausdruck konvergiert gegen 0. Also ist {yn }n∈N eine Cauchyfolge und der Grenzwert existiert wegen der Vollständigkeit von V . Gäbe es zwei Elemente y0 , y1 in
U mit minimalem Abstand zu x0 , so hätte die quadratische Abbildung
f : R → R : t 7→ kx0 − y0 + t(y1 − y0 )k2V
zwei Minima bei t = 0, t = 1 und wäre damit konstant, also y1 − y0 = 0.
Nun ist klar, dass x0 = y0 + (x0 − y0 ). Wir müssen also noch zeigen, dass
x0 − y0 ∈ U ⊥ liegt. Sei u ∈ U , dann ist
q(t) = hx0 − y0 + tu, x0 − y0 + tuiV ≥ 0,