Sonderbericht Montag, 6. Juli 2015 Nr. 73-126D Die Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ bietet seit mehr als zwei Jahren Informationen und Aktionen rund um das Thema diabetische Neuropathie und Fußgesundheit. Ein Barfuß-Parcours lädt dazu ein, das Gespür in den Füßen auf die Probe zu stellen. Bei Anzeichen von Empfindungsstörungen können Betroffene einen Fuß-Check vom Podologen durchführen lassen. Medizinische Fachkräfte bieten Beratung an. Fachvorträge vermitteln Tipps von der richtigen Fußpflege bis zum Tragen des geeigneten Schuhwerks. Ein neues Angebot: Die Besucher können ihren HbA 1c-Wert messen. Die Aufklärungskampagne ist eine Gemeinschaftsaktion von Wörwag Pharma, der Deutschen Diabetes-Stiftung (DDS) und renommierten Experten der Fachgebiete Diabetologie und Neurologie. Weitere Informationen unter www.hoerensieaufihrefuesse.de. Was macht den Nerv krank? Einflüsse auf Entstehung und Progression der diabetischen Neuropathie, die der Patient nicht bzw. nicht direkt steuern kann: Stoffwechselfaktoren wie Dyslipidämie und Folgen der Hyperglykämie wie AGE-Bildung und oxidativer Stress genetische Disposition Begleiterkrankungen mit direktem (z. B. Nierenerkrankungen) oder indirektem negativen Einfluss auf die Nervenfunktion (neurotoxische Medikation, z. B. Amiodaron, Zytostatika) Neuropathien nichtdiabetischer Genese entzündliche Gefäßerkrankungen Lebensalter Lebenstilfaktoren, die beeinflussbar sind: ungünstige Ernährung mangelnde Bewegung hohes Körpergewicht Genussmittelgebrauch (Alkohol, Rauchen) hoher Blutdruck Jede langfristig erfolgreiche Strategie muss alle diese Faktoren einbeziehen, so Reiners. Diabetische Neuropathie: Die große Unbekannte Bei der Aktionstour der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ wies jeder zweite Untersuchte einen NeuropathieVerdacht auf, der zwei Drittel der Betroffenen zuvor nicht bekannt war. Das zeigt, dass Früherkennung und Prävention der Neuropathie verbessert werden müssen. Etwa jeder dritte Diabetiker in Deutschland leidet unter einer diabetischen Neuropathie, die sich durch Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Brennen, Taubheit oder Schmerzen in den Füßen äußert. 1 Unbehandelt kann sich daraus das diabetische Fußsyndrom entwickeln, auf das jährlich bis zu 40 000 Amputationen zurückzuführen sind. 2 Die diabetische Neuropathie wirkt sich nicht nur negativ auf Lebensqualität und Komorbiditäten aus, sie kann auch die Lebenserwartung verkürzen, betonte Professor Ralf Lobmann, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Bürgerhospital des Klinikums in Stuttgart. Für viele Betroffene ist die diabetische Neuropathie eine große Unbekannte. Das zeigen die wissenschaftlich evaluierten Ergebnisse von podologischen Untersuchungen, die im Rahmen der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ gewonnen und anlässlich des diesjährigen Kongresses der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Berlin vorgestellt wurden. Mit Informationen und Aktionen rund um das Thema Fußgesundheit bringt die bundesweite Initiative allen Interessierten die Bedeutung von Früherkennung und Prävention der diabetischen Neuropathie näher. Aufschlussreiche Tour 2013/2014 Die Informationstour steuerte zwischen Mai 2013 und Oktober 2014 Gesundheits- und Diabetesmessen sowie Einkaufszentren in 26 deutschen Städten an, berichtete Professor Oliver Schnell, Geschäftsführender Vorstand der Forschergruppe Diabetes e. V. am Helmholtz-Zentrum München und Kurator der Deutschen Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ deckt Neuropathien auf Häufigkeit eines Neuropathie-Verdachts (95% Konfidenzintervall) in % nach Auswertung von 1000 Fußchecks 70 60 kein Diabetes mellitus (n=359) Typ-1-Diabetes (n=80) Typ-2-Diabetes (n=544) 50 40 30 20 8,8 5,0 10 0 29,2 30,0 30,1 16,2 möglich 17,8 wahrscheinlich 8,4 7,7 sicher ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Diabetes-Stiftung (DDS). Dabei wurde interessierten Bürgern auch ein kostenloser Fuß-Check durch einen Podologen angeboten, bei dem die Wahrnehmung von Temperatur, Druck und Vibration sowie die Fußpulse untersucht wurden. Die Auswertung von 983 podologischen Untersuchungen ergab bei gut der Hälfte der Untersuchten einen Verdacht auf das Vorliegen einer Neuropathie (s. Abb.). „Bei mehr als der Hälfte der Untersuchten mit bekanntem Typ-2Diabetes wurden Hinweise auf eine beginnende oder klinisch manifeste Neuropathie festgestellt. Sogar bei Probanden ohne bekannten Diabetes wies jeder Vierte Anzeichen einer moderaten oder schweren Neuropathie auf“, so Schnell. Bei etwa zwei Drittel der Untersuchten, bei denen sich ein Verdacht auf Neuropathie ergab, war vorher keine Neuropathie diagnostiziert worden (61,5 Prozent bei Typ-2-Diabetikern, 35,7 Prozent bei Typ-1-Diabetikern und 79,1 Prozent bei Untersuchten ohne bekannten Diabetes). Der Anteil von Neuropathie-Verdachtsfällen stieg mit dem Lebensalter deutlich an. Da eine Neuropathie auch schon vor der Diagnose eines Diabetes oder im Prädiabetes-Stadium auftreten kann, besteht seit Herbst 2014 am 53,8 43,8 55,6 gesamt Quelle: Pressekonferenz „Neues von der Aufklärungsinitiative Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?", 13.5.2015, Berlin ● Bundesweite Aktionstour 15 Grafik: ÄrzteZeitung Informationsstand der Aufklärungsinitiative auch die Möglichkeit, den HbA 1c-Wert bestimmen zu lassen. Die Auswertung einer Teilgruppe ohne bekannten Diabetes zeigte, dass mehr als 30 Prozent einen auffälligen HbA 1c-Wert 5,7 hatten. Wichtig: Regelmäßig Füße checken Zum klinischen Screening auf eine diabetische Neuropathie gehört eine jährliche Untersuchung der Füße, wie Professor Kristian Rett, Chefarzt der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie am Krankenhaus FrankfurtSachsenhausen erklärte. „Bei jedem Diabetes-Patienten sind die Füße auf Hautbeschaffenheit, Deformitäten und Nagelbettveränderungen zu inspizieren, die Fußpulse zu palpieren und die Berührungs- und Vibrationsempfindung sowie die Kalt-WarmDiskrimination mit einfachem Instrumentarium zu testen“, betonte Rett. Angesichts der meist vorliegenden unspezifischen Symptome empfahl er die systematische Verwendung von Scores für die Defizite und die Symptome. Auch wies er darauf hin, dass eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung anzustreben sei, da häufig bereits ein fortgeschrittenes Erkrankungsstadium vorliegt, wenn eine diabetische Neuropathie symptomatisch geworden ist. Auf drei Säulen basiert die Therapie der Neuropathie Die medikamentöse Therapie der diabetischen Neuropathie basiert auf drei Säulen: Optimierung des Stoffwechsels, Blockierung pathogener Stoffwechselwege und symptomatische Therapie. Übergeordnetes Behandlungsziel ist die Normoglykämie einschließlich der Kontrolle kardiovaskulärer Risikofak- toren, so Professor Karlheinz Reiners von der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg. Zweite Therapiesäule ist die Hemmung pathogener Stoffwechselwege mit Substanzen, die in kontrollierten Studien günstige Effekte auf neuropathische Symptome und Defizite gezeigt haben. Zu diesen Wirkstoffen zählt Benfotiamin (milgamma® protekt), ein fettlösliches und gut resorbierbares Derivat von Thiamin (Vitamin B 1), das einmal täglich eingenommen wird. Benfotiamin ist gut verträglich und kann die neuropathischen Symptome deutlich lindern. Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass die Substanz Pathways blockiert, die ursächlich für die Entwicklung der diabetischen Neuropathie sind, wie z. B. die Bildung von AGEs. 3, 4 Die primär metabolischen Wirkungen haben unmittelbare Folgen für die Funktion der Gefäßendothelien, so dass alle mikrovaskulären Komplikationen des Diabetes einschließlich der Neuropathie günstig beeinflusst werden können. Erfolgversprechend ist die frühe Inter- LITERATUR (1) Ziegler D et al., Diabetische Neuropathie. Diabetologie 2014, 9: S100-S110; (2) Pressemitteilung der „AG Diabetischer Fuß“ der DDG, 2012; (3) Hammes HP et al., Nat Med 2003, 9: 294-299; (4) Berrone E et al., J Biol Chem 2006, 281: 9307-9313; (5) Rabbani N et al., Diabetologia 2009, 52: 208-212; (6) Stirban A et al., Diabet Med 2013, 30: 1204-1208 vention mit Benfotiamin, wie die Ergebnisse klinischer Studien belegen.5, 6 Die symptomatische Therapie als dritte Therapiesäule bei chronisch schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie ist eine Herausforderung. Sie sollte laut Professor Dan Ziegler vom Institut für Klinische Diabetologie des Deutschen Diabetes Zentrums der Universität Düsseldorf einigen praktischen Regeln folgen: Jeder Patient benötigt eine individuelle Dosierung nach sorgfältiger Titration und unter Berücksichtigung von Wirkungen, Nebenwirkungen, Komorbi- ditäten und potenziellen Arzneimittelinteraktionen. Die Wirkungslosigkeit der Therapie sollte erst nach mindestens zwei bis vier Behandlungswochen definitiv beurteilt werden. Bei den nicht-medikamentösen Maßnahmen steht die Prävention und – falls notwendig – die Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms im Vordergrund. Dabei kann die Physiotherapie einen wichtigen Beitrag leisten. Sie dient auch dazu, besonders bei älteren Menschen der Sturzgefahr vorzubeugen und langfristig die Gelenkbeweglichkeit aufrechtzuerhalten. IMPRESSUM Corporate Publishing, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg › Verantwortlich: Ulrike Hafner Bericht: Gudrun Girrbach › Redaktion: Dr. Monika Prinoth Mit freundlicher Unterstützung der Wörwag Pharma GmbH & Co. KG, Böblingen
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