8.2 Septische Chirurgie Nationalen Versorgungsleitlinien Diabetes mellitus Typ 2 liefern darüber hinaus ein brauchbares Grundgerüst für die Behandlung des DFS nach der aktuellen Evidenz. 8.2 Septische Chirurgie Oberflächliche Weichteilinfektionen werden vorzugsweise antibiotisch vorbehandelt, sofern kein Notfall vorliegt. Präoperative Wundreinigung und Eindämmung der Weichteilentzündung erlauben einen weniger radikalen Eingriff und verbessern die Wundheilung. Eine Ausbreitung des Infektes in die tiefen Kompartimente oder entlang der Sehnenscheiden darf dabei nicht übersehen werden. Dieselben Überlegungen gelten für begleitende Weichteilentzündung bei Osteomyelitis. Auch hier ist es in vielen Fällen sinnvoll, zunächst die Entzündungsreaktion zum Abklingen zu bringen und dann erst die knöcherne Resektion durchzuführen. a Merke Im Gegensatz dazu gehört jede plantare Phlegmone zügig chirurgisch entlastet (▶ Abb. 8-1). Klinisches Alarmzeichen dieser chirurgischen Notfallsituation ist ein teils erheblicher Druckschmerz im Bereich einer scharf abgegrenzten bogenförmigen Rötung der Fußsohle trotz sensibler Polyneuropathie. Abwarten führt hier trotz antibiotischer Therapie zur Züchtung tiefer plantarer Kolliquationsnekrosen, die mangels Eiterung unheilvoll harmlos erscheinen und zu einer fortschreitenden Destruktion des Fußes führen. Nicht selten ist dann eine Amputation nicht mehr zu vermeiden. b Abb. 8-1 (a) Klinisches Bild einer plantaren Phleg mone mit aszendierender Cellulitis und plantarer Nekrosezone. (b) Die notfallmäßige Therapie besteht in der Entlastung tiefer Kolliquationsnekrosen. Hier weiteres Débridement durch Einsatz von Maden (Lucilia serricata). (c) Sekundäre Wundheilung unter Vakuumversiegelung mit abschließender Reverdin- Hautplastik. 399 c Rammelt: Fuß- und Sprunggelenkchirurgie. ISBN: 978-3-7945-2863-9. © Schattauer GmbH 8 Der neuro-angio-arthropathische Fuß 400 Die kalkulierte antibiotische Therapie, d. h. bei noch nicht erbrachtem Erregernachweis, erfolgt in Abhängigkeit vom Schweregrad der Infektion und von einer eventuellen antibiotischen Vorbehandlung. Da sich i. d. R. eine Mischflora aus gram-positiven und gram-negativen Keimen sowie Anaerobiern findet, kommen dafür vor allem Breitspektrum-Penicilline infrage wie Ampicillin + Sulbactam/Clavulansäure oder Piperacillin + Tazobactam, evtl. in Kombination mit Clindamycin, das auch bei Penicillin-Allergie zusammen mit Chinolonen angewendet werden kann. Eine Resistenzbildung sollte bei fehlendem Nachweis von Pseudomonas ssp. durch Auswahl hier nicht wirksamer Substanzen wie Moxofloxacin oder auch Ertapenem vermieden werden, da multiresistente Pseudomonaden ein weit größeres infektiologisches Problem darstellen als die allermeisten MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus). Aus demselben Grund verbietet sich eine antibiotische Therapie bei reiner Kolonisation der Wunde oder gar zur Dekontamination von MRSA auf Haut und Schleimhaut. Ein anderer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die möglicherweise sinnvolle Eradizierung von MRSA im Bereich der nasalen Schleimhaut zur Senkung des Risikos von postoperativen Infektionen mit diesem Keim. Bei Patienten mit Diabetes mellitus sind die systemischen Zeichen der Infektion wie Fieber, erhöhte BSG, Leukozytose oder erhöhtes CRP weniger aussagekräftig als bei Nicht-Diabetikern. Merke Ein wichtiger Bestandteil der Therapie ist die Optimierung der Stoffwechseleinstellung des Diabetespatienten, da zwischen Infektion und Blutzucker spiegel eine negative Rückkopplung besteht. Anhaltend hohe Blutzuckerwerte führen zu einer Beeinträchtigung der Makrophagenfunktion und damit der Infektabwehr und Wundheilung. Glucose hat einen proinflammatorischen Effekt, der sich in einem Anstieg von polymorphkernigen Leukozyten und mononukleären Zellen zeigt. Es kommt zu einer Reduktion der antibakteriellen Aktivität von Leukozyten durch verminderte Chemotaxis, Phagozytose und intrazelluläre Bakterienabtötung. Wünschenswert ist daher die engmaschige Kooperation mit Diabetologen, um durch einen konstant eingestellten und gesenkten Blutzuckerspiegel eine verbesserte Infektabwehr zu erreichen. »Das beste antibakterielle Agens ist ein 15er-Messer« (Peter Blume DPM; New Haven), geht es nach einigen Chirurgen. Eine frühe und aggressive Therapie ist die Methode der Wahl, die so radikal wie nötig, aber so sparsam wie möglich umgesetzt werden sollte. Vor allem in der angloamerikanischen Literatur wird eine Operation ohne Blutsperre mit Entfernung von allem infizierten und nicht durchbluteten Gewebe sowie anschließender plastischer Deckung propagiert. Die Erholungsfähigkeit der Haut nach dem Rückgang von Ödem und Infekt wird dabei jedoch systematisch unterschätzt, sodass eine Blutsperre für eine schonendere Präparation auch Vorteile bieten kann, sofern nicht aufgrund einer pAVK und einer zuvor erfolgten Revaskularisierung eine Kontraindikation besteht. Nekrosen, die sich postoperativ weiter demarkieren, werden sukzessiv und aufgrund der PNP weitgehend problemlos reseziert, dann erfolgt eine Vakuumversiegelung (NPWT, »negative pressure wound therapy«) und im weiteren Verlauf Rammelt: Fuß- und Sprunggelenkchirurgie. ISBN: 978-3-7945-2863-9. © Schattauer GmbH 8.3 Amputationen am Fuß 401 evtl. eine Meshgraft- oder Reverdin-Plastik – wobei Letztere aus Sicht der Autoren wegen des besser belastbaren Transplantats zu bevorzugen ist. Transplantathaut in belasteten Arealen des Fußes ist vor allem im Bereich knöcherner Prominenzen als kritisch zu betrachten – und nicht belastete Areale gibt es spätestens bei Verwendung druckverteilender (sog. Diabetes-adaptierter) Einlagen eigentlich nicht mehr. 8.3 Amputationen am Fuß 8.3.1 Indikation und Prinzipien Die Indikation zur Amputation besteht bei feuchten Nekrosen (Gangrän), manifesten, anderweitig nicht therapierbaren tiefen Infektionen und konservativ therapieresistenten Ulzerationen ohne die Möglichkeit einer stabilen Weichteildeckung. Bei floridem Infekt mit drohender Sepsis besteht die Notfallindikation zur Resektion des sichtbar infizierten Gewebes mit ausgiebigem Débridement und Lavage nach den Prinzipien der septischen Chirurgie. In einem ersten Schritt wird hierbei im Übergang zum vitalen Gewebe zunächst eine »Grenzzonen-Amputation« durchgeführt. Die definitive Festlegung der Amputationshöhe mit der Schaffung eines stabilen, belastbaren Stumpfes erfolgt nach der Demarkierung von weiteren Nekrosen sowie bei Infektfreiheit, ggf. nach weiteren Débridements. Die Erholungsfähigkeit der Weichteile, vor allem beim neuropathischen DFS, wird bei offenen Amputationen ausgenutzt, aufgrund der Polyneuropathie ist hier ein regelmäßiges Débridement meist ohne Analgetika oder gar Narkose möglich. Initial werden desinfizierende Verbände eingesetzt. Nach Abklingen des Infektes kann nach etabliertem Standard eine strukturierte Wundbehandlung durchgeführt werden. NPWT ist vorteilhaft bei stark sezernierenden Wunden und vermindert ein Auseinanderklaffen der Hautlappen. Die Verwendung von vakuumassistierten Systemen ist allerdings bei fortbestehender anaerob/aerober Keimbesiedelung und bei der Gefahr der Bildung von Sekrettaschen in der Tiefe nicht unproblematisch. Eine sekundäre Wundheilung ist grundsätzlich möglich, wenn auch meist langwierig. Alternativ kann daher nach 2–3 Wochen eine Sekundärnaht durchgeführt werden. Bei der Operation muss sorgfältig auf aszendierende Infektionen entlang der Sehnenlogen geachtet werden. Hilfreich ist dabei ein retrogrades »Ausmelken« des Unterschenkels. Ist eine Spaltung der Logen bzw. Kompartimente von Fuß und Unterschenkel nicht zu umgehen, vermeidet dabei das Belassen einer 4–5 cm breiten Hautbrücke im Bereich der Retinacula des Innen- oder Außenknöchels ein allzu starkes Auseinanderweichen der Merke Vor jeder Amputation ist die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Revaskularisierung bei bestehender pAVK zu überprüfen. Bei rechtzeitiger Indikationsstellung und sorgfältiger Technik ist die Minor-Amputation immer vorzuziehen, da sie einen weitgehenden Erhalt der Fußfunktion gewährleistet. Sie erfolgt sparsam als Grenz zonen-Amputation. Rammelt: Fuß- und Sprunggelenkchirurgie. ISBN: 978-3-7945-2863-9. © Schattauer GmbH 8 Der neuro-angio-arthropathische Fuß 402 Wundränder und damit verbundene Probleme beim späteren Verschluss, ohne dass die notwendige Radikalität beeinträchtigt wird. Nach Stabilisierung der Wundsituation kann die Mobilisation in einer individuellen Interimsprothese erfolgen. Zweizeitige Amputationen mit temporärer Einlage von Antibiotikumketten (mit Gentamicin, Vancomycin o. a.) können bei weniger ausgeprägtem Infekt als Alternative zur offenen Amputation betrachtet werden. Üblicherweise geben die Ketten nach 2–3 Wochen nur noch wenig Wirkstoff ab und werden daher in diesem Zeitraum entfernt (Klemm 1988) – zusammen mit einer plastischen Stumpfkorrektur, falls erforderlich. Die Ketten können ausnahmsweise belassen werden bei Multimorbidität mit hohem perioperativem Risiko und geringem Bewegungsanspruch des Patienten. Merke Die definitive Stumpflänge wird so gewählt, dass alles avitale und potenziell i nfizierte Gewebe sicher entfernt und eine spannungsfreie Weichteildeckung mit einem kräftigen plantaren Hautlappen erreicht wird. Ziel der Amputation ist ein infektfreier, stabil weichteil gedeckter, schuh- oder prothesenfähiger endbelastbarer Stumpf. Durch den asymmetrischen Zug der Muskulatur besteht die Gefahr einer funktionell ungünstigen Flexionskontraktur des Restfußes mit erneuter Schwielenbildung und Ulzerationen im vorderen Stumpfbereich. Die Spitzfußprophylaxe kann bei sicherer Infektfreiheit durch Sehnenplastiken erreicht werden, beim Diabetiker ist hingegen eine Rückfußarthrodese die Prophylaxe der Wahl. 8.3.2Vorfußamputation Bei umschriebener Nekrose und Osteitis an einer Zehe kann bei guter Durchblutung unter Umständen eine Resektion von Nagelkranz oder Endglied oder auch eine Gelenkresektion durchgeführt werden, Letztere z. B. bei einer Krallenzehe mit dorsalem Ulcus und infolgedessen einem infizierten proximalen Interphalangealgelenk. Komplikationen können bei Patienten mit DFS entstehen, wenn ein Teil der Grundphalanx erhalten bleibt, da es zu sog. Abklatschulcera an den Nachbarzehen kommen kann. Aus demselben Grund wird vor allem beim ischämischen DFS auf die Verwendung von Spacern auf der Einlage verzichtet. An der Großzehe ist für den Abrollvorgang der Erhalt der Grundphalanx anzustreben, wenn diese nicht betroffen ist. OP-Technik Die Amputation erfolgt zirkulär an der Grenze zum vitalen Gewebe. yy Die Sehnen als bradytrophes Gewebe sind nekrosegefährdet und könyy nen mit ihren Sehnenscheiden als Leitschiene für die Infektausbreitung dienen. Sie werden daher unter Zug in der Tiefe abgesetzt. Der Knochen wird zurückgekürzt, sodass eine Adaptation der Haut yy mittels Situationsnaht möglich wird. Ein infiziertes Metatarsaleköpfchen muss grundsätzlich entfernt weryy den. In den meisten Fällen empfiehlt sich dabei eine Resektion der distalen 2/3 des betroffenen Strahls, da zu lang belassene Diaphysen Rammelt: Fuß- und Sprunggelenkchirurgie. ISBN: 978-3-7945-2863-9. © Schattauer GmbH
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