Das diabetische Fußsyndrom – mögliche Wege aus dem Desaster

ENDOKRINOLOGIE & STOFFWECHSEL
u Das diabetische Fußsyndrom ist eine der schwerwiegendsten und kostenintensivsten
Folgeerkrankung des Diabetes.
u Die Hälfte der diabetisch bedingten Amputationen könnten durch ein ganzheitliches
Therapiekonzept verhindert werden.
u Oberstes Ziel ist der Erhalt der Mobilität und der Lebensqualität der Patienten.
Das diabetische Fußsyndrom –
mögliche Wege aus dem Desaster
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universum Innere Medizin 03|15
as diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine
der schwerwiegendsten und kostenintensivsten Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus und die Hauptursache für Hospitalisierung. Die Zahl der Diabetiker steigt stetig und
somit auch die Zahl derer, die an Spätschäden,
wie dem diabetischen Fußsyndrom erkranken.
Das Hauptproblem dabei ist fehlender Leidensdruck und mangelnde Aufklärung, dadurch hat
die Entstehung bedrohlicher, aber meist vermeidbarer Folgeerkrankungen keine Grenzen.
Das Resultat sind steigende Behandlungskosten und dadurch eine enorme gesundheitsökonomische Belastung, genauso wie das persönliche Leid der Betroffenen, die oft erst bei Einlieferung ins Krankenhaus oder der drohenden
Amputation verstehen, worum es geht. Die
Prophylaxe hat deshalb einen extrem hohen
Stellenwert.
Die Ursachen des DFS sind die diabetische Polyneuropathie (PNP) und die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Auslöser sind
meist Bagatellverletzungen und Druckstellen
durch falsches Schuhwerk; am Ende steht oft
die Amputation, die in vielen Fällen vermeidbar
wäre. Bereits 1989 wurde bei einem Treffen
der Weltgesundheitsorganisation (damals
WGO) und der International Diabetes Federation (IDF) in San Vincente von den Regierungen
unter anderem gefordert, die Zahl der Gliederamputationen für diabetische Gangrän um die
Hälfte zu reduzieren. Leider ist dies bis heute
nicht einmal im Ansatz gelungen, obwohl es
durchaus möglich und realistisch wäre.
Motorische Neuropathie verändert die Biomechanik, führt zur Deformierung, Druckmaximierung plantar im Fußballenbereich und zur Aus-
Abb. 1: Neuropathisches Ulcus bei St. p. Großzehen­
amputation
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bildung von Druckulzera – den so genannten
Mal perforantes.
Weiters kommt es zu einem Verlust der
Schweißsekretion und dadurch bedingt zu trocken schuppender Haut und Bildung von Hyperkeratosen und durch den Ausfall der sympathischen Nervenfasern zur Vasodilatation,
dadurch wiederum zur Hyperperfusion – die
Füße sind typischerweise warm, rosig, oft hyperpigmentiert und trocken.
Sensible Neuropathie ist verantwortlich für das
Vorliegen von Par- und Hypästhesien, die Patienten haben entweder Ruheschmerzen in allen Qualitäten oder vermindertes bis gar kein
Schmerzempfinden. Das erste ist für Patienten
äußerst unangenehm bis nahezu unerträglich,
das zweite wenig belastend, jedoch gefährlich.
Gefährlich deshalb, weil die Warnfunktion der
Abb. 2: Neuropathisches Druckulcus mit Einblutung
wegen zu enger Schuhe
DR. ELISABETH KRIPPL
Fachärztin für Innere Medizin (Schwerpunkt Diabetes), Zertifizierte Wundmanagerin,
Ärztin für Allgemeinmedizin, MayrÄrztin
Ärztliche Leitung EK MedCenter, Schwerpunktzentrum für Diabetologie,
Regenerationsmedizin und Gewichtsmanagement und chronische Wundbehandlung
www.ek-med.center
Erkrankungen wesentliche Faktoren sind. Das
heißt, man sollte auch die Lebenspartner miteinbeziehen und die Therapie muss mit dem
(Berufs-)Alltag vereinbar sein. Sonst fehlt die
notwendige Compliance. Eine erfolgreiche Therapie benötigt auch die entsprechende Kooperation des Patienten.
Es muss für jeden Patienten ein individuelles
Therapiekonzept erstellt werden. Ein Wundbehandlungskonzept, das den Erfordernissen des
jeweiligen Patienten angepasst ist. Ziel ist, die
Mobilität und Lebensqualität der Patienten zu
erhalten, Infektionen und Komplikationen zu
verhindern und so die Heildauer zu verkürzen
und Kosten zu senken.
Bei zusätzlichem Vorliegen einer PAVK-Claudicatio-intermittens bleiben die typischen Beschwerden aus, da aufgrund der Neuropathie
das Schmerzempfinden deutlich reduziert oder
gar nicht mehr vorhanden ist, deshalb wird die
Diagnose pAVK viel zu spät gestellt, und eine
Revaskularisierung ist oft nicht mehr oder nur
erschwert möglich – die Amputation kann
meist nicht verhindert werden. Deshalb muss
frühzeitig daran gedacht werden, Gefäßscreenings durchzuführen und einen Gefäßstatus zu
erheben. Erschwerend ist, dass aufgrund der
mangelnden Durchblutung auch das Infektionsrisiko erhöht und die Immunabwehr deutlich
reduziert ist.
Leider werden manche Läsionen und Ulzera
nur als Hühnerauge oder Hornhaut abgetan
und es wird nicht erkannt, um welches schwerwiegende Problem es sich tatsächlich handelt.
Rasches und vor allem richtiges Handeln ist
von äußerster Wichtigkeit, um aus einer Bagatelle keinen Supergau werden zu lassen.
Ganzheitliche Behandlung
Therapieoptionen
Zu Beginn der Behandlung steht die richtige
Einschätzung der Wundsituation (BZ, Durchblutung, Neuropathie, Infektion, Ausmaß,
Wundbeschaffenheit, Druck, Knochenbeteiligung – Osteomyelitis, sonstige Ursache?).
Ganz wichtig ist aus meiner Sicht auch ein
Blick über den Wundrand hinaus. Man darf nie
die Ursachen außer Acht lassen. Dazu kommen
noch die Psyche der Patienten und ihr soziales
Umfeld, die gerade im Bereich der chronischen
Behandlung der Grundkrankheiten
• Blutzuckereinstellung optimieren
• bei Vorliegen einer pAVK Ž Gefäßrevaskularisierung
- konservativ (Gehtraining, hämorrheo logische Maßnahmen mit vasoaktiven Substanzen, Antikoagulation)
- interventionell oder gefäßchirurgisch (PTA, Dilatation, Pedale Bypässe,
Profundaplastik)
• Blutdruckeinstellung, Fettstoffwechsel
• Gewichtsreduktion, Lifestyleänderung
•Nikotinkarenz
• Infektionskontrolle! Bei Infektion systemische Antibiotikatherapie nach Antibiogramm (niemals lokale Antibiotika! Schafft
nur Resistenzen, das Keimspektrum ist
gering), bei Osteomyelitis knochengängige
Antibiotika und über mehrere Wochen bis
Monate behandeln! Immer in Kombination
mit Probiotika
• Druckentlastung (Krücken, Rollstuhl, langfristig Versorgung mit orthopädischem
Maßschuh anstreben)
Ergänzende Therapien
• Patientenschulung und Lifestyleänderung
• Beseitigung vorliegender Ödeme durch
Lymphdrainage, diese ist fast immer von
Vorteil, da aufgrund des Gewebedefektes
und der meist bestehenden Fehlernährung
auch das Lymphsystem „out of order“ ist.
Kontraindikationen: akute Infektion, Herzin-
suffizienz und manche Krebserkrankungen
• Beseitigung von Ernährungsdefiziten durch
Nahrungsergänzungsmittel (Aminosäuren,
Zink und Selen, Vitamine etc.)
• Thromboseprophylaxe bei immobilen
Patienten
• Nach Möglichkeit ergänzend Low-LevelLasertherapie, Ozontherapie etc.
Lokale Wundtherapie: Neben der Behandlung
von Grundkrankheiten unter Einbeziehung aller
verursachenden Faktoren ist die lokale Wundtherapie eine wesentliche Maßnahme im Kampf
gegen das diabetische Fußsyndrom. Wundbeläge stören die Mikrozirkulation nachhaltig und
können sie zum völligen Erliegen bringen, es
kommt an der Wundoberfläche und am Wundrand zum Untergang von intaktem Gewebe. Es
hat keinen Sinn, auf abgestorbenes Gewebe
Wundauflagen zu geben. Hier muss nach einem ausgiebigen Débridement (Entfernen aller
avitalen Gewebeanteile, Schaffung eines sauberen Wundgrundes) eine adäquate phasengerechte Wundversorgung nach den Richtlinien des modernen Wundmanagements, z. B.
mittels feuchter Wundbehandlung, Wundkonditionierung mit interaktiven Wundverbänden,
durchgeführt werden.
Der gewebeschonende, atraumatische Verbandwechsel ist für einen optimalen Heilungsverlauf von grundlegender Bedeutung. Verbandswechsel sollten in der Regel, sofern keine massive Infektion vorliegt, 2–3-mal pro
Woche erfolgen. Die Wunde braucht auch
„Wundruhe“ zur Heilung.
RESÜMEE: Pro Jahr werden österreichweit
2.400 (!) Amputationen bei Diabetikern durchgeführt (laut ÖDG 7/2007). Beim diabetischen
Fußsyndrom könnte mit Geduld und dem richtigen Know-how unter Mitarbeit des Patienten
ein Großteil der Amputationen verhindert werden, bei gleichzeitiger Einsparung von Kosten.
Dies erfordert ein individuell erstelltes Therapieregime mit Blick über den Wundrand hinaus
und unter Einbeziehung aller auslösenden und
verursachenden Faktoren sowie unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes. Oberstes
Ziel sollte die Erhaltung der Mobilität und Lebensqualität unserer Patienten so lange als
möglich sein. ¢
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Schmerzsymptomatik ausfällt und z. B. zu enges Schuhwerk, zu heißes Wasser etc. Verletzungen, die von Patienten unbemerkt bleiben, verursachen können. Aufgrund von verzögerter Wundheilung durch Diabetes, erhöhter
Infektionsgefahr, mangelnder Aufklärung und
mangelhafter Ausbildung der Ärzte zum Thema chronische Wunden und DFS führt dies
leider allzu oft zur Amputation, in vielen Fällen
absolut unnötig. Die weitere Folge sind wiederum Wundheilungsstörungen der Amputationsstelle und Nachamputation, die so genannte Salamitaktik; oft folgt der soziale Absturz,
Depressionen und die Patienten werden zum
Pflegefall.