Die Wikinger - Bayerischer Rundfunk

1
Manuskript
radioWissen
SENDUNG: Montag, 22.06.2015
9:05 – 9:30 Uhr
AUFNAHME:
STUDIO:
GESCHICHTE
Ab 8. Schuljahr
TITEL:
Die Wikinger
Der Aufbruch der Nordmänner
AUTOR/IN:
Brigitte Kohn
REDAKTION:
Brigitte Reimer
REGIE:
PERSONEN:
Musik
Erzählerin
Zitator christliche Quellen Nr. 1
Zitator nordische Quellen, Sagas und Edda, Nr. 2
Zitator arabische Quellen Nr. 3
Zuspielungen
Professor Wilhelm Heizmann, LMU
Besondere Anmerkungen:
ED 31.05.2010
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ZITATOR CHRONIK: (1)
„793. In diesem Jahr erschienen unheilvolle Vorzeichen und jagten den Menschen
großen Schrecken ein. Sie bestanden aus entsetzlichen Wirbelstürmen und
flammenden Blitzen. Feuerspeiende Drachen flogen allen sichtbar durch die Lüfte.
[Diesen Zeichen folgte auf dem Fuße eine große Hungersnot, und] bald darauf im
siebten Jahr, nämlich am 8. Juni, verheerte das Wüten heidnischer Mannen unter
Plündereien und Gemetzel das Haus Gottes auf Lindisfarne elendiglich.“
ERZÄHLERIN:
Im Jahre 793 überfallen skandinavische Krieger das Kloster Lindisfarne an der
Nordostküste Englands. Mit diesem Ereignis, das die Angelsächsische Chronik
wie einen Weltuntergang schildert, beginnt die Wikingerzeit. Die heidnischen
Krieger reißen kostbare geweihte Gegenstände an sich, metzeln die Mönche
nieder oder schleppen sie als Sklaven mit sich fort. Die Kunde von dem
schrecklichen Überfall spricht sich herum bis ins Frankenreich. Am Hofe Kaiser
Karls des Großen ist man außer sich:
ZITATOR: (1)
„Sie haben die heiligen Stätten Gottes entweiht, sind auf den Gebeinen unserer
Heiligen im Tempel Gottes herumgetrampelt wie auf Unrat in den Straßen.
Nie zuvor wurde Britannien von solchem Entsetzen erfasst, nie zuvor wurde eine
solche Landung von See für möglich gehalten.“
ERZÄHLERIN:
Wie aus dem Nichts erscheinen die wendigen Schiffe aus dem Nebel des
Nordmeers, blitzartig stürmen die Krieger auch an unzugänglichen
Küstenabschnitten an Land. Lindisfarne ist erst der Anfang. Die Wikinger
verwüsten die englische, schottische, irische Küste, lassen sich dann als Siedler
nieder und beherrschen dauerhaft große Gebiete. Und das ist nicht ihr einziger
Erfolg. In der Zeit zwischen 800 und 1050 bestimmen sie als Entdecker, Siedler,
Seeräuber und Händler die Geschicke ganz Europas.
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Sie fahren auf ihren offenen Schiffen weiter als je ein Europäer zuvor, erreichen im
Westen die Küste Nordamerikas und im Osten die Ufer des Kaspischen Meeres.
Sie besiedeln die Färöer, Island und Grönland, sie stoßen tief ins Innere
Russlands vor und gründen zusammen mit den einheimischen Slawen mächtige
Stadtstaaten. Sie bahnen neue Handelsrouten entlang gewaltiger Flüsse wie
Wolga oder Dnjepr, öffnen den Weg nach Asien zu den exotischen Märkten der
Seidenstraße in Persien und China.
Was treibt sie an? Vor allem Beutelust, sagt Professor Wilhelm Heizmann,
Skandinavist an der Ludwig-Maximilian-Universität München:
1 O-TON PROFESSOR HEIZMANN 044
„Ich glaube, dass die Schiffstechnik da eine große Rolle gespielt hat. Die
Skandinavier haben diesen modernen seetüchtigen Schiffstyp entwickelt, mit dem
sie auch über das offene Meer fahren konnten, die wussten auch, in England, im
Frankenreich, gibt es sehr viel zu holen, an materiellen Gütern, in Norwegen
selbst und in Skandinavien war man nicht so reich begütert und das war natürlich
eine Möglichkeit, sehr schnell und auf vergleichbar – zuerst, am Anfang zumindest
– vergleichbar gefahrlose Art und Weise zu immensem Reichtum zu kommen.“
ERZÄHLERIN:
Skandinavien ist fast vollständig von Wasser umgeben; auf dem Meer kommt man
viel schneller voran als über Land. Wikingerschiffe haben wenig Tiefgang, man
kann in jeder Bucht mit ihnen landen und auch seichte Flüsse abfahren, man kann
sie kurze Strecken über Land ziehen. Der flexible Schiffskörper hält viel aus, auch
Wind und Wellen auf hoher See.
2. O-TON PROFESSOR HEIZMANN 323
„Die Schiffe wurden sozusagen von außen nach innen gebaut. Die Planken
wurden in einer Art Klinkerbauweise aufeinandergesetzt und verbunden. Und dann
wurde das Innenleben eingebaut. Das heißt also, das Schiff war sehr elastisch
und konnte entsprechend auf den Wellengang reagieren. Das ist die
Voraussetzung dafür, dass die auf das offene Meer fahren konnten.“
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ERZÄHLERIN:
Die Wikinger sind geniale Schiffsbauer. Doch eine wohl organisierte Flotte im
Dienste einer Zentralgewalt gibt es nicht. Kleinkönige und Häuptlinge regieren
über gesonderte Sippen und sammeln beutehungrige Männer um sich, wann
immer die Gelegenheit günstig scheint. Mit der Zeit werden die Heeresverbände
größer und die Ziele liegen weiter entfernt. Wikinger überfallen das Frankenreich,
fahren auf großen Flüssen ins Landesinnere des heutigen Frankreich und
Deutschland, gelangen bis nach Spanien und Italien. Der französische Mönch
Ermentarius notiert:
ZITATOR ERMENTARIUS: (1)
„Die Zahl der Schiffe nimmt zu, die endlose Flut von Wikingern hört nie auf zu
wachsen. Überall werden die Christen Opfer von Gemetzel, Brand und
Plünderung. Die Wikinger überrennen alles, was vor ihnen liegt, und keiner hält
ihnen stand. Städte werden zu Wüsten gemacht, die Asche manches Heiligen wird
fortgeschleppt.“
ERZÄHLERIN:
Weil die heidnischen Krieger vor allem Kirchenschätze rauben, sind sie für die
christlichen Chronisten schlicht Vorboten der Hölle. Sie kennen weder Alltag noch
Kultur der Menschen in Skandinavien, können sich nicht vorstellen, dass auch hier
die meisten Menschen ähnlich wie sie leben und nicht auf Raubzüge ausgehen.
Und wer es tut, tut es nur zeitweise, sagt Professor Heizmann.
3 O-TON PROFESSOR HEIZMANN 218
„Spezialisten, die ihr Leben einzig und allein dem Krieg gewidmet haben, hat’s in
dem Sinn nicht gegeben. Die Männer in Skandinavien sind ihren Tätigkeiten
nachgegangen, in erster Linie Landwirtschaft, und bei bestimmten Gelegenheiten
sind sie dann auf Wikingfahrt aufgebrochen, haben sich als Händler betätigt, wenn
sich’s angeboten hat, aber sie haben sich eben auch als Krieger betätigt, wenn’s
sich angeboten hat.“
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ERZÄHLERIN:
Die Menschen der Wikingerzeit halten Vieh, fangen Fische, gehen einem
Handwerk nach. Schmiede, Weber und Schnitzer zeigen hohe Fertigkeiten und
einen hoch entwickelten Schönheitssinn: Haushaltsgegenstände, Schmuck und
Waffen sind reich verziert; harmonisch und spannungsreich zugleich wirken die
Ornamente. Männer und Frauen tragen Umhänge, die sie mit metallenen
Schnallen zusammenhalten. Archäologen haben Unmengen dieser Schnallen
gefunden – und auch viele Helme, allerdings alle ohne Hörner. Das angebliche
Markenzeichen der Wikinger findet bei Kulthandlungen manchmal Verwendung,
aber nie im Kampf.
Archäologen sind für die Erforschung der Wikingerzeit sehr wichtig. Denn die
Wikinger haben zwar eine Schrift – das berühmte Runenalphabet aus 16 Zeichen
– aber sie schreiben keine Bücher. Runen sind für kurze Inschriften da: auf
Gedenksteinen oder Alltagsgegenständen. Längere Texte über die Wikinger
entstehen erst Jahrhunderte später auf Island. Island wird im 9. Jahrhundert von
Wikingern besiedelt. Im 13. Jahrhundert verfassen die christlichen Nachfahren
dieser Siedler große Epen über die Taten ihrer Vorfahren: die Sagas. Zu dieser
Zeit entsteht die Edda, eine Sammlung von Heldenliedern, Götterliedern,
Sinnsprüchen. Mündliche Erzähltraditionen der Wikinger sind eingeflossen,
werden aber durch die gelehrten Autoren verändert und überformt. Trotzdem
schimmert die historische Wirklichkeit durch; in allen Erzählungen ist das
bäuerliche Milieu spürbar, das die Welt der frühen Skandinavier prägt.
ZITATOR EDDA (2):
„Eigen Haus, ob eng, geht vor,
daheim bist du Herr.
Zwei Ziegen nur und aus Zweigen ein Dach,
ist besser als betteln.“
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ERZÄHLERIN:
Die Bauern der Wikingerzeit legen Wert auf Selbstbestimmung. Alle freien Männer
treffen sich regelmäßig auf einer Versammlung, die sie Thing nennen: eine Art
frühes Parlament, auf dem Gesetze beschlossen und Streitigkeiten geschlichtet
werden. Die wichtigen Entscheidungen liegen in der Hand der Häuptlinge aus der
reichen Oberschicht. Frauen und Sklaven haben keine Stimme. Sklaven,
Gefangene aus Beutezügen, dienen reichen Bauern in Haus und Hof oder werden
auf dem Markt gewinnbringend verkauft. Märkte sind Umschlagplätze für Beutegut
aller Art, aber auch für heimische Erzeugnisse wie Walrosselfenbein oder die in
ganz Europa heiß begehrten Pelze, Eiderdaunen und Bernstein. Aus den Märkten
entwickeln sich im 9. Jahrhundert dauerhafte Handelsstädte wie Haithabu in
Dänemark und Birka in Schweden. Das Warenangebot lockt ausländische
Kaufleute in Scharen an.
Auch viele Feste bereichern das Leben in der Stadt, berichtet ein Reisender aus
dem Kalifat Cordoba:
ZITATOR AL TARTUSHI: (3)
„Sie halten ein Fest, bei dem sie sich zu Ehren ihres Gottes versammeln und
essen und trinken. Jeder, der ein Tier als Opfer schlachtet, hat ein Holzgestell vor
seiner Haustür und hängt das Opfertier dort auf, damit die Leute wissen, dass er
ein Opfer zu Ehren seines Gottes hält.“
ERZÄHLERIN:
Fleisch, am Spieß geröstet, ist die erste Attraktion eines Wikingergelages. Dann
werden die Tische beiseite geräumt und das Trinken beginnt. Der Met, ein
Honigwein, ist ein eher seltenes Luxusgut, während selbstgebrautes starkes Bier
in großen Mengen bereitsteht. Das sportliche Rahmenprogramm, Ringkämpfe
zum Beispiel, fällt unter diesen Umständen oft etwas roh aus, berichten die Sagas.
ZITATOR SAGA: (2)
„Bui packte seinen Gegner und stieß ihn gegen den Stein, sodass die untersten
Rippen dort verletzt wurden, wo sie am dünnsten waren. Dann sprang Bui mit aller
Kraft auf den Gegner, dessen Rippen brachen, und er war tot.“
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ERZÄHLERIN:
Es kann auf Festen aber auch sehr kultiviert zugehen. Hochrangige
Persönlichkeiten laden sich Dichter ein, die sogenannten Skalden. Ihre Verse
werden lange Zeit nur mündlich überliefert; einiges davon fließt später in die
Sagas des Hochmittelalters ein. Die Skalden wissen sich in der besonderen Gunst
von Odin, dem höchsten Gott, und schreiben ihren Worten magische Fähigkeiten
zu: zum Beispiel die Kraft, das Meer zu bewegen und die Schiffe voranzutreiben,
umschrieben mit dem Bild „Des Kampfes Zierde“.
ZITATOR EGIL:
„Wie ich dichtete
achte der Fürst;
gut scheint mir,
dass man Gehör mir gab.
Mit dem Munde bewegte ich
aus des Sinnes Grund
Odins Meerflut
für Kampfes Zierde.“
ERZÄHLERIN:
Dieses Gedicht stammt von Egil, einem Skalden aus dem 10. Jahrhundert, der
wirklich gelebt hat. Von ihm berichtet die Egilsaga. Egil, ein großer Dichter und
gefürchteter Krieger, ein liebender Vater und verlässlicher Freund, ist aber auch
rechthaberisch, geizig und verschlagen.
Die Sagas zeigen vielseitige, widersprüchliche Charaktere jenseits aller
Wikingerklischees, einzigartig in der Literatur des Mittelalters, meint Professor
Heizmann.
4 O-TON PROFESSOR HEIZMANN 127
„Das macht doch gerade das Faszinierende dieser Gestalten aus, dass sie als
Individuen erkennbar sind, mit allen Facetten, die Individuen so an sich haben, die
sind eben nicht gut oder böse oder schwarz oder weiß. Gerade in den
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Isländersagas, da werden uns Individuen vor Augen geführt. In all ihrem
Liebesschmerz, in ihrer Kampfeswut, in ihrer Begabungen, in ihrer dichterischen
Sensibilität, in ihrer Rücksichtslosigkeit.“
ERZÄHLERIN:
Auch die Frauengestalten der Sagas sind erstaunlich tatkräftig und klug. Über
Gudrun, die Heldin der Laxdoela Saga, heißt es:
ZITATOR SAGAS:(2)
„Sie war unter allen Frauen die erste an Schönheit und Verstand. Mehr als alle
anderen Frauen war sie tüchtig und redegewandt. Und sie war eine freigebige
Person.“
ERZÄHLERIN:
Man weiß nicht viel über die reale Situation der Wikinger-Frauen. Weder sind sie
rechtlich gleichgestellt, noch ziehen sie mit auf Raubzug. Aber in einer
Gesellschaft, in der große Familienverbände die tragende Rolle spielen, sind sie
wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Wenn die Männer auf Wikingfahrt sind,
verwalten die Frauen selbstständig Haus und Hof. Ihr Mut und ihre Tatkraft sind
gefragt, wenn neue, unbekannte Küsten besiedelt werden. Viele Wikinger
verlassen ihre Heimat nicht, um zu plündern, sondern um neues Weideland zu
finden für die Viehwirtschaft. Sie gründen Kolonien auf den schottischen Inseln,
auf Island und auf Grönland. Von Grönland aus wird sogar Nordamerika entdeckt.
Die Wikinger sind auf einer Irrfahrt im Nebel zufällig darauf gestoßen und nennen
es Vinland, Weinland, nach den Weinreben, die dort wachsen. Die Sagas rühmen
die Schönheit der Küste.
ZITATOR SAGA: (2)
„Sie gingen an Land und sahen sich um. Das Wetter war schön. Tau lag auf dem
Gras, und als erstes benetzten sie ihre Hände damit und führten sie an die Lippen,
und es war ihnen, als hätten sie noch nie etwas so Süßes gekostet.“
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ERZÄHLERIN:
Nur die indianischen Ureinwohner machen Probleme. Sie haben etwas gegen die
hochmütigen Wikinger, von denen sie Skrälinge genannt werden –
ZITATOR SAGA: (2)
„ekelhafte Kreaturen mit hässlichen Haaren auf dem Kopf, großen Augen und
breiten Wangen“
ERZÄHLERIN:
… und machen ihnen mit ihren Überfällen das Leben schwer.
ZITATOR SAGA (2):
„Die Skrälinge sprangen aus den Kanus, gingen auf die Wikinger los, und sie
kämpften gegeneinander. Die Wikinger sahen, wie die Skrälinge eine große
blauschwarze Kugel auf eine Stange hoben, die einen fürchterlichen Lärm machte,
als sie losgelassen wurde. Entsetzt versuchten die Wikinger, am Fluss entlang zu
fliehen.“
ERZÄHLERIN:
Auf Dauer sind die Wikinger den Indianern nicht gewachsen und ziehen ab. So
endet die erste Besiedlung Nordamerikas durch die Europäer schon nach wenigen
Jahren.
Wesentlich erfolgreicher ist die Expansion Richtung Osten. Die wird von
Schweden getragen, die sich hauptsächlich als Händler betätigen.
Auf großen Flüssen wie der Wolga dringen sie tief ins Innere Russlands vor und
gründen große Handelsmetropolen. Die Slawen nennen sie Waräger oder Rus
nach dem schwedischen Lehnwort Ruotsi, übersetzt Ruderkerle, und sie
verbünden sich mit ihnen bei der Gründung von Stadtstaaten wie Kiew oder
Novgorod. Der Ländername Russland erinnert heute noch an diese
einflussreichen Handelsleute, denen viele Forscher bei der Entstehung der
russischen Staatlichkeit eine bedeutende Rolle zumessen.
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Der Handelsraum der Rus ist riesig. Er erstreckt sich bis ans Kaspische Meer, bis
ins byzantinische Konstantinopel und weiter bis nach Bagdad, der bedeutendsten
arabischen Stadt jener Zeit. Wikinger sind weltgewandte, erfolgreiche und
durchsetzungsfähige Kaufleute. Der arabische Astronom und Geograph Ibn
Rustah im Jahr 920:
ZITATOR IBN RUSTAH: (3)
„Sie besitzen keine Güter, Dörfer oder Felder. Ihr Hauptgewerbe bildet der Handel
mit Zobel- und Eichhörnchenfellen. Das Geld, das sie bei diesen Geschäften
einnehmen, verstauen sie in ihren Gürteln. Sie tragen saubere Kleidung, und die
Männer schmücken sich mit goldenen Armreifen. Ihre Sklaven behandeln sie gut.
Sie haben viele Städte. Sie halten fest zueinander, sie ehren ihre Gäste und sind
gastfreundlich zu Fremden, die bei ihnen Zuflucht finden.“
ERZÄHLERIN:
Andere Beobachter aus der hochkultivierten, sittenstrengen islamischen Welt sind
weniger begeistert. Wikinger seien verlaust wie Esel und zwängen ihre Sklavinnen
zu wilden Sex-Orgien, schreiben sie. Auf allgemeines Befremden stoßen die
religiösen Riten. Ibn Rustah schildert eine Bestattungszeremonie:
ZITATOR IBN RUSTAH (3):
„Wenn ein bedeutender Mann bei den Rus stirbt, bereiten sie ihm ein Grab, groß
wie ein Haus, und legen ihn hinein. Seine Kleider sowie große Mengen an
Speisen und Getränken werden ihnen mitgegeben. Sie legen auch seine
Lieblingsfrau ins Grab, solange sie noch lebt. Dann versperrt man den Eingang,
und sie stirbt im Grab.“
ERZÄHLERIN:
Viele Wikinger lassen sich in ihren Schiffen bestatten. Spektakuläre
Ausgrabungen haben prachtvolle Grabschiffe zutage gefördert, ausgestattet mit
allem, was man für ein komfortables Leben im Jenseits braucht: wertvoller
Hausrat, tote Pferde und gelegentlich auch ermordete Sklaven.
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Länger als andere Völker halten die Wikinger an ihrem heidnischen Glauben fest.
Sie glauben an die germanischen Götter Odin, Freya, Thor und viele andere. Sie
glauben, dass weibliche Todesdämonen, die Walküren, die Seelen gefallener
Krieger auf dem Schlachtfeld einsammeln und nach Walhall bringen, dem Jenseits
der Wikinger. Dort warten Kämpfe und Feste in ewigem Wechsel – so lange, bis
der letzte große Kampf beginnt, in dem Götter und Menschen untergehen.
ZITATOR EDDA: (2)
„Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,
Vom Himmel schwinden die heiteren Sterne.
Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltbaum,
die heiße Lohe bedeckt den Himmel.“
ERZÄHLERIN:
Erst danach, so glauben die Wikinger, wird die Welt frisch und neu wieder
erstehen. Im 11. Jahrhundert setzt sich auch in Skandinavien das Christentum
endgültig durch. Mit ihm erstarkt auch die königliche Zentralgewalt, und die immer
mächtiger werdenden skandinavischen Großkönige verlieren mit der Zeit das
Interesse an Plünderungsfahrten.
Nicht zuletzt deswegen, weil die immer gefährlicher werden. Die überfallenen
Völker lernen sich zu wehren. Professor Heizmann.
5 O-TON PROFESSOR HEIZMANN 115
„Man hat ja zunächst den Eindruck, als seien die Wikinger unwiderstehliche
Krieger, denen nichts und niemand standhalten kann. Aber so einfach ist die
Geschichte nicht. [Die Wikinger leben vom Element der Überraschung. Tauchen
plötzlich auf, sind mit ihren Schiffen da, die Schiffe können die Flüsse hochfahren.
In dem Augenblick, wo sich ihnen organisierter Widerstand entgegenstellt, sieht
die Sache schon anders aus.] Die Franken und die Angelsachsen, die waren keine
Schlaffis, etwas salopp ausgedrückt, die zur Gegenwehr nicht fähig gewesen
wären. Wenn die sich organisiert haben, dann haben sie meistens sogar sehr
erfolgreich Widerstand geleistet. Sie hatten die besseren Waffen, sie hatten die
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bessere militärische Taktik. Die waren den Wikingern in weiten Bereichen
überlegen. Allein mit Körperkraft kann man solche Schlachten auch nicht
entscheiden. Und ob da so große Unterschiede bestanden haben zwischen einem
Skandinavier und einem Angelsachsen oder Franken, möchte ich schwer
bezweifeln.“
ERZÄHLERIN:
Vielerorts kann man die Wikinger von der einheimischen Bevölkerung gar nicht
mehr unterscheiden, sie haben sich assimiliert. In Frankreich wird der
Wikingerführer Rollo ein Vasall des Frankenkönigs Karl des Einfältigen, lässt sich
taufen und bekommt ein Lehen, das sich mit der Zeit zum mächtigsten fränkischen
Herzogtum entwickelt: zur Normandie, benannt nach den Normannen, den
Nordmännern, wie die Wikinger hier heißen. Die Normannen vermischen sich mit
der heimischen Bevölkerung, entwickeln eine eigene Identität, werden Teil der
christlich-romanischen Kultur des Frankenreichs. Doch in ihrer Kriegslust zeigt
sich das Erbe der Wikinger: Im Verlauf des 11. Jahrhunderts erobern die
Normannen Süditalien, Sizilien und auch England.
Wilhelm der Eroberer besiegt 1066 die Angelsachsen, lässt sich zum englischen
König krönen und schmettert alle Versuche skandinavischer Herrscher ab, auf
England wieder Einfluss zu nehmen.
England löst sich aus seinen Bindungen an die skandinavische Welt und öffnet
sich endgültig dem romanisch-lateinischen Kulturkreis. Die Schlacht bei Hastings
verändert die Geschichte Englands und Europas. Und sie zieht den Schlussstrich
unter die große Zeit der Wikinger.
stopp
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