Musterseiten 399-402

8.2 Septische Chirurgie
Nationalen Versorgungsleitlinien Diabetes mellitus Typ 2 liefern
darüber hinaus ein brauchbares Grundgerüst für die Behandlung
des DFS nach der aktuellen Evidenz.
8.2
Septische Chirurgie
Oberflächliche Weichteilinfektionen werden vorzugsweise antibiotisch vorbehandelt, sofern kein Notfall vorliegt. Präoperative
Wund­reinigung und Eindämmung der Weichteilentzündung erlauben einen weniger radikalen Eingriff und verbessern die Wundheilung. Eine Ausbreitung des Infektes in die tiefen Kompartimente
oder entlang der Sehnenscheiden darf dabei nicht übersehen werden. Dieselben Überlegungen gelten für begleitende Weichteilentzündung bei Osteomyelitis. Auch hier ist es in vielen Fällen sinnvoll,
zunächst die Entzündungsreaktion zum Abklingen zu bringen und
dann erst die knöcherne Resektion durchzuführen.
a
Merke
Im Gegensatz dazu gehört jede
plantare Phlegmone zügig chirurgisch entlastet (▶ Abb. 8-1).
Klinisches Alarmzeichen dieser
chirurgischen Notfallsituation
ist ein teils erheblicher Druckschmerz im Bereich einer scharf
abgegrenzten bogenförmigen
Rötung der Fußsohle trotz sensibler Polyneuropathie. Abwarten führt hier trotz antibiotischer
Therapie zur Züchtung tiefer
plantarer Kolliquationsnekrosen,
die mangels Eiterung unheilvoll
harmlos erscheinen und zu einer
fortschreitenden Destruktion
des Fußes führen. Nicht selten
ist dann eine Amputation nicht
mehr zu vermeiden.
b
Abb. 8-1 (a) Klinisches Bild einer plantaren Phleg­
mone mit aszendierender Cellulitis und plantarer
Nekrose­zone. (b) Die notfallmäßige Therapie besteht
in der Entlastung tiefer Kolliquationsnekrosen. Hier
­weiteres Débridement durch Einsatz von Maden
(Lucilia serricata). (c) Sekundäre Wundheilung unter
Vakuumversiegelung mit abschließender Reverdin-­
Hautplastik.
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c
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8 Der neuro-angio-arthropathische Fuß
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Die kalkulierte antibiotische Therapie, d. h. bei noch nicht erbrachtem
Erregernachweis, erfolgt in Abhängigkeit vom Schweregrad der Infektion
und von einer eventuellen antibiotischen Vorbehandlung. Da sich i. d. R.
eine Mischflora aus gram-positiven und gram-negativen Keimen sowie
Anaerobiern findet, kommen dafür vor allem Breitspektrum-Penicilline
infrage wie Ampicillin + Sulbactam/Clavulansäure oder Piperacillin +
Tazobactam, evtl. in Kombination mit Clindamycin, das auch bei Penicillin-Allergie zusammen mit Chinolonen angewendet werden kann. Eine Resistenzbildung sollte bei fehlendem Nachweis von Pseudomonas ssp. durch
Auswahl hier nicht wirksamer Substanzen wie Moxofloxacin oder auch
Ertapenem vermieden werden, da multiresistente Pseudomonaden ein weit
größeres infektiologisches Problem darstellen als die allermeisten MRSA
(Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus). Aus demselben Grund verbietet sich eine antibiotische Therapie bei reiner Kolonisation der Wunde
oder gar zur Dekontamination von MRSA auf Haut und Schleimhaut. Ein
anderer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die möglicherweise sinnvolle
Eradizierung von MRSA im Bereich der nasalen Schleimhaut zur Senkung
des Risikos von postoperativen Infektionen mit diesem Keim.
Bei Patienten mit Diabetes mellitus sind die systemischen Zeichen der
Infektion wie Fieber, erhöhte BSG, Leukozytose oder erhöhtes CRP weniger
aussagekräftig als bei Nicht-Diabetikern.
Merke
Ein wichtiger Bestandteil der Therapie ist die
Optimierung der Stoffwechseleinstellung des
Diabetespatienten, da
zwischen Infektion
und Blutzucker­
spiegel eine negative
Rückkopplung besteht.
Anhaltend hohe Blutzuckerwerte führen zu einer Beeinträchtigung der
Makrophagenfunktion und damit der Infektabwehr und Wundheilung.
Glucose hat einen proinflammatorischen Effekt, der sich in einem Anstieg
von polymorphkernigen Leukozyten und mononukleären Zellen zeigt. Es
kommt zu einer Reduktion der antibakteriellen Aktivität von Leukozyten
durch verminderte Chemotaxis, Phagozytose und intrazelluläre Bakterienabtötung. Wünschenswert ist daher die engmaschige Kooperation mit
Diabetologen, um durch einen konstant eingestellten und gesenkten Blutzuckerspiegel eine verbesserte Infektabwehr zu erreichen.
»Das beste antibakterielle Agens ist ein 15er-Messer« (Peter Blume DPM;
New Haven), geht es nach einigen Chirurgen. Eine frühe und aggressive
Therapie ist die Methode der Wahl, die so radikal wie nötig, aber so sparsam wie möglich umgesetzt werden sollte. Vor allem in der angloamerikanischen Literatur wird eine Operation ohne Blutsperre mit Entfernung von
allem infizierten und nicht durchbluteten Gewebe sowie anschließender
plastischer Deckung propagiert. Die Erholungsfähigkeit der Haut nach
dem Rückgang von Ödem und Infekt wird dabei jedoch systematisch unterschätzt, sodass eine Blutsperre für eine schonendere Präparation auch
Vorteile bieten kann, sofern nicht aufgrund einer pAVK und einer zuvor
erfolgten Revaskularisierung eine Kontraindikation besteht. Nekrosen, die
sich postoperativ weiter demarkieren, werden sukzessiv und aufgrund der
PNP weitgehend problemlos reseziert, dann erfolgt eine Vakuumversiegelung (NPWT, »negative pressure wound therapy«) und im weiteren Verlauf
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8.3 Amputationen am Fuß
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evtl. eine Meshgraft- oder Reverdin-Plastik – wobei Letztere aus Sicht der
Autoren wegen des besser belastbaren Transplantats zu bevorzugen ist.
Transplantathaut in belasteten Arealen des Fußes ist vor allem im Bereich
knöcherner Prominenzen als kritisch zu betrachten – und nicht belastete
Areale gibt es spätestens bei Verwendung druckverteilender (sog. Diabetes-adaptierter) Einlagen eigentlich nicht mehr.
8.3
Amputationen am Fuß
8.3.1
Indikation und Prinzipien
Die Indikation zur Amputation besteht bei feuchten Nekrosen (Gangrän),
manifesten, anderweitig nicht therapierbaren tiefen Infektionen und konservativ therapieresistenten Ulzerationen ohne die Möglichkeit einer stabilen Weichteildeckung.
Bei floridem Infekt mit drohender Sepsis besteht die Notfallindikation zur
Resektion des sichtbar infizierten Gewebes mit ausgiebigem Débridement
und Lavage nach den Prinzipien der septischen Chirurgie. In einem ersten Schritt wird hierbei im Übergang zum vitalen Gewebe zunächst eine
»Grenzzonen-Amputation« durchgeführt. Die definitive Festlegung der
Amputationshöhe mit der Schaffung eines stabilen, belastbaren Stumpfes
erfolgt nach der Demarkierung von weiteren Nekrosen sowie bei Infektfreiheit, ggf. nach weiteren Débridements.
Die Erholungsfähigkeit der Weichteile, vor allem beim neuropathischen
DFS, wird bei offenen Amputationen ausgenutzt, aufgrund der Polyneuropathie ist hier ein regelmäßiges Débridement meist ohne Analgetika oder
gar Narkose möglich. Initial werden desinfizierende Verbände eingesetzt.
Nach Abklingen des Infektes kann nach etabliertem Standard eine strukturierte Wundbehandlung durchgeführt werden. NPWT ist vorteilhaft bei
stark sezernierenden Wunden und vermindert ein Auseinanderklaffen der
Hautlappen. Die Verwendung von vakuumassistierten Systemen ist allerdings bei fortbestehender anaerob/aerober Keimbesiedelung und bei der
Gefahr der Bildung von Sekrettaschen in der Tiefe nicht unproblematisch.
Eine sekundäre Wundheilung ist grundsätzlich möglich, wenn auch meist
langwierig. Alternativ kann daher nach 2–3 Wochen eine Sekundärnaht
durchgeführt werden.
Bei der Operation muss sorgfältig auf aszendierende Infektionen entlang der Sehnenlogen geachtet werden. Hilfreich ist dabei ein retrogrades
»Ausmelken« des Unterschenkels. Ist eine Spaltung der Logen bzw. Kompartimente von Fuß und Unterschenkel nicht zu umgehen, vermeidet dabei
das Belassen einer 4–5 cm breiten Hautbrücke im Bereich der Retinacula
des Innen- oder Außenknöchels ein allzu starkes Auseinanderweichen der
Merke
Vor jeder Amputation
ist die Notwendigkeit
und Möglichkeit einer
Revaskularisierung
bei bestehender pAVK
zu überprüfen. Bei
rechtzeitiger Indikationsstellung und sorgfältiger Technik ist die
Minor-Amputation
immer vorzuziehen,
da sie einen weitgehenden Erhalt der
Fußfunktion gewährleistet. Sie erfolgt
sparsam als Grenz­
zonen-­Amputation.
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8 Der neuro-angio-arthropathische Fuß
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Wundränder und damit verbundene Probleme beim späteren Verschluss,
ohne dass die notwendige Radikalität beeinträchtigt wird. Nach Stabilisierung der Wundsituation kann die Mobilisation in einer individuellen
Interimsprothese erfolgen.
Zweizeitige Amputationen mit temporärer Einlage von Antibiotikumketten (mit Gentamicin, Vancomycin o. a.) können bei weniger ausgeprägtem
Infekt als Alternative zur offenen Amputation betrachtet werden. Üblicherweise geben die Ketten nach 2–3 Wochen nur noch wenig Wirkstoff ab und
werden daher in diesem Zeitraum entfernt (Klemm 1988) – zusammen mit
einer plastischen Stumpfkorrektur, falls erforderlich. Die Ketten können
ausnahmsweise belassen werden bei Multimorbidität mit hohem perioperativem Risiko und geringem Bewegungsanspruch des Patienten.
Merke
Die definitive Stumpflänge wird so gewählt,
dass alles avitale und
potenziell i­ nfizierte
Gewebe sicher
entfernt und eine
spannungsfreie Weichteildeckung mit einem
kräftigen plantaren
Hautlappen erreicht
wird. Ziel der Amputation ist ein infektfreier,
stabil weichteil­
gedeck­ter, schuh- oder
prothesen­fähiger endbelastbarer Stumpf.
Durch den asymmetrischen Zug der Muskulatur besteht die Gefahr einer funktionell ungünstigen Flexionskontraktur des Restfußes mit erneuter Schwielenbildung und Ulzerationen im vorderen Stumpfbereich. Die
Spitzfußprophylaxe kann bei sicherer Infektfreiheit durch Sehnenplastiken
erreicht werden, beim Diabetiker ist hingegen eine Rückfußarthrodese die
Prophylaxe der Wahl.
8.3.2Vorfußamputation
Bei umschriebener Nekrose und Osteitis an einer Zehe kann bei guter
Durchblutung unter Umständen eine Resektion von Nagelkranz oder Endglied oder auch eine Gelenkresektion durchgeführt werden, Letztere z. B. bei
einer Krallenzehe mit dorsalem Ulcus und infolgedessen einem infizierten
proximalen Interphalangealgelenk. Komplikationen können bei Patienten
mit DFS entstehen, wenn ein Teil der Grundphalanx erhalten bleibt, da es zu
sog. Abklatschulcera an den Nachbarzehen kommen kann. Aus demselben
Grund wird vor allem beim ischämischen DFS auf die Verwendung von Spacern auf der Einlage verzichtet. An der Großzehe ist für den Abrollvorgang
der Erhalt der Grundphalanx anzustreben, wenn diese nicht betroffen ist.
OP-Technik
Die Amputation erfolgt zirkulär an der Grenze zum vitalen Gewebe.
yy
Die Sehnen als bradytrophes Gewebe sind nekrosegefährdet und könyy
nen mit ihren Sehnenscheiden als Leitschiene für die Infektausbreitung dienen. Sie werden daher unter Zug in der Tiefe abgesetzt.
Der Knochen wird zurückgekürzt, sodass eine Adaptation der Haut
yy
mittels Situationsnaht möglich wird.
Ein infiziertes Metatarsaleköpfchen muss grundsätzlich entfernt weryy
den. In den meisten Fällen empfiehlt sich dabei eine Resektion der
distalen 2/3 des betroffenen Strahls, da zu lang belassene Diaphysen
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